Die wahre Art der Buße steht ebensowenig am Anfang wie die vollendete Gleichförmigkeit mit jedem einzelnen Teil des göttlichen Gesetzes. Man erlangt sie durch lange Übung – schließlich wird sie sich einstellen. Der im Sterben liegende Christ wird die Rolle des verlorenen Sohnes vollendeter verkörpern als je in seinen früheren Jahren. Wenn wir uns in unserem jetzigen Leben erstmals zu Gott wenden, ist unsere Buße mit allen möglichen unvollkommenen Anschauungen und Gefühlen vermengt. Zweifellos liegt in ihr etwas von der echten Haltung schlichter Unterwerfung; aber der Wunsch, einerseits Gott zu versöhnen, anderseits hartherzige Unempfindlichkeit unseren Sünden gegenüber, rein selbstsüchtige Furcht vor der Strafe oder die Hoffnung auf eine plötzlich leicht gewährte Verzeihung, diese und ähnliche Gedankengänge beeinflussen uns, mögen wir über unsere Gefühle sagen oder denken, was wir wollen. Es fallt uns allerdings ziemlich leicht, uns gute Worte auf die Lippen zu legen und unsere Gefühle zu wecken und dann zu meinen, man habe sich damit gänzlich selbst entäußert und sei zu einem klaren Bewußtsein der eigenen Sündhaftigkeit durchgedrungen; aber hohe Einstellung beanspruchen heißt nicht sie wirklich besitzen. Sie wirklich erlangen ist ein Werk der Zeit.
Erst wenn der Christ lange den guten Kampf des Glaubens gekämpft hat und durch Erfahrung weiß, wie gering und unvollkommen seine besten Dienste sind, dann kann er sich zufrieden geben, und er gibt sich sehr gern zufrieden mit der Aussage, daß wir nur im Glauben an die Verdienste unseres Herrn und Heilandes aufgenommen werden. Wenn einer am Ende sein Leben überblickt, was gibt es da, auf das er sich stützen kann? Welche Tat kann der Prüfung des heiligen Gottes standhalten? Natürlich keine, so viel ist klar, darüber ist kein Wort zu verlieren. Aber weiter, welcher Teil seines Lebens beweist ihm hinreichend seine eigene Aufrichtigkeit und Treue? Das ist die Frage, auf die ich Nachdruck lege. Wie soll er wissen, daß er noch nach all seinen Sünden im Stande der Gnade ist? Zweifellos darf der Christ demütig hoffen, wohlgefällig aufgenommen zu werden. Denn vom Zeugnis seines Gewissens, das ihn tröstet, spricht der heilige Paulus; aber sein Gewissen berichtet ihm auch von zahllosen persönlichen Sünden und zahllosen Pflichtversäumnissen; und wie soll er sich da aufraffen, vor Gott zu erscheinen in der schrecklichen Erwartung der Ewigkeit und in der Schwäche der schwindenden Gesundheit? So ist er trotz allem wirklich in der Lage des zurückkehrenden Sohnes und kann ihn nicht übertreffen, auch wenn er Gott noch so lange gedient hat.
Seliger John Henry Newman, Deutsche Predigten III/7 , Christliche Buße, S. 111.