5. Predigt (Fest des heiligen Apostels Johannes)
„Geliebte, lasset uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott“ (1 Jo 4, 7).
Der Heilige Apostel und Evangelist Johannes ist uns ganz besonders vertraut und bekannt als „der Jünger, den Jesus liebte“ (Jo 19, 26). Er war einer der drei oder vier, die unseren gebenedeiten Herrn ständig begleiteten. Er durfte sich des innigsten Umgangs mit Ihm erfreuen. Mehr noch bevorzugt als Petrus, Jakobus und Andreas, war er Sein Busenfreund, wie wir gewöhnlich uns ausdrücken. Beim feierlichen Abendmahl vor Christi Leiden hatte er Ihm zunächst seinen Platz inne und lehnte an Seiner Brust. Wie die anderen drei zwischen der Menge und Christus vermittelten, so spielte der heilige Johannes die Vermittlerrolle zwischen Christus und ihnen. Bei jenem letzten Abendmahl wagte es Petrus nicht, selbst an Jesus eine Frage zu stellen, sondern er veranlaßte Johannes zu der Frage, – wer Ihn verraten würde. So war der heilige Johannes der persönliche und vertraute Freund Christi. Ferner war es der heilige Johannes, dem unser Herr Seine Mutter anvertraute, als Er am Kreuze starb. Der heilige Johannes war es auch, dem Er nach Seinem Weggang in Gesichten das Schicksal Seiner Kirche offenbarte.
Viel könnte man über diesen auffallenden Umstand sagen. Ich sage auffallend, da sich beim Sohn des Allerhöchsten Gottes nicht eine Bevorzugung des einen vor dem andern in der Liebe denken läßt; noch daß Er, wenn es doch so wäre, als der Allheilige statt eines einzigen Freundes nicht alle Menschen je nach dem Grade ihrer Heiligkeit mehr oder weniger geliebt hätte. Dennoch finden wir, daß unser Heiland einen persönlichen Freund hatte. Das zeigt uns: erstens, wie sehr Er durch und durch Mensch war in Seinem Wünschen und Fühlen, genauso wie jeder von uns; zweitens, daß es nicht im Gegensatz zum Geist des Evangeliums steht, nicht unvereinbar mit der Fülle christlicher Liebe ist, wenn wir unsere Zuneigung in besonderer Weise auf bestimmte Menschen richten, auf solche nämlich, die uns die Umstände unseres bisherigen Lebens oder besondere Charaktervorzüge ihrerseits liebwert gemacht haben.
Es hat von jeher Menschen gegeben, die annahmen, christliche Liebe verströme sich in so reichem Maße, daß sie keine Eindämmung auf einzelne Menschen zulasse. Danach sollten wir alle Menschen gleich lieben. Viele nämlich sind, ohne eine Theorie darüber aufzustellen, doch praktisch der Ansicht, daß die Liebe zu vielen höher steht als die Liebe zu einem oder zu zweien. Sie achten die Liebestätigkeit des persönlichen Lebens gering und tragen sich geschäftig mit Plänen einer ausgedehnten Wohltätigkeit oder Verwirklichung einer allgemeinen Vereinigung und Versöhnung unter den Christen. Ich will nun im Gegensatz zu solchen Ansichten über christliche Liebe und mit dem Beispiel unseres Erlösers vor Augen die Behauptung aufstellen, daß die Pflege einer innigen Freundschaft und Zuneigung zu unserer unmittelbaren Umgebung die beste Vorbereitung darstellt für die rechte und weise Liebe zur Gesamtwelt.
Es war der Plan der göttlichen Vorsehung, alles, was in Religion und Sittlichkeit gut und wahr ist, auf unser gutes natürliches Empfinden als das Fundament zu gründen. Wie wir uns in den natürlichen Neigungen und Wünschen unserer Kindheit gegen unsere irdischen Freunde verhalten, so sollten wir schließlich als verantwortliche Wesen auf dem erweiterten Feld unserer Pflichten gegen Gott und die Menschen werden. Unsere Eltern zu ehren, ist der erste Schritt, um Gott zu ehren; die Liebe zu unseren leiblichen Geschwistern ist der erste Schritt, alle Menschen als unsere Brüder und Schwestern zu betrachten. Daher sagt unser Herr, wir müssen wie Kinder werden, wenn wir das Heil erlangen wollen; wir müssen in Seiner Kirche als Erwachsene das werden, was wir einst in dem kleinen Kreis unserer Jugendheimat waren. – Bedenket, wie viele andere Tugenden den natürlichen Empfindungen eingepflanzt sind. Was ist christliche Hochherzigkeit, großmütige Selbstverleugnung, Verachtung des Reichtums, Ausdauer in Leiden und ernstes Ringen um Vollkommenheit anderes als eine Ausgestaltung und Umbildung jener natürlichen sogenannten „ritterlichen“ Geistesanlage unter dem Einfluß des Heiligen Geistes? Was ist anderseits der instinktive Haß und Ekel gegenüber der Sünde (wie gefestigte Christen ihn besitzen), ihre Unzufriedenheit mit sich selbst, ihr feines Benehmen in allem, ihre Einsicht und Vorsieht anderes als eine Vervollkommnung ihrer natürlichen Empfindsamkeit und Feinheit, ihrer Leidensscheu und ihres Schamgefühls unter dem Einfluß des gleichen Geistes? Sie haben sich durch geeignete Schulung die Selbstbeherrschung anerzogen und verbinden nun ein scharfes Empfinden von Mißbehagen und Verdruß mit dem Begriff der Sünde. So ist die Liebe zu unseren Mitchristen und zur übrigen Welt nur die Liebe zu den Verwandten und Freunden in neuer Gestalt; sie hat diesen Vorteil, auch wenn sie keinen anderen hätte, daß sie der natürliche Zweig ist, auf den eine geistige Frucht aufgepfropft wird.
Weiter aber ist die Liebe zu unseren persönlichen Freunden die einzige vorbereitende Schulung für die Liebe zu allen Menschen. Die Liebe zu Gott ist nicht dasselbe wie die Liebe zu unseren Eltern, obwohl sie ihr parallel läuft. Die Liebe aber zum ganzen Menschengeschlecht sollte im wesentlichen dieselbe Haltung wie die Liebe zu unseren Freunden sein, nur daß die Objekte, denen sie sich zuwendet, andere sind. Die große Schwierigkeit in der Erfüllung unserer religiösen Pflichten liegt in ihrem Ausmaß. Diese Tatsache schreckt und verwirrt die Menschen, ganz natürlich; besonders aber jene, die die Religion eine Zeitlang vernachlässigt haben und denen sich ihre Verpflichtungen auf einmal enthüllen. Es ist z. B. ein großes Unglück, die Buße hinauszuschieben, bis einer schwach oder krank ist; er weiß sich dann nicht mehr zu helfen. Nun hat Gottes barmherzige Vorsehung bereits im natürlichen Lauf der Dinge dieses weite Feld der Pflicht eingeengt. Er hat uns den Schlüssel dazu gegeben. Wir sollen beginnen mit der Liebe zu unseren nächsten Freunden, dann den Bereich unserer Liebe nach und nach ausweiten, bis er alle Christen erreicht und hierauf alle Menschen. Außerdem ist es offensichtlich ein Ding der Unmöglichkeit, alle Menschen im strengen und echten Sinn zu lieben. Unter Liebe zu allen Menschen versteht man ein Gefühl wohlwollender Gesinnung zu allen, eine Bereitschaft, ihnen zu helfen und eine Verhaltungsweise gegen alle, die unseren Weg kreuzen, als liebten wir sie. Wir können ja nicht jene Menschen lieben, von denen wir nichts wissen; ausgenommen natürlich, wir betrachten sie in Christus als den Gegenstand Seiner Erlösung, d. h. aber eher im Glauben als in der Liebe. Liebe ist außerdem eine Tugend und kann nicht erreicht werden ohne praktische Ausübung, die aber in einem so weiten Ausmaße unmöglich ist. Wir sehen daher, welch eine Torheit es ist, wenn Schriftsteller (namentlich einige, die das Evangelium geringschätzen) in großsprecherischer Art ihre allumfassende Liebe zum ganzen Menschengeschlecht anpreisen und sich als Freunde der gesamten Menschheit und dergleichen ausgeben. Wo laufen solch prahlende Bekenntnisse hinaus? Daß solche Menschen gewisse wohlwollende Gefühle gegen die Welt hegen – Gefühle und nichts mehr; – nichts mehr als unbeständige Gefühle, die bloße Ausgeburt einer ungezügelten Einbildung, die nur vorhanden sind, wenn das Gemüt beeindruckt ist, in der Stunde der Not aber sicher ausbleiben. Das heißt nicht, die Menschen lieben, sondern nur in Worten sich über Liebe ergehen. Die wirkliche Menschenliebe muß aus der praktischen Übung erwachsen und muß daher mit dem Werke an unseren nächsten Freunden beginnen, sonst hat sie keinen Bestand. Das Bestreben, unsere Verwandten und Freunde zu lieben, die Geneigtheit gegenüber ihren Wünschen, auch wenn sie den unsrigen widerstreben, die Geduld mit ihren Schwächen, die Überwindung ihres gelegentlichen Wankelmutes durch freundliches Wesen, die Freude an ihren Vorzügen und der Versuch, sie nachzuahmen, das sind die Dinge, mit denen wir die Liebe gleich einer Wurzel in unsere Herzen einsenken, die, zwar klein am Anfang, doch zuletzt wie das Senfkorn sogar die Erde überschatten kann. Die eben genannten leeren Schwätzer über Menschenfreundlichkeit beweisen gewöhnlich die Nichtigkeit ihres Bekenntnisses durch die Tatsache ihres mürrischen und harten Wesens in den persönlichen Beziehungen des Lebens, die ihnen nicht der Beachtung wert erscheinen. Weit verschieden davon fürwahr, weit verschieden, ja völlig die Umkehr dieses heuchlerischen Wohlwollens war das erhabene und erleuchtete Mitgefühl des großen Apostels für alle Menschen. Es dürfte zwar eine Ehrfurchtslosigkeit bedeuten, solche Träumer dem Manne gegenüberzustellen, dessen Gedenktag wir heute begehen. Wir wissen, daß er wegen seiner Aussagen über die christliche Liebe gerühmt wird. „Geliebte, lasset uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott. Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und Seine Liebe ist in uns vollkommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1 Jo 4, 7.12.16). Begann er nun unter ungeheurer Mühe in großem Maßstab zu lieben? Nein, sondern er hatte das unaussprechliche Vorrecht, der Freund Christi zu sein. Dies war seine Schule für die Nächstenliebe; zuerst sammelte sich seine Liebe in einem Brennpunkt, dann sandte sie ihre Strahlen aus. Zunächst hatte er die hohe und trostreiche Aufgabe, nach dem Hingang unseres Herrn für Seine Mutter, die allerseligste Jungfrau, zu sorgen. Entdecken wir nicht hier die geheimen Quellen seiner besonderen Bruderliebe? Konnte er, dem der Heiland zuerst Seine Liebe zugewandt und dem Er dann die Stellung eines Sohnes zu Seiner Mutter anvertraut hatte, etwas anderes sein als das lebendige Denkmal und das Musterbild (soweit ein Mensch es sein kann) einer tiefen, beschaulichen, glühenden, stillruhenden und grenzenlosen Liebe?
Ferner ist diese Liebe zu Freunden und Verwandten, wie die Natur sie verlangt, auch für den Christen nützlich, da sie seiner Liebe zur ganzen Menschheit Form und Richtung gibt und sie weise und einsichtsvoll macht. Ein Mann, der gern mit einer allgemeinen Liebe zu allen Menschen beginnen möchte, stellt sie notwendig alle auf die gleiche Ebene, und anstatt vorsichtig, klug und mitfühlend in seinem Wohlwollen zu sein, ist er hastig und unhöflich; er schadet vielleicht, wenn er Gutes zu tun glaubt, entmutigt die tugendhaften und wohlmeinenden Menschen und verletzt die Zartfühlenden. Großzügige und eifrige Menschen z. B., die in hohem Maß Wohltäter zu sein wünschen, sind besonders der Versuchung ausgesetzt, in ihren Plänen für karitative Einrichtungen das Einzelwohl dem Allgemeinwohl zu opfern. Schlecht Belehrte, die streng abstrakte Auffassungen über die Forderung von Großmut und Aufrichtigkeit dem Gegner gegenüber haben, vergessen oft, Rücksicht auf ihre nächste Umgebung zu nehmen. Sie beginnen ihre (sogenannte) Großmut gegenüber dem Feinde mit einer lieblosen Vernachlässigung des Freundes. So weit wird es kaum kommen, wenn Menschen die Wohltätigkeit im kleinen pflegen als eine Vorstufe für die Wohltätigkeit im großen. Wenn wir uns ein liebevolles Benehmen gegen den Nächsten zur Grundpflicht machen, lernen wir unmerklich die Einhaltung der gebührenden Harmonie und Ordnung in unserer Liebe beobachten. Wir lernen, daß nicht alle Menschen auf der gleichen Stufe stehen, daß das Anliegen der Wahrheit und Vollkommenheit gewissenhaft beachtet werden muß und die Kirche mehr Anspruch auf uns hat als die Welt. Wir können es uns leicht leisten, im großen Maßstab freigebig zu sein, wenn wir keine entgegenstehenden Gefühle haben. Wer sich nicht selbst daran gewöhnt hat, seinen Nächsten, den er gesehen hat, zu lieben, wird nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen, nichts zu bedauern und über nichts sich zu freuen haben in seinen Wohltätigkeitsplänen großen Stiles. Er wird kein Interesse an ihnen um ihres Vorteiles willen zeigen, vielmehr wird er sich mit ihnen abgeben, weil die Zweckmäßigkeit es fordert oder Vorteil zu gewinnen ist oder weil er findet, daß er sich damit für seine Vielgeschäftigkeit entschuldigen kann. Daher können wir auch sehen, wie es kommt, daß die Tugend im privaten Leben die einzige sichere Grundlage für die Tugend im öffentlichen Leben ist und keine nationale Wohlfahrt (obwohl diese dann und wann erwachsen kann) von Männern zu erwarten ist, die nicht die Furcht Gottes vor Augen haben.
Ich habe bisher die Pflege der häuslichen Liebe als die Quelle der ausgedehnteren christlichen Liebe betrachtet. Wenn es die Zeit erlaubte, so würde ich in der Folge zeigen, daß sie außerdem eine wirkliche und schwierige Übung verlangt. Nichts ist geeigneter, die selbstsüchtige Haltung in uns zu erzeugen (die das gerade Gegenteil und die Verneinung der Liebe ist), als Unabhängigkeit in unserer weltlichen Umgebung. Menschen, die nicht durch Verpflichtungen gebunden sind, die nicht täglich zum Mitleid und zur Barmherzigkeit aufgerufen werden, die sich um keines anderen Wohlbefinden zu kümmern haben, die sich nach Belieben bewegen, die das Verlangen nach Abwechslung und ihre unaufhörlichen Grillen, die der Geisteshaltung sehr vieler Menschen angeboren sind, befriedigen können, sind in einer sehr ungünstigen Lage, um diese himmlische Gabe zu erreichen, die in unserer Liturgie „als das wahre Band des Friedens und aller Tugend“ beschrieben wird. Anderseits kann ich mir zur Verwirklichung eines hohen christlichen Grundgesetzes und zur Pflege des gereiften und edlen christlichen Geistes keinen günstigeren Lebensstand vorstellen, als wenn in Neigung und allgemeiner Haltung verschiedene Personen durch die gegebenen Umstände genötigt sind, zusammenzuleben und ihre gegenseitigen Wünsche und Ziele einander anzupassen. Das setzt natürlich voraus, daß die Beteiligten wirklich sich bemühen, ihre Pflicht zu tun. Darin besteht eine der vielen Wohltaten der Vorsehung (für jene, die sie empfangen wollen), die der heilige Ehestand mit sich bringt. Dieser ruft nicht nur die zartesten und feinsten Gefühle unserer Natur an, sondern muß, wenn die einzelnen ihre Pflicht tun, in verschiedener Weise mehr oder weniger ein Stand der Selbstverleugnung sein.
Ich möchte weiterhin das persönliche liebevolle Verhalten betrachten, über das ich gesprochen habe. Dies nicht allein deshalb, weil es den Quell und die Schulung christlicher Liebe darstellt, sondern darüber hinaus als das, was es in einzelnen Fällen ist: seine Vollendung. Die Alten dachten so hoch von der Freundschaft, daß sie eine Tugend aus ihr machten. In christlicher Schau ist sie es nicht ganz; aber oft ist sie zufällig ein besonderer Prüfstein unserer Tugend. Wir wollen folgende Überlegung anstellen: zwei Menschen z. B., die nicht durch irgendein notwendiges Band verknüpft sind, finden ihre größte Freude daran, in Gemeinschaft zu leben; nehmen wir an, sie dauere Jahre hindurch und sie gewännen ihr Zusammensein um so lieber, je länger sie es genießen. Beachtet nun, was das bedeutet. Junge Menschen freilich lieben einander bereitwillig, denn sie sind heiter und unschuldig. Sie zeigen sich gegeneinander nachgiebiger und sind voll der Hoffnung; – Idealgestalten Seiner wahren Jüngerschaft, wie Christus sagt. Dieses Glück aber dauert nicht an. Ihr Geschmack ändert sich. Erwachsene hinwiederum bleiben Jahre hindurch Freunde; aber sie leben nicht zusammen. Bringt sie aber ein zufälliges Ereignis eine Zeitlang in nähere Berührung, so finden sie es schwer, ihre Ungeduld zu zügeln und freundlich zu verkehren, und sie entdecken, daß sie auf Abstand die besten Freunde sind. Was aber kann zwei Freunde zu innigster Lebensgemeinschaft zusammenbinden für eine Reihe von Jahren außer die gemeinsame Teilnahme an etwas, was unveränderlich und wesenhaft gut ist? Was ist das aber anderes als die Religion? Religiöse Zuneigung allein ist unveränderlich. Gottes Heilige beharren auf dem gleichen Weg, während die Mode der Welt sich wandelt. Eine treue, unzerstörbare Freundschaft kann auf diese Weise ein Prüfstein für beide Teile in ihrer gegenseitigen Liebe sein, wenn sie die Liebe Gottes tief in ihrem Herzen tragen. Es ist zwar kein unfehlbarer Prüfstein; denn sie können auffallend gleiche Neigungen besitzen, oder es kann sie eine weltliche Aufgabe, literarisch oder sonstwie, ganz in Anspruch nehmen. Eine Versuchung, sich zu verändern, liegt ihnen fern, oder sie haben von Natur aus eine nüchterne Art, die sich bescheidet mit dem, was sie vorfindet. Unter Umständen aber ist es ein lebendiger Ausdruck für die Gegenwart der göttlichen Gnade in ihnen. Immer aber ist es eine Art Sinnbild derselben; denn auf den ersten Blick liegt schon im Begriff von Standhaftigkeit etwas vom Wesen der Tugend, da die Abneigung gegen Veränderung nicht nur das Merkmal einer tugendhaften Seele ist, sondern in einem gewissen Sinn eine Tugend selbst.
Nun habe ich euch einen Gedanken für den heutigen Festtag vorgelegt und sicher einen sehr praktischen, wenn wir bedenken, welch großer Teil unserer Pflichten innerhalb der Familie liegt. Sollte Gott uns berufen, der großen Welt zu predigen, dann müssen wir natürlich Seinem Ruf gehorchen; jetzt aber wollen wir das uns Nächstliegende tun. Kindlein, lasset uns einander lieben. Wir wollen sanftmütig und gütig sein. Wir wollen denken, bevor wir sprechen. Wir wollen versuchen, unsere Talente im Alltagsleben zu vervollkommnen. Wir wollen Gutes tun, ohne Hoffnung auf Vergeltung und ohne Prahlsucht vor den Menschen. Mit Recht kann ich euch in dieser Zeit dazu ermahnen, da wir erst jüngst zusammen an dem heiligen Sakrament teilgenommen haben, das uns zu gegenseitiger Liebe zusammenschließt und uns Kraft zu ihrer Betätigung verleiht. Wir wollen nicht das Versprechen vergessen, das wir damals gaben, noch die Gnade, die wir damals erhielten. Wir gehören nicht uns selbst. Wir sind erkauft mit dem Blut Christi. Wir sind zu Tempeln des Heiligen Geistes geweiht. Das ist ein unaussprechliches Vorrecht von solchem Gewicht, daß es uns in Scham ob unserer Unwürdigkeit niederdrücken müßte, würde es uns nicht zu gleicher Zeit mit der ihm entströmenden Hilfe stärken, Seine überaus große Kostbarkeit zu ertragen. Mögen wir würdig unserer Berufung wandeln und in unserer eigenen Person das Gebet und Bekenntnis der Kirche für uns verwirklichen!
27. Dezember 1831