Die Festzeit der Epiphanie

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17. Januar 1841

Diesen Anfang der Wunder machte Jesus zu Kana in Galiläa und offenbarte Seine Herrlichkeit; und Seine Jünger glaubten an Ihn“ (Joh 2,11).

Epiphanie ist die Festzeit, die in be­sonderer Weise der Anbetung der Herrlichkeit Christi geweiht ist. Man mag die Bedeutung dieses Wortes darin sehen, daß es die Offenbarung Seiner Herrlichkeit meint und Ihn uns zu schauen gibt als den König auf dem Throne inmitten Seines Hof­staates, rund um Ihn Seine Diener, Seine Leibgarde Ihm zur Seite. An Weihnachten gedenken wir Sei­ner Gnade, in der Fastenzeit Seiner Versuchung, am Karfreitag Seines Leides und Sterbens, an Ostern Seines Sieges, an Himmelfahrt Seiner Heimkehr zum Vater und im Advent sind wir in Erwartung Seiner zweiten Ankunft. In all diesen Festzeiten steht ein Werk oder ein Leiden im Vordergrund. An Epiphanie jedoch und in den nachfolgenden Wochen feiern wir Ihn nicht als den Helden auf dem Kampffeld, als den einsam Zurückgezogenen, sondern als den erhabenen und herrlichen König; wir erblicken Ihn als den Gegenstand unserer An­betung. Nur einmal im ganzen Verlauf Seiner Erdengeschichte erfüllte sich an Ihm das Vorbild Salomons, damals hielt Er (sozusagen) Hofstaat und empfing die Huldigung Seiner Untertanen: näm­lich als Er ein Kind war. Sein Thron war der Arm Seiner unbefleckten Mutter; Sein Audienzsaal war eine Hütte oder Höhle; die Anbeter waren die Wei­sen aus dem Morgenland, die ihm Geschenke brach­ten: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Alles rund um Ihn schien von der Erde zu sein, allerdings nicht für das Auge des Glaubens; nur ein Merkmal Sei­ner Göttlichkeit hatte Er. Wie die Großen dieser Erde oftmals einfach gekleidet sind und aussehen wie die anderen, nur daß sie an Brust oder Stirn irgendein kostbares Zierstück tragen, so wurde der Sohn Mariens in Seiner niedrigen Hütte und in der Gestalt des Kindes durch Seinen Stern als der Sohn des Allerhöchsten, als der Vater der Zeiten und Fürst des Friedens geoffenbart: Eine wunderbare Erscheinung, die die Weisen auf ihrem ganzen Weg vom Osten bis nach Bethlehem geleitet hatte.

Da dies also der Charakter dieser heiligen Festzeit ist, so sind unsere Gottesdienste allesamt, soweit sie ihr zugehören, ganz erfüllt von der Vorstellung eines Königs inmitten Seines Hofstaates, eines Herrschers, umgeben von Seinen Untertanen, eines glorreichen Fürsten auf seinem Throne. Mit Epi-phanie verbindet sich nicht die Idee eines Krieges, Kampfes, Leidens, Triumphes oder der Rache, wohl aber die von hehrer Majestät, von Macht, Reichtum, Glanz, Hoheit und Güte. Wenn je, dann ist es jetzt angebracht, auszurufen: „Der Herr ist in Seinem heiligen Tempel; es schweige vor Ihm die ganze Erde“ (Hab 2, 20). „Der Herr thront über vielen Wassern und der Herr bleibt König für immer“ (Ps 28,10). „Der Herr der Heerscharen ist mit uns, unsere Zuflucht ist der Gott Jakobs“ (Ps 45, 8). „Kommt, laßt uns anbeten und niederfallen und niederknien vor dem Herrn, unserm Schöpfer“ (Ps 94, 6J. „Erhebet den Herrn, unsern Gott, und fallet nieder vor dem Schemel Seiner Füße, denn Er ist heilig“ (Ps 98,5). „Betet den Herrn an in Sei­ner Herrlichkeit und Schönheit; bringet Geschenke und gehet ein in Seine Vorhöfe“ (Ps 95, 8. 9).

Ich sagte eben, daß in dieser Festzeit die ihr zuge­ordneten Gottesdienstteile dieses Merkmal zeigen, daß sie uns an einen König auf seinem Thron er­innern, der die Ehrung seiner Untertanen empfängt. Dieser Art ist schon der bereits erwähnte Bericht von der Ankunft der Weisen, die Ihn mit ihren Gaben, von weither kommend, suchten, die nieder­fielen und Ihn anbeteten. Von gleicher Art ist der Bericht über Seine Taufe, der die zweite Lesung des Epiphaniefestes bildet, da der Heilige Geist auf Ihn herabstieg und eine Stimme vom Himmel Ihn als den Sohn Gottes bestätigte. Und schauen wir auf die Evangelien, die die ganze Festzeit hindurch ge­lesen werden, so finden wir, daß sie alle irgendeine königliche Handlung Christi, des Mittlers zwischen Gott und den Menschen, enthalten. So offenbart Er in dem Evangelium des ersten Sonntags nach Er­scheinung Seine Herrlichkeit im Tempel als zwölf­jähriger Knabe, da Er mitten unter den Lehrern sitzt und sie durch Seine Weisheit in Erstaunen setzt. Im Evangelium des zweiten Sonntags nach Er­scheinung offenbart Er Seine Herrlichkeit bei einem Hochzeitsfest, da Er Wasser in Wein verwandelte: Ein Wunder nicht der Not oder des Bedürfnisses, sondern ein besonderer Akt der Hoheit und Güte, der Akt eines Königs, der aus Seinem Überfluß den Seinen eine Gabe schenkte, damit sie sich daraus mit ihren Freunden ein Fest bereiten könnten. Am dritten Sonntag: Der Aussätzige betet Christus an, der ihn darauf heilt, ebenso der Hauptmann, der ihn an Seine Engel und Diener erinnert; Er spricht das Wort, und der Knecht wird sogleich gesund. Am vierten Sonntag erhebt sich ein Sturm auf dem Meere, indes Er ohne Sorge und Kummer auf einer Ruhebank friedlich schläft. Dann aber steht Er auf und gebietet dem Sturm und dem Meer, und es folgt eine Stille, so tief wie die Seiner eigenen Seele, indes die Zuschauer Ihn anbeten. Sodann treibt Er den Teufel Legion aus, nachdem der Besessene „her­beigelaufen war und Ihn angebetet hatte“ (Mk 5, 6). Am fünften hören wir von Seinem Reich auf Erden und von dem Feind, der Unkraut mitten unter den Weizen sät. Am sechsten endlich erfahren wir von Seiner zweiten Epiphanie vom Himmel her, „in Macht und großer Herrlichkeit“ (Lk 21, 27).

Das ist die Reihe der Offenbarungen, wie sie uns die Sonntage nach Erscheinung vor Augen führen. Inmitten der Lehrer im Tempel offenbart Er Sich als Prophet; bei der Verwandlung des Wassers in Wein als Priester, bei den Wunderheilungen als freigebigen Herrn, der aus Seiner Fülle spendet; im Machtwort über das Meer als Herrscher, dessen Wort Gesetz ist; im Gleichnis vom Weizen und dem Unkraut als Schützer und Herrn – bei Seiner zwei­ten Ankunft als Gesetzgeber und Richter.

Wie wir aber in den Evangelien von der Größe unseres Heilandes hören, so erfahren wir in den Episteln und ersten Lesungen von den Gnadenvor­rechten und Pflichten des neuen Volkes, das Er Sich bildete, damit es Sein Lob verkünde. Die Christen sind zugleich Christi Tempel und Seine Anbeter und Diener im Tempel; sie sind als Gemeinschaft die Braut des Lammes und als einzelne die Freunde des Bräutigams und die Gäste auf der Hochzeit. Unter diesen verschiedenen Gesichtspunkten treten sie uns im Gottesdienst dieser Wochen entgegen. In den Lesungen aus Isaias hören wir von den Gaben und Gnadenvorrechten, den Merkmalen, der Macht und den Geschicken der Kirche – wie sie sich weit­hin sogar unter allen Heidenstämmen ausbreitet; wir hören, wie ehrfurchtgebietend und erhaben sie ist, wie voll Wundergaben, wie geehrt, wie macht­voll auf Erden, wie reich an zeitlichen Gütern, wie heilig, wie rein in der Lehre, wie voll des Heiligen Geistes. Und in den Episteln der Sonntage erfah­ren wir der Reihe nach von den Pflichten und Un­terscheidungsmerkmalen ihrer wahren Glieder, wie sie vom heiligen Paulus niedergelegt sind, haupt­sächlich im zwölften und dreizehnten Kapitel seines Römerbriefes, sodann von den Ermahnungen des gleichen Apostels an die Kolosser und endlich von den Mahnworten des heiligen Johannes in seinem allgemeinen Brief.

Die Kirchengebete tragen denselben Charakter, nämlich Bitten, wie sie Untertanen geziemen, die ihrem König sich nahen. Die erste Bitte geht um Erkenntnis und Macht, die zweite um Frieden, die dritte um Stärke in unseren Schwächen, die vierte um Hilfe in den Versuchungen, die fünfte um Schutz und die sechste um die Gnade der Vorbe­reitung und Reinigung auf den Tag der zweiten Ankunft Christi hin. Keine derselben ist abge­stimmt auf eine Zeit der Heimsuchung, Buße, Er­wartung oder des Frohlockens – sie entsprechen einer Zeit des Friedens, der Danksagung und der Anbetung, wo Christus Sich nicht in Schmerz, Kampf oder Sieg offenbart, sondern im ruhigen Besitz Seines Reiches.

Es mag genügen, einen Gedanken, der sich aus dem Gesagten nahelegt, auszuführen.

Ihr seht also, daß die einzige Entfaltung könig­licher Größe, die einzige Zeit der Majestät, der Ehrenbezeigung und Herrlichkeit, die unser Herr auf Erden hatte, in Seiner Kindheit und Jugend lag. Gabriels Botschaft an Maria entsprach in Stil und Form der Weise, wie es sich für einen Engel geziemte, der die Mutter Christi begrüßte. Auf gleiche, ehrenvolle Weise grüßte auch Elisabeth Maria und der künftige Täufer seinen verborgenen Herrn. Engel verkündeten Seine Geburt, und die Hirten beteten Ihn an. Ein Stern ging auf, und es kamen Weise aus dem Osten und weihten Ihm Geschenke. Man brachte Ihn in den Tempel, und Simeon schloß Ihn in die Arme und dankte dafür. Er wurde zwölf Jahre alt und wiederum erschien Er im Tempel und nahm Seinen Sitz ein mitten unter den Lehrern. Damit aber war das Ende Seiner irdischen Majestät gekommen; wenn sie sich je später wieder zeigte, dann geschah das nur dann und wann in flüchtigem Blick oder schnellem Auf­leuchten, niemals jedoch in stetig dauerndem Licht noch in strahlendem Glanz. Am Ende des vor­herigen Berichtes hören wir:  „Und Er zog mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und ward ihnen Untertan“ (Lk 2,51). Es begann nun in Tat und Wahrheit Seine Unterwerfung und Knecht­schaft. Er war in der Gestalt des Knechtes gekom­men und jetzt unterzog Er Sich dem Dienst des Knechtes. Wieviel ist doch in dem Gedanken an Seine Unterwürfigkeit enthalten! Sie begann mit dem zwölften Lebensjahr, und damit endete die Zeit Seiner Herrlichkeit.

Salomon, das große Vorbild des Friedenskönigs, regierte vierzig Jahre, und sein Name und seine Größe waren weit und breit im Osten bekannt. Josef, der vielgeliebte Sohn Jakobs, der in der Vor­zeit der Kirche ein Vorbild Christi in Seinem Reich war, stand achtzig Jahre in Macht und Gunst, noch einmal so lang wie Salomon. Christus hingegen, der wahre Künder der Geheimnisse, der Ausspender des Lebensbrotes, die wahre Weisheit und Majestät des Vaters, Er offenbarte Seine Herrlichkeit nur in der Jugendzeit, und von da an verdunkelte eine Wolke die Sonne der Gerechtigkeit. Denn Er wollte erst nach Seinem Weggang von der Welt wirklich regieren. Und seither regiert Er; ja, Er regiert sogar in der Welt, obwohl Er nicht in greifbarer Gegenwart in ihr weilt – Er, der unsichtbare König eines sichtbaren Reiches – denn Er kam nur deshalb in die Welt, um die Herrlichkeit Seines Reiches nach Seinem Weggang aus ihr zu zeigen; Er kam, um Sich dem Leiden und der Schmach zu unterwerfen, damit Er regieren könne.

Es geschieht oft, daß Menschen, wenn sie sich in schwerer Krankheit und infolge davon im Delirium oder in sonst einer Geistesverwirrung befinden, einige spärliche Minuten der Entspannung erhalten, wo sie sogar über sich hinauswachsen, als wollten sie uns anzeigen, was sie tatsächlich sind, und deut­lich machen, was sonst im Dunkel bliebe. Wiederum haben einige gemeint, daß der Geist der kleinen Kinder Anzeichen von etwas Unirdischem an sich trage, die zwar im Laufe des Lebens sich verlören, die aber eine Verheißung seien für etwas, was ihnen im anderen Leben zugedacht sei. So etwa – wenn ein Vergleich zwischen uns und unserem gü­tigen Herrn gestattet ist – auf ähnliche, wenn­gleich höhere Weise steigt Christus herab zu den Schatten dieser Welt, angetan mit den vergäng­lichen Zeichen jener künftigen Herrlichkeit, in die Er erst nach Seinem Leiden eingehen konnte. Für eine kurze Weile leuchtete der Stern hell über Ihm, wenn er dann auch verblaßte.

Auch in anderen Fällen erkennen wir das gleiche Gesetz der göttlichen Vorsehung, wenn wir es so nennen dürfen. Bedenket zum Beispiel, auf welche Weise in der heiligen Geschichte die Ankündigung des Leidens des Herrn über die Apostel erging. Wo hörten sie davon? „Es erschienen bei Ihm Moses und Elias auf dem Berge in Herrlichkeit und sie sprachen von Seinem Hingang, den Er in Jerusalem vollenden würde“ (Lk 9, 30. 31). Mit anderen Worten: Der Zeit Seines bitteren Leidens ging ein kurzes Aufleuchten Seiner Herrlichkeit voraus, die sich bei Seiner plötzlichen Verklärung offenbaren sollte, als „die Gestalt Seines Angesichtes sich ver­änderte und Sein Gewand weiß und glänzend ward“ (Lk 9, 29). In Erwartung dieser Herrlichkeit schrak unser Herr auch nicht zurück vor dem Tode, wie geschrieben steht: „Der für die Ihm vorgelegte Freude das Kreuz erduldete, der Schmach nicht achtend“ (Hebr 12, 2).

So sagte Er ferner den Aposteln voraus, daß auch sie Verfolgung leiden müßten um der Gerechtig­keit willen, daß sie gepeinigt und ausgeliefert, ge­haßt und getötet würden. Ihr Leben in dieser Welt mußte derart sein, daß, „wenn sie nur in diesem Leben auf Christus hofften, sie die erbarmungs­würdigsten von allen Menschen wären“ (1 Kor 15, 19). Denn beachtet wohl, auch ihrer Prüfungszeit war eine Zeit des Friedens und der Freude voraus­gegangen, wie um sie ihren künftigen Lohn ahnen zu lassen; denn vor dem Pfingsttag blieb Christus vierzig Tage lang unter ihnen, sie beruhigend, tröstend und bestärkend, „und sprach zu ihnen von den Dingen des Reiches Gottes“ (Apg 1,3). Wie Moses auf dem Berge stand und das verheißene Land und dessen Reichtum sah, Josue hingegen viele Kämpfe zu führen hatte, bevor er das Land in Besitz nahm, so standen auch die Apostel, bevor sie in das Tal des Todesschattens stieg, wo vom Himmel nichts mehr zu sehen war, erst auf dem Berge und schauten über das Tal, das sie über­schreiten mußten, hin zu der fernen Stadt des lebendigen Gottes.

So schaut auch der heilige Paulus nach vielen Jahren harten Mühens zurück auf eine Zeit, da er ein himmlisches Gesicht hatte, das ihn im voraus seine endgültige Seligkeit ahnen ließ. „Ich kenne einen Menschen in Christus“, sagt er von sich selbst, „vor vierzehn Jahren war derselbe entrückt bis in den dritten Himmel . . .; und ich weiß, daß dieser Mensch … in das Paradies entrückt ward und un­aussprechliche Worte hörte, die kein Mensch aus­sprechen darf“ (2 Kor 12, 2. 3. 4). So hatte also der heilige Paulus, wie die zwölf Apostel und wie unser Herr vor ihm, eine kurze Zeit der Ruhe und des Trostes vor dem Kampf.

Und endlich kann man sagen, daß auch die ganze Kirche in ihren Anfängen eine ähnliche Barm­herzigkeit an sich erfahren durfte, als Vorahnung dessen, was am Ende kommen wird. Wir wissen leider nur zu gut, daß nach der Schilderung unseres Herrn das Unkraut sich unter den Weizen mischen wird, Fische von jeder Art sich in ihrem Netz finden werden – und dies ihre ganze irdische Pilgerschaft hindurch. Am Ende aber „werden die Heiligen vor dem Throne Gottes stehen und Ihm Tag und Nacht dienen in Seinem Tempel; und das Lamm wird sie weiden und zu den Quellen des lebendigen Wassers führen“ (Offb 7, 15. 17); und es wird nicht mehr sein „Trübsal noch Schmerz, noch Unreines, noch was Greuel übet“ (Offb 21, 4. 27); denn „draußen sind Hunde und Zauberer und Unzüchtige und Mörder, Götzendiener und alle, die die Lüge lieben und tun“ (Offb 22,15). War nun nicht diese kom­mende  Herrlichkeit  vorgebildet  in  der  jungen Kirche, als vor der Eröffnung des Siegels der neuen Ordnung und vor Beginn des Kampfes „Stille im Himmel war etwa eine halbe Stunde lang“ (Offb 8, 1); und „die Jünger verharrten täglich einmütig im Tempel und im Gebet, brachen das Brot in den Häu­sern, waren ein Herz und eine Seele; und sie nah­men Speise in Freude und Herzenseinfalt, priesen Gott und waren beim ganzen Volk beliebt“(Apg 2, 46. 47); indes wurden Heuchler und „Lügner“ wie Ananias und Sapphira zu Tode getroffen und „Zau­berer“ wie Simon entlarvt und angeprangert.

Zum Schluß: Wir wollen alle Zeiten des Friedens und der Freude, die uns hienieden gewährt sind, dankbar schätzen. Wir wollen uns davor hüten, sie zu mißbrauchen und in ihnen auszuruhen oder gar zu vergessen, daß es besondere Gnadenzeiten sind, oder zu übersehen, daß wir uns auf Trübsal und Heimsuchung als auf unseren besonderen Anteil ge­faßt machen müssen. Heimsuchung ist unser Anteil hier – wir dürfen es nicht für befremdend finden, wenn auf den Frieden die Heimsuchung kommt. Wohl gewährt Gott gnädig dann und wann eine Ruhepause: vielleicht gewährt Er sie uns um so eher, je mehr wir darauf achten, daß wir sie nicht mißbrauchen. Wir müssen Ihm für alle Zeiten dan­ken, für die Zeit des Leidens und die Zeit der Freude, für die Zeit des Krieges und für die Zeit des Friedens. Und je mehr wir Ihm für die eine dan­ken, umso mehr zieht es uns hin, Ihm für die andere zu danken. Jede hat ihre besondere Frucht und ihren besonderen Segen. Unser sterbliches Fleisch allerdings schreckt vor der einen zurück und zieht von selbst die andere vor; es zieht die Ruhe der Mühsal vor, den Frieden dem Krieg, die Freude dem Schmerz, die Gesundheit der Pein und der Krank­heit. Gibt uns Christus das Angenehme, dann wol­len wir es hinnehmen als eine Erquickung unter­wegs, auf daß wir, wenn Gott ruft, in der Kraft dieser Speise vierzig Tage und vierzig Nächte gen Horeb, den Berg Gottes, wandern. An Epiphanie wollen wir uns freuen mit Zittern, auf daß wir an Septuagesima in Freude mit den Arbeitern in den Weinberg gehen und uns in der Fastenzeit der Buße hingeben können in Dankbarkeit; jetzt wollen wir uns freuen, nicht als hätten wir schon etwas erreicht, sondern in der Hoffnung, es zu erreichen. Wir wol­len unsere gegenwärtige Freude hinnehmen, nicht als unsere wahre Ruhe, sondern als das, was das Land Kanaan den Israeliten war: als Vorbild und Schatten. Sind wir jetzt im Genuß der Gnaden­mittel Gottes, so wollen wir unaufhörlich flehen, daß sie uns jetzt vorbereiten mögen für Seine Nähe her­nach. Freuen wir uns jetzt der Nähe unserer Freunde, so mögen diese uns an die Gemeinschaft der Heili­gen am Throne Gottes erinnern. Wir wollen uns auf nichts hier auf Erden verlassen und doch aus allem die Hoffnung gewinnen, daß zu guter Letzt unser Herr unser ewiges Licht sei und daß die Tage der Trauer zu Ende gehen mögen.

Sel. John Henry Newman, in: Deutsche Predigten, VII, 6 (pp 79-89)