21. Mai 1837 (Dreifaltigkeitssonntag)
»Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht» (Joh 4, 48).
Wir feiern heute das letzte große Fest im Ablauf des Kirchenjahres, das im Advent begann: Das Fest der allzeit gepriesenen Dreifaltigkeit, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, deren Erbarmen in uns „Leben und Unsterblichkeit“ geplant, herbeigeführt und bewirkt hat. Der heutige Festtag trägt an sich die Besonderheit, daß er die Feier eines Geheimnisses ist. Andere Festtage feiern ebenfalls Geheimnisse, aber nicht um der Geheimnisse willen. Die Verkündigung, die Geburt Christi, Sein Tod am Kreuz, Seine Auferstehung, die Herabkunft des Heiligen Geistes, das sind lauter Geheimnisse; aber wir feiern sie nicht darum selbst, sondern wegen der Segnungen, die wir von ihnen empfangen. Heute aber feiern wir keinen Akt, den die göttliche Barmherzigkeit uns gegenüber vollbracht hat, sondern wir vergessen uns, schauen nur auf Ihn und preisen ehrerbietig und ehrfürchtig, jedoch freudig, nicht die Wunder Seiner Werke, sondern die Seiner eigenen Natur. Wir erheben Herz und Augen zu Ihm und reden von dem, was Er in Sich Selbst ist. Wir wagen es, von Seiner ewigen und unendlichen Wesenheit zu sprechen; wir betrachten ein ausgesprochenes Geheimnis, das tiefe, unergründliche Geheimnis der Dreiheit in der Einheit.
Ohne Zweifel geht von diesem tiefen Geheimnis alles aus, was uns zum Heil und Segen dienen soll. Ohne einen allmächtigen Sohn sind wir nicht erlöst, – ohne einen immer-gegenwärtigen Geist sind wir nicht gerechtfertigt noch geheiligt. Doch heute feiern wir das Geheimnis um seiner selbst willen, nicht in seiner Beziehung zu uns.
Heute also sollten wir uns vergessen und unsere Gedanken auf Gott richten. Die Menschen jedoch haben keine Lust, sich selbst zu vergessen; sie wollen nicht sozusagen zu einem Nichts werden und nichts tun als glauben. Sie wollen lieber Argumente und Beweise; sie möchten von einer Wahrheit bis zur vollen Genüge überzeugt sein, ehe sie diese annehmen, auch wenn eine solche Genüge vielleicht unmöglich ist. Das trifft bei unserem heiligen Gegenstand zu. Das erhabene Geheimnis der Dreiheit in der Einheit ist in der Schrift enthalten. Wir wissen das alle, darüber besteht kein Zweifel. Obwohl es nun aber in der Schrift sich findet, folgt doch noch nicht, daß jeder von uns in geeigneter Weise darüber urteilen kann, ob und wo es in der Schrift sich findet. Es kann sein, daß es vollständig darin enthalten ist, und daß wir dennoch aus verschiedenen Gründen unfähig sind, es vollständig zu sehen. Das ist nun aber der große Fehler, dem manche verfallen; weil die Lehre von denen, die zu ihrer Wahrheit stehen, als eine Lehre der Schrift verteidigt wird, meinen sie, eben deshalb zu der Feststellung berechtigt zu sein, sie würden nicht daran glauben, solange sie nicht auch ihnen persönlich aus der Schrift bewiesen werde. Es bedeutet ihnen nichts, daß die große Zahl guter und heiliger Menschen zu allen Zeiten sie festgehalten hat. Sie handeln wie Thomas, der seinen Mitaposteln nicht glauben wollte, daß unser Herr auferstanden sei, bis er die gleichen Beweise habe wie sie, und der da sagte: „Wenn ich nicht selbst sehe und berühre, glaube ich nicht“. Und sie sind wie die Juden, die unser Herr in unserem Predigttext mit den Worten tadelt: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht.“ Sie nennen es einen erleuchteten, vernünftigen Glauben, erst für sich einen Beweis aus der Schrift zu verlangen, ehe man glaubt; und sie meinen, daß jede andere Zustimmung zur Lehre blind und abergläubisch und vor Gott nicht wohlgefällig sei.
Und wenn wir ihnen vielleicht weit entgegenkommen und erklären, daß wir ihnen die Lehre aus der Schrift zur Genüge beweisen wollen, und zwar, um sie zum Glauben und zur Anbetung zu führen, dann kommen sie uns mit solch seichten und leichtfertigen Fragen daher wie den folgenden: – „Wo findet ihr in der Schrift das Wort Dreifaltigkeit?“ „Warum besteht ihr darauf, wenn es in der Schrift nicht vorhanden ist?“ Ferner: „Wo wird der Heilige Geist in der Schrift ausdrücklich und klar als Gott bezeichnet?“ Dann: „Wo spricht die Schrift von der einen Wesenheit, von drei Personen, wie es im Athanasianischen Glaubensbekenntnis steht? Wo sagt die Schrift, daß Sohn und Heiliger Geist ungeschaffen sind? Wo, daß‚ die Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ein und dieselbe ist, die Herrlichkeit dieselbe, die Majestät dieselbe ewiglich?'“ Und so gehen sie unseren ganzen Glauben durch, sie bekritteln ihn, machen Einwände, hecheln ihn durch, wenn sie es auch nicht beabsichtigen; und alles aus dem einen Grund, -weil sie selbst darüber entscheiden wollen, was in der Schrift steht und was nicht; was zum Heil notwendig ist und was nicht; welche Worte wichtig sind und welche nicht; welche Glaubensquellen Gott außer der Schrift gegeben hat und welche nicht.
Zu einem solchen Verhalten habe ich folgendes zu sagen: – jene, die es für unvernünftig halten, ohne einen Beweis zu glauben, sind in dieser Haltung gewiß selbst unvernünftig. Welche Berechtigung gibt ihnen der Verstand, welches Recht haben sie zu der Äußerung, sie hätten keine Lust, dem Credo zu glauben, wenn ihnen nicht nachgewiesen würde, daß es in der Schrift stehe? Sie geben vor, nach der Vernunft zu handeln. Gut also, ich frage sie: Entspricht es der Vernunft zu behaupten, daß sie an das Credo nicht glauben wollen ohne jene Beweisgründe, die sich zu ihrer vollen Genüge aus der Schrift ableiten lassen? Ich glaube nicht; ich glaube das Gegenteil beweisen zu können. Ich meine, ein paar Worte werden klar machen, daß sie unvernünftig und nicht folgerichtig vorgehen, wenn sie den Glauben solange verweigern, bis sie den Schriftbeweis sehen.
1. In erster Linie möchte ich fragen, ob wir auch in Dingen dieses Lebens erst nach Gründen und Beweisen suchen, bevor wir handeln? Wir sind z. B. verpflichtet, den Gesetzen zu gehorchen; wir wissen, daß wir in große Schwierigkeit geraten, wenn wir es nicht tun; daß Verlust von Hab und Gut oder Einkerkerung die Folgen sind, wenn wir sie verletzen; daher ist es von großer Wichtigkeit, daß wir ihnen gehorchen; wir wissen jedoch, daß diese Gesetze nicht immer dem gesunden Menschenverstand einleuchten, so daß einer sie dann und wann, wenn er nach seinen eigenen Vorstellungen von Recht und Unrecht handelt, trotz bester Absicht verletzen mag. Daher findet man immer wieder Leute, die unter gewissen Umständen beunruhigt sind, sie möchten unbewußt das Gesetz verletzen; und was tun sie in diesem Fall? Sie befragen einen im Gesetz Bewanderten, der das Gesetz zu seinem Studium und Beruf gemacht hat. Niemals aber kommt es einem, der in dieser Lage ist, in den Sinn, Gesetzbücher zu kaufen und die Wahrheit irgendeiner wichtigen Sache selbst herauszufinden, obwohl sie wirklich in den Gesetzbüchern enthalten ist. Nein; weder in gewöhnlichen noch in außergewöhnlichen Dingen verläßt er sich auf sein eigenes Urteil, wie das Gesetz laute. In gewöhnlichen Dingen glaubt er sicherzugehen, wenn er sich an die allgemeine Ansicht der Menschen hält; in außerordentlichen befragt er Rechtsgelehrte; – er spürt zu lebhaft, wieviel auf dem Spiel steht, wenn er auf sich selbst vertraut. Nicht als zweifelte er auch nur einen Augenblick daran, daß die Landesgesetze aufgeschrieben sind, in den Gesetzbüchern sich finden und daraus abzuleiten sind; aber er mißtraut sich selbst. Er mißtraut nicht den Gesetzbüchern, sondern seiner persönlichen Fähigkeit. Die Gefahr ist zu groß – zu viel steht auf dem Spiel, – sein Vermögen, sein Ruf, seine Person stehen auf dem Spiel. Er kann es sich in einem solchen Fall nicht leisten, seiner Vorliebe für Beweisgründe, Erörterungen und Kritik freien Lauf zu lassen. Nein; diese Vorliebe für Beweisgründe kann nur dort ihren freien Lauf haben, wo wir keine Befürchtungen hegen. Sie ist religiösen Fragen vorbehalten. Solche Fragen unterscheiden sich von allen anderen praktischen Fragen dadurch, daß sie zu denen gehören, über die zu spekulieren die Welt sich frei fühlt, weil sie keine Angst hat. Sie hat keine Befürchtungen, wo es um die religiöse Lehre geht, kein feines Empfinden; sie spürt nicht, obwohl sie es bekennen mag, daß ihre ewigen Interessen auf dem Spiel stehen. Sie stellt ihr Urteil zurück; denn was liegt der Welt daran, ob sie in Dingen der Religion einen Entschluß faßt oder nicht? Sie kann sich das Wort erlauben, „ich will nicht glauben, bis ich in der Schrift den Beweis für den Glauben finde“, anderseits aber sagt sie nicht: „ich will den Rechtsgelehrten nicht glauben, bis ich das Gesetz verstehe“, sieht sie doch klar und empfindet sie doch tief, daß das Landesgesetz eine wirkliche Macht ist und es ein wirkliches Unglück bedeutet, mit ihm zusammenzustoßen. Umgekehrt aber fühlt und sieht sie nicht, daß „das Wort Gottes lebendig und wirksam ist und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringt, bis es Seele und Geist, Gelenk und Mark voneinander scheidet, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens ist“ [Hebr 4, 12]. Die Menschen begreifen gut, daß sie unter dem menschlichen Gesetz, weil sie darüber selbst nicht urteilen können, mit Sicherheit leiden, und zwar darum, daß sie ja, wenn sie nur gewollt hätten, andere zuständige Leute hätten um deren Urteil angehen können; jedoch davon lassen sie sich nicht überzeugen, daß sie im Jenseits sich darüber zu verantworten haben, daß ihnen die Wahrheit verkündet worden ist, wie und von welcher Seite sie auch immer verkündet wurde, – in der Kirche oder von Lehrern oder durch religiöse Bücher. Sie handeln, als käme es nicht darauf an, was sie wissen, außer sie hätten dieses Wissen auf eine besondere Weise erlangt, nämlich durch die Schrift.
Dieser Vergleich trifft nun sicher im strengsten Sinn zu, es sei denn, die eine oder die andere der beiden Alternativen könnte bewiesen werden, nämlich daß wir Grund hätten zur Annahme, erstens, daß es nicht darauf ankomme, was wir glauben; oder, zweitens, daß für den einzelnen der Glaube nur dann Gott wohlgefällig sei, wenn er seiner eigenen persönlichen Beweisführung aus der Schrift entspringe. Man möge also für jede dieser beiden Einstellungen Gründe vorbringen, – nämlich, daß korrekter Glaube unwichtig sei oder daß der persönliche Glaube auf Argument und Beweis aufgebaut sein müsse. Einstweilen aber ist die allgemeine Ansicht unserer ganzen Umgebung, und das von Anfang an – ich meine, der Glaube unserer Lehrer, Freunde, Vorgesetzten und aller Christen zu allen Zeiten und an allen Orten – ist also der Glaube, daß die Lehre von der heiligen Dreifaltigkeit zum Heil notwendig ist, ein durchaus hinreichender Grund, daß auch wir ihn annehmen, auch wenn wir ihn nicht in allen seinen Teilen aus der Schrift beweisen können. Dieser allgemeine Glaube also von seiten anderer, behaupte ich, ist ein ebenso guter Grund, ihn ohne Zögern anzunehmen, wie der allgemeine Glaube von der Bedeutung des Gesetzes und von der Rechtsauffassung erfahrener Rechtsgelehrter ein Grund ist, ihrer Ansicht zu folgen, auch wenn wir diese ihre Ansicht nicht aus Rechtsbüchern beweisen können, und dieses alles in Anbetracht der schrecklichen Folgen, die aus einer Nichtannahme des Glaubens entstehen können.
2. Man mag hier freilich entgegnen, daß die beiden Fälle verschieden gelagert seien, insofern nämlich, als die althergebrachten Vorstellungen über das Landesgesetz unserem Glauben nichts Unwahrscheinliches oder schwer Annehmbares auferlegten, während hingegen die katholische Lehre von der Dreifaltigkeit geheimnisvoll und unwahrscheinlich sei; es sei daher nicht vernünftig, sich nach anderen zu richten, was diese Lehre angehe, während es vernünftig sei, sich nach dem zu richten, was andere in Gesetzesangelegenheiten sagen.
Ganz im Gegenteil; ich bin der Ansicht, daß dieses Geheimnisvolle, wenn es überhaupt etwas bestätigt, eine Empfehlung für die Lehre ist. Ich behaupte damit nicht, daß sie wahr ist, weil sie geheimnisvoll ist; sondern daß sie, wenn sie wahr ist, notwendigerweise geheimnisvoll ist. Es wäre sogar wirklich überraschend, wie öfters hervorgehoben worden ist, wenn irgendeine Lehre über Gottes unendliche und ewige Natur nicht geheimnisvoll wäre. Daß die heilige Lehre der Dreiheit in der Einheit also geheimnisvoll ist, bildet keinen Einwand gegen sie, sondern steht eher für sie. Der einzige Einwand, der allenfalls noch vorgebracht werden kann, ist der: Warum denn sollte aber in diesem Fall die Lehre geoffenbart werden? Warum sollte uns überhaupt etwas über Gottes anbetungswürdige Natur mitgeteilt werden, wenn Er unbegreiflich ist und die Lehre über Ihn geheimnisvoll sein muß? Wahr – so können wir fragen; ist es jedoch pietätvoll und ehrfürchtig, so zu fragen? Wie können wir darüber urteilen, was Er in einem solchen Fall tun will? Wie können wir Erdenwürmer und Eintagsgeschöpfe uns anmaßen, zu bestimmen, was Er für recht halten solle uns mitzuteilen, was zu wissen für uns am besten sei, wo Er Sich herabläßt, Sich uns zu offenbaren? Ist es nicht schon genug für uns, daß Er überhaupt zu uns spricht? Und können wir nicht damit einverstanden sein, wenn ich mich so ausdrücken darf, es Ihm zu überlassen, in Seiner Weise zu uns zu reden? Ob Er uns also etwas über Seine eigene Natur offenbaren will oder nicht, das kann unsere Vernunft nicht festlegen; aber darauf kann sie sich festlegen, daß es geheimnisvoll sein wird, wenn Er es tut. Es ist also kein Einwand, ich wiederhole es, gegen die Lehre, daß die geheimnisvoll ist; und daß sie geheimnisvoll ist, stellt keinen Grund dar, warum wir sie nicht annehmen sollten auf den allgemeinen Glauben anderer hin. Es ist nicht unwahrscheinlicher, daß diese Lehre das sein sollte, was sie ist, als daß das Landesgesetz sein sollte, was es ist; und wenn wir dem Zeugnis anderer über das Gesetz glauben, ohne das Gesetz studiert zu haben, so können wir gut die Lehre von der Dreifaltigkeit annehmen auf das Zeugnis unserer Freunde und Vorgesetzten, unserer Kirche, aller Guten, der Gelehrten und der Menschen im allgemeinen hin, wenn auch wir nicht genügend Gelehrsamkeit, Geschicklichkeit oder Muße haben, um sie selbst aus der Schrift abzuleiten. Es hat nichts Überraschenderes an sich, daß in Dingen der kommenden Welt das Zeugnis anderer uns Führer sein soll, als daß es uns Führer ist in dieser.
Das ist die erste Antwort, die ich auf diesen Einwand geben möchte; aber ich will eine weitere hinzufügen, die die Sachlage ausführlicher darlegt.
Ich nehme nun an, es gibt niemanden, der nicht schon von einem sogenannten Atheisten gehört hätte, und niemanden, der nicht beim Anblick eines solchen entsetzt wäre, eines Menschen also, der leugnet, daß es überhaupt einen Gott gibt. Wir wären entsetzt, nicht aus irgendeinem unchristlichen Gefühl gegen den Unglücklichen, der seinen Schöpfer und Heiland lästert, aber, ohne besondere Gedanken gegen ihn zu hegen, würden wir spüren, daß der Satan allein der Urheber einer solchen Gottlosigkeit sein konnte, und wir wären überzeugt, eine ganz besondere Offenbarung Satans unmittelbar vor uns zu haben. Wir wären entsetzt bei dem Gedanken, wie überaus tief die menschliche Natur fallen kann, wenn sie auf diese Weise den Versuchungen Satans nachgibt. Das wäre unser Empfinden und es wäre auch sicher ganz gerechtfertigt; doch der betreffende unglückliche Mensch könnte, in ebenso großer Unkenntnis über sein Elend, wie es jene Leute über das ihrige sind, die die Lehre von der Dreifaltigkeit leugnen (denn das ist die Eigentümlichkeit der satanischen Täuschungen, daß die von ihnen erfaßten Menschen darin keine Täuschungen vermuten), ich meine, dieser Mensch könnte in völliger Unkenntnis darüber, was für ein beklagenswerter Gegenstand er für alle Gläubigen ist, es unternehmen, aus Gründen der Selbstverteidigung zu argumentieren und zu disputieren, und sein Argument könnte etwa folgendes sein:
„Ihr sagt mir, ich müsse an einen Gott glauben, aber ich verlange, daß mir diese Lehre zur vollen Genüge bewiesen werde, ehe ich sie glaube. Es ist sehr unvernünftig von euch, mit mir auf irgendeine andere Weise zu verfahren. Ja, ihr habt in eurem eigenen Fall gegen die Vernunft gehandelt, dadurch daß ihr glaubt. Denn wer von euch hat je sich daran gemacht, nachzuweisen, daß es einen Gott gibt? Wer von euch hat es nicht geglaubt, ohne es überprüft zu haben? Ihr glaubt es, weil man es euch gelehrt hat. Aber beweist mir die Wahrheit dieser Lehre aus der Welt, die wir sehen und berühren, aus dem Lauf der Natur und der Menschheitsgeschichte, und dann will ich sie glauben.“
Ist es nun nicht überaus erfreulich, daß es nicht die übliche Art der Menschen ist, in dieser Weise zu reden? Fürwahr, wenn das so wäre, dann würde unser ganzes Leben darüber hingehen, Beweise beizubringen; unser ganzes Dasein wäre ein einziges fortgesetztes Disputieren; wir hätten keine Zeit zum Handeln; wir kämen gar nie zum Handeln. Manche Dinge, ja die größten, müssen als selbstverständlich hingenommen werden, es sei denn, wir hätten uns entschlossen, unser Leben mit Nichtstun zu vergeuden. Aber kehren wir zu unserem besonderen Fall zurück: sollten wir uns für schwach und töricht ansehen, weil wir keinen Beweis dafür suchen, daß es einen Gott gibt, ehe wir an Gott glauben, oder nicht eher den betreffenden Ungläubigen für arm, weil er dessen bedarf? Doch wenn er darauf bestünde und einen scharfen, findigen Verstand hätte, ist es nicht klar, daß bei aller Vielfalt der Beweise für Gottes Dasein, für Seine Vorsehung, Macht, Weisheit und Liebe auf dem Antlitz der Natur und im Menschenleben, es dennoch keineswegs leicht wäre, es ihm zu beweisen, nicht bloß zu seiner Zufriedenheit, sondern zu unserer Zufriedenheit? So klar wir auch die Gewißheit fühlten, wir wären nicht in der Lage, den Beweis so zu führen, daß er an unsere Vorstellungen von dem herankäme, was ein Beweis sein müßte, und wir müßten über unseren Versuch enttäuscht sein.
Trotzdem wollen wir sehen, wie dieser Mann argumentieren würde – (eigentlich möchte ich es am liebsten gar nicht sagen, was er vorbringen würde, um nicht in einer für diesen heiligen Ort ungebührlichen Weise zu sprechen; und doch mag es nutzbringend sein, auf das eine oder andere hinzuweisen, um zu zeigen, wieviel wir konsequenterweise zugeben müssen, wenn wir einräumen, daß keiner etwas zu glauben braucht, wofür kein klarer und zutreffender Beweis erbracht werden kann), – er wird nun so sagen:
„Ihr sagt mir, es gäbe nur einen Gott, und ihr heißt mich in der Welt umschauen, dann würde ich die Beweise dafür sehen. Ich schaue mich um und ich sehe Gutes und Böses. Ich sehe also den Beweis für zwei Götter, einen guten Gott und einen anderen, den bösen. Ich sehe zwei Prinzipien, die im Kampf miteinander liegen“. Diese fürchterliche Lehre ist einst von denen festgehalten worden, die entschlossen waren, alles für sich zu beweisen, ehe sie glaubten; und ist es schon eine Frage des Beweisens und Disputierens, so kann doch, obzwar es gotteslästerlich ist, viel Plausibles zu ihren Gunsten gesagt werden. Denn das Böse hat gewiß ein Reich für sich in der Welt; es hat hier offenbar einen Platz, ja, es geht nach System vor. Auch die Schrift nennt Satan den Gott dieser Welt; nicht als meinte sie, daß er wirklich ihr Gott sei (Gott bewahre!), aber daß er sich die Macht über sie angemaßt habe und ihr Gott zu sein scheine. Soll also jeder seinen Glauben für sich selbst beweisen, ehe er glaubt, dann muß er nicht nur die Lehre von der heiligen Dreifaltigkeit aus der Schrift selbst nachweisen, sondern muß zuerst aus dem Antlitz der Welt die Lehre von der Einheit Gottes beweisen; und wie er im ersten Fall, außer er ist eigens dazu befähigt, in großer Gefahr schweben wird, sich zu verwirren und zu leugnen, daß in Gott drei Personen sind, so wird er im zweiten Fall große Gefahr laufen zu leugnen, daß Gott Einer ist. Und es besteht der Verdacht, daß die Menschen nur darum nicht gegen die Lehre von der Einheit sprechen, weil sie gegen die Lehre von der heiligen Dreifaltigkeit sprechen können; sie wollen über das eine oder andere zweifeln und nörgeln; und stünde nicht die geoffenbarte Religion vor ihrem Blick, dann würden sie gegen die natürliche Religion reden, wie sie es zu anderen Zeiten und an anderen Orten bereits getan haben.
Der betrogene Mensch, den ich hier vor Augen habe, wird ferner seine schlimmen Argumente folgendermaßen fortsetzen: „Ihr sagt mir, daß Gott allmächtig ist; ihr könnt nun beweisen, daß Er mächtig ist, aber wie könnt ihr das beweisen, daß er allmächtig ist? Ihr könnt nicht mehr beweisen, als ihr seht, und ihr müßtet allsehend sein, um zu beurteilen, daß er allmächtig ist.“ Weiter: „Ihr sagt, daß Gott unendlich ist; alles aber, was ihr über diese Frage wissen könnt, ist, daß die Intelligenz, die die Welt schuf, eure Fassungskraft übersteigt; aber ihr könnt nicht wissen und ihr könnt nicht beweisen, um wieviel und ob unendlich.“ Dann: „Ihr heißt mich glauben, daß Gott keinen Anfang hat; das ist unbegreiflich; ich weiß nicht, was ihr meint; ich kann den Sinn eurer Worte nicht fassen. Es ist genau so leicht, an die Lehre von der Dreiheit in der Einheit zu glauben wie, daß Gott keinen Anfang hat. Ja, dafür gibt es noch weniger einen Beweis wie für die Lehre von der Dreifaltigkeit; denn für diese Lehre gibt es mindestens einen Beweis in der Schrift, aber welchen Beweis könnt ihr wohl je aus dem Antlitz der Welt dafür erbringen, daß Gott von Ewigkeit ist?“
Ich sehe nun nicht, wie man einem solchen Gegner eine befriedigende Antwort geben kann, wenn er hartnäckig ist. Ihr findet zwar Bücher, die geschrieben sind, um uns (wie sie vorgeben) das Dasein eines allmächtigen, unendlichen und ewigen Gottes aus den sichtbaren Dingen der natürlichen Welt zu beweisen, aber sie beweisen es nicht im strengen Sinn; sie empfehlen, machen wahrscheinlich und bestätigen lediglich die Lehre denen, die bereits glauben. Sie kommen nicht heran an eine vollständige Beweisführung. Sie müssen viele der wichtigsten Punkte in der Lehre übergehen oder als selbstverständlich annehmen. Sie sind zweifellos nützlich für Christen, wenn sie darauf ausgehen, ihre Frömmigkeit zu beleben, ihren Glauben zu stärken, ihre Dankbarkeit zu wecken und ihren Geist zu weiten; aber sie haben eine geringe oder gar keine Beweiskraft für Ungläubige. Bei all dem Gesagten möchte ich jedoch nicht so verstanden werden, als prägte der Lauf der Welt uns nicht in richtiger Weise die Lehre von dem einen wahren, unendlichen und allmächtigen Gott ein; – er tut es, der Beweis ist jedoch zu tiefgehend, zu scharfsinnig, verwickelt und unvermittelt, zu fein und zu geistig, als daß man ihn zerlegen und in ein formelles Argument bringen könnte, das der Fassungskraft der Menge angepaßt ist. Dasselbe behaupte ich von dem Beweis der Dreifaltigkeitslehre aus der Schrift. Ein demütiger, gelehriger, einfacher und gläubiger Geist wird die Lehre aus der Schrift in sich aufnehmen, ohne zu wissen wie, ähnlich wie wir die Luft einatmen, ohne sie zu sehen. Wenn jemand eigentliche Gründe für seinen Glauben in einer bestimmten Form vorgelegt wissen will, aber wenig Zeit zum Nachdenken und Studieren hat und geringe Kenntnis und Geistesbildung, dann, meine ich, kann er kaum etwas Besseres tun, als an Stelle einer Beweisführung sich wieder auf seine innere Erfahrung zurückzuziehen, auf den Glauben seiner ganzen Umgebung und auf das Zeugnis aller Zeiten.
Wir wollen also von diesem Festtag lernen, im Glauben zu wandeln; d. h. nicht argwöhnisch oder kühl nach strengen Beweisen zu fragen, sondern großmütig dem zu folgen, was hinreichende Gewißheit in sich besitzt, auch wenn es eine umfassendere oder systematische Gewißheit haben könnte. In diesem Sinn glauben wir alle, daß es einen Gott gibt. Ein Ungläubiger könnte in seiner Spitzfindigkeit einen jeden von uns schnell verwirren. Natürlich könnte er es. Unser eigentlicher Stand und Kriegsdienst ist der des Glaubens. Nehmen wir die Dinge der kommenden Welt zum Ziel, strecken wir uns nach ihnen aus und ergreifen wir sie sozusagen! Es ist eine Stimme in uns, die uns versichert, daß es etwas Höheres gibt als die Erde. Wir können nicht analysieren, bestimmen und unter die Lupe nehmen, was das ist, was uns solches zuflüstert. Es hat keine Gestalt oder körperhafte Form. Es gibt in unserem Herzen jenes Etwas, das uns zur Religion antreibt und die Sünde verurteilt und geißelt. Diese Sehnsucht unserer Natur findet ihr Ziel, ihre Stütze und ihren Ruhepunkt darin, daß sie von dem Dasein eines allmächtigen, allgütigen Schöpfers hört. Sie bewegt uns zu einem edlen Glauben an das, was wir nicht sehen können.
Einen solchen Glauben wollen wir auch den Geheimnissen der Offenbarung entgegenbringen. Hierin liegt der wahre Nutzen der Schrift, daß sie uns zur Wahrheit führt. Wenn wir sie demütig lesen und gelehrig suchen, werden wir finden; wir werden den tiefen Eindruck im Innern davontragen, daß die Lehren des Glaubensbekenntnisses sich dort finden, wenn wir auch nicht imstande sein mögen, mit dem Finger auf besondere Stellen hinzuweisen und zu sagen, wieviel davon hier und wieviel dort enthalten ist. Anderseits jedoch, würden wir sie lesen, um diese Lehren kritisch und logisch zu beweisen, dann würden alle ihre Spuren aus der Schrift verschwinden, als wären sie nicht da. Sie würden unmerklich verblassen wie die Farben beim Untergang der Sonne, und wir blieben im Dunkel. Wir würden zu dem Schluß kommen, sie seien nicht in der Schrift, und würden uns vielleicht erkühnen, sie unbiblisch zu nennen. Religiöse Überzeugungen können nicht erzwungen werden, noch gehört uns die göttliche Wahrheit so, daß wir sie nach Belieben aufrufen können. Wenn wir aus persönlichem Entschluß sie ausfindig machen wollen, werden wir nichts finden. Glaube und Demut sind die einzigen Mächte, die das Bild der himmlischen Dinge in die inspirierten Buchstaben bannen; und Glaube und Demut bestehen nicht darin, daß man sich um den Beweis umtut, sondern daß man von vornherein auf das Zeugnis anderer vertraut. Und auf diese Weise werden wir später rückblickend erkennen, daß wir geprüft haben, was wir nicht zu prüfen beabsichtigt hatten. Uns ist keine Willkür über unsere Verstandeskräfte gegeben, noch können wir sie nach Belieben oder in jedem Augenblick betätigen. Mit anderen geistigen Fähigkeiten verhält es sich ebenso. Wer kann seinem Gedächtnis befehlen? Je mehr man versucht, das Vergessene zurückzurufen, desto geringer ist die Aussicht auf Erfolg. Laßt das Nachdenken, und vielleicht kehrt die Erinnerung zurück. Und ähnlich: je mehr ihr euch daran begebt, zu folgern und zu beweisen, um die Wahrheit zu entdecken, um so weniger ist es wahrscheinlich, daß eure Überlegung korrekt und eure Schlußfolgerung von Wert ist. Ihr werdet euch in Sophismen verstricken und haltet sie für glänzende Entdeckungen. Seid überzeugt, höchstes Denken ist nicht das Denken nach System oder nach logischen Spielregeln, sondern das natürliche Denken; nicht das mit der förmlichen Absicht, Beweise abzuleiten, sondern das Vertrauen auf den Segen Gottes, daß ihr die richtige Eingebung vom Gelesenen erlangen möget. Wenn eure Verstandeskräfte schwach sind, wird die Anwendung logischer Formen sie nicht stärker machen. Sie wird euch befähigen, scharfsinnig zu disputieren und Einwände zu widerlegen, aber nicht die Wahrheit zu entdecken. Es liegt nichts Schöpferisches, nichts Fortschrittliches in der Aufstellung von Beweisen. Das Äußerste, was sie vollbringen, ist, daß sie uns in die Lage versetzen, gut darzulegen, was wir bereits bei ruhigem Gebrauch unserer Vernunft entdeckt haben. Glaube und Gehorsam sind die Hauptsache; glaubt und handelt und bittet Gott um Licht, und ohne es zu wissen, werdet ihr vernünftig urteilen.
Wir wollen also nicht nach Zeichen und Wundern suchen; nicht nach klaren oder durchschlagenden oder festgefügten oder originellen Beweisen; sondern wir wollen glauben; der Vernunftbeweis wird als Lohn dem Glauben folgen, und das ist besser, als wenn er ihm als seine Grundlage vorausginge. Der Glaube steigt nach oben; er lauscht auf himmlische Töne, auf die leisen Stimmen oder das Echo, die kaum die Erde erreichen, und er hält sie für wertvoller als alle die geräuschvollen Klänge der Städte oder der menschlichen Schulen. Er ist Torheit in den Augen der Welt; aber die Torheit Gottes ist weiser als die Weisheit der Welt. Wir wollen das heilige Geheimnis der Dreiheit in der Einheit umfassen, das, wie das Glaubensbekenntnis uns sagt, das Fundament der katholischen Religion ist. Geben wir uns damit zufrieden, sehen wir darin ein Vorrecht, viel zu groß für uns Sünder, für ein gefallenes Volk in einer verderbten Zeit, daß wir den einst den Heiligen überlieferten Glauben erben dürfen; nehmen wir ihn dankbar an; bewahren wir ihn sorgsam; geben wir ihn treu an jene weiter, die nach uns kommen.
„Faith without Demonstration“, Dt. Übersetzung in: Deutsche Predigten, Bd. VI, 352-369.