Gehorsam als Heilmittel gegen religiöse Verwirrung

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18. Predigt, 14. November 1830

„Harre des Herrn und bewahre Seinen Weg, so wird Er dich erhöhen, auf daß du das Land erbest“ (Ps 36, 34).

Der Psalm, aus dem ich den Vorspruch gewählt habe, ist mit der Absicht geschrieben, gute Men­schen, die in Verwirrung sind, zu ermutigen, – besonders in Verwirrung ob der Pläne Gottes, Seiner Vorsehung und Seines Willens. „Sei nicht bekümmert“; das ist die Lehre, die er vom An­fang bis zum Ende und einschärft. Diese Welt ist in einem verworrenen Zustand. Unwürdigen geht es gut, und man sieht sie als die Größten ihrer Zeit an. Wahrheit und Güte werden in den Schat­ten gestellt; aber warte geduldig, – beruhige dich, sei still; am Ende wird die bessere Seite trium­phieren, – die Sanftmütigen werden das Land erben.

Zweifellos befindet sich die Kirche unter der christ­lichen so gut wie unter der jüdischen Heilsord­nung in großer Finsternis und Verwirrung. Nicht als ob das Christentum keine Erklärung hätte für die wichtigsten religiösen Fragen, – zu unserem großen Trost hat sie es; aber wir müssen stets aus der Natur der Sache als unvollkommene Wesen, die wir sind, vornehmlich in einem Zustand der Finsternis leben. Sogar die eigentlichen Lehren des Neuen Testamentes bringen ihre eigenen be­sonderen Schwierigkeiten mit sich, und bis wir lernen, unsere Seele zu beruhigen und in der Unterwerfung unter Gott zu schulen, werden wir wahrscheinlich mehr Verwirrung als Unterwei­sung in dem finden, was der heilige Paulus „das Licht des herrlichen Evangeliums Christi“ (2 Kor 4,4) nennt. Die Offenbarung wurde uns nicht dazu gegeben, unsere Zweifel zu beheben, sondern uns zu besseren Menschen zu machen; und in dem Maße, wie wir bessere Menschen werden, wird Licht und Friede unseren Seelen zuteil, selbst wenn wir bis ans Ende unseres Lebens Schwierig­keiten in ihr wie auch in der Welt um uns ent­decken.

Ich will heute einige Ausführungen machen be­züglich derer, die zwar im großen ganzen ehrliche Sucher im Religiösen, aber doch mehr oder we­niger in Verwirrung und Sorge sind und deswegen entmutigt werden.

Der Nutzen der Schwierigkeiten für uns alle in unserer Prüfung auf dieser Welt ist offensichtlich. Unser Glaube ist auf verschiedene Weise Zweifeln und Schwierigkeiten ausgesetzt, um seine Echtheit zu erweisen. Wenn wir wirklich Gott und Seinen Sohn lieben, werden wir trotz des Widerstandes weitergehen, selbst wenn Er uns, wie im Fall der Kanaaniterin, scheinbar abweist. Wenn es uns nicht ernst ist, veranlaßt uns die Schwierigkeit zum Rückzug. Das ist eine der Arten, wie Gott den Weizen von der Spreu trennt und so allmäh­lich jedes im Verlauf der Zeit auf seinen eigenen Haufen sammelt, bis das Ende kommt und „Er dann den Weizen in Seine Scheune sammeln, die Spreu aber mit unauslöschlichem Feuer verbrennen wird“ (Lk 3,17).

Ich bin mir nun dessen bewußt, daß es manchen seltsam klingen mag, wenn von Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Religion gesprochen wird, denn sie finden überhaupt keine. Aber obwohl es wahr ist, daß, je früher wir beginnen, Gott ernst­haft zu suchen, wir wahrscheinlich desto weniger Schwierigkeit und Verwirrung aushalten müssen, so entspringt doch diese Unkenntnis religiöser Schwierigkeiten in sehr vielen Fällen, fürchte ich, der Unkenntnis der Religion selbst. Wenn unser Herz nicht bei unserem Werk ist und wir nur mit dem Strom der Welt dahingleiten, wenn wir in der Kirche verharren, weil wir nun einmal dort sind, religiöse Vorschriften beobachten, nur weil wir an sie gewöhnt sind, und uns als Christen be­kennen, weil es andere tun, so kann man nicht erwarten, daß wir einen Begriff haben von der Tragweite eines Gefühles, das aus Unzulänglich­keit kommt, sowie von der Unmöglichkeit, uns zurecht zu finden, nämlich: Zweifel, Angst, Ent­täuschung und Unzufriedenheit zu spüren. Wenn dagegen unser Innerstes wachgerufen ist und wir sehen, daß es einen richtigen und falschen Weg gibt, und daß wir viel zu lernen haben bei dem Bemühen, religiöse Erkenntnis aus der Schrift zu gewinnen und sie auf uns selbst anzuwenden, dann werden wir von Zeit zu Zeit von Zweifeln und Besorgnissen beunruhigt und von Düsterkeit bedrückt.

Allen denen, die in irgend einer Weise beunruhigt sind, die sich nach Licht sehnen, es aber nicht finden können, muß eine Vorschrift gegeben wer­den, – gehorche! Der Gehorsam ist es, der einen Menschen auf den rechten Pfad bringt; der Ge­horsam ist es, der ihn darauf hält und bestärkt. Unter allen Umständen, was immer die Ursache deiner Traurigkeit sei, – gehorche! Mit den Wor­ten des Vorspruches, „harre des Herrn und be­wahre Seinen Weg, so wird Er dich erhöhen“. Wir wollen diese Mahnung auf jene anwenden, die erst begonnen haben, sich überhaupt mit Reli­gion zu beschäftigen. Jede Wissenschaft hat im Anfang ihre Schwierigkeiten. Warum sollte dann die Wissenschaft des guten Lebens ohne sie sein? Ist das Gebiet der Religion uns neu, dann ist es fremd. Wir haben unser ganzes Leben lang von Wahrheiten gehört, ohne sie gebührend zu er­fahren. Schließlich, wenn sie uns berühren, können wir nicht glauben, daß es die gleichen sind, die wir schon so lange gekannt haben. Wir werden dann aus unseren festen Ansichten über die Dinge hinausgedrängt; es folgt eine Verwirrung, eine allgemeine schmerzliche Ungewißheit. Wir fragen uns, „ist die Bibel wahr? Ist es möglich?“ Und wir  sind von gefährlichen Zweifeln bedrängt, welche wir kaum uns selbst erklären können, ge­schweige denn anderen. Niemand kann uns helfen. Und die relative Bedeutung der gegenwärtigen Dinge ist völlig verändert gegenüber der früheren, so daß wir uns kaum ein Urteil darüber bilden können, oder wenn wir es versuchen, bilden wir ein falsches. Unsere Augen passen sich nicht den verschiedenen Abständen der vor uns liegenden Gegenstände an und werden geblendet; oder es ergeht uns wie dem geheilten Blinden, wir „sehen die Menschen umhergehen wie Bäume“ (Mk 8,24). Überdies hat sich unser Urteil über Per­sonen wie über Dinge verändert, und wenn nicht allenthalben verändert, so werden sie doch an­fangs allenthalben von uns beargwöhnt. Dieses allgemeine Mißtrauen gegen uns selbst ist um so größer, je länger wir bereits in Unachtsamkeit gegen heilige Dinge gelebt haben und je mehr wir jetzt gedemütigt und über uns beschämt sind. Dieser Zustand führt uns dazu, daß wir uns dem ersten besten religiösen Führer anschließen, der sich uns anbietet, wie tauglich auch immer er wirklich für das Amt sein mag. Zu dieser Unruhe des Geistes über Wahrheit und Irrtum kommt eine Besorgnis um uns selbst, die uns auf den falschen Weg führen kann, auch wenn sie noch aufrichtig ist. Wir fühlen, denken und handeln nicht so religiös, wie wir es wünschten; und während es uns leid tut, sind wir auch (viel­leicht) etwas überrascht und ungeduldig darüber, – was natürlich, aber unvernünftig ist. Anstatt zu bedenken, daß soeben erst unsere Genesung beginnt von einer sehr ernsten, langwierigen Krankheit, glauben wir, wir sollten in der Lage sein, den Gang unserer Genesung an einer sicht­lichen Besserung zu verfolgen. Dieselbe Ungeduld nimmt man bei Leuten wahr, die von einer kör­perlichen Krankheit genesen. Langsam gewinnen sie ihre Kräfte und fühlen sich einige Tage hin­durch besser und dann wieder schlechter; und ein vorübergehender Rückfall entmutigt sie. Wenn wir Gott ernsthaft zu suchen beginnen, sind wir in derselben Weise geneigt, uns nicht nur gedemü­tigt zu fühlen (was ganz recht ist), sondern auch entmutigt zu sein, weil wir trotz aller göttlichen Gnadenhilfen den Weg der Besserung nur so langsam gehen können. Während wir vergessen, daß unser eigentlicher Titel im besten Fall der eines reuigen Sünders ist, suchen wir uns mit einem Schlag zur Seligkeit der Kinder Gottes zu erheben. Diese Ungeduld verleitet uns dazu, den Zweck der Selbstprüfung zu mißbrauchen. Sie soll uns hauptsächlich über unsere Sünden in Kenntnis setzen. Dagegen sind wir enttäuscht, wenn sie uns nicht sofort unsere Besserung anzeigt. Sicher wer­den wir uns mit der Zeit auch der Besserung be­wußt, aber es ist das Ziel unserer gewöhnlichen Selbstprüfung, ausfindig zu machen, ob wir es ernst meinen, und ferner, was wir gefehlt haben, um dann um Verzeihung zu bitten und uns bessern zu können. Wenn wir weiterhin in der Schrift lesen, wie erhaben die Gedanken und der Geist eines Christen sein sollten, vergessen wir leicht, daß ein christlicher Geist die Frucht der Zeit ist und wir ihn nicht unserem Geist aufzwingen können, wie wünschenswert und notwendig es auch ist, ihn zu besitzen; daß wir durch die Äußerung religiöser Empfindungen nicht religiös werden, eher das Gegenteil. Wenn wir dagegen uns be­mühen würden, dem Willen Gottes in allen Din­gen zu gehorchen, würden wir in Wirklichkeit unsere Herzen stufenweise zu der Fülle christlichen Geistes heranschulen. Da die Menschen aber das nicht verstehen, lassen sie sich dazu verleiten, viel und ausdrücklich über heilige Dinge zu sprechen, als ob das eine Pflicht wäre und sie hoffen könn­ten, daß dies sie besserte. Solche messen ihren Fortschritt im Glauben und in der Heiligkeit nicht an ihrer Kraft, Gott in ihrem Tun und Lassen zu gehorchen, ihren Willen zu meistern und in ihrer täglichen Pflichterfüllung genauer zu werden, son­dern an der Wärme und Stärke ihrer religiösen Gefühle. Wenn sie aber diese nicht bis zu jener Höhe steigern können, welche sie fast als das Kennzeichen eines wahren Christen betrachten, dann sind sie entmutigt und zur Verzweiflung versucht. Außerdem leben manchmal ihre alten Sünden aus dem Schlummer wieder auf, in den sie eine Zeitlang versunken waren, stürmen auf ihre Seele ein und sind scheinbar gerüstet, sie gefangen zu nehmen. Sie schreien zu Gott um Hilfe, aber Er scheint sie nicht zu hören, und sie wissen nicht, nach welchem Rettungsweg sie ausschauen sollen. Solche Menschen nun müssen vor allem an die Größe des begonnenen Werkes erinnert werden, nämlich die Heiligung ihrer Seelen. Jene aller­dings, die das für eine leichte Aufgabe ansehen oder (was auf das gleiche herauskommt) meinen, daß es bei aller Schwierigkeit in sich selbst für sie leicht würde, weil Gottes Gnadenhilfe ihnen alle dazu erforderliche Mühe abnehmen werde, müssen natürlich enttäuscht sein, wenn sie auf Grund ihrer Erfahrung entdecken, wie stark ihre ur­sprüngliche böse Natur ist und welch außerordent­lich lange Zeit selbst ein Christ zu seiner Besse­rung braucht. Man muß befürchten, in einigen Fällen möchte diese Enttäuschung in der Ansicht endigen, daß es unmöglich ist, unser böses Ich zu überwältigen; daß wir schlecht sind und schlecht bleiben müssen; daß unsere angeborene Verderbt­heit wie eine Last auf unseren Herzen liegt und so wenig für eine Besserung aufnahmefähig ist wie ein Stein für Licht und Gedanken und daß folglich unsere ganze Aufgabe darin besteht, an Christus als unseren Retter zu glauben und bei dem Gedanken an Sein vollkommenes für uns ge­leistetes Werk zu verweilen, – daß dies alles ist, was wir tun können – und daß es ebenso eine Vermessenheit wie eine Torheit ist, mehr anzu­streben.

Aber was sagt der Vorspruch? „Harre des Herrn und bewahre Seinen Weg“. Und Isaias? „Die auf den Herrn hoffen, erneuern ihre Kraft; sie erheben sich mit Adlerschwingen, sie laufen und werden nicht müde; sie gehen und werden nicht matt“ (Is 40,31). Und der heilige Paulus? „Ich vermag alles in Christus, der mich stärkt“ (Phil 4,13). Die eigentliche Frucht des Leidens Christi war das Gnadengeschenk des Heiligen Geistes, das uns zu tun befähigen sollte, was wir sonst nicht tun könn­ten, – „unser eigenes Heil zu wirken“ (Phil 2,12). Doch während wir darauf hinzielen und uns über­zeugt fühlen müssen von unserer Fähigkeit, es schließlich zu tun mittels der uns gewährten Ga­ben, können wir es eigentlich nicht tun ohne die tief eingesenkte Überzeugung von der außerordent­lichen Schwierigkeit des Werkes. Das heißt, wir werden nicht nur zur Nachlässigkeit, sondern auch zur Ungeduld verführt und dann zu allen Arten unerlaubter Behandlung der Seele, wenn die Vor­stellung von uns Besitz ergriffen hat, daß reli­giöse Zucht für den Gläubigen bald leicht zu er­tragen ist und daß das Herz sich schnell ändern läßt. Christi „Joch ist leicht“ (Mt 11, 30); gewiß, aber nur für diejenigen, die daran gewöhnt sind, nicht für den des Joches ungewohnten Nacken. „Die Weisheit ist sehr unangenehm den Unge­lehrigen (sagt der Sohn des Sirach), der Unver­ständige verharrt nicht bei ihr“ (Sir 6, 20). „Sie wandelt zuerst mit ihm auf krummen Pfaden und bringt Furcht und Schrecken über ihn und quält ihn mit ihrer Zucht, bis sie seiner Seele vertrauen und ihn prüfen kann durch ihre Satzungen. Dann kehrt sie auf geradem Weg zu ihm zurück, stärket ihn und tut ihm ihr Geheimnis kund“ (Sir 4, 17. 18). Jeder Anfänger soll sich also entschließen, Un­ruhe und Verwirrung zu ertragen. Er kann sich nicht beklagen, daß es so ist, obgleich er tief über sich beschämt sein sollte, daß es so ist; denn hätte er von Jugend an Gott angehangen, wäre seine Lage weit anders gewesen, obgleich auch dann vielleicht nicht ohne Verwirrung; auf jeden Fall hat er keine Ursache, überrascht und entmutigt zu sein. Je mehr er sich dazu entschließt, männlich den Zweifel auf sich zu nehmen, ihm zu wider­stehen und von Anfang bis zu Ende demütig Got­tes Willen zu tun, desto eher wird diese unruhige Geistesverfassung aufhören und Ordnung wird aus der Verwirrung sich erheben. „Harre des Herrn“, das ist die Richtschnur, „bewahre Seinen Weg“, das ist die Weise des Harrens. Tu deine Pflicht; achte auf die kleinen Dinge so gut wie auf die großen. Stehe nicht still und sage, „ich bin, wie ich war; Tag um Tag vergeht und noch kein Licht“; nein, gehe voran. Es ist schmerzlich, von unsteten Zweifeln verfolgt zu werden, Gedanken, die durch den Kopf schießen, zu erleiden über die Wirklichkeit der Religion überhaupt oder dieser oder jener ihrer besonderen Lehren oder über die Richtigkeit des eigenen Glaubens und den Zu­stand der Heilssicherheit. Trotz alledem muß es recht sein, Gott zu dienen; wir haben eine Stimme in uns, die der im Text gegebenen Verpflichtung entspricht, auf Ihn zu harren und Seinen Weg zu bewahren. David bekennt es. „Als Du sagtest, suche Mein Antlitz, sprach mein Herz zu Dir, Dein Antlitz, Herr, will ich suchen“ (Ps 27,8). – Sicher wird ein solches gehorsames Harren auf Ihn Seines Segens teilhaftig werden. „Selig sind, die Seine Gebote halten[1]„. Abgesehen von dieser ausdrück­lichen Verheißung, – hätten wir auch nach einem Weg zu suchen, Seinen vollkommenen Willen zu verstehen, könnten wir uns da eine größere Ver­heißung als diese ausdenken, daß wir mit kleinen Dingen beginnen und so stufenweise Fortschritte machen? Ist das nicht in allen anderen Dingen der Weg zur Vollkommenheit? Lernt nicht das Kind zuerst kurze Strecken gehen? Wer wollte es wagen, große Lasten zu tragen, bevor es ihm nicht mit kleinen geglückt wäre? An Gottes großer Güte liegt es, daß unsere tägliche, stetige Pflicht in der Erfüllung kleiner und verhältnismäßig leichter Dienste besteht. In gewöhnlichen Dingen pflicht­treu und gehorsam zu sein, die Wahrheit zu sagen, ehrlich zu sein, nüchtern zu sein, sich von sünd­haften Worten und Gedanken zu enthalten, freundlich und versöhnlich zu sein, – und all das um des Heilandes willen, – diese Pflichten zu er­füllen, wollen wir uns zuerst bemühen. Auch sie werden schwierig sein, – selbst die geringsten unter ihnen; doch sind sie viel leichter als die Lösung der Zweifel, die uns quälen, und sie wer­den uns allmählich eine praktische Erkenntnis der Wahrheit geben.

Wählen wir ein Beispiel aus den vielen, welche man anführen könnte. Angenommen wir haben irgendwelche verwirrende, unbeschreibliche Zwei­fel an der göttlichen Macht unseres gebenedeiten Herrn oder hinsichtlich der Lehre von der Drei­faltigkeit; gut, wir wollen den Gedanken daran aufgeben und uns entschließen, den göttlichen Willen zu erfüllen. Wenn wir das in Glaube und Demut tun, werden wir zur rechten Zeit entdecken, daß unsere Schwierigkeiten, indem wir den Ge­boten unseres Heilandes gehorchten und Sein Leben in den Evangelien nachahmten, behoben sind, obwohl es Zeit in Anspruch nehmen mag, sie zu beheben, und obwohl wir die ganze Zeit über nicht wahrnehmen, was vor sich geht. Es kann allerdings Fälle geben, in denen sie nie ganz behoben werden, – in denen zweifellos durch die Prüfung irgend ein großes und gutes Ergebnis erzielt wird; aber wir können offen und sicher nach einem angenehmeren Ausgang ausschauen. Daher gelten die Worte, „harre des Herrn und bewahre Seinen Weg“, für alle unsere Schwierig­keiten. Sein Wort ist zuverlässig; wir können uns sicher darauf stützen, wir werden in dem Maß Licht gewinnen für die allgemeinen Lehren, wie wir ihnen Gestalt geben in jenen besonderen Fällen, wo sie zur gewöhnlichen Pflicht werden. Aber nur zu oft geschieht es, daß die Menschen aus dem einen oder anderen Grund nicht diese einfache Methode befolgen, sich allmählich aus dem Irrtum zu lösen. – Sie suchen irgend einen neuen Pfad, der kürzer und leichter zu sein ver­spricht als der demütige und weitausholende Weg des Gehorsams. Sie wollen auf die Höhen des Berges Sion gelangen, ohne sich um seinen Fuß herumzuwinden. Am Anfang (man muß es zuge­stehen) scheinen sie einen größeren Fortschritt zu machen als diejenigen, die es zufrieden sind, zu warten und Gerechtigkeit zu üben. Ungeduldig darüber „in Finsternis zu sitzen und kein Licht zu haben“, und, um das Bild des Propheten von einem Heiligen, der in Drangsal ist, zu ergänzen, „den Herrn zu fürchten und der Stimme Seines Dieners zu gehorchen“ (Is 50,10), hoffen sie, Frie­den und Heiligkeit mittels neuer Lehrer und einer neuen Lehre rasch zu gewinnen. Viele lassen sich durch Selbstvertrauen irreführen. Sie schauen auf die ersten Zeiten ihrer Reue und Bekehrung zurück als auf die Zeit ihrer größten Erkenntnis. Anstatt nun zu bedenken, daß ihre ersten religiösen Vorstellungen wahrscheinlich überaus verschwommen und mit Irrtum vermischt waren, und sich daher zu bemühen, das Gute vom Schlechten zu trennen, verhimmeln sie alles, was sie damals als die maßgebende Wahrheit empfan­den, auf die sie sich berufen müßten. Von der Ansicht anderer halten sie wenig. Denn da die Religion für sie selbst etwas Neues ist, werden sie leicht zu der Meinung verleitet, sie sei auch für andere eine neue und unerprobte Sache, besonders da die besten Männer oft am wenigsten geneigt sind, außer in vertraulichen Gesprächen, sich über religiöse Fragen zu unterhalten, und noch mehr sich scheuen, darüber vor Leuten sich zu äußern, die nach ihrer Meinung sie doch nicht gebührend schätzen würden.

Die Erwähnung derer, die aus Selbstvertrauen irren, lasse ich beiseite; ich möchte vielmehr solche beklagen, die vom Pfad des schlichten, einfachen Gehorsams sich durch die Willfährigkeit gegen­über den Ansichten und Wünschen ihrer Um­gebung ablenken lassen. Derartige Leute gibt es allüberall in der Kirche und hat es allezeit ge­geben. Vielleicht gab es viele solche Christen in der Kirchengemeinde Roms. Sie fühlen tief die Notwendigkeit eines religiösen Lebens, bemühen sich jedoch um Gottes Gunst mit anderen Mitteln als den von Gott gesegneten. Sie beginnen mit der Religion gerade da, wo sie endet, und machen die Befolgung jener Vorschriften und Regeln zu den hauptsächlichsten Mitteln, Gott zu gefallen, die in Wirklichkeit erst die unwillkürliche Handlungs­weise einer geformten christlichen Haltung sein sollte. Andere unter uns werden durch ein ähn­liches Joch der Knechtschaft eingezwängt, obwohl es gefälliger verkleidet wird. Sie unterwerfen ihren Geist gewissen unbiblischen Regeln und bil­den sich ein, sie müßten sich durch irgend einen selbsterdachten Weg von der Welt trennen und nach irgend einer willkürlichen und neuen Lehr­form, die ihnen als Ziel dienen soll, sprechen und handeln, anstatt sich zu bemühen, ihre Herzen mit jenem freien, ungehemmten Geist der Hingabe zu durchdringen, den der demütige Gehorsam in ge­wöhnlichen Dingen unmerklich in ihnen formen würde. Wie viele gibt es außerdem, mehr oder weniger solche, die die Wahrheit lieben und Gottes Willen gern tun, die aber gleichwohl abseits ge­führt werden und in Knechtschaft wandeln, wäh­rend ihnen höheres Licht und höhere Freiheit verheißen ist! Sie wollen lebendige Glieder der Kirche sein und streben ängstlich nach allem, was sie an den wahren Söhnen der Kirche bewundern können. Jedoch fühlen sie sich gehalten, alles zu messen mit einem übertrieben genauen Maßstab, den sie verehren, – sie erschrecken vor Schatten, und so werden sie von Zeit zu Zeit in Verlegen­heit versetzt und verwirrt, nämlich sooft sie das Benehmen und Leben jener, die wirklich hervor­ragende Christen sind und die sie gern als solche ansehen würden, nicht in Einklang bringen können mit jenem falschen religiösen System, das sie zu dem ihrigen gemacht haben. Bevor ich schließe, muß ich eine andere Geistes­verfassung erwähnen, in der das Gebot „harre des Herrn und bewahre Seinen Weg“ mehr als alle anderen dazu dienen wird, einen zweifelnden und verwirrten Geist auf den rechten Weg zu führen. Schlechter Gesundheitszustand oder etwas anderes sind bisweilen die Ursache dafür, daß Menschen in religiöse Verzagtheit fallen. Sie bilden sich ein, Gottes Barmherzigkeit so mißbraucht zu haben, daß es für sie keine Hoffnung mehr gibt; sie hätten die Wahrheit einst erkannt, nun aber sei sie ihnen entzogen; sie hätten Warnungszeichen empfangen, die sie vernachlässigt hätten, und nun seien sie vom Heiligen Geist verlassen und dem Satan übergeben. Dann erinnern sie sich verschiedener Schriftstellen, die von der Gefahr des Abfalles sprechen und wenden sie auf sich selbst an. Nun spreche ich von solchen Fällen, nur insofern sie seelische Leiden genannt werden können, – denn oft müssen sie als körperliche Leiden behandelt werden. Wir wollen, insoweit sie seelisch sind, beachten, wie die Erfüllung der niedrigen gewöhn­lichen Pflichten unseres Standes, jenes Wandeln auf dem Weg Gottes, von dem der Leittext spricht, dazu beitragen wird, die Ruhe der Seele wiederherzustellen. Manchmal vermehren nämlich die davon betroffenen Menschen ihre innere Un­ordnung dadurch, daß sie versuchen, sich mit jenen erhabenen christlichen Lehren zu trösten, die der heilige Paulus ausführt; und andere ermutigen sie darin. Aber die Lehre des heiligen Paulus ist nicht gedacht für schwache und unsichere Geister. Er selbst sagt: „Wir künden Weisheit denen, die vollkommen sind“; nicht denen, die (wie er es nennt) „unmündig in Christus sind“ (1 Kor 2,6; 3,1). Im Maße, wie wir erstarken, werden wir die vollen Verheißungen des christlichen Bundes ver­stehen und Nutzen aus ihnen ziehen können. Solche Christen aber, die verwirrt, erregt und ruhelos in ihrem Innern sind, die sich mit mancherlei Gedanken abgeben und von wider­streitenden Gefühlen überwältigen lassen, werden im allgemeinen ruheloser und unglücklicher (wie die Erfahrung an Krankenlagern uns zeigen kann) dadurch, daß man ihnen Lehren und Versiche­rungen vorhält, die sie nicht recht begreifen kön­nen. Wir sprechen nicht von jenem besonderen Segen, der dem Gehorsam gegen Gottes Willen verheißen ist, wollen vielmehr nur darauf achten, wie wohl er schon aus seiner natürlichen Wirkung heraus dafür angetan ist, den Geist zu besänftigen und zu beruhigen. Wenn wir beginnen, Gott in den Angelegenheiten des täglichen Lebens zu gehorchen, nehmen wir sofort an Wirklichkeiten Anteil, die unsere Seelen von schleierhaften Be­fürchtungen und ungewissen, unbestimmten Ver­mutungen über die Zukunft abziehen. Wir wollen die Gedanken an Christus nicht beiseite tun (im Gegenteil), wir lernen Ihn noch in Seiner stillen Vorsehung betrachten, bevor wir beginnen, den Blick auf Seine größeren Werke zu werfen, und wir werden davor bewahrt, für morgen unchrist­liche Gedanken zu fassen, solange wir mit gegen­wärtigen Arbeiten beschäftigt sind. So offenbart sich unser Heiland allmählich dem bekümmerten Geist; nicht wie Er im Himmel ist, nicht wie da­mals, als Er Saulus zu Boden streckte, sondern wie Er in den Tagen Seines Fleisches war, da Er aß, sich mit Seinen Brüdern unterhielt und uns auf trag, Ihn nachzuahmen und keine Pflicht für Men­schen als zu geringfügig anzusehen, die aufrichtig Gott zu gefallen wünschen.

Solch betrübte Sucher nach Wahrheit müssen also ermahnt werden, über ihre Gefühle Wache zu halten und ihr Herz in Zucht zu nehmen. Sie be­haupten, sie seien darüber bestürzt, weil sie die Hoffnung verfehlt hätten; und trotz allem, was die Schriften in dieser Hinsicht sagen, wollen sie sich nicht überzeugen lassen, daß Gott allbarm­herzig ist. Gut also, ich will ihnen auf ihrem eigenen Grund begegnen. Mag ihr Zustand denk­bar elend sein, können sie dann leugnen, daß es ihre Pflicht ist, jetzt Gott zu dienen? Gibt es für sie etwas Besseres als den Versuch, Ihm zu dienen? Job sagte, „auch wenn Er mich erschlägt, so will ich doch auf Ihn vertrauen“ (Job 13,15). Sie be­haupten,  sie  hätten  kein  Verlangen, Gott  zu dienen, – weil sie nicht das Herz dazu hätten. Zugestanden (wenn sie es so haben wollen), daß sie sehr eigensinnig sind; immerhin sie sind am Leben, – sie müssen etwas tun, und können sie irgend etwas Besseres tun als versuchen, sich selbst zu beruhigen, ergeben zu sein und lieber Recht als Unrecht zu tun, selbst wenn sie überzeugt sind, daß es ihnen nicht von Herzen kommt und daher Gott nicht wohlgefällig ist? Sie sagen, sie wagten nicht, um Gottes Gnadenbeistand zu bitten. Das ist ohne Zweifel ein erbärmlicher Zustand. Nun, da sie in irgend einer Weise handeln müssen, selbst wenn sie ohne Seine Gnade nichts wirklich Gutes tun können, so sollen sie doch wenigstens das tun, was wie Wahrheit und Güte aussieht. Ja, selbst wenn es empörend ist, ihnen ein solches Zukunftsbild vor Augen zu stellen, nämlich daß sie sogar bereits am Orte der Strafe wären, – würden sie nicht eingestehen, daß es das Beste wäre, was sie tun könnten, so wenig Sünden wie möglich zu begehen? Noch mehr also jetzt, da ihr Herz, auch wenn sie keine Hoffnung haben, wenig­stens nicht ganz so verhärtet ist, wie es dann sein wird.

Man braucht keinen Augenblick anzunehmen, daß ich die Möglichkeit zugebe, es könnte jemand von Gott verworfen werden, der irgend solche rechten Gefühle in seinem Herzen hat. Die von mir beschriebene Ängstlichkeit der Dulder beweist, daß diese noch unter dem Einfluß der göttlichen Gnade stehen, auch wenn sie es nicht zugeben wollen; dies aber sage ich, um ein anderes Beispiel zu geben, wo ein Entschluß, in gewöhnlichen Dingen gewissenhaft Gott zu gehorchen, dazu führt, mit der Hilfe Seines Segens den Geist zu beruhigen und zu trösten und ihn aus der Verwirrung her­aus in die Helle des Tages zu führen. So verhält es sich auch in verschiedenen anderen Fällen, die sich anführen ließen. Mag unsere Schwierigkeit noch so groß sein, das eine ist klar, „harre des Herrn und bewahre Seinen Weg und Er wird dich erhöhen“. Oder mit den Worten unseres Heilandes: „Wer Meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der Mich liebt. Wer Mich aber liebt, der wird von Meinem Vater geliebt werden, und Ich werde ihn lieben und Mich selbst ihm offenbaren“ (Joh 14, 21). „Wer immer diese klein­sten Gebote tut und lehrt, der wird groß genannt werden im Himmelreich“ (Mt 5,19). „Wer immer hat, dem wird gegeben werden, und er wird im Überfluß haben“ (Mt 13,12).

aus: John Henry Newman, Deutsche Predigten, Bd I, Schwabenverlag Stuttagart 1948, 257-273.


[1] Abweichende Lesart zu Offb 22, 14. – A. d. Ü.