Ascendit in caelum – Aufgefahren in den Himmel

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1. Mein Herr und Heiland ist in den Himmel auf­gefahren. Ich bete Dich an, Du Sohn Mariens, Jesus, Emmanuel, mein Gott und Erlöser! Ich darf Dich an­beten, mein Heiland und mein Bruder, denn Du bist Gott. Ich folge Dir in Gedanken, Du Erstling unseres Geschlechts, wie ich Dir eines Tages mit Deiner Gnade in Person zu folgen hoffe. In den Himmel gehen heißt zu Gott kommen. Gott allein ist der Himmel. In ihm ist vollkommene Seligkeit, und niemand kann selig werden, wer nicht untertaucht und sich birgt in der Herrlichkeit der göttlichen Natur und sich ganz in sie versenkt. Alle Heiligen sind nur das Gewand des Al­lerhöchsten, in das er sich gekleidet hat für ewig, und das erstrahlt von seinem unerschaffenen Licht. Auf Erden gibt es viele Dinge, und jedes hat seinen Mit­telpunkt. Dort oben aber herrscht nur ein Name: Gott allein. Das ist das wahre übernatürliche Leben. Wenn ich auf Erden ein übernatürliches Leben führen und zum übernatürlichen Leben des Himmels gelangen will, muß ich eines tun: hier im Gedanken an Gott leben. Lehre mich das, o Gott, gib mir Deine über­natürliche Gnade, ein solches Leben zu führen, gib, daß meine Vernunft, meine Gefühle, Absichten und Pläne ganz durchdrungen und beherrscht seien von der Liebe zu Dir, in Deinen Anblick versunken und entrückt!

2. Nur ein Name und ein Gedanke herrscht dort oben; auf Erden dagegen gibt es vielerlei Gedanken. Das irdische Leben führt zum Tod, das heißt, es verleitet dazu, den unzähligen Dingen und Zielen, Arbeiten und Vergnügungen zu folgen, denen die Menschen nachjagen. Auch das Gute auf Erden führt nicht zum Himmel. Es verdirbt beim ersten Gebrauch, es ver­fällt in der Anwendung, es hat weder Dauer noch Vollkommenheit und Bestand. Es mündet im Bösen, ehe es endet, ehe es auch nur anfing, gut zu sein. Im besten Fall ist es Eitelkeit, wenn nichts Schlimmeres. Es trägt meist den Samen der wirklichen Sünde in sich. Mein Gott, ich sehe alles das ein. Mein Herr Jesus, ich bekenne und weiß daß Du allein die Wahrheit, Schön­heit und Güte bist. Du allein kannst mich erleuchten und beseligen und zu Dir erheben. Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben, und niemand außer Dir. Die Erde wird mich nie zum Himmel führen. Du allein bist der Weg; Du allein.

3. Mein Gott, kann ich nur einen Augenblick über mei­nen Weg im Zweifel sein? Soll ich nicht ohne Zögern Dich zu meinem Anteil wählen? Zu wem sollte ich gehen? Du hast Worte ewigen Lebens. Du bist gekommen, um für mich das zu vollbringen, was hier auf Erden niemand sonst für mich tun konnte. Nur Du, der Du im Himmel bist, kannst mich zum Himmel füh­ren. Wer gibt mn Kraft, die Höhe des Berges zu er­steigen? Auch wenn ich der Welt nach besten Kräften diente, wenn ich ihr gegenüber menschlich gesprochen meine Pflichten erfüllte, was könnte sie für mich tun, soviel sie auch versuchte? Auch wenn ich meiner Stel­lung aufs beste gerecht würde, meinen Mitmenschen Gutes erwiese, einen berühmten Namen hätte und Ehre genösse weitum, selbst wenn ich Großes voll­brächte und gefeiert würde oder in der Geschichte der Zeit Ruhm erntete, wie könnte mich das alles zum Himmel führen? Darum wähle ich Dich zu meinem Teil, weil Du allein lebst und nie stirbst. Ich sage mich los von allen Götzenbildern und übergebe mich Dir. Ich bitte Dich flehentlich, mich zu lehren, zu führen, zum Guten zu stärken und mich aufzunehmen zu Dir.

Unser Mittler im Himmel

1. Ich bete Dich an, o Herr, wie es sich geziemt, denn Du bist in den Himmel eingegangen, um dort mein Sachwalter und Mittler zu sein. Ich habe einen Für­sprecher bei dem Herrn der Welt. Auf Erden sind wir bemüht, uns den Beistand einflußreicher Menschen zu sichern, wenn wir etwas Wichtiges unternehmen sol­len; wir wissen den Wert ihres Einflusses zu schätzen und geben viel auf ihre Versprechen. Du bist der All­mächtige und gebrauchst Deine Allmacht für mich. Es gibt Millionen Menschen auf Erden, und für alle bist Du gestorben. Für Dein Volk aber, das Du Dir aus­ersehen hast, lebst Du. Noch wunderbarer lebst Du für Deine Auserwählten. Du hast sie in die Fläche Deiner Hand eingeschrieben, ihre Namen sind immer vor Dir. Du weißt ihre Zahl und kennst sie genau. Für sie ordnest Du die Geschicke der Welt, und wenn ihre Schar voll ist, wird die Welt enden.

2. Du hast mich hier für das Leben der Gnade aus­erwählt und mir die Hoffnung auf künftige Herrlich­keit gegeben. Ich weiß sehr wohl, welches immer Deine verborgenen Pläne mit mir sein mögen, daß es einzig und allein meine eigene Schuld ist, wenn ich nicht in Deinem Buch eingeschrieben bin. Ich bin nicht im­stande, Dich zu verstehen, aber ich weiß von mir selbst genug, um das einzusehen und dessen sicher zu sein. Du hast meine Lage so außerordentlich günstig gestal­tet, daß der Preis schon fast in meiner Hand ist. Wenn ich schon jetzt in die Gemeinschaft der Engel und Hei­ligen aufgenommen bin, wie ist es dann möglich, daß ich mich dessen nicht bediene, um diese bereits ange­fangene Gemeinschaft zu einer dauernden zu machen? Die Weltmenschen wissen solche Möglichkeiten sehr wohl zu ihrem Besten auszunützen. Wenn Du Maria, Deine Mutter, mir zur Mutter gegeben hast, o mein Gott, darf ich mir da nicht etwas wie Familiensorge bei ihr sichern, damit sie mich nicht von sich stößt im letzten Augenblick? Wenn ich das Recht habe, zu be­ten, und die Gabe, mir alles von Gott zu erflehen, könnte ich mir dadurch nicht die Gnade der Beharr­lichkeit sichern, die ich nicht zu verdienen vermag, und die das Zeichen und die Verheißung meiner Auserwählung ist? Ich habe alle Mittel in der Hand, um zu erlangen, was ich nicht habe, und ich werde es un­fehlbar erlangen, obwohl ich es mir aus eigenem nicht sichern kann.

3. O mein Gott und Herr, ich werfe mich fast in Ver­zweiflung nieder und klage mich voll Bitterkeit und Beschämung an, weil ich die Mittel, die Du in meine Hand gegeben hast, so unverantwortlich vernachlässige und den Dingen ihren Lauf lasse, als ob die Gnade allein ohne meine eigene Mitwirkung mit Sicherheit zur Seligkeit führte. Was soll ich sagen, o mein Hei­land? Siehe, ich bin ein Sklave der Gewohnheit, ich bin schwach, hilflos und verkümmert, unfähig, Fort­schritte zu machen, es ist fast, als hätte ich die Ab­sicht, wie das geringste Deiner Geschöpfe durchs Le­ben zu gehen, das Angesicht zur Erde niedergebeugt, auf Händen und Füßen kriechend, statt aufrecht und mit zum Himmel erhobenem Antlitz. O gib mir, was ich brauche – Zerknirschung über all die unendlich vielen läßlichen Sünden, Nachlässigkeiten und Fehl­tritte, die das sicherste Vorzeichen sind, daß ich nicht zu Deinen Auserwählten gehöre! Wer außer Dir kann mich retten vor mir selbst?

Seliger John Henry Newman

aus: Betrachtungen und Gebete, München 1952, pp. 186-190.