„Cor ad cor loquitur“ Der Wappenspruch von Kardinal Newman

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Als John Henry Newman im Jahr 1879 zum Kardinal ernannt wurde, entwarf er nicht ein eigenes Wappen, sondern gebrauchte mit ein paar leichten Veränderungen ein Wappen aus dem 17. Jahrhundert, das er von seinem Vater geerbt hatte. Er formulierte auch nicht ein eigenes Motto, sondern wählte den Spruch „Cor ad cor loquitur“ („Das Herz spricht zum Herzen“), der ihm so vertraut schien, dass er dachte, er komme aus der Heiligen Schrift oder der „Nachfolge Christi“. In Wirklichkeit stammen die Worte aus einem Brief des heiligen Franz von Sales und waren von Newman schon 1855 in einem Vortrag über die Universitätsseelsorge zitiert worden. Newman selbst hat seinen Wappenspruch nie genauer erklärt. Zusammen mit dem Wappen bringen diese Worte jedoch ein grundlegendes Prinzip des Christseins zum Ausdruck, das Newmans Lebensweg, sein theologisches Denken und sein pastorales Mühen tiefgehend prägte.

„Cor ad cor loquitur“: Gott spricht zum Menschen.

Im Wappen von Kardinal Newman sind drei rote Herzen abgebildet, in denen wir einen Hinweis auf die heiligste Dreifaltigkeit sehen dürfen. Die drei göttlichen Personen führen einen ewigen Dialog der Liebe – sozusagen „cor ad cor“. In diesen Strom des göttlichen Lebens und Liebens wollte Gott auch den Menschen einbeziehen. Deshalb nahm die zweite göttliche Person, der Sohn, im Schoß der Jungfrau Maria eine menschliche Natur an. Er, der in unzugänglichem Licht wohnt (vgl. 1 Tim 6,16) und eins ist mit dem Vater und dem Heiligen Geist (die beiden Herzen im oberen Feld), ist in diese Welt herabgestiegen (das Herz im unteren Feld) und in allem uns gleich geworden außer der Sünde.

Durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes wurde die Geschichte, die seit dem Fall Adams von der Sünde gezeichnet war, zu einer Geschichte des Heils. In Christus hat Gott sein innerstes Geheimnis offenbart, gleichsam sein Herz aufgetan und den Menschen zu einer neuen Würde erhoben. „Christus ist gekommen, eine neue Welt zu schaffen. Er kam in die Welt, um sie in sich selbst zu erneuern, einen neuen Anfang zu setzen, selbst der Anfang der Schöpfung Gottes zu sein, alles in sich zu sammeln und in sich als dem Haupt zusammenzufassen“. Dieses ist das Neue, das Christus in die Welt gebracht hat: Eine himmlische Lehre, eine Ordnung von heiligen und übernatürlichen Wahrheiten, die aufzunehmen und weiterzugeben sind, denn er ist unser Prophet; die nach seinem Beispiel selbst unter Leiden festzuhalten sind, denn er ist unser Priester; die zu befolgen sind, denn er ist unser König“[1].

Jesus Christus ist das endgültige Wort des Vaters. Es gibt „nur einen Namen in der ganzen Welt, der lebt; es ist der Name des einen, der seine Jahre in der Verborgenheit verbrachte und den Tod eines Übeltäters starb. Achtzehnhundert Jahre sind seit jener Zeit vergangen, aber immer noch übt er seinen Einfluss aus auf den menschlichen Geist“[2]. Er ist für alle gestorben und auferstanden. Er ist zum Vater heimgekehrt und hat den Heiligen Geist gesandt, durch den er in der Kirche und in den Herzen der Gläubigen geheimnisvoll, aber wirklich gegenwärtig bleibt. Gott ist nicht eine unpersönliche Macht oder Energie; er ist nicht ein Demiurg, der die Welt zwar gemacht, sich aber dann von ihr zurückgezogen hat. Er ist ein persönlicher Gott, der nicht aufhört, in Jesus Christus bis zum Ende der Zeiten persönlich – „cor ad cor“ – mit den Menschen zu sprechen. „Christus ruft uns unser ganzes Leben hindurch. Er berief uns zuerst in der Taufe“; und er ruft uns in seiner Güte noch heute, ob wir seiner Stimme gehorchen oder nicht. Wenn wir von unserer Taufe abfallen und die Taufgnade verlieren, ruft er uns zur Buße; wenn wir uns mühen, unserer Berufung zu entsprechen, ruft er uns von Gnade zu Gnade und von Heiligkeit zu Heiligkeit, solange wir das Leben haben“[3].

„Cor ad cor loquitur“: Der Mensch spricht zum Menschen.

Als Frucht der Hingabe Christi wird der Mensch, der mit der Gnade mitwirkt, im Heiligen Geist erneuert und erhält Anteil am göttlichen Leben. Man könnte die drei Herzen auf Newmans Wappen deshalb auch folgendermaßen erklären: Das Herz im unteren Feld weist auf den neuen Menschen hin, die beiden Herzen im oberen Feld stehen für Christus und den Heiligen Geist. Sie führen den Christen zur Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel, der durch das herzförmige, goldene Wappen als Urgrund und Ursprung von allem angedeutet ist. Die Gemeinschaft des neuen Menschen mit dem dreifaltigen Gott weitet sich notwendigerweise zur Gemeinschaft mit den anderen Christen, zur Gemeinschaft der Kirche, in der die Menschen auf neue Weise „cor ad cor“ miteinander sprechen können. Das Herz im unteren Feld könnte deshalb auch für die Kirche stehen, die innere Heimat des neuen Menschen. In der Kirche sind wir in der Tat „ein Herz und eine Seele (Apg 4,32) mit allen, die zu Christus gehören, ob sie hier auf Erden leben, nach dem Tod von ihren Sünden geläutert werden oder bereits die Herrlichkeit des dreifaltigen Gottes schauen dürfen.

Die Kirche hat den Auftrag, die Menschen zur Gemeinschaft mit Gott hinzuführen. Dabei stößt sie auch auf Widerstand, denn „der allgemeine Charakter der Menschen, eines jeden Einzelnen, ist noch immer, wie er war: ruhelos und unzufrieden oder sinnlich oder ungläubig“[4]. Aber trotz des Gegensatzes zwischen der Botschaft Christi und dem Geist der Welt breitet sich die Kirche unaufhörlich aus – und zwar vor allem durch den persönlichen Einfluss jener, die als überzeugte Christen leben. Die fünfte Predigt vor der Oxforder Universität widmete der junge Professor Newman genau diesem Thema: „Der persönliche Einfluss als Mittel zur Verbreitung der Wahrheit„.

In dieser Predigt geht er davon aus, dass niemand durch bloße Argumente für Jesus Christus und die Kirche gewonnen werden kann. Wichtiger als viele Worte sind glaubwürdige Zeugen. Die Wahrheit des Evangeliums hat sich in der Welt „nicht als System, nicht durch Bücher, nicht durch Argumente, auch nicht durch weltliche Macht erhalten, sondern durch den persönlichen Einfluss solcher Männer“, die zugleich Lehrer und Vorbilder der Wahrheit sind“[5]. Newman ruft die Menschen immer wieder auf, sich intellektuell mit der geoffenbarten Wahrheit auseinanderzusetzen. Aber zugleich unterstreicht er, dass derjenige den größten Einfluss hat, der die Wahrheit im Alltag lebt. „Wenn auch der Welt unbekannt, wird er doch im Kreise derer, die ihn sehen, ganz andere Empfindungen hervorrufen als die, die bloße intellektuelle Tüchtigkeit bewirkt. Von der Allgemeinheit geachtete Menschen sind am größten aus der Entfernung, in der Nähe werden sie klein. Aber die Anziehungskraft der unbewussten Heiligkeit ist zwingend und unwiderstehlich. Sie überzeugt die Schwachen, Ängstlichen, Schwankenden, Suchenden“[6].

Jene Gläubigen, die ernsthaft nach Heiligkeit streben, sind meistens nur wenige. Und doch sind ihrer genug, „um Gottes geräuschloses Werk fortzusetzen“[7]. Durch ihr Leben, ihre Treue, ihre Liebe zu Jesus Christus sind sie die besten und glaubwürdigsten Zeugen, durch die Gottes Wahrheit „cor ad cor“ weitergegeben wird. Wie die Apostel werden jene, die vom Licht Christi erleuchtet sind, zu Lichtträgern inmitten einer dunklen und düsteren Welt, zu brennenden Fackeln, welche die Herzen anderer mit dem Feuer Jesu Christi in Berührung zu bringen vermögen. Diese leuchtenden Christen – die Heiligen – haben nach Newman einen unwiderstehlichen Einfluss: „Eine kleine Schar hochbegnadeter Menschen wird die Welt retten für die kommenden Jahrhunderte“[8].

Internet und andere moderne Kommunikationsmittel öffnen heute eine Fülle von neuen Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten und den Glauben weiterzugeben. Aber zugleich werden die Menschen unfähiger zur wahren Liebe, zugleich wächst die Anonymität – und mit ihr die Sehnsucht nach dem persönlichen Kontakt und der echten Freundschaft. Die Menschen verlangen danach, persönlich angesprochen zu werden. Wenn man diese Zeichen der Zeit bedenkt, wird die Aktualität von Newmans Motto offenkundig.

„Cor ad cor loquitur“: Der Mensch spricht zu Gott.

In der zweiten Predigt vor der Oxforder Universität beschreibt Newman den Unterschied zwischen dem Philosophen und dem Christen mit folgenden Worten: „Der Philosoph strebt nach einem göttlichen Prinzip, der Christ nach einem göttlichen Agens[9]. Das christliche Leben ist ein von der Gnade getragenes Streben nach einer tiefen Verbundenheit mit dem persönlichen Gott.

Christsein bedeutet, als Person in eine persönliche Beziehung mit dem persönlichen Gott, dem Vater Jesu Christi, aufgenommen zu sein. Ohne die Mittlerschaft der Kirche und die Bedeutung der Vorbilder und Fürsprecher im Glauben in Frage zu stellen, kam Newman immer wieder darauf zu sprechen, dass es im Letzten auf diese persönliche Beziehung zu Gott – „cor ad cor“ – ankommt.

In der Apologia pro vita sua schreibt er, dass er nach seiner „ersten Bekehrung“ im Alter von fünfzehn Jahren in dem Gedanken Ruhe fand, „dass es zwei und nur zwei Wesen gebe, die absolut und von einleuchtender Selbstverständlichkeit sind: ich selbst und mein Schöpfer“[10]. Für seinen Lebensweg, auch für seine Konversion, war die Erkenntnis sehr wichtig, dass „die katholische Kirche kein Bild irgendwelcher Art, sei es materiell oder immateriell, kein dogmatisches Symbol, keinen Ritus, kein Sakrament und keinen Heiligen, nicht einmal die allerseligste Jungfrau zwischen die Seele und ihren Schöpfer treten lässt. Der Mensch steht seinem Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüber ‚solus cum solo‘. Er allein ist Schöpfer und Erlöser; vor seinen erhabenen Augen gehen wir in den Tod, und sein Anblick ist unsere ewige Seligkeit“[11].

Hier auf Erden zeigt sich die persönliche Beziehung des Menschen zu Gott vor allem in der gläubigen Annahme der Offenbarung. Für Newman war klar, „dass der Glaube in der Heilsordnung des Evangeliums durch eine besondere Würde hervorragt und sowohl auf unsere geistliche als auf unsere sittliche Verfassung einen ganz besonderen Eindruck ausübt. Was auch immer die eigentliche geistige Fähigkeit oder Haltung sein mag, die das Wort Glaube bezeichnet, sicher ist der Glaube nach der Heiligen Schrift das auserwählte Mittel, das Himmel und Erde verbindet“[12].

Die persönliche Verbundenheit des Menschen mit Gott muss in der echten und aufrichtigen Liebe zu ihm verankert sein. In einer Betrachtung über Gott fragt Newman: „Warum sollte ich dich nicht von ganzem Herzen lieben, da du mich so nahe zu dir hingezogen, so wunderbar vor der Welt auserwählt hast, dass ich in besonderer Weise dein Diener und Sohn bin? Habe ich nicht alle Ursache, dich über alles und mehr als andere zu lieben, obwohl alle dich lieben sollten? Ich weiß nicht, was du für die anderen im Einzelnen getan hast, gestorben bist du für alle – aber ich weiß, wie viel du im Besonderen für mich getan hast. Du hast so viel für mich getan, o meine Liebe, dass ich dich lieben sollte mit allen meinen Kräften“[13].

„Cor ad cor loquitur“: Vor allem in der heiligen Eucharistie.

Die personale Struktur des Christseins findet ihren innigsten Ausdruck in der heiligen Eucharistie, die Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens ist. Durch die Eucharistie hört Gott nicht auf, „cor ad cor“ zu uns Menschen zu sprechen. Durch die gemeinsame Teilhabe am Leib Christi werden wir als Glieder des Leibes der Kirche „cor ad cor“ miteinander verbunden und befähigt, die Frohe Botschaft „cor ad cor“ weiterzugeben. In der persönlichen Gemeinschaft mit dem eucharistischen Herrn können wir in ganz besonderer Weise „cor ad cor“ mit Gott sprechen.

In der Eucharistie bleibt das Herz Jesu in der Kirche gegenwärtig und zieht das Herz der Menschen an sich. Deshalb betet Newman: „O hochheiliges und gütigstes Herz Jesu, du bist verborgen in der heiligen Eucharistie und schlägst noch immer für uns. Jetzt wie einstmals sprichst du: Desiderio desideravi. – Ich habe ein großes Verlangen gehabt. Ich bete dich an mit größter Liebe und Ehrfurcht, mit glühender Hingabe, mit demütigem und festem Willen. O mein Gott, wenn du mich würdigst, dich als Speise und Trank zu empfangen, und du für eine Weile in mir Wohnung nimmst, dann gib, dass mein Herz mit dem deinen schlägt! Reinige es von allem Irdischen, von allem Stolz und aller Sinnlichkeit, von aller Härte und Erbarmungslosigkeit, von aller Verkehrtheit, Unordnung und Gleichgültigkeit! Erfülle es so mit dir, dass weder die Ereignisse des Tages noch die Umstände der Zeit die Macht haben, es zu beunruhigen, und dass es in deiner Liebe und in deiner Furcht den Frieden habe“[14].


[1] J.H. Newman, Predigten, Band IX, Stuttgart 1958, 76 und 78.

[2] Ebd., Band X, Stuttgart 1961, 61.
[3] Ebd., Band VIII, Stuttgart 1956, 29.
[4] J.H. Newman, Zur Philosophie und Theologie des Glaubens, Mainz 1964, 39.
[5] Ebd., 74.
[6] Ebd., 76.
[7] Ebd., 78.
[8] Ebd., 78.
[9] Ebd., 31.
[10] J.H. Newman, Apologia pro vita sua, Mainz 1951, 22.
[11] Ebd., 229.
[12] Zur Philosophie und Theologie des Glaubens, 137.
[13] J.H. Newman, Betrachtungen und Gebete, München 1952, 217.
[14] Ebd., 210.