Wir schauen aus nach Christi Ankunft – wir werden geheißen, danach auszuschauen – wir werden geheißen, darum zu beten und doch wird sie eine Zeit des Gerichtes sein. Sie wird eine Befreiung aller Heiligen aus Sünde und Leid für immer sein; sie müssen jedoch, einer um den anderen, sich einer schrecklichen Prüfung unterziehen. Wie kann also jemand nach ihr ausschauen mit Freude, da er die Gewißheit seiner eigenen Rettung nicht hat (denn keiner hat sie)? Und die Schwierigkeit wird größer, wenn wir uns anschicken, darum zu beten – zu beten um ihr baldiges Kommen: Wie können wir beten, Christus möge kommen, der Tag des Gerichtes sich beschleunigen, sein Reich kommen, sein Reich baldigst kommen – kommen über uns heute oder morgen -, wenn er durch dieses Kommen die Zeit unseres gegenwärtigen Lebens kürzen und diese kostbaren Jahre abschneiden würde, die uns zur Bekehrung, Besserung, Buße und Heiligung gegeben sind? Liegt nicht eine Zwiespältigkeit in der Äußerung des Wunsches: Unser Richter möge jetzt schon kommen, wenn wir uns nicht bereit für ihn fühlen? In welchem Sinn können wir wirklich und innig darum beten, daß er die Zeit abkürzen möge, während das Gewissen uns sagt, daß wir auch bei denkbar langem Leben in den wenigen Jahren viel zu tun hätten?
Ich bestreite nicht, daß in der Frage eine gewisse Schwierigkeit liegt, aber gewiß keine größere, als sie uns überall auf religiösem Gebiet entgegentritt. Die Religion hat sozusagen ihr Leben gerade in dem, was in den Augen der Vernunft paradox und widerspruchsvoll ist. In jener feierlichen Stunde, wenn wir ihm gehören werden, werden wir auch die innere Kraft seines Geistes haben, der uns ihm entgegenträgt und „Mit unserem Geist bezeugt, daß wir Kinder Gottes sind“ (Röm 8, 16). Gott ist in geheimnisvoller Weise ein dreifaltiger Gott; und während er im höchsten Himmel bleibt, kommt er, die Welt zu richten und während er die Welt richtet, ist er auch in uns, trägt uns empor und geht in uns ihm selbst entgegen. Gott der Sohn ist außerhalb, aber Gott der Geist ist in uns und wenn der Sohn fragt, wird der Geist antworten. Dieser Geist ist uns hienieden gewährt; und wenn wir uns seinen gütigen Einsprechungen überlassen, so daß er unser Denken und Wollen emporzieht zu himmlischen Dingen und eins mit uns wird, ist er gewiß auch dann noch in uns und gibt uns Zuversicht am Tag des Gerichtes. Er wird mit uns sein und uns stärken; und welcher Menschengeist kann erfassen, wie groß seine Kraft ist? Ausgerüstet mit dieser übernatürlichen Kraft, können wir in der Lage sein, die Augen zu unserem Richter zu erheben, wenn er uns ansieht und wir unserseits ihn, sei es auch mit tiefem Erschauern, so doch ohne Schamröte im Angesicht, gleichsam im Bewußtsein der Unschuld.
Jene Stunde muß schließlich über jeden von uns kommen. Wenn sie kommt, möge das Antlitz des Allerheiligsten uns beleben, nicht verzehren; möge die Flamme des Gerichtes uns nur das sein, was sie den drei heiligen Jünglingen war, über die das Feuer keine Macht hatte!
aus der Predigt: Furcht vor der Wiederkunft Christi (Advent) DP V, 61f. 72f.