John Henry Newman – Wegweiser für ein Leben in der Hoffnung

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Papst Johannes Paul II. rief im Apostolischen Schreiben „Tertio millennio adveniente“ auf, „die theologische Tugend der Hoffnung wieder zuentdecken. Die Grundhaltung der Hoffnung spornt einerseits den Christen dazu an, das Endziel, das seinem ganzen Dasein Sinn und Wert gibt, nicht aus dem Auge zu verlieren. Andererseits bietet sie ihm solide und tiefgehende Beweggründe für den täglichen Einsatz bei der Umgestaltung der Wirklichkeit, die dem Plan Gottes entsprechen soll Nr. 46).

In den Schriften von John Henry Newman ist von der Hoffnung nicht so häufig die Rede wie vom Glauben und von der Liebe. Was aber mit Hoffnung gemeint ist, leuchtet an vielen Stellen, vor allem in seinen Predigten, auf.

Ausschau halten

„Dies ist die Definition, möchte ich sagen, jedes religiösen Menschen, der von Christus nichts weiß; er hält Ausschau“ (DP X 85)[1]. Die innere Stimme des Gewissens ist oft leise und unklar. Zudem legt sie die Sünde offen, ohne davon befreien zu können. So treibt sie den Menschen an, Ausschau zu halten nach einem sicheren Halt und nach wahrer Versöhnung. Sie weckt in ihm eine Sehnsucht, die nach Newman erst durch das Kommen des Sohnes Gottes erfüllt wird. Jesus Christus ist nämlich die Wahrheit und der Friede in Person.

„Jahr um Jahr gleitet lautlos dahin; Christi Ankunft nähert sich immer mehr. Daß wir uns doch, je näher er der Erde kommt, umso mehr dem Himmel näherten“ (DP IV 370). Wer den Erlöser in sein Herz und in sein Leben aufgenommen hat, dessen tiefstes Verlangen ist zwar in gewisser Weise schon erfüllt, aber noch nicht vollendet.

Auch der Christ ist ein Mensch, der Ausschau hält nach dem, was er im Glauben in „umbris et imaginibus“ zu erkennen vermag. In diesem Leben besitzt er das Heil noch nicht in seiner ganzen Fülle, sondern lebt in der Hoffnung auf das Kommen Jesu Christi in Herrlichkeit und auf das ewige Heil in seiner Nähe.

Dieses sehnsüchtige Ausschauen nach dem Herrn und der Fülle des Heils, das dem Leben des Christen eine eigene Dynamik und Spannkraft verleiht, ist die Hoffnung, die dem urmenschlichen Verlangen nach Glück entspricht und dieses Verlangen auf die bleibenden Werte ausrichtet.

Dem Ziel entgegen

„Unser wirkliches und wahres Glück besteht nicht im Wissen, Begehren oder Erstreben, sondern im Lieben, Hoffen, Sich-freuen, Bewundern, Verehren, Anbeten. Unser wirkliches und wahres Glück liegt im Besitz jener Dinge, in denen unser Herz Ruhe und Frieden finden kann“ (DP V 355).

Viele Menschen suchen die Erfüllung ihrer Hoffnung in dieser Welt. Sie eilen von einem irdischen Gut zum anderen und finden doch kein bleibendes Glück und keinen echten Frieden. Alle innerweltlichen Hoffnungen sind nämlich vergänglich, wie die Welt selber vergänglich ist. Spätestens wenn der Mensch aus dieser Welt scheidet, brechen die irdischen Hoffnungen zusammen. Mit prophetischem Blick sah Newman die Immanentisierung der christlichen Hoffnung voraus, die das 20. Jahrhundert weithin prägen und vielen die übernatürliche Ausrichtung ihres Lebens und Strebens nehmen sollte. Er warnte unaufhörlich davor, die sichtbare Welt der unsichtbaren vorzuziehen und das Herz an Vergängliches zu hängen. „Nach dem Fieber dieses Lebens, nach Ermüdung und Krankheit, Kampf und Mutlosigkeit, Schwäche und Verdruß, nach Ringen und Versagen, Ringen und Gelingen, nach all dem Wechsel und Hoffen dieses mühseligen, unheilbringenden Zustandes kommt endlich der Tod, endlich der weiße Thron Gottes, endlich die selige Anschauung. Nach der Ruhelosigkeit kommt Ruhe, Friede, Freude; unser ewiger Anteil, wenn wir seiner würdig sind; der Anblick der gebenedeiten Drei, des einen Heiligen“ (DP VI 398). Das letzte und eigentliche Ziel der christlichen Hoffnung, die durch die Taufe in die Herzen eingepflanzt wird, ist der dreifaltige Gott. Nach ihm streckt sich der Hoffende aus, denn er allein kann seinem Herzen jenen Frieden schenken, den er im Innersten ersehnt – nicht erst in der kommenden, sondern bereits in dieser Welt.

Wie das folgende Gebet zeigt, hatte Newman selber dieses Ziel lebendig vor Augen: „O mein Gott, ich übergebe mich ganz in deine Hände. Wohl oder Wehe, Freude oder Schmerz, Freunde oder Verlassenheit, Ehre oder Demütigung, guter oder übler Ruf, Trost oder Trostlosigkeit. Deine Gegenwart oder das Verbergen deines Angesichtes, alles ist gut, wenn es von dir kommt. Du bist Weisheit und Liebe – was kann ich mehr wollen? Du hast mich nach deinem Ratschluß geführt, und mit Herrlichkeit hast du mich aufgenommen. Was habe ich im Himmel, und was suche ich auf Erden außer dir? Mein Fleisch und mein Herz versagen; aber Gott ist der Gott meines Herzens und mein Anteil auf ewig“[2].

Auf Christus vertrauen

Ist die Hoffnung des Christen nicht eine Utopie? Ist der Mensch angesichts seiner Kleinheit und Sündhaftigkeit überhaupt fähig, nach einem so hohen, ihn gänzlich übersteigenden Gut auszuschauen?

In der Predigt „Die Allmacht Gottes – der Grund für Glaube und Hoffnung“ antwortet Newman auf diese Frage mit dem Hinweis, daß Gott „nicht nur allmächtig, sondern auch allbarmherzig ist… Die Gegenwart unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus spornt uns ebenso sehr zur Hoffnung an wie zum Glauben, weil schon sein Name Jesus so viel wie Heiland bedeutet und weil er voll Liebe, Sanftmut und Güte war, als er auf Erden weilte“[3]. Die Hoffnung wurzelt im Glauben an Gottes Treue und Barmherzigkeit. Sie ist nicht eigene Leistung, sondern Geschenk. Der Erlöser weckt im Getauften mit dem Glauben auch die Hoffnung. Freilich bedarf es auch des menschlichen Mittuns, vor allem des Vertrauens.

Wie Newman ausführt, geht es den Christen heute oft so wie damals den Aposteln, die im Boot sitzen, das vom tobenden Sturm hin- und hergeworfen wird. Sie fürchten, daß Christus „schlafe“ – und bekommen Angst, verlieren den Mut, sehen keinen Ausweg mehr. „Was seid ihr so furchtsam?“ ruft der Herr seinen Jüngern zu. Newman aktualisiert diesen Ruf: „Ihr solltet Hoffnung, ihr solltet Vertrauen haben, euer Herz sollte sich auf mich verlassen … Der Sturm kann euch nicht schaden, wenn ich bei euch bin. Gibt es für euch einem besseren Platz als den unter meinem Schutz? Zweifelt ihr an meiner Macht oder meinem Willen, glaubt ihr, daß ich euch vergesse, weil ich im Schiff schlafe, oder daß ich unfähig sei, euch zu helfen, außer ich wäre wach? Weswegen zweifelt ihr? Weswegen fürchtet ihr euch? Bin ich nicht schon so lange bei euch, und noch traut ihr mir nicht und könnt nicht an meiner Seite im Frieden und in Ruhe verharren?“[4]

Die christliche Hoffnung übersteigt alle irdischen Wünsche und Ideale, alles rein menschliche Können und Wollen. Sie ist eine göttliche Tugend. Sie hat im Vertrauen auf den Herrn ihren sicheren Anker und ihr felsenfestes Fundament. „Ihr schaut auf und seht gleichsam einen großen Berg, den ihr besteigen sollt; da werdet ihr sagen: Wie werde ich da wohl einen Weg finden können über diesen Berg von Hindernissen hinweg?… Sprecht nicht so, meine Brüder, blickt auf in Hoffnung, vertraut auf den, der euch vorwärts führt… Er wird euch Schritt für Schritt vorwärts führen, wie er manchen vor euch geführt hat. Er wird das Krumme gerade und das Rauhe eben machen. Er wird den Strom wenden und die Flüsse vertrocknen lassen, die euch den Weg verlegen“ (DP XI 242f.).

Wachen und beten

Der Blick auf das übernatürliche Ziel hält den Christen in keiner Weise von seinen irdischen Pflichten ab. Im Gegenteil: Die Tugend der Hoffnung spornt ihn an, seine Verantwortung im Hier und Heute gemäß dem Plan Gottes zu erfüllen. Der Hoffende sucht in allen und in allem die Spuren des Herrn, auf den er sein Vertrauen setzt. Er lebt in großer innerer Wachsamkeit.

„Wir sollen nicht einfach nur glauben, sondern wachen; nicht einfach lieben, sondern wachen, nicht einfach gehorchen, sondern wachen. Wachen wozu? Auf jenes große Ereignis hin: die Ankunft Christi“ (DP IV 359). Newman meint mit der Ankunft Christi hier nicht bloß das Kommen des Herrn am Ende der Tage, sondern auch sein Kommen in den Ereignissen des alltäglichen Lebens. „Der ist wach für Christus, der ein empfindsames, sehnsüchtiges und fühlendes Herz besitzt; der mit frischer Kraft, mit scharfsichtigem Eifer darauf bedacht ist, ihn zu suchen und zu ehren; der in allem, was geschieht, nach ihm ausschaut und nicht überrascht, nicht allzu erregt oder überwältigt wäre, wenn er entdeckte, daß er plötzlich käme“ (DP IV 360f.).

Neben der Wachsamkeit gehört für Newman vor allem das Gebet zum Vollzug christlicher Hoffnung. Die Hoffnung wird im Gebet konkret. Das Gebet wiederum stärkt und festigt die Hoffnung inmitten aller Freuden und Sorgen des Lebens. „So durchbricht der wahre Christ den Schleier dieser Welt und blickt in die nächste. Er pflegt Umgang mit ihr; er wendet sich an Gott, wie ein Kind sich an seine Eltern wenden mag, mit dem gleichen klaren Blick und dem gleichen ungetrübten Vertrauen; wohl in tiefer Ehrfurcht und frommer Furcht und Scheu, jedoch mit Gewißheit und Bestimmtheit, wie der heilige Paulus sagt: ‚Ich weiß, wem ich glaube‘ (2 Tim 1,12)“ (DP VII 209).

Die Tugend der Hoffnung treibt den Christen an, die irdischen Pflichten mit dem Blick auf die bleibenden Güter zu erfüllen. Der Glaube läßt ihn diese Güter erkennen. Die Hoffnung spornt ihn an, sich mit aller Kraft danach auszustrecken. Die Hoffnung verleiht dem Leben einen „adventlichen“ Charakter. Das Leben ist inmitten aller Aufgaben ein großes „Harren auf Christus“[5]. Darum betet Newman:

„So schuldbeladen ich auch bin, du wirst doch, wenn ich dir treu bleibe, mir immer bis zum Ende deine Treue in überreichem Maß bewahren. Ich darf ruhen in deinen Armen und schlafen an deiner Brust. Gib mir nur wahre Treue zu dir, vermehre sie täglich! Sie ist das einigende Band zwischen dir und mir und für mein Herz und Gewissen das Pfand, daß du, höchster Gott, mich, das ärmste deiner Kinder, nie verlassen wirst“[6].


[1] Pfarr- und Volkspredigten (= DP I – VIII), Predigten zu verschiedenen Anlässen (= DP X), Predigten vor Katholiken und Andersgläubigen (=DP XI), Schwabenverlag, Stuttgart 1948-1964.

[2] Gott – Das Licht des Lebens. Gebete und Meditationen, herausgegeben von Günter Biemer und James Derek Holmes, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1987, 48.

[3] John Henry Newman, Der Anruf Gottes, Neun bisher unveröffentlichte Predigten aus der katholischen Zeit, Schwabenverlag, Stuttgart 1965, 27f.

[4] Vgl. ebd., 28.

[5] Titel zweier Predigten von John Henry Newman. Vgl. DP VI 253ff., DP X 46ff.
[6] Gott – Das Licht des Lebens, 149.