HOFFE AUF GOTT – DEN SCHÖPFER
I.
1. Gott hat alle Dinge zum Guten erschaffen; er hat alle Dinge zu ihrem Besten, jedes einzelne zu seinem eigenen Wohl erschaffen. Was für den einen gut ist, ist es nicht für den andern; was diesen Menschen glücklich macht, wird einen andern unglücklich machen. Gott hat bestimmt, daß ich das erreiche, was mein größtes Glück ausmacht, sofern ich in seinen Plan nicht eingreife. Er hat mich persönlich im Auge, ruft mich bei meinem Namen, weiß, was ich vermag, wozu ich am besten geeignet bin, was mein größtes Glück ist, und das will er mir geben.
2. Gott weiß, was mein größtes Glück ist, ich aber weiß es nicht. Es gibt keine Regel dafür, was glücklich und gut ist; was dem einen angemessen ist, entspricht einem andern nicht. Die Wege, die zur Vollkommenheit führen, sind sehr verschieden; die Heilmittel, deren jede Seele bedarf, gleichen einander keineswegs. Gott führt uns oft seltsame Wege; wir wissen, er will unser Glück; was jedoch unser Glück ist und welches der Weg ist, der dahin führt, wissen wir nicht. Wir sind blind, uns selbst überlassen, gehen wir irre; wir müssen alles ihm anheimstellen.
3. Wir wollen uns in seine Hand geben und nicht erschrecken, wenn er uns einen fremden Weg führt, eine mirabilis via, wie die Kirche sagt. Wir wollen ihm vertrauen, er ist ein guter Führer, an seiner Hand werden wir freilich nicht zu dem gelangen, was wir für das Beste halten oder was einem andern zum Besten gereicht, sondern was für uns das Beste ist.
Gebet. O mein Gott, ich übergebe mich ganz in Deine Hände. Wohl oder Wehe, Freude oder Schmerz, Freunde oder Verlassenheit, Ehre oder Demütigung, guter oder übler Ruf, Trost oder Trostlosigkeit. Deine Gegenwart oder das Verbergen Deines Angesichtes, alles ist gut, wenn es von Dir kommt. Du bist Weisheit und Liebe – was kann ich mehr wollen? Du hast mich nach Deinem Ratschluß geführt, und mit Herrlichkeit hast Du mich aufgenommen. Was habe ich im Himmel, und was suche ich auf Erden außer Dir? Mein Fleisch und mein Herz versagen; aber Gott ist der Gott meines Herzens und mein Anteil auf ewig.
II.
1. Gott war ganz vollkommen und ganz selig in sich selbst; aber es war sein Wille, eine Welt zu schaffen zu seiner Ehre. Er ist die Allmacht und hätte alles selbst vollbringen können; doch er wollte seine Pläne durch geschaffene Wesen ausführen lassen. Wir alle sind zu seinei Ehre erschaffen – wir sind erschaffen, seinen Willen zu tun. Ich bin erschaffen, etwas zu tun oder zu sein, wofür kein anderer erschaffen ist; ich habe einen Platz in Gottes Ratschluß, auf Gottes Erde, den kein anderer hat. Ob ich reich oder arm bin, verachtet oder geehrt bei den Menschen, Gott kennt mich und ruft mich bei meinem Namen.
2. Gott hat mich erschaffen, daß ich ihm auf eine besondere Weise diene. Er hat ein bestimmtes Werk mir übertragen und keinem andern. Ich habe meine Aufgabe, meine Mission – und wenn ich sie in diesem Leben nie erfahre, im künftigen wird sie mir kund. Irgendwie bin ich zur Ausführung seiner Pläne nötig; ich bin an meinem Platz so nötig wie ein Erzengel am seinigen: freilich, wenn ich versage, kann er einen andern an meine Stelle setzen, wie er aus Steinen Kinder Abrahams erwecken kann. Aber ich habe meinen Teil in diesem großen Werk, ich bin ein Glied in der Kette, ein Band zwischen Personen. Gott hat mich nicht umsonst erschaffen- Ich soll Gutes tun und sein Werk vollbringen. Ich soll auf meinem Posten ein Engel des Friedens, ein Prediger der Wahrheit sein, ohne es zu wollen, wenn ich nur seine Gebote halte und ihm in meinem Beruf diene.
3. Darum will ich ihm vertrauen. Was immer oder wo immer ich bin, nie kann ich verworfen werden. Wenn ich krank bin, soll meine Krankheit ihm dienen, wenn Drangsal über mich kommt, soll sie seinen Willen tun, und wenn ich traurig bin, soll mein Leiden ihm dienstbar sein. Meine Krankheit, meine Ratlosigkeit und Not sind vielleicht die notwendigen Ursachen irgendeines großen Zweckes, der unser Begreifen übersteigt. Gott tut nichts vergeblich. Er mag mir ein langes Leben schenken oder es bald enden, er weiß, was er will. Er mag mich meiner Freunde berauben und mich in die Fremde schicken, mir die Einsamkeit zur Gefährtin geben, mir den Mut nehmen, die Zukunft vor mir verhüllen – er weiß, wozu es gut ist. O Adonai, Führer Israels, der Du Joseph gleich einem Schäflein führtest, Emmanuel, Weisheit, ich übergebe mich Dir; ich vertraue Dir von ganzer Seele. Du bist weiser als ich – und liebst mich mehr, als ich mich selbst lieben kann. Würdige Dich, Deine hohen Pläne, welcher Art sie auch sein mögen, an mir zu erfüllen – wirke in mir und durch mich. Ich bin geboren, um Dir zu dienen, Dein zu sein, das Werkzeug Deiner Hand. Laß mich Dein blindes Werkzeug sein. Ich verlange nicht zu sehen und nicht zu wissen – ich will nur Werkzeug sein.
III.
1. Welcher menschliche Geist kann sich die Liebe vorstellen, mit welcher der ewige Vater seinen eingeborenen Sohn liebt? Sie ist ewig und unendlich. Sie istso groß, daß die Gottesgelehrten den Heiligen Geist bei dem Namen dieser Liebe nennen, um ihre Unendlichkeit und Vollkommenheit auszudrücken. Doch bedenke, meine Seele, und beuge dich vor dem ehrwürdigen Geheimnis: wie der Vater den Sohn liebt, so liebt der Sohn dich, wenn du zu seinen Auserwählten gehörst. Denn er sagt ausdrücklich: »Wie der Vater mich geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibet in meiner Liebe!« Gibt es unter allen geoffenbarten Wahrheiten ein größeres Geheimnis als dieses?
2. Die Liebe des Sohnes zu dir. dem Geschöpf, ist der des Vaters zum unerschaffenen Sohne gleich. O wundervolles Geheimnis! Das also ist die Ursache dessen, was sonst niemand begreifen kann: daß er für mich Fleisch geworden und gestorben ist. Das erste Geheimnis nimmt das zweite vorweg, das zweite ist die Erfüllung des ersten. Wenn er mich nicht so unaussprechlich geliebt hätte, hätte er nicht für mich gelitten. Nun verstehe ich, warum er für mich starb: weil er mich geliebt hat wie ein Vater seinen Sohn – und nicht bloß wie ein menschlicher Vater, sondern wie der ewige Vater den ewigen Sohn. Jetzt erkenne ich die Bedeutung der sonst unerklärlichen Verdemütigung: er zog es vor, mich zurückzugewinnen, statt neue Welten zu schaffen.
3. Wie beharrlich ist er in seiner Liebe! Seit der Zeit Adams hat er uns geliebt. Er sprach von Anfang an: »Ich will dich nie verlassen und nie vergessen.« Er gab uns in der Sünde nicht auf. Er gab auch mich nie auf. Er hat mich gesucht und zurückerkauft. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht – er hat beschlossen, mir gegen meinen Willen jene Seligkeit zu rück zu erwerben, der ich mich so hartnäckig widersetzte. Und was verlangt er nun von mir anderes, als daß ich, wie er mich geliebt hat mit ewiger Liebe, ihn liebe in dem armseligen Maße, in dem ich es vermag. O unfaßbares Geheimnis: wie der Vater den Sohn mit unaussprechlicher Liebe liebt, so liebt der Sohn uns! Warum, o Herr? Was siehst Du Gutes in mir Sünder? Warum hast Du mich ausersehen? »Was ist der Mensch, daß Du seiner eingedenk bist, und der Menschensohn, daß Du ihn heimsuchst?« Dies mein armes Fleisch, diese schwache, sündige Seele, die nur in Deiner Gnade Leben hat, hast Du mit Deiner Liebe ausgezeichnet. Vollende Dein Werk, o Herr, und wie Du mich von Anfang an geliebt hast, so gib, daß ich Dich liebe bis zum Ende!
aus: John Henry Newman, Betrachtungen und Gebete, Im Kösel Verlag, München 1952, Übersetzung: Maria Knöpfler, 42-46.