Gedanken von Newman über Sünde und Vergebung

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  • Jede Unter­weisung über Pflicht und Ge­horsam, über den Erwerb des Himmels und über das Amt Christi uns gegen­über, ist hohl und ohne Bestand, wenn sie nicht darauf aufgebaut ist, nämlich auf die Lehre von unserer ursprünglichen Verderbtheit und Hilflosigkeit; und folglich von der Erb­schuld und der Erbsünde. Christus Selbst ist zwar das Fundament, aber ein zerknirschtes, demütiges und ein sich selbst verleugnendes Herz ist (sozusagen) der Grund und Boden, auf den das Fundament gelegt werden muß; und es heißt nur auf Sand bauen, wenn man seinen Glau­ben an Christus bekennt, hingegen nicht zuge­steht, daß wir ohne Ihn nichts tun können.
  • P.S.[1] V 134-135 (19.1.1840) D.P.[2] V 160

    • Wenn man dann schließlich die göttlichen Heilmittel gegen die Sünde und die für den sündigen Menschen notwendigen Bußverfahren ihres edlen und ehrfurchtsvollen Charakters entkleidet und wenn man dem ganzen göttlichen Heilsplan so einen verständlichen und gewöhn­lichen Charakter zugeschrieben hat, als wäre es die Behebung irgendeines Unglücksfalles in den Werken der Menschen, wenn man den Glauben seiner Geheimnisse beraubt, die Sakramente ihrer übernatürlichen Kraft, das Priestertum seines ihm eigenen Auftrages, dann muß man sich nicht darüber wundern, daß die Sünde als solche bald nur noch als eine zu entschuldi­gende Nachlässigkeit betrachtet und so das moralisch Schlechte den Namen des Mangels an Vollkommenheit erhält und daß man den Menschen in keine große Gefahr oder Not verstrickt sieht und seine Pflichten nicht für schwer und ver­antwortungsvoll betrachtet. Mit einem Wort: die Religion als solche ist dann auf dem besten Wege, aus dem Bewußtsein der Menschheit gänzlich zu verschwinden, und an ihre Stelle setzt man bloß eine kühle weltliche Ethik, ein entgegen­kommendes Rücksichtnehmen auf die Ansprüche der Gesellschaft, die Pflege freundschaftlicher Beziehungen und eine gespielte Freundlichkeit und Höflichkeit. Dabei nimmt man an, daß darin die gesamte Verpflichtung jenes Wesens bestehe, das in Sünde empfangen wurde, das Kind des Zornes, das erlöst ist durch das kostbare Blut des Sohnes Gottes, wiedergeboren und gestärkt durch den Heiligen Geist in der unsichtbaren Kraft der Sakramente, dazu berufen, durch Selbstverleugnung und Heiligung des inneren Menschen zur ewigen Anschauung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu gelangen. Das ist die Entwicklung und der Ausgang des Unglaubens, obwohl er mit Dingen beginnt, die die Welt als Kleinigkeiten bezeichnet.

    P.S. II 317-318 (14.12.1834)

    • Nochmals: haben wir keinen rechten Begriff weder von unserem Herzen noch von der Sünde, dann fehlt uns auch der rechte Begriff für einen Lenker des sittlichen Lebens, für einen Heiland und Heiligmacher; d. h. bekennen wir unseren Glauben daran, dann gebrauchen wir Worte, ohne einen genauen Sinn damit zu verbinden. Da­her wurzelt alle wahre religiöse Erkenntnis in der Selbsterkenntnis. Es ist vergebens – schlim­mer als vergebens -, es ist eine Täuschung und ein Unheil zu glauben, man verstehe die christ­liche Lehre ohne weiteres rein durch die Be­lehrung aus Büchern, durch Anhören von Predigten oder durch irgendwelche äußeren Mittel, so vor­züglich sie an sich sein mögen. Denn nur in dem Maße, wie wir unsere Herzen erforschen und unsere eigene Natur verstehen, verstehen wir auch, was mit einem unendlichen Lenker und Richter gemeint ist; in dem Maße, wie wir die Natur des Ungehorsams und unsere tatsächliche Sündhaftigkeit erkennen, fühlen wir auch, welch ein Segen die Vergebung der Sünden, die Erlösung, die Verzeihung und die Heiligung sind, welche sonst bloße Worte bleiben. Gott spricht in erster Linie zu uns in unserem Herzen. Selbst­erkenntnis ist der Schlüssel zu den Geboten und den Lehren der Heiligen Schrift. Im besten Fall vermögen irgendwelche äußeren Vorstellungen von Religion uns wachzurütteln und zu bewegen, unseren Blick nach innen zu lenken und unsere Herzen zu erforschen. Erst wenn wir erfahren haben, was es heißt, in unserem Herzen zu lesen, dann werden wir aus den Lehren der Kirche und der Bibel Nutzen ziehen.

    P.S. I 42-43 (12.6.1825) D.P. I 47-48

    • Als nächstes bemerke ich, daß ein zivili­siertes Zeitalter subtilen Sünden mehr ausge­setzt ist als ein ungebildetes Zeitalter. Warum? Aus dem einfachen Grunde, weil es erfinderischer ist in Entschuldigungen und Ausflüchten. Es kann den Irrtum verteidigen und somit die Augen jener blenden, die keine sehr wachen Gewissen haben. Es kann Irrtum einleuchtend, Laster als Tugend erscheinen lassen; es verleiht der Sünde Würde durch schöne Namen; es nennt Habgier rechte Sorge für die eigene Familie oder Fleiß; es be­zeichnet Stolz als Unabhängigkeit; es heißt Ehrgeiz Größe der Gesinnung; Empfindlichkeit nennt es Gewissenhaftigkeit und Ehrgefühl, und-soweiter.

    Catholic Sermons of Cardinal Newman, 72-73 (1848)

    • Ich will nicht sagen, daß Christus nicht als der Schöpfer alles Guten genannt wird. Der Nachdruck aber wird mehr auf den Glauben selbst als auf den Gegenstand des Glaubens gelegt, mehr auf das Tröstende und die Überzeugungskraft der Lehre als auf die Lehre selbst. So wird die Religion dann zu einer Selbstbetrachtung, an­statt zu einem Schauen auf Christus; so besteht sie dann nicht mehr in einer einfachen Hin­wendung zu Christus, sondern in der Vergewisse­rung, daß wir zu Ihm aufblicken, nicht mehr in Seiner Gottheit und Seiner Sühneleistung, sondern im Blick auf unsere Bekehrung und in unserem Glauben an diese Wahrheiten.

    Lecutres on the Doctrine of Justification 324-325 (1838)

    • „Laßt uns auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender unseres Glaubens,“ (Hebr. 12,2).
    • Es ist gewiß unsere Pflicht, immer von uns weg und auf Jesus hinzuschauen. Das heißt aber: vermeiden, unsere eigenen Gefühle und Regungen, die Verfassung und Haltung unseres Geistes zu betrachten – als wäre das die Hauptaufgabe der Religion – … Anstatt von uns weg und auf Jesus hinzuschauen und gering von uns zu denken, erachtet man es gegenwärtig unter der gemischten Schar der reli­giösen Schwärmer für notwendig, das Herz zu prüfen mit der Absicht, sich zu vergewissern, ob es in einem wahren geistlichen Zustand ist oder nicht. Als wahre geistliche Verfassung sehen sie jene an, in der die Häßlichkeit der Sünde wahrgenommen wird, unsere äußerste Wert­losigkeit, die Unmöglichkeit, uns selbst zu retten, die Notwendigkeit eines Erlösers, das Vollgenügen unseres Herrn Jesus Christus, jener Erlöser zu sein, die unbegrenzten Reichtümer Seiner Liebe, die Vorzüglichkeit und Herrlich­keit Seines Sühnewerkes, die Freigebigkeit und Fülle Seiner Gnade, das hohe Vorrecht der Ver­einigung mit Ihm im Gebet und das wünschenswerte Verlangen, mit Ihm zu wandeln in allem heiligen und liebenden Gehorsam.

    P.S. II 163-164 (Januar oder Februar 1835) D.P. II 185-186

    • Welches aber ist unser Leitstern inmitten der bösen und verführerischen Sitten der Welt? Zweifellos: die Bibel. „Die Welt vergehet, aber das Wort unseres Herrn bleibet ewiglich“ (Js 40, 8; 1 Petr 1,24.25; 1 Joh 2,17). Wie ausgedehnt und festgewurzelt aber muß diese geheime Herr­schaft der Sünde über uns sein, wenn wir er­wägen, wie wenig wir die Heilige Schrift lesen! Es ist wahr, unser Gewissen wird verdorben, aber die Worte der Wahrheit bleiben, selbst wenn sie uns aus dem Geist entschwunden sind, in der Heiligen Schrift niedergelegt, leuchtend in ewiger Jugend und Reinheit. Wir jedoch beschäf­tigen uns nicht mit der Heiligen Schrift, um daran unsern Geist wachzurufen und frisch zu erhalten. Fragt euch selbst, meine Brüder, was wißt ihr von der Bibel? Habt ihr auch nur einen Teil daraus und diesen vollständig und mit Sorg­falt gelesen?, z.B. eines von den Evangelien? Wißt ihr von den Worten und Werken unseres Hei­landes viel mehr als das, was man in der Kirche zu hören bekommt? Habt ihr Seine Vorschriften oder die des heiligen Paulus oder eines anderen Apostels zum Vergleich herangezogen mit eurem täglichen Verhalten? Habt ihr darum gebetet und habt ihr euch bemüht, danach zu handeln? Habt ihr es getan, dann ist es in Ordnung; aber fahret fort damit. Habt ihr es aber nicht getan, dann habt ihr offensichtlich keinen vollen Begriff von jener christlichen Vollkommenheit, nach der ihr streben müßt, denn ihr habt euch gar nicht darum bemüht. Es fehlt euch dann das ausreichende Wissen um eure tatsächliche Sündhaftigkeit. Ihr zählt zu jenen, „die nicht an das Licht kommen, damit ihre Werke nicht getadelt werden“ (Joh 3, 20).
    • Diese Hinweise sollen uns dazu helfen, uns tief die Schwierigkeit einzuprägen, zu wahrer Selbst­erkenntnis zu gelangen und der infolgedessen drohenden Gefahr zu begegnen, wir möchten unserer Seele Frieden zusprechen, wo kein Friede ist.

    P.S. I 53-54 (12.6.1825) D.P. I 59-61

    • Das Gewissen hat Rechte, weil es Pflichten hat. Heutzutage ist es jedoch für einen Großteil der Menschen Recht und Freiheit des Gewissens, ohne Gewissen auszukommen, den Gesetzgeber und Richter zu ignorieren und unabhängig von un­sichtbaren Verpflichtungen zu sein. Jedem wird es freigestellt, Religion zu haben oder nicht, diese oder jene Religion anzunehmen, … erhaben zu sein über alle Religionen und zugleich an jeder von ihnen unparteiisch Kritik zu üben.

    Diff.[3] II 250 (27.12.1874)

    • Das erste, das wir dem Gewissen einzuprägen haben, ist dies: man spielt mit scharfen Messern, wenn man, anstatt sich in Mühe und Ausdauer zu vergewissern, worin die Wahrheit besteht, die Sache kritisch oder mit Gleichgültigkeit behan­delt, ohne sich der Verantwortung bewußt zu sein.
    • Schon bei flüchtiger Prüfung kann man erkennen, daß die große Menge der Menschen sich ihre religiösen Ansichten nicht in diesem aufrich­tigen Geist gebildet hat. Ja sie befinden sich nicht einmal in der Geisteshaltung, um bei irgendeinem weltlichen Vorhaben Hoffnung auf Erfolg haben zu können. Wie könnten sie es dann beim Allerschwierigsten, wo es um die religiöse Wahrheit geht?

    L.D.[4] I 170 (12.12.1823)

    • Die Regel und das Maß der Pflicht sind nicht die Nützlichkeit, die Zweckmäßigkeit, auch nicht das Glück möglichst vieler, nicht der Vorteil des Staates, nicht Schicklichkeit, Ord­nung und Schönheit. Das Gewissen ist nicht eine Art von weitblickender Selbstsucht oder ein Verlangen, konsequent zu sein mit sich selbst. Es ist ein Bote von IHM, der in Natur und Gnade wie durch einen Schleier hindurch zu uns spricht und uns durch Seine Stellvertreter lehrt und lenkt. Das Gewissen ist der Stellvertreter Christi in unserem Innern, prophetisch in seinen Unterweisungen, fordernd in seinen Entscheidungen, priesterlich in Segen und Fluch. Auch wenn das ewige Priestertum in der ganzen Kirche aufhören könnte, so würde doch im Gewissen das priesterliche Prinzip erhalten bleiben und weiterherrschen.

    Diff. II 248-249 (27.12.1874)

    • Unser barmherziger Erlöser hat für uns viel mehr getan als uns die Offenbarung der Lehren des Evangeliums geschenkt. Er befähigte uns, sie im Leben zu verwirklichen. … Doch wie sollten wir uns Seine Gnade zu eigen machen … wie die trost­volle., Zuversicht in uns verankern, daß Er uns persönlich liebt, daß Er unsere Herzen wandeln wird, die – wie wir spüren – so irdisch gesinnt sind, und unsere Sünden hinweg waschen wird, die – wie wir bekennen – so mannigfaltig sind, wenn Er uns nicht Sakramente als Gnadenmittel und Unterpfand gegeben hätte, als Schlüssel, die uns die Schatzkammer der Gnade öffnen …?

    P.S. III 290.291 (24.5.1835)

    • Wie zahlreich sind die Seelen in Kummer, Angst oder Einsamkeit, die nur das eine nötig haben, nämlich ein Wesen zu finden, vor dem sie ihre Empfindungen ausschütten können, ohne daß die Welt sie hört. Aussprechen müssen sie diese; sie können es aber nicht gegenüber jenen, die sie stündlich sehen. Sie wollen darüber sprechen und zugleich doch nicht sprechen, und sie möchten sie zum Ausdruck bringen, doch es soll so sein, als wären sie nicht kundgetan worden; sie wünschen, sie jemandem zu erzählen, der stark genug ist, sie zu tragen, doch auch nicht zu stark, so daß er sie verachtete. Sie wollen ihre Empfindungen einem Menschen mit­teilen, der sie beraten und zugleich mit ihnen fühlen kann. Sie verlangen, sich von einer Last zu befreien, Trost zu erlangen, die Gewißheit zu erhalten, daß es einen Menschen gibt, der an sie denkt, und einen, zu dem sie in Gedanken zurückkommen können, zu dem sie von Zeit zu Zeit, wenn es notwendig wäre, Zuflucht nehmen können, während sie auf Erden leben. Wie viele Herzen der Protestanten würden bei der Nach­richt von solch einer Wohltat vor Freude auf­springen, wobei sie alle klaren Vorstellungen von einem sakramentalen Ritus oder von einer Gewährung der Vergebung und von Gnadenvermitt­lung beiseite ließen.

    Prepos.[5], 351-352 (1851)

    • Wenn es einen himm­lischen Gedanken in der katho­lischen Kirche gibt – auch nur als Gedanken betrachtet -dann ist es nach dem Sakrament der hl. Eucha­ristie gewiß die hl. Beichte. … Welch ein alles durchdringender, herzbezwingender Friede, der Freudentränen entlockt, ist wesentlich und beinahe greifbar über die Seele ausgegossen, das Öl der Freude, wie die Hl. Schrift es nennt, wenn der büßende Sünder sich erhebt: er ist mit Gott versöhnt, seine Sünden sind für immer weggewälzt.

    Prepos., 351-352 (1851)


    [1] PS I-VIII, Parochial and Plain Sermons in eight volumes

    [2] DP: Deutsche Predigten, Gesamtausgabe, Bd I-XI, Schwabenverlag Stuttgart 1948-62.

    [3] Diff. I-II, Certain Difficulties, felt by Anglicans in Catholic Teaching.

    [4] L.D.I-XXXII, The Letters and Diaries of John Henry Newman, edited at the Birmingham Oratory by l. Ker and Th. Gornall (Vol I-VI) and Ch. St. Dessain (Vol XI-XXXII), Clarendon Press, Oxford, 1961-2010.

    [5] Lectures on the Present Preposition of Catholics in England