Die Regel und das Maß der Pflicht sind nicht die Nützlichkeit, die Zweckmäßigkeit, auch nicht das Glück möglichst vieler, nicht der Vorteil des Staates, nicht Schicklichkeit, Ordnung und Schönheit. Das Gewissen ist nicht eine Art von weitblickender Selbstsucht oder ein Verlangen, konsequent zu sein mit sich selbst. Es ist ein Bote von IHM, der in Natur und Gnade wie durch einen Schleier hindurch zu uns spricht und uns durch Seine Stellvertreter lehrt und lenkt. Das Gewissen ist der Stellvertreter Christi in unserem Innern, prophetisch in seinen Unterweisungen, fordernd in seinen Entscheidungen, priesterlich in Segen und Fluch. Auch wenn das ewige Priestertum in der ganzen Kirche aufhören könnte, so würde doch im Gewissen das priesterliche Prinzip erhalten bleiben und weiterherrschen.
Das Gewissen hat Rechte, weil es Pflichten hat. Heutzutage ist es jedoch für einen Großteil der Menschen Recht und Freiheit des Gewissens, ohne Gewissen auszukommen, den Gesetzgeber und Richter zu ignorieren und unabhängig von unsichtbaren Verpflichtungen zu sein. Jedem wird es freigestellt, Religion zu haben oder nicht, diese oder jene Religion anzunehmen, … erhaben zu sein über alle Religionen und zugleich an jeder von ihnen unparteiisch Kritik zu üben.
….Spräche der Papst gegen das Gewissen im wahren Sinn des Wortes, so wäre das eine selbstmörderische Tat. Er würde den Boden unter seinen eigenen Füßen weggraben. Seine Aufgabe ist es ja, das Sittengesetz zu verkünden und jenes Licht zu schützen und zu stärken, „das jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt“ (Joh 1,9). Auf dem Gesetz und der Heiligkeit des Gewissens beruht sowohl das Prinzip der Autorität als auch seine faktische Macht. Wir überlassen es der Geschichte, auszumachen, ob dieser oder jener Papst in allem, was er tat, in unserer bösen Welt diese große Wahrheit sicht stets vor Augen gehalten hat. Ich betrachte hier das Papsttum in seinem Amt und in seinen Pflichten, und zwar in bezug auf jene, die seinen Anspruch anerkennen. Sie sind nicht gebunden durch seinen persönlichen Charakter oder durch die Privattätigkeit des Papstes, sondern durch seine offizielle Lehre.
Das Gewissen [bezeichnet] nicht eine bloße Einbildung oder Meinung, sondern den pflichtbewußten Gehorsam gegenüber jener inneren Stimme in uns, die beansprucht, Gottes Stimme zu sein.
Das Gewissen ist nicht ein Urteil über spektakuläre Wahrheiten oder abstrakte Lehren; es bezieht sich unmittelbar auf unser Verhalten, auf das, was wir tun oder nicht tun sollen.
…. Da das Gewissen ein praktisches Gebot ist, besteht die Möglichkeit eines Konflikts zwischen Gewissen und päpstlicher Autorität nur dann, wenn der Papst Gesetze erlässt oder Einzelbefehle gibt oder in ähnlichen Fällen. Doch der Papst ist nicht unfehlbar in seinen Gesetzen und Befehlen, in seinen Staatshandlungen, in seiner Verwaltung, in seiner öffentlichen Politik, … Kein Katholik wird je behaupten, dass die Päpste unfehlbar waren in diesen Handlungen.
Wenn das Gewissen in einem Sonderfall als heiliger und höchster Mahner gelten soll, so muß sein Gebot, das gegen die Stimme des Papstes entscheiden soll, auf ernstem Nachdenken und Gebet beruhen und hat alle verfügbaren Mittel in richtigen Urteilsbeildung in der fraglichen Sache in Anspruch zu nehmen. Der Gehorsam gegenüber dem Papst ist zudem von vornherein eine Pflicht. Wie in allen Ausnahmefällen muß das Gewissen seine Sache gegen den Papst beweisen. Wenn jemand nicht vor Gottes Angesicht zu sich sagen kann, dass er den päpstlichen Befehl nicht ausführen kann und darf, bleibt er zum Gehorsam verpflichtet, und Ungehorsam wäre eine schwere Sünde. Schon aus Loyalität ist es nach erstem Anschein seine Pflicht, zu glauben, der Papst habe recht, und dementsprechend zu handeln. Man muß jenen niedrigen, kleinlichen, selbstherrlichen und gemeinsamen Geist der Natur überwinden, der schon beim ersten Ton eines Befehls dem Obern, der befiehlt, widerspricht, sich frägt, ob der Obere nicht seine Befugnis überschreitet, und sich daran ergötzt, in sittlichem und praktischem Bereich mit Skeptizismus anzufangen. Man darf nicht eigensinnig auf seinem Recht beharren, denken reden und tun wollen, was einem beliebt, ohne jegliche Rücksicht auf Wahr und Falsch, auf Recht und Unrecht, ohne Rücksicht auf eventuelle Pflicht des Gehorsams und auf die Liebe, zu reden, wie der Obere redet, und auf jeden Fall auf seiten dessen stehen zu wollen, der über die Autorität verfügt. Würde man diese notwendige Regel beobachten, so wären Konflikte zwischen päpstlicher Autorität und der Autorität des Gewissens sehr selten. Andrerseits haben wir in der Tatsache, dass in Ausnahmefällen schließlich das Gewissen eines jeden einzelnen frei ist, eine feste Bürgschaft dafür, falls eine solche Bürgschaft nötig wäre (dies ist eine recht grundlose Vermutung), dass kein Papst jemals, wie der Einwand es voraussetzt, ein falsches Gewissen zu seinen eigenen Zwecken schaffen kann.
….Falls ich je der Religion in einem Toast zum Schluß eines Mahles einen Platz anweisen muß,… so werde ich trinken auf das Wohl des Papstes, wenn’s Euch so beliebt – doch auf das Wohl des Gewissens zuerst, und dann auf das Wohl des Papstes.
Auszüge aus: Certain Difficulties felt by Anglicans in Catholic Teaching, vol II, 248 – 261 (27. 12. 1874)
Was das Gewissen betrifft, gibt es zwei Weisen, wie die Menschen sich dazu verhalten: Die eine: [das Gewissen ist] lediglich eine Art Gefühl des eigenen Selbst, eine Neigung, die uns dies oder jenes nahe legt. Bei der andern ist es das Echo der Stimme Gottes. Nun hängt aber alles an diesem Unterschied. Der erste Weg ist nicht der des Glaubens, der zweite ist es. S.N: 327 (29. 5. 1859)