26. Predigt vom 15. Mai 1831
„Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, hatte Einsicht wie ein Kind, dachte wie ein Kind; als ich aber Mann ward, legte ich ab, was kindisch war“ (1 Kor 13,11)
Als unser Herr im Begriff war, die Welt zu verlassen und zu Seinem Vater zurückzukehren, nannte Er Seine Jünger Waisen: sozusagen Kinder, deren Erzieher Er gewesen war, die noch unfähig waren, sich zu leiten, und ihren Beschützer bald verlieren sollten; aber Er sagte, „Ich will euch nicht als Waisen ohne Trost zurücklassen, Ich werde zu euch kommen“ (Jo 14,18). Damit wollte Er sagen, Er werde wieder zu ihnen kommen in der Kraft Seines Heiligen Geistes, der ihr gegenwärtiger, allgenügender Führer sein sollte, auch wenn Er selbst abwesend war. Wir wissen aus der heiligen Geschichte, daß sie bei der Ankunft des Heiligen Geistes aufhörten, die schutzlosen Kinder zu sein wie zuvor. Er hauchte ihnen ein göttliches Leben ein und beschenkte sie nach den Worten der Schrift mit geistiger Mannheit oder Vollkommenheit. Von dieser Zeit an legten sie ab, was kindisch war; sie redeten, hatten Einsicht und dachten wie solche, die gelernt hatten, sich selbst zu leiten, die „eine Salbung von dem Heiligen empfangen hatten und daher alles wußten“ (1 Jo 2, 20).
Daß eine solche Veränderung in den Aposteln gemäß der Verheißung Christi bewirkt wurde, ist ersichtlich, wenn wir ihr Verhalten vergleichen vor dem Pfingsttag, an dem der Heilige Geist auf sie herabstieg, mit ihrem Benehmen nachher. Ich brauche mich nicht zu verbreitern über ihre spätere erstaunliche Festigkeit und ihren unerwarteten Eifer in ihres Meisters Sache. Andererseits erhellt aus den Evangelien, daß vor der Herabkunft des Heiligen Geistes, d. h. während Christus noch bei ihnen war, sie hilflos und unwissend waren wie Kinder. Sie hatten keinen klaren Begriff, wonach sie trachten sollten und auf welche Weise, und ließen sich von ihren zufälligen Gefühlen und ihren lange gehegten Vorurteilen irreführen. – War es nicht Kindesart zu fragen, wievielmal ein Mitchrist uns beleidigen dürfe und wir ihm verzeihen sollten, wie St. Petrus es tat? Oder zu bitten, den Vater zu sehen1 wie der heilige Philippus? Oder vorzuschlagen, Zelte auf dem Berg zu bauen, als ob sie nicht mehr zu den Drangsalen der Welt zurückkehren sollten2? Oder darüber zu streiten, wer der Größte sein sollte3? Oder danach auszuschauen, daß Christus in dieser Zeit das weltliche Reich Israel wieder herstelle4? So natürlich diese Anschauungen bei den halbunterrichteten Juden waren, waren sie offensichtlich jener unwürdig, die Christus zu den Seinigen gemacht hatte, damit Er „sie als vollkommen vorstellen“ (Kol 1, 28) könnte vor dem Throne Gottes.
Doch die ersten Jünger Christi legten wenigstens ein für allemal ihre Eitelkeit ab, als der Geist über sie kam; aber was uns betrifft, so ist der Geist seit langem über uns ausgegossen worden, schon von unseren frühesten Jahren. Es ist jedoch eine ernste Frage, ob viele von uns, selbst von denen, die sich zur Religion bekennen, wenigstens soweit in der Erkenntnis der Wahrheit fortgeschritten sind, wie die Apostel es vor dem Pfingstfest waren. Heute mag es eine nutzbringende Aufgabe sein, diese Frage zu erwägen, welche durch den Vorspruch nahegelegt wird, zu untersuchen, wie weit wir fortgeschritten sind in der Ablegung solcher kindischer Dinge, welche mit einem männlichen, aufrichtigen Bekenntnis des Evangeliums unvereinbar sind.
Beachtet nun, ich untersuche nicht, ob wir offen in Sünde leben, in willentlichem Ungehorsam; auch nicht, ob wir aus Gedankenlosigkeit sündhaften Taten und Gewohnheiten nachgehen. Die Haltung derer, die gegen oder ohne ihr Gewissen handeln, d. h. leichtfertig und lässig, ist weit entfernt, irgend eine Ähnlichkeit mit der Haltung der Apostel in den Jahren ihrer ersten Jüngerschaft zu haben. Ich nehme an, meine Brüder, daß ihr im ganzen Anhänger Christi seid, daß ihr frei erklärt, Ihm zu gehorchen; und ich spreche euch an als solche, die glauben, eine berechtigte Hoffnung auf Rettung zu haben. Ich lenke eure Aufmerksamkeit nicht auf eure Sünden, nicht auf diejenigen Fehler und Schwächen, die ihr als solche kennt und zu überwinden sucht, da sie anerkanntermaßen in sich schlecht sind, sondern auf jene Anschauungen, Wünsche und Neigungen bei euch, die denen ähnlich sind, welche die Apostel trotz ihres wahrhaften Glaubens hegten, bevor sie ihre Mannheit im Evangelium erreichten: und ich frage euch, wie weit habt ihr diese aus euren Gedanken als eitel und wertlos verbannt; mit anderen Worten, wie weit habt ihr das getan, was der heilige Paulus im Vorspruch als den ersten Schritt anzusehen scheint auf der echten, geistlichen Laufbahn eines Christen, auf den der Heilige Geist herabgestiegen ist.
1. Wir wollen zum Beispiel unsere Liebe zu den Freuden des Lebens ins Auge fassen. Ich gestehe gern zu, daß es eine unschuldige Liebe zur Welt gibt, unschuldig in sich. Gott schuf die Welt, Er hat die allgemeine Form der menschlichen Gesellschaft gutgeheißen und hat uns überreiche Freuden in ihr geschenkt. Ich will nicht sagen dauernde Freuden, aber immerhin, solange sie gegenwärtig sind, wirkliche Freuden. Es ist natürlich, daß junge Menschen voll Hoffnung auf die Zukunft vor ihnen schauen. Sie können nicht anders als Pläne schmieden zu dem, was sie tun werden, wenn sie in das tätige Leben eintreten, oder was sie sein möchten, wenn sie freie Wahl hätten. Sie geben sich Träumereien über die Zukunft hin, wiewohl sie im gleichen Augenblick wissen, daß sie nicht wahr werden können. Zu anderen Zeiten beschränken sie sich auf das Mögliche; und dann brennen ihre Herzen, während sie von ruhigem Glück, häuslicher Behaglichkeit und von Unabhängigkeit träumen. Oder mit kühnerem Blick machen sie bereits in Gedanken ihr Glück im öffentlichen Leben und schwelgen in ehrgeizigen Hoffnungen. Sie stellen sich selbst als aufsteigende Sterne in der Welt vor, ausgezeichnet, umschmeichelt und bewundert. Sie sehen sich als Persönlichkeiten, welche sich einen Einfluß auf andere sichern und mit hoher Stellung belohnt werden. Jakobus und Johannes hatten einen solchen Traum, als sie Christus baten, an Seiner Seite auf den ehrenvollsten Plätzen Seines Reiches sitzen zu dürfen. Solche Träume nun können kaum in sich selbst und ohne Rücksicht auf die besonderen Umstände sündig genannt werden; denn die Gaben des Wohlstandes, der Macht und des Einflusses und noch mehr der häuslichen Behaglichkeit kommen von Gott und können in gewissenhafter Weise ausgenützt werden. Obwohl zwar nicht unmittelbar tadelnswert, sind sie doch kindisch; kindisch in sich selbst oder wenigstens, wenn man sie hegt und sich ihnen überläßt; kindisch bei einem Christen, der unendlich höhere Aussichten hat, die seinen Geist ganz einnehmen sollten; und weil kindisch, sind sie nur bei der Jugend entschuldbar. Sie sind anstößig, wer in sie mit fortschreitendem Alter beibehalten werden, aber bei jungen Menschen können wir sie betrachten im Lichte des Urteils unseres Heilandes über den jungen Mann, der reich und angesehen war. Es heißt, daß Er „ihn geliebt“ hat (Mk 10, 21); das will sagen, Er bemitleidete ihn und verwarf nicht in harter Weise die Erwartungen, die er sich vom Glück dank Wohlstand und Macht gebildet hatte, jedoch verhehlte Er ihm dabei nicht, daß er alle diese Dinge zum Opfer bringen müsse, „wolle er vollkommen sein“ (Mt 19, 21), d. h. ein Mann und nicht ein bloßes Kind im Evangelium.
2. Aber es gibt außerdem andere kindische Ansichten und Gewohnheiten, die abgelegt werden müssen, wenn wir uns restlos als Christen bekennen wollen; und letztere sind nicht so frei von innerer Schuldhaftigkeit wie jene, die wir schon angeführt haben: so die Liebe zur Schaustellung, die Gier nach weltlichem Lob, der Hang zu den Annehmlichkeiten und Genüssen des Lebens. Obwohl dieses verkehrte Geisteshaltungen sind, bezeichne ich sie doch nicht mit den schärfsten Ausdrücken, weil ich, wenn möglich, Menschen dazu bringen möchte, daß sie lieber sich von ihnen abkehren als eines Christen unwürdig. Das geschieht, indem sie mit einer Art Verachtung ihnen entwachsen, in dem Maße wie sie an Gnade zunehmen, und sie wie selbstverständlich auf die Seite legen, während sie allmählich lernen, „ihr Herz an himmlische Dinge zu hängen, nicht an irdische“ (Kol 3, 2).
Kinder haben schlechte Eigenschaften und lose Manieren, von denen ernsthaft zu sprechen wir uns nicht herbeilassen. Nicht daß wir in irgendeinem Grad sie anerkennen oder sie um ihretwillen dulden; ja wir bestrafen einige davon; aber wir ertragen sie bei Kindern und erwarten, daß sie verschwinden, wenn der Geist reifer wird. Und so gibt es in religiösen Dingen viele Gewohnheiten und Anschauungen, die wir bei unfertigen Christen ertragen, jedoch für unschön und verächtlich halten, sollten sie bis zu jener Zeit andauern, da man den Charakter eines Menschen für gefestigt ansehen darf. Liebe zur Schaustellung ist eine von diesen Gewohnheiten; ob wir stolz sind auf unsere Fähigkeiten oder Fertigkeiten, auf unseren Wohlstand oder unsere persönliche Erscheinung; ob wir unsere Schwäche im vielen Reden entdecken oder in der Sucht zu dirigieren oder auch in der Freude am Putz. Eitelkeit und Einbildung sind immer unangenehm, weil sie die Ruhe anderer Leute stören und sie ärgern; aber ich möchte hier betonen, daß sie in sich abstoßend sind, wenn sie bei solchen wahrgenommen werden, die sich der vollen Vorrechte der Kirche erfreuen und von Berufs wegen Männer in Christus Jesus sind, abstoßend, weil unvereinbar mit christlichem Glaubensernst.
Das gleiche gilt von Anhänglichkeit an weltliche Bequemlichkeiten und Genüsse. Diese scheint bedauerlicherweise mit dem Alter eher in uns zu wachsen als zu verschwinden. Ob sie aber in der Jugend sozusagen natürlich ist oder nicht, jedenfalls, wenn wir die Dinge recht beurteilen, ist sie anstößig bei denen, die sich als „vollkommen“ ausgeben; und dies wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Geiste des Evangeliums. Wenn wir unser Herz schulen könnten, so daß es in allen Dingen ein richtiges Urteil besäße, wäre es dann nicht über die Maßen sonderbar und greulich, vorzugeben, daß unser Schatz nicht hier ist, sondern im Himmel bei Dem, der dorthin aufgestiegen ist; zuzugeben, daß wir ein Kreuz Dem nachtragen müssen, der zuerst gelitten hat, bevor Er triumphierte, und zugleich bewußt unsere eigene Bequemlichkeit als ein großes und befriedigendes Ziel zu erstreben, mit übertriebenen Mitteln sie zu fördern, jedes erdenkliche Opfer zu bringen, um sie zu wahren und niedergeschlagen zu sein bei der Möglichkeit ihres Verlustes? Ist es einem wahren Sohn der streitenden Kirche möglich, während „die Bundeslade und Israel und Juda noch in Zelten wohnen“ und die „Diener des Herrn auf dem offenen Feld lagern“, zu gleicher Zeit wohlgeborgen zu „essen und zu trinken“ (2 Sm 11, 11), sich mit Prunk zu umgeben, seine Augen an der „Hoffart des Lebens“ (1 Jo 2, 16) zu weiden, und für sich selbst das Maß weltlichen Prunkes zu vervollständigen?
Ferner, jede Furchtsamkeit, Unentschlossenheit, Ängstlichkeit, lächerlich zu erscheinen, Schwäche im Vorsatz, welche die Apostel bekundeten, als sie Christus im Stiche ließen und besonders Petrus, als er Ihn verleugnete, alles dies muß unter die geistigen Eigenschaften gezählt werden, die nicht nur kindisch, sondern sündhaft sind. Wir müssen lernen, solches zu verachten, – uns zu schämen, wenn wir uns davon beeinflussen lassen und, statt die Überwindung dessen für etwas Großes zu halten, diese bloß anzusehen als einen der ersten Schritte, um nur ein gewöhnlicher, echt gläubiger Mensch zu sein. Genau so begannen die Apostel trotz ihrer früheren Jüngerschaft gewiß erst am Pfingstfest ihre christliche Laufbahn, und dann eigneten sie sich ein hohes Maß von Glauben, Kühnheit, Eifer und Selbstbeherrschung an, nicht als einen großen Fortschritt und als eine Ruhmestat, sondern als Bedingung schlechthin für ihr Christsein überhaupt, als Grundlage geistlichen Lebens, als bloße Ausstattung und in Wirklichkeit als kleinen Erfolg auf jenem lang sich hinziehenden Weg der Heiligung, auf dem der Heilige Geist jeden Christen führen will.
In dieser letzten Bemerkung habe ich einen Hauptgrund angegeben, warum ich bei unserem Thema verweilte. Es ist sehr üblich bei Christen, viel Aufhebens zu machen von dem, was nur unbedeutende Verrichtungen sind; zuerst sieht man den eigentlichen Kern religiösen Gehorsams in ein paar dürftigen Übungen oder in der Befolgung besonderer sittlicher Vorschriften, die leicht zu verwirklichen ist, die man aber nach ihrer Ansicht schon eigentlich Verleumdung der Welt nennen kann; und daraufhin prahlt man mit seiner Tat, die in Wahrheit jeder, der nicht ein bloßes Kind in Christus ist, vollbringen könnte und sollte. Man beglückwünscht sich selbst zu seinem Erfolg, man stattet vor aller Augen Dank dafür ab, man verurteilt andere, die sich zufällig nicht genau auf der gleichen Linie der Hingabe an kleinliche Einzelübungen bewegen, und infolgedessen vergißt man, daß man trotz alldem doch durch einen solch ärmlichen, wenn auch rechten Gehorsam sich nicht einmal entfernt jener Stelle der christlichen Laufbahn genähert hat, wo man nach den Worten des heiligen Paulus annehmen darf, eine sichere Hoffnung auf Rettung „erlangt“ zu haben (2 Tim 2, 10). Sie sind wie kleine Kinder: wenn diese zum ersten Male die Kraft haben, ihre Glieder zu rühren, triumphieren sie bei jeder Ausübung ihrer neu erlangten Kraft wie über einen großen Sieg. Unnütze Hoffnungen auf irdischen Besitz aufzugeben, der Schmeichelei und des weltlichen Lobes überdrüssig zu sein, die Nichtigkeit zeitlicher Größe zu erkennen und wachsam gegen Genußsucht zu sein, – das sind nur die Anfänge der Religion; es ist nur die Zurüstung des Herzens, welche religiöser Ernst voraussetzt. Wie kann ein Christ ohne einen guten Anteil daran einen Schritt tun? Wie hätte Abraham, als er von Gott gerufen wurde, sogar aus seiner Heimat ausziehen können, wenn er es nicht aufgegeben hätte, viel von dieser Welt zu halten, und er sich um ihr Gespött gekümmert hätte? Sicher ist dieser Erfolg nur unser erstes Manneskleid, das Zeichen, daß die Kindheit vorbei ist. Wenn wir die Liebe zur Welt und die Furcht vor ihr noch in unserem Herzen lebendig fühlen, müssen wir tief gedemütigt, ja erschreckt sein; und gedemütigt selbst dann, wenn auch nur Spuren einstiger Schwäche zurückbleiben. Aber auch wenn dem nicht so ist, welchen Dank haben wir zu erwarten? Seht im Gegensatz dazu, wie die Apostel waren, und dann werdet ihr sehen, was das wahre Leben des Geistes ist, das Wesen und die volle Frucht der Heiligkeit. Unsere Brüder mit einer Entschlossenheit zu lieben, welche keine Hindernisse kennt, so daß wir fast wünschten, selbst verflucht zu sein, wenn wir damit nur jene retten könnten, die uns hassen; – wider die Hoffnung und inmitten von Leiden für Gottes Sache sich abzumühen, – die Geschehnisse des Lebens, wie sie vorkommen, in der Deutung zu lesen, welche die Schrift ihnen gibt, und dies nicht, als wäre die Sprache uns fremd, sondern selbstverständlich – alle unsere tägliche Schuldigkeit mit größter Wachsamkeit zu erfüllen – jeden bösen Gedanken abzuweisen und den ganzen Geist dem Gesetz Christi zu unterwerfen – geduldig, fröhlich, verzeihend, sanft, ehrbar und wahr zu sein, zu verharren in diesem guten Werk bis zum Tod und dabei immer neue Fortschritte zur Vollkommenheit zu machen, – und schließlich sogar am Ende als unnütze Knechte uns zu bekennen, ja, uns für verdorbene und sündhafte Geschöpfe zu halten, welche bei allem Fortschritt doch verloren wären, wenn nicht Gott Seine Barmherzigkeit in Christus uns erwiese; – das sind einige von den schwierigen Forderungen religiösen Gehorsams, den wir erstreben müssen, den die Apostel in hohem Maße erreichten, und wir dürfen Gottes heiligen Namen benedeien, wenn Er uns befähigt, ihn uns zu eigen zu machen.
Nehmen wir es als ausgemacht an, als eine unbestreitbare Wahrheit, daß mit der Welt zu brechen und die Religion zu unserer ersten Angelegenheit zu machen nur soviel bedeutet, daß wir keine Kinder mehr sind; ferner, daß infolgedessen jene Christen, welche zur Reife gekommen sind und nicht einmal soviel tun, „vor den Engeln Gottes“ (Lk 12, 8. 9) ein verabscheuungswertes und unnatürliches Schauspiel sind, ein Hohn auf das Christentum. Ich möchte nicht sagen, was solche Menschen in Gottes Augen sind und welches ihre Aussicht für die nächste Welt ist, denn das ist ein furchtbarer Gedanke, – und wir sollten uns beeinflussen lassen durch Beweggründe, die viel höher sind als jene rein sklavische Furcht vor der künftigen Strafe, wozu uns eine solche Überlegung führen würde.
Aber hier mag einer fragen, ob ich nicht zu streng bin, wenn ich auf so vielen Opfern zu Beginn des echten christlichen Gehorsams bestehe. Abschließend bemerke ich also, erstens, daß ich kein Wort gegen den mäßigen und dankbaren Genuß der Güter dieser Welt gesagt habe, wenn sie uns tatsächlich zufallen; wohl aber dagegen, daß wir ernstlich nach ihnen verlangen, sie suchen und sie Gottes Gerechtigkeit vorziehen, und das ist es gerade, was gewöhnlich geschieht. Ferner schließe ich aus der Gemeinschaft der Christen nicht alle aus, die nicht alsbald und tatkräftig sich entschließen können, die Welt zu verwerfen, wenn ihre Güter gefahrvoll, hinderlich oder unbrauchbar sind; aber ich schließe sie aus der Gemeinschaft der reifen, männlichen Christen aus. Zweifellos verfährt unser Herr milde mit uns. Er hat Seine zwei Sakramente voneinander getrennt. Die Taufe gibt uns zuerst den Zutritt zu Seiner Gnade; Sein heiliges Mahl versetzt uns unter Seine Erwachsenen. Er hat nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge vierzehn bis zwanzig Jähre zwischen sie gesetzt, damit wir Zeit hätten, die Kosten zu berechnen und in Ruhe unsere Entscheidung zu fällen. Es darf nur keinen Stillstand geben, – es kann ihn nicht geben; die Zeit geht langsam aber sicher von der Geburt zum Mannesalter, und in gleicher Weise müssen unsere Seelen, obwohl in der Liebe langsam herangebildet, immer noch weitergebildet werden. Wenn nämlich Männer in der Reife der Jahre noch „Kinder an Einsicht sind“, dann sind sie unerträglich, weil diese ihre Zeit vorbei und nicht mehr am Platze ist. In diesem Falle sind ehrgeizige Gedanken, nichts sagende Bestrebungen und Unterhaltungen, leidenschaftliche Wünsche und maßlose Hoffnungen und die Liebe zur Schaustellung geradezu sündhaft, weil sie auf dieser Stufe überlegte Sünden sind. Solange sie Kinder waren, „redeten sie wie Kinder, hatten Einsicht wie Kinder, dachten wie Kinder“; als sie aber zu Männern wurden, „war es hohe Zeit, vom Schlafe aufzuwachen“ (Rom 13, 11) und „abzulegen, was kindisch war“. Und wenn sie Kinder geblieben sind, anstatt „ihre Sinne zu üben, um zwischen Hoch und Niedrig zu unterscheiden“ (Hebr 5, 14), ach, welch tiefe Reue müssen sie haben, bevor sie wissen können, was wahrer Friede ist! – welche Selbstvorwürfe und welche scharfe Selbstzucht werden gefordert sein, bevor ihre Augen geöffnet werden können, um wirksam jene Wahrheiten zu sehen, die „geistig beurteilt werden!“ (1 Kor 2,14). Soviel über solche, die es vernachlässigen, bei Zeiten in der Hoffnung ihrer Berufung zu wachsen. Was die Jugend selbst angeht, so ist es klar, daß keines meiner Worte ihr Ermutigung geben kann, mit ihrer gegenwärtigen unvollkommenen Hingabe an Gott sich zu bescheiden, weil bei allem, was sie selbst mit bestem Willen tun können, nur die eine Sorge gilt, daß ihr Wachstum an Weisheit und Alter miteinander Schritt hält. Gäbe es einen, der ob des Gedankens, die Freuden der Jugend bald verlassen zu müssen, vorsätzlich sich entschließt, sie möglichst zu genießen, bevor die Pflichten des Mannesalters über ihn kommen, dann macht ein solcher es sich dadurch unmöglich, sie aufzugeben, wenn er es tun sollte. Was jene betrifft, die sich Dinge gestatten, die auch in der Jugend offensichtlich sündhaft sind, – wie die freiwillige Vernachlässigung des Gebetes, Weltlichkeit, zügelloses Leben oder andere Unsittlichkeit, – so ist der Fall solcher Leute mir nicht einmal in den Sinn gekommen, als ich von jugendlicher Gedankenlosigkeit sprach. Sie haben selbstredend kein „Erbteil am Reich Christi und Gottes“ (Eph 5, 5).
Wenn es aber Leute unter uns gibt, und solche kann es wohl geben, die wie der reiche Jüngling „vor Christus niederfallen“, von Ihm „geliebt“ werden und Seinen Geboten von Jugend auf gehorchen und doch nur „betrübt“ sein können bei dem Gedanken, ihre angenehmen Aussichten, ihre kindischen Abgöttereien und ihre glänzenden Hoffnungen auf irdisches Glück aufgeben zu müssen, solchen möchte ich sagen, sie sollen guter Dinge sein und Mut fassen. Was fordert euer Heiland von euch mehr, als auch jener strenge und böse Meister von euch fordert, der euren Untergang wünscht? Christus heißt euch die Welt aufgeben; aber wird nicht auf jeden Fall die Welt euch bald aufgeben? Könnt ihr sie dadurch halten, daß ihr ihr Sklave seid? Wird nicht der, welcher sie zum Mittel der Versuchung gemacht hat, der Fürst dieser Welt, diese von euch nehmen, was immer er euch jetzt versprechen mag? Was anderes verlangt euer Herr von euch, als daß ihr alle Dinge anschaut, wie sie wirklich sind, sie nur für Seine Werkzeuge haltet und glaubt, daß gut gut ist, weil Er es will, daß Er genau so leicht uns segnen kann mit hartem Stein wie mit Brot, in der Wüste wie auf dem fruchtbaren Feld, wenn wir Glauben an Den haben, der uns das wahre Brot vom Himmel gibt? Daniel und seine Freunde waren Prinzen des königlichen Hauses David; sie waren „Knaben von schönem Aussehen, begabt für alle Weisheit, reich an Kenntnissen und Einsicht“ (Dt 1, 4); doch sie hatten solchen Glauben, daß sie buchstäblich die ihnen gereichten Speisen und Getränke zurückwiesen, weil sie ein Götzenopfer waren; aber Gott erhielt sie ohne diese am Leben. Die zehn Tage der Prüfungszeit lebten sie von Hülsenfrüchten und Wasser; doch „am Ende“, sagt die heilige Geschichte, „erschienen ihre Gesichter strahlender und wohlgenährter als die aller Knaben, welche den Anteil von des Königs Mahl aßen“ (Dn 1, 15). Zweifelt also nicht an Seiner Macht, euch durch alle Schwierigkeiten zu führen, an der Macht Dessen, der euch den Befehl gibt, ihnen zu begegnen. Er hat euch den Weg gezeigt; Er gab die Heimat Seiner Mutter Maria auf, „um das zu tun, was Seines Vaters war“ (Lk 2, 49), und nun gebietet Er euch nur, Sein Kreuz, welches Er für euch trug, Ihm nachzutragen und „voll zu ersetzen an eurem Fleisch, was noch mangelt an Seinen Leiden“ (Kol 1, 24). Erschrecket nicht, – es ist nur hie und da ein Stich und ein Ringen; ein Pakt mit euren Augen und ein Fasten in der Wüste, eine ruhige, regelmäßige Wachsamkeit und das herzhafte Bemühen zu gehorchen, und alles wird gut sein. Habt keine Angst. Er ist überaus gütig und bringt euch Schritt um Schritt voran. Er zeigt euch nicht, wohin Er euch führt; ihr könntet erschrecken, würdet ihr die ganze Zukunft auf einmal sehen. Jedem Tag genügt seine Plage. Folget seinem Plan; schauet nicht ängstlich drein; schauet auf euren gegenwärtigen Standort, „damit ihr nicht vom Wege abkommt“ (Dt 31, 29), aber macht keine Pläne für die Zukunft. Ich kann es wohl glauben, daß ihr jetzt Hoffnungen habt, die ihr nicht aufgeben könnt und die euch sogar bestärken auf eurer gegenwärtigen Bahn. Sei dem so; ob sie erfüllt werden oder nicht, liegt in Seiner Hand. Es mag Ihm gefallen, euch die Wünsche eures Herzens zu gewähren. Wenn ja, danket Ihm für Seine Barmherzigkeit; seid nur der festen Überzeugung, daß alles zu eurem größten Nutzen sein wird und „solange wie dein Tag, währt deine Kraft. Keiner ist wie der Gott Jeschuruns, der am Himmel einherfährt, dir zu helfen, und in Seiner Erhabenheit auf den Wolken. Der Ewige Gott droben ist deine Zuflucht und hier unten sind die ewigen Arme“ (Dt 33, 25-27). Er kennt keine Wandelbarkeit noch einen Schatten von Änderung; wenn wir über unsere Kindheit hinauswachsen, nähern wir uns, wenn auch schwach, dem Bild Dessen, der weder Jugend noch Alter kennt, der keine Leidenschaften, keine Hoffnungen, keine Furcht hat, sondern Wahrheit, Reinheit und Barmherzigkeit liebt und hochgepriesen ist, weil Er hochheilig ist.
Schließlich, während wir so an Ihn denken, wollen wir nicht vergessen, Hand ans Werk zu legen. Wir wollen uns davor hüten, uns einem bloßen, unfruchtbaren Glauben und einer Liebe zu überlassen, die träumt, anstatt zu handeln, und verwöhnt ist, wenn sie herb sein sollte. Das ist nur geistige Kindheit in einer anderen Form; denn der Heilige Geist ist der Urheber von tatkräftigen, guten Werken und führt uns zu der Beobachtung von allen demütigen Taten des schlichten Gehorsams, der vor Gott das wohlgefälligste Opfer ist.