Christliche Ehrfurcht

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23. Predigt, 8. Mai 1831

„Dienet dem Herrn in Furcht und frohlocket Ihm mit Zittern!“ (Ps 2,11).

Warum zeigte sich Christus so wenigen Zeu­gen, nachdem Er von den Toten auferstanden war? Weil Er ein König war, ein König, gesetzt über Gottes „heiligen Berg Sion“, nach den Wor­ten des Psalmes, der den Vorspruch enthält. Könige suchen nicht der Menge zu gefallen, noch zeigen sie sich wie ein Schauspiel nach dem Belieben anderer. Sie sind die Herrscher ihres Volkes, ha­ben als solche ihre Würde in sich und werden ehrerbietig von ihren großen Männern bedient; und wenn sie sich zeigen, tun sie es aus Herab­lassung. Sie handeln mittels ihrer Diener und wollen aufgesucht werden von denen, die eine Gunst von ihnen erhalten möchten. In gleicher Weise verkehrte Christus, einmal er­höht als der Eingeborene Sohn Gottes, nicht mit dem jüdischen Volk wie in den Tagen Seiner Er­niedrigung. In der Stille erstand Er aus dem Grabe und in der Stille lehrte Er vierzig Tage lang, weil „die Herrschaft auf Seinen Schultern ruhte“ (Is 9, 6). Er war nicht mehr der Diener, welcher die Füße Seiner Jünger wusch und von dem launischen Willen der Menge abhängig war. Er war der rechtmäßige Erbe aller Dinge. Sein Thron war durch göttlichen Ratschluß gefestigt und die nach Seinem Heil verlangten, mußten Sein Antlitz suchen. Doch nicht einmal von denen, die Ihn suchten, ließ Er sich alsbald finden. Er gestattete der Welt nicht, sich Ihm unvermittelt zu nähern oder neugierig Ihn anzustaunen. Nur jene rief Er an Seine Seite, die Seine Freunde gewesen waren, die Ihn liebten. Nur jene hieß Er „den Berg des Herrn besteigen“ (Ps 23, 3), welche „reine Hände und ein lauteres Herz hatten, welche nicht eitle Dinge verehrt noch falsch geschworen hatten“ (Ps 23, 4), Diese kamen näher herzu und „sahen den Herrn Gott Israels“ (Ex 24, 10) und daher waren sie fähig, die Kunde von Ihm überall unter das Volk zu tragen. Er blieb „in Seinem heiligen Tempel“ (Hab 2, 20); sie verkündeten in Seinem Auftrag die Botschaft von Seiner Auferstehung, Seiner Barmherzigkeit, Seiner allen Menschen an­gebotenen freien Verzeihung und die Verheißung der Gnade und Herrlichkeit, welche Sein Tod für alle, die glauben, bewirkt hatte.

So werden wir belehrt, unserem auferstandenen Herrn mit Furcht zu dienen und mit Zittern zu frohlocken. Wir wollen der Frage nachgehen, die sich uns auf diese Weise erschlossen hat. – Christi zweites Verbleiben auf Erden (nach Seiner Auf­erstehung) war in der Verborgenheit. Die Zeit war vorbei, da Er „offen in den Synagogen“ (vgl. Joh 18, 20; Mk 1, 39; Lk 4, 44) und auf den öffent­lichen Straßen predigte und offen Wunder wirkte wie niemand zuvor. Sollten Seine Mühen für uns denn niemals ein Ende nehmen? Sein Tod „be­endigte“ sie; später lehrte Er nur noch Seine Jünger. Wer könnte sich darüber beklagen, daß Er sich schließlich von der Welt zurückzog, da Seine eigene spontane Güte der Grund war, daß Er Sich überhaupt je zeigte?

Doch muß man sich dessen bewußt sein, daß Chri­stus schon vor Seinem Eintritt in Seine Herrlich­keit wie ein König sprach und auftrat. Wir dürfen nicht annehmen, daß Er selbst in den Tagen Seines Fleisches vergessen konnte, wer Er war, oder „Sich unschicklich gab“, infolge irgend einer schwachen Nachgiebigkeit gegen den Willen des jüdischen Volkes. Sogar in den niedrigsten Hand­lungen Seiner Selbstentäußerung zeigte Er noch Seine Größe. Betrachtet Sein Benehmen, als Er dem heiligen Petrus die Füße wusch, und seht, ob es nicht beabsichtigt war (sicher war es das), ge­rade die Person zu demütigen, zu überwältigen, zu unterwerfen, der Er diente. Wenn immer Er Seine unwissenden Zuhörer lehrte, warnte, sich ihrer erbarmte und für sie betete, gestattete Er ihnen nie, in ihrer Ehrfurcht nachzulassen oder Seine Herablassung zu übersehen. Ja, Er erlaubte es ihnen nicht, Ihn laut zu preisen und Seine gnadenvollen Taten bekannt zu machen; als ob die sogenannte Popularität eine Entehrung Seines heiligen Namens wäre und der Beifall der Men­schen das Recht zu tadeln einschlösse. Das Lob der Welt ist der Verachtung nahe verwandt. Unser Herr erfreut sich an der Huldigung des verschwie­genen Herzens. Das war Seine Haltung in den Tagen Seines Fleisches. Deutet es nicht Sein Ver­fahren mit uns nach Seiner Auferstehung? Er, der so zurückhaltend in Seinen Selbstmitteilungen war, auch als Er zu dienen kam, wollte sich noch viel mehr von den Augen der Menschen zurückziehen, da Er über alle Dinge erhöht war.

Ich habe gesagt, daß Christus auch als Diener mit der Autorität eines Königs sprach, und ich habe euch ein Beispiel angeführt. Es mag aber gut sein, dabei zu verweilen. Beachtet also den Unterschied zwischen Seinen ausdrücklich und allgemein auf­gestellten Verheißungen und Seiner Art, sich an jene zu richten, die tatsächlich vor Ihn traten. Während Er in der ganzen Fülle der Herzensgüte und liebevollen Barmherzigkeit Gottes Bereitschaft verkündigte, allen reuigen Sündern zu verzeihen, gebrauchte Er doch keine Bitten gegenüber diesen oder jenen, wie groß ihre Zahl oder ihre Würde auch sein mochte. Er sprach wie einer, der wußte, daß Er große Gnadenerweise zu verleihen und nichts von denen zu gewinnen hatte, die sie er­hielten. Weit davon entfernt, sie zu drängen, Seine Gaben anzunehmen, zeigte Er sich sogar zögernd, sie mitzuteilen, forschte nach ihrer Er­kenntnis und ihren Beweggründen, und warnte sie davor, in Seinen Dienst zu treten, ohne dessen Kosten zu berechnen. So stieß Er sogar bisweilen Menschen von sich zurück.

Zum Beispiel: als „viel Volk mit Ihm ging, … wandte Er sich zu ihnen und sprach: Wenn je­mand zu Mir kommt und nicht hasset seinen Vater und seine Mutter, Weib und Kinder, Brüder und Schwestern, ja auch sein eigenes Leben, kann er Mein Jünger nicht sein“. Dies sind nicht die Worte eines Mannes, der um die Gunst des Volkes warb. Er fährt fort: – „Wer von euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuvor nieder und be­rechnet die Kosten, ob er genügend hat, um ihn zu vollenden? … In gleicher Weise kann auch keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er besitzt, Mein Jünger sein“ (Lk 14, 25-33). Beobachtet andererseits Sein Verhalten gegen die Mäch­tigen und gegen die gebildeten Schriftgelehrten und Pharisäer. Es gibt Leute, die zu menschlicher Macht aufschauen und sich darin gefallen, ihre Namen mit denen der Künstler und Gelehrten dieser Welt in Verbindung zu bringen. Unser ge­benedeiter Herr war gegen diese genau so un­beugsam wie gegen die Volksscharen, die Ihm folgten. Sie verlangten ein Zeichen; Er nannte sie „ein böses und ehebrecherisches Geschlecht“, die es verschmähten, das zu nutzen, was sie schon er­halten hatten1. Sie fragten Ihn, ob Er Sich nicht als eins mit Gott bekenne; aber Er schien sogar Seinen eigenen wirklichen Anspruch aufzugeben und machte lieber Seine früheren klaren Worte zweideutig, als daß Er sich solchen stolzen Schwät­zern anvertraute. Das war der König Israels in den Augen der Menge wie auch in den Augen ihrer Führer: ein „hartes Wort“ (Joh 6, 61), ein „Stein des Anstoßes gar den Ungehorsamen“ (1 Petr 2, 8), die zu Ihm kamen „mit ihren Lip­pen, während ihr Herz weit von Ihm war“ (Mt 15, 8). Prüfet ferner Sein Verhalten gegen ein­zelne, und es wird sich jedesmal zeigen, daß Er, der doch überaus gütig und barmherzig war, selbst ihnen mit Zurückhaltung Seine Macht und Seine Gnade erzeigte, nicht anders als der wankelmüti­gen Menge oder den ungläubigen Pharisäern.

Ein Beispiel ist uns erhalten, da einer sich an Ihn wandte, zwar mit einer gewissen Vorstellung von Seiner Größe, aber in einem leichtfertigen und unbedachten Ton. Die Erzählung ist lehrreich wegen der Vermengung von gut und bös, welche die Geisteshaltung des Fragestellers kennzeichnet. Der Betreffende war jung und wohlhabend und wird ein „Vorsteher“ genannt; er verlangt sogar nach Christi Gunst. Soweit war es gut. Ja, er „kam zu Ihm gelaufen und fiel vor Ihm auf die Knie nieder“. Er schien Christus mit Worten anzu­sprechen, die allgemein als ehrfurchtsvoll ange­sehen würden: „Guter Meister“, sagte er. Doch unser Heiland sah in seinem Benehmen etwas Mangelhaftes; – „eines fehlt dir“: nämlich die Hingabe im eigentlichen Sinn des Wortes, – ein sich an Christus Hingeben. Dieser junge Mann scheint die Religion als ein leichtes Werk betrach­tet zu haben und glaubte, er könnte nach Art der Welt leben und doch Gott wohlgefällig dienen. Wir dürfen annehmen, daß er infolgedessen kaum einen richtigen Begriff von der Würde eines Got­tesboten hatte. Er brachte die Diener der Religion nicht in Verbindung mit den ehrfurchtgebietenden Aussichten über das Grab hinaus, die ihm am Herzen lagen; noch ehrte er diese entsprechend, obwohl er es nicht an einer gewissen Art von Achtung vor ihnen fehlen ließ. Zweifellos glaubte er, er ehre unseren Herrn, da er Ihn einen „guten Meister“ nenne, und er wäre überrascht gewesen zu hören, daß seine Anhänglichkeit an heilige Dinge und Ämter in Frage gestellt werde. Doch unser Heiland wies eine solche halbe Huldigung zurück und lehnte ab, was sogar ehrfürchtig an­geboten schien. – „Warum nennst du mich gut?“ fragte Er; „keiner ist gut außer dem Einen, Gott“; als ob Er sagte, „merkst du nicht, daß du Worte gebrauchst, als wären sie alltäglich? „Guter Mei­ster“ – Werde Ich von dir eingeschätzt wie ein Lehrer von eines Menschen Gnaden, über den ein Mensch Macht hat, und der angeredet werden könne mit einer Höflichkeitsform, die im Lauf der Zeit ihren Sinn verloren hat, oder werde ich an­erkannt als einer, der kommt und Vollmacht hat von Dem, der die alleinige Quelle des Guten ist?“ Unser Herr milderte Seine Strenge nicht einmal nach diesem Vorwurf. Es wird uns ausdrücklich erzählt: „Er liebte ihn und Er redete daher zu ihm mit großem Mitgefühl und Erbarmen; jedoch Er trug ihm streng auf, alles zu verkaufen, was er habe, und es wegzugeben, wenn er zeigen wolle, daß es ihm Ernst sei, und Er entließ ihn „betrübt“. Ihr werdet euch auch erinnern, daß unser Herr häufig den Glauben derer erforscht hat, die zu ihm kamen. Das geschah zweifellos aus dem glei­chen Grundsatz, – im Blick auf Seine königliche Majestät. „Wenn du glauben kannst, alles ist dem möglich, der glaubt“ (Mk 9, 23). Er wirkte keine Wunder zur bloßen Machtentfaltung; und Er wollte nicht haben, daß die Welt in unehrerbie­tiger Weise auf sie wie auf Schaukünste blicke. In dieser Hinsicht wie in anderen stand Er sogar im Gegensatz zu Moses und Elias. Moses wirkte vor Pharao Wunder, um die ägyptischen Zauberer zu übertreffen. Elias forderte die Propheten des Baal heraus, Feuer vom Himmel fallen zu lassen. Der Sohn Gottes ließ Sich nicht herab, Seine Macht vor Herodes nach dem Beispiel des Moses auszuüben, noch von der Volksmenge beurteilt zu werden wie Elias. Er unterwarf die Macht des Satan zu den Ihm gelegenen Zeiten; aber als der Teufel Ihn versuchte und zum Beweis Seiner Gott­heit ein Wunder von Ihm verlangte, schlug Er es ab.

Ferner, auch wenn ein Fragesteller Ernst zeigte, suchte Er ihn doch nicht durch eine gefällige Dar Stellung Seiner Lehre zu gewinnen. Er gab zwar als allgemeines Merkmal Seiner Lehre an, „Mein Joch ist leicht“ (Mt 11, 30); aber „Er zeigte sich seltsam und sprach streng“ zu denen, die zu Ihm kamen. Nikodemus war ein anderer Vorsteher der Juden, der Ihn suchte, und er bekannte seinen Glauben an Seine Wunder und an Seine göttliche Sendung. Unser Heiland entgegnete in diesen harten Worten: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wer nicht wiedergeboren ist, kann in das Reich Gottes nicht eingehen“ (Joh 3, 3).

Das war das Verhalten unseres Heilandes sogar während der Zeit Seiner öffentlichen Wirksam­keit; vielmehr möchten wir ein solches erwarten, als Er Sich vom Zustand Seiner Knechtschaft frei erhoben hatte, und das ist auch der Fall.

Niemand sah Ihn vom Grabe auferstehen. Seine Engel waren zwar Zeugen, aber Seine irdischen Anhänger waren abwesend und die heidnischen Soldaten waren dessen nicht würdig. Sie sahen allerdings den großen Engel, der den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzte. Dieser war Christi Diener; aber Ihn selbst sahen sie nicht. Er war auf dem Weg zu Seinen eigenen treuen und be­trübten Anhängern. Diesen hatte Er während Seiner Erniedrigung Seine Lehre geoffenbart und Er nannte sie „Seine Freunde“ (Mt 13, 11; Jo 15, 15). Zuerst erschien Er Maria Magdalena im Gar­ten selbst, wo Er begraben worden war, dann den anderen Frauen, die Ihm dienten; dann den bei­den Jüngern, welche auf dem Weg nach Emmaus waren, dann eigens allen Aposteln; außerdem Petrus und Jakobus, ferner Thomas in Gegenwart aller. Doch nicht einmal diese Seine Freunde hat­ten freien Zutritt zu Ihm. Er sagte zu Maria, „rühre Mich nicht an“ (Joh 20, 17). Er kam und verließ sie nach Seinem Belieben. Wenn sie Ihn sahen, fühlten sie eine Scheu, welche sie während Seiner Wirksamkeit nicht gefühlt hatten. Als sie zweifelten, ob Er es sei, „wagte es keiner von ihnen“, sagt der heilige Johannes, „Ihn zu fragen, wer bist du? im Glauben, daß es der Herr sei“ (Joh 21, 12). Wie nun Könige ihre Parade haben, an denen sie sich öffentlich ihren Untertanen zei­gen, so setzte unser Herr für Seine Jünger eine Begegnung fest, da sie Ihn sehen konnten. Er hatte diese sogar vor Seiner Kreuzigung festgelegt und die Engel erinnerten sie daran. „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr Ihn sehen, wie Er euch sagte“ (Mk 16, 7). Der Ort der Be­gegnung war ein Berg; derselbe (glaubt man), auf dem Er verklärt worden war. Die Zahl derer, die Ihn dort sah, betrug fünfhundert zugleich, wenn wir den Bericht des heiligen Paulus zu dem des. Evangeliums hinzufügen. Schließlich wurde Er nach vierzig Tagen von ihnen genommen; Er stieg empor, „und eine Wolke entzog Ihn ihren Blicken“ (Apg 1, 9).

Sollen wir jetzt weniger demütige Verehrung gegen Ihn hegen als die Apostel damals? Zwar ist Er unser Heiland und hat alle sklavische Furcht vor Tod und Gericht dahingenommen. Sollen wir es aber deshalb leicht nehmen mit der vor uns liegenden Zukunft, als ob wir jenes Lohnes sicher wären, um den Er uns ringen heißt? Sicherlich, wir sollen noch „dem Herrn in Furcht dienen und frohlocken in Ehrfurcht“, – „den Sohn küssen, damit er nicht zürne und wir dadurch vom rechten Weg abweichen, wenn Sein Zorn auch nur ein wenig entbrennt; ja, nur ein wenig“ (Ps 2, 11-13). Auf der Lebensbahn eines Christen müssen Furcht und Liebe zusammengehen. Das ist die Lehre, die wir aus der Tatsache ziehen können, daß unser Heiland sich nach Seiner Auferstehung von der Welt zurückzog. Er zeigte Seine Liebe zu den Menschen, indem Er für sie starb und auferstand. Er hielt Seine Ehre und große Herrlichkeit da­durch hoch, daß Er sie mied, als das Ziel Seiner Barmherzigkeit erreicht war; daß sie Ihn suchen sollten, wenn sie Ihn zu finden wünschten. Er stieg auf zu Seinem Vater und ist unseren Blicken ent­zogen. Sünder wären eine schlechte Begleitung für den erhöhten König der Heiligen. Wenn wir in der schuldigen Weise uns vorbereitet haben, Ihn zu sehen, dann werden wir uns Ihm nähern dürfen. Im Himmel wird die Liebe die Furcht verschlin­gen; aber in dieser Welt müssen Furcht und Liebe zusammen gehen. Niemand kann Gott recht lieben ohne Ihn zu fürchten; obgleich viele Ihn fürchten, ohne Ihn jedoch zu lieben. Selbstvertrauende Men­schen, welche ihr eigenes Herz nicht kennen, noch die Gründe, die sie zur Unzufriedenheit mit sich selbst bewegen sollten, fürchten Gott nicht und glauben, diese kühne Freiheit bedeute Liebe zu Ihm. Vorsätzliche Sünder fürchten Ihn, aber sie können Ihn nicht lieben. Jedoch die Hingabe an Ihn besteht in Liebe und Furcht, wie wir es aus unserer gewöhnlichen Anhänglichkeit aneinander sehen können. Niemand liebt wirklich einen an­deren, der nicht gegenseitige Achtung, welche die Freundschaft dauerhaft macht. Das ist auch der Fall hinsichtlich der Empfindungen der Untergebenen gegenüber den Vorgesetzten. Furcht muß der Liebe voraus­gehen. Solange der, welcher Autorität besitzt, nicht zeigt, daß er sie hat und gebrauchen kann, wird seine Nachsicht nicht gebührend eingeschätzt werden; seine Güte wird wie Schwäche aussehen. Es kommt hinzu, daß wir verachten, was wir nicht fürchten; wir können aber nicht lieben, was wir verachten. So ist es auch im Religiösen. Wir kön­nen nicht Christi Erbarmungen verstehen, solange wir nicht Seine Macht, Seine Herrlichkeit, Seine unaussprechliche Heiligkeit und unsere Schuld verstehen; d. h. solange wir Ihn nicht zuerst fürch­ten. Nicht als ob Furcht zuerst käme und dann Liebe; denn meistens werden sie zusammengehen. Die Furcht wird gemildert durch die Liebe zu Ihm und unsere Liebe wird geläutert durch die Furcht vor Ihm. So zieht Er uns inmitten der Schrecken Seiner Drohungen mit ermutigender Stimme an. Wie im Fall des reichen Jünglings liebt Er uns, spricht jedoch strenge zu uns, damit wir lernen möchten, widerstreitende Gefühle gegen Ihn zu hegen. Er verbirgt sich vor uns und doch ruft Er uns zu, damit wir Seine Stimme hören möchten wie Samuel, und im Glauben uns Ihm mit Zittern nähern könnten. Das mag denen befremdlich er­scheinen, die die Schrift nicht aufmerksam lesen, die nicht wissen, was es heißt, ernsthaft nach Gott zu suchen. Aber so befremdend diese geistige Ver­fassung ist, es liegt darin nicht minder eine un­beschreibliche und alles übersteigende Freude für jene, die daran teilhaben. Das Bittere und Süße, seltsam gemischt, lassen so in der Seele ein dauern eine gewisse Ehrfurcht vor ihm fühlt. Wenn Freunde diese Beherrschtheit ihrer Zuneigung überschreiten, können sie zwar fort­fahren, eine Zeitlang Kameraden zu sein, aber sie haben das einigende Band zerrissen. Es ist die gegenseitige Achtung, welche die Freundschaft dauerhaft macht. Das ist auch der Fall hinsichtlich der Empfindungen der Untergebenen gegenüber den Vorgesetzten. Furcht muß der Liebe voraus­gehen. Solange der, welcher Autorität besitzt, nicht zeigt, daß er sie hat und gebrauchen kann, wird seine Nachsicht nicht gebührend eingeschätzt werden; seine Güte wird wie Schwäche aussehen. Es kommt hinzu, daß wir verachten, was wir nicht fürchten; wir können aber nicht lieben, was wir verachten. So ist es auch im Religiösen. Wir kön­nen nicht Christi Erbarmungen verstehen, solange wir nicht Seine Macht, Seine Herrlichkeit, Seine unaussprechliche Heiligkeit und unsere Schuld verstehen; d. h. solange wir Ihn nicht zuerst fürch­ten. Nicht als ob Furcht zuerst käme und dann Liebe; denn meistens werden sie zusammengehen. Die Furcht wird gemildert durch die Liebe zu Ihm und unsere Liebe wird geläutert durch die Furcht vor Ihm. So zieht Er uns inmitten der Schrecken Seiner Drohungen mit ermutigender Stimme an. Wie im Fall des reichen Jünglings liebt Er uns, spricht jedoch strenge zu uns, damit wir lernen möchten, widerstreitende Gefühle gegen Ihn zu hegen. Er verbirgt sich vor uns und doch ruft Er uns zu, damit wir Seine Stimme hören möchten wie Samuel, und im Glauben uns Ihm mit Zittern nähern könnten. Das mag denen befremdlich er­scheinen, die die Schrift nicht aufmerksam lesen, die nicht wissen, was es heißt, ernsthaft nach Gott zu suchen. Aber so befremdend diese geistige Ver­fassung ist, es liegt darin nicht minder eine un­beschreibliche und alles übersteigende Freude für jene, die daran teilhaben. Das Bittere und Süße, seltsam gemischt, lassen so in der Seele ein dauern des Wohlgefallen an der göttlichen Wahrheit zu­rück und befriedigen sie; sie sind nicht so hart, um abzustoßen; noch sind sie von jener schalen Süßigkeit, welche begeisterte Gefühle begleitet und lästig ist, wenn sie alltäglich wird. So emp­finden wir auch das Gewissen, Gottes ursprüng­liche Gabe; wie peinigend! und doch, wer wollte sie verlieren? „Ich tat auf meinen Mund und lechzte, denn nach Deinen Geboten sehne ich mich“ (Ps 118, 131). Das berichtet uns David. Ezechiel beschreibt etwas von dem gleichen Gefühl, als der Geist ihn emporhob und forttrug „und er in Bitter­keit ging, im Feuer seines Geistes“, „denn die Hand des Herrn lag schwer auf ihm“ (Ez 3,14). Wie soll man nun das auf uns, die wir hier ver­sammelt sind, anwenden? Sind wir in Gefahr von Christus unehrerbietig zu sprechen oder zu den­ken? Ich glaube nicht, daß wir in der unmittel­baren Gefahr einer bewußten Unehrerbietigkeit schweben; aber wir schweben in großer Gefahr, nämlich erstens, uns zu gestatten, unehrerbietig zu scheinen, und zweitens, allmählich ehrfurchts­los zu werden, indem wir uns den Anschein geben, es zu sein. Man beginnt nicht damit, absichtlich Gott zu mißachten; sondern man fürchtet sich vor dem Spott anderer: man schämt sich, religiös zu erscheinen. So läßt man sich dazu verleiten, zu tun, als wäre man schlimmer, als man in Wirk­lichkeit ist. Man sagt Dinge, die man nicht so meint; und ob der armseligen Schwäche läßt man sich Handlungen und schlechte Gewohnheiten zu­schreiben, denen man in Wirklichkeit nicht zu frönen wagt. Daher erheuchelt man eine Rede­freiheit, die nur für die Gefährten böser Geister sich schickt. Man nennt den Namen Gottes eitel, um zu zeigen, daß man das Gleiche tun kann wie die Teufel, und man ruft den bösen Geist an oder spricht vertraut von allem, was zu ihm gehört, und man gebraucht mutwillig Fluchworte, als ob sie kein Feuerbrand wären, – als ob man aner­kennen wollte, daß der Urheber des Bösen der große Herr und Meister sei. Ja, er ist wirklich ein Meister, der gestattet, daß man ihm ohne Zittern dient. Seine List besteht gerade darin, die Men­schen soweit zu bringen, daß sie sich vertraut mit ihm fühlen, leichtfertig von ihm denken und leichtfertig mit ihm spielen. Er setzt sich ihrem Spott aus, unterwirft sich ihren Faustschlägen und gibt vor, ihr Sklave zu sein, um sie zu umgarnen. Er hat keine Würde zu wahren und wartet seine Zeit ab, bis er seine Bosheiten befriedigen kann. So ist es von jeher in der ganzen Welt gewesen. Bei allen Völkern war es sein Ziel, die Menschen zum Lachen über ihn zu bringen; er geht hin und her auf der Erde, spaziert in ihr auf und ab, hört und erfreut sich an jenem leichtfertigen, ewigen Ge­plauder über ihn, das seine wirkliche Verehrung ist. Nun dürfen wir nicht annehmen, daß all dieses oberflächliche Geschwätz fortgeführt werden kann, ohne zuletzt des Menschen Herz zu beeinflussen. Das ist die zweite Gefahr, von der ich sprach. Aus falscher Scham anerkennen wir die Religion nicht mit unseren Lippen, und dann wirken unsere Worte auf unsere Gedanken ein. Schließlich wer­den die Menschen zu den kalten, gleichgültigen und weltlichen Charakteren, als welche sie sich bekannten. Sie denken verächtlich von den Dienern Gottes, den Sakramenten und dem Gottesdienst. Sie behandeln Sein Wort geringschätzig, schauen es kaum an und lesen es nie ernstlich. Sie unter schätzen jedes religiöse Bekenntnis, und da sie von sich auf andere schließen, schreiben sie das gewissenhafte Benehmen, das sie an diesen sehen, unehrlichen Beweggründen zu. So sind sie im Herzen Ungläubige, obwohl sie es nicht förmlich sein wollen und es versuchen mögen, ihren eigenen Unglauben mit dem Vorwand zu verhüllen, nur etwas gegen die eine oder andere religiöse Wahr­heit oder Vorschrift zu haben. Sollte eine Zeit der Versuchung kommen, da es ungefährlich wäre, sich zu zeigen, wie sie tatsächlich sind, werden sie (beinahe unbewußt) ihr Bekenntnis zum Christen­tum von sich werfen und sich auf die Seite der spottenden Welt stellen.

Wie müssen andererseits Christen solche gefühl­lose Menschen behandeln? Sie haben das Beispiel unseres Herrn zur Nachahmung. Freilich dürfen sie es nicht wagen, genau das Verhalten Dessen, der keine Sünde hatte, zu befolgen. Sie sollen es nicht wagen; persönlich sich irgend eine Ehre an­zumaßen, und sie sind verpflichtet, besonders wenn sie Seine Diener sind, sich zu demütigen wie die Apostel und „an die Landstraßen und Zäune hinauszugehen und sozusagen die Menschen zu nötigen“ (Lk 14, 23), sich retten zu lassen. Während sie mit größerem Eifer der bittenden Mahnung sich bedienen als ihr Herr, dürfen sie doch die ganze Zeit hindurch nicht die Würde Dessen vergessen, der sie sandte. Er offenbarte Seine Liebe zu uns „in Tat und Wahrheit“ (1 Jo 3, 18), und wir Seine Diener tun sie im Wort kund; gerade aus dem Grunde nun, daß sie so überreich ist, müssen wir in großer Dankbarkeit lernen, Ehrfurcht vor Ihm zu haben. Wir dürfen nicht (um es so auszudrücken) aus Seiner Güte einen Vorteil schlagen, noch die uns anvertrauten Vollmachten mißbrauchen. Nie dürfen wir über­eifrig die Wahrheit denen aufdrängen, die nicht einmal das nutzen, was sie bereits besitzen. Dieses Vorgehen entehrt Christus, während es dem Spöt­ter Schaden, aber keinen Gewinn bringt. Das heißt man Perlen vor die Schweine werfen. Wir müssen auf alle Gelegenheiten achten, den Menschen nütz­lich zu sein, aber uns hüten, zu viel auf einmal zu versuchen. Wir sollen ihnen die Schriftwahr­heiten mitteilen in dem Maß und in der Zeit, wie sie diese ertragen können; wir dürfen aber nicht begierig sein, auf alle einzelnen einzugehen, viel­mehr müssen wir sie vor der Welt verbergen. Selten dürfen wir uns in eine Kontroverse oder in ein Streitgespräch einlassen; denn es ist den heiligen Wahrheiten abträglich, wenn man sie zum Gegenstand einer gewöhnlichen Debatte macht. Die allgemeine Schicklichkeit legt uns von Anfang an ähnliche Regeln nahe. Wer würde frei über einen verehrten Freund in der Gegen­wart jener sprechen, die ihn nicht schätzen? Oder wer würde glauben, er könnte mit wenigen Wor­ten ihre Gleichgültigkeit gegen ihn überwinden? Oder wer würde voreilig sich in eine Unterredung über ihn einlassen, wenn die Zuhörer kein Ver­langen hätten, zur Liebe zu ihm bewogen zu werden?

Wir wollen vielmehr alle ungemessenen Worte meiden und unser Licht vor den Menschen durch unsere Werke zeigen. Hier müssen wir sicher gehen. Wenn wir Gerechtigkeit üben, Barmherzig­keit erzeigen, die Wahrheit sagen, der Sünde widerstehen, der Kirche gehorchen, – und so Gott verherrlichen, kann von Ehrfurchtslosigkeit keine Rede sein. Vor allem laßt uns in unser eigenes Innere schauen, abhalten alle schlechten Gedan­ken, anmaßenden Einbildungen, eitlen Wünsche, alles unzufriedene Murren, alle selbstgefälligen Überlegungen und dadurch in unseren Herzen zu jeder Zeit Den im Verborgenen ehren, dem wir durch offenes Bekenntnis Ehrfurcht erweisen. Möge Gott uns führen in einer gefahrvollen Welt und uns vom Übel erlösen. Und möge Er durch die Macht Seines Geistes alle jene ernsten Ge­danken erwecken, die weltlich und gleichgültig leben!