Nahen wir uns in dieser Zeit mit Ehrfurcht und Liebe dem, in dem alle Vollkommenheit wohnt und von dem wir sie empfangen dürfen. Gehen wir zu dem, der heiligt, damit wir geheiligt werden. Gehen wir zu ihm, um unsere Pflicht kennenzulernen und die Gnade zu erlangen, sie zu erfüllen. In anderen Zeiten des Jahres werden wir daran gemahnt, zu wachen, zu arbeiten, zu kämpfen und zu leiden; aber in dieser Zeit werden wir einfach an die Gaben Gottes für uns Sünder erinnert. „Nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, die wir getan, sondern nach seiner Barmherzigkeit hat er uns gerettet“ (Tit 3, 5). Wir werden daran erinnert, daß wir nichts tun können, und daß Gott alles tut. Dies ist im besonderen die Zeit der Gnade. Wir kommen, Gottes Erbarmungen zu sehen und zu erfahren. Wir nahen uns ihm wie die hilflosen Wesen, die während seiner öffentlichen Tätigkeit auf Betten und Tragbahren zur Heilung gebracht wurden. Wir kommen, um geheilt zu werden. Wir kommen wie kleine Kinder, um ernährt und belehrt zu werden, „als neugeborene Kinder, zu verlangen nach der unverfälschten Milch des Wortes, damit wir dadurch wachsen mögen“ (1 Petr 2,2). Dies ist eine Zeit der Unschuld, der Reinheit, der Sanftmut, der Milde, der Genügsamkeit und des Friedens. Es ist eine Zeit, in der die ganze Kirche in Weiß gekleidet zu sein scheint, in ihr Taufkleid, in das strahlende und glänzende Gewand, das sie auf dem heiligen Berg trägt. Zu anderen Zeiten kommt Christus in blutbefleckten Kleidern; aber jetzt kommt er zu uns ganz hold und friedlich, und er ermahnt uns, froh zu sein in ihm und einander zu lieben. Dies ist keine Zeit für Düsterkeit, Eifersucht, Besorgnis, Genußsucht, Ausschreitung oder Ausschweifung: nicht für „Schmausereien und Trinkgelage“, nicht für „Wollust und Unzucht“, nicht für „Zank und Neid“ (Röm 13,13), wie der Apostel sagt, sondern um anzuziehen den Herrn Jesus Christus, „der die Sünde nicht kannte und in dessen Mund kein Trug gefunden wurde“ (1 Petr 2,22).
Möge jedes neue Weihnachten uns ihm, der zu dieser Zeit um unseretwillen ein kleines Kind wurde, mehr und mehr ähnlich finden, schlichter also und demütiger, heiliger, liebevoller, ergebener, glücklicher, gotterfüllter.
aus: „Das Geheimnis der Vergöttlichung“, Deutsche Predigten Bd V, 7 pp 117-119.