Das Reich der Heiligen

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20. Predigt, Pfingstmontag 1835

„Der Stein, der an die Bildsäule gestoßen, ward zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde“ (Dn 2, 35).

Wären wir wie die Engel imstande, den Ver­lauf der göttlichen Heilstaten in der Welt- zu sehen, zweifellos – wir könnten nicht leugnen, daß es Seine unsichtbare Führung war, die dieselben anordnete. Ja, der vermessenste Sünder hielte es für hoff­nungslos, den Zeichen der göttlichen Wirksamkeit in ihnen zu widerstehen; und er würde „glauben und zittern“ (Jak 2,19). Was die Heiligen in der Geheimen Offenbarung veranlaßt, den allmächti­gen Gott zu preisen und anzubeten, ist der Anblick Seiner wunderbaren Werke, wenn man sie als Ganzes betrachtet von Anfang bis zu Ende. „Groß und wunderbar sind Deine Werke, Herr, allmäch­tiger Gott; gerecht und wahrhaftig sind Deine Wege, König der Heiligen! Wer sollte Dich nicht fürchten, Herr, und Deinen Namen preisen?“ (Offb 15, 3. 4). Und vielleicht mag eine solche Betrach­tung der göttlichen Vorsehungswege, sei es in ihrem eigenen persönlichen Leben oder in den Geschicken ihres Vaterlandes oder der Kirche oder der Welt insgesamt, eine der Beglückungen der Auserwähl­ten Gottes im Zwischenzustand sein. Indessen werden sogar wir Sünder, die wir weder wie die heimgegangenen Heiligen unserer Krone sicher noch viel weniger den Engeln vergleichbar sind, die „ge­waltig an Kraft Seine Befehle vollstrecken und auf die Stimme Seines Wortes hören“ (Ps 102, 20), werden sogar wir an Hand geschichtlicher Auf­zeichnungen eines gewissen Blickes in Gottes Vor­sehung gewürdigt. Geschichte und Weissagung sind uns als Erkenntnisquellen gegeben und sie werfen mannigfaltige Strahlen auf Seine Vollkommenhei­ten und Seinen Willen, sei es, daß wir sie im ein­zelnen oder als Ganzes nehmen. Der Vorspruch legt uns ein besonderes Beispiel dieses Vorrechtes nahe, nämlich in dem Blick, den wir in die Einführung und Ausbreitung des Evangeliums tun dürfen. Es wird am Platze sein, einige Ausführungen über die darin erkennbare wundervolle Vorsehung Gottes zu machen, zumal in einer Zeit, da wir besonders das Gedächtnis an seine erste öffentliche Kundge­bung in dem Herabsteigen des Heiligen Geistes auf die Apostel feiern.

Die Worte des Vorspruches bilden einen Teil der Traumdeutung, die Daniel auf Gottes Eingebung hin dem Nabuchodonosor gab, den der Traum „be­unruhigte“ (Dn 2, 3), Nachdem er das große Stand­bild beschrieben hatte, mit einem Haupt aus feinem Gold, Armen aus Silber, Leib und Hüften aus Erz, Beinen aus Eisen und Füßen aus Eisen und Ton, durch die die vier vorchristlichen Reiche bezeichnet wurden, ging er dazu über, das Wachstum des Chri­stentums mit folgenden Worten vorauszusagen: „So sähest du, bis sich ein Stein vom Berge losriß ohne Menschenhände und an die Füße der Bild­säule stieß, die aus Eisen und Ton waren, und die­selben zermalmte. Da ward zugleich zermalmet das Eisen, die Erde, der Ton, das Erz, das Silber und das Gold und sie wurden gleich wie Staub“; so schwer und kostbar auch die Metalle waren, sie wurden leicht wie Staub „einer Tenne im Som­mer, den der Wind wegführte . . . Aber der Stein, der an die Bildsäule gestoßen, ward zu einem gro­ßen Berg und erfüllte die ganze Erde.“ Dann fügte er folgende Auslegung hinzu: „In den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Reich erwecken, das in Ewigkeit nicht zerstört werden wird; das Reich wird keinem anderen Volk gegeben werden, sondern es wird zermalmen und vernichten alle diese Reiche; es selber aber wird bestehen ewiglich“ (Dn 2, 44).

Diese Weissagung Daniels ist heute unter uns in Erfüllung gegangen. Wir wissen, daß dem so ist. Jene vier götzendienerischen Reiche sind unterge­gangen, das Reich Christi aber, nicht von Men­schenhänden gebildet, bleibt bestehen und ist unser eigener beglückender Anteil. Aber so allgemein da­von zu sprechen, heißt kaum Gottes Werk die schul­dige Ehre erweisen oder die volle Frucht unserer Erkenntnis ernten. Tun wir daher einen Blick in die Einzelheiten dieser großen Vorsehung, d. h. in die Geschichte des christlichen Heilswerkes.

1. Beachtet, was da vor sich ging. Es hat vor und nach Christi Ankunft viele Reiche gegeben, die mit dein Schwert errichtet und vergrößert wurden. Dies ist ja der einzige Weg, wie irdische Macht wächst. Klugheit und Geschick leiten ihre Unternehmun­gen, aber der bewaffnete Arm ist das Werkzeug ihrer Ausdehnung. Und ein unbedenkliches Gewis­sen, ein hartes Herz und verbrecherische Taten sind die üblichen Begleiter ihres Wachstums: d. h. sie ist in der einen oder anderen Form nichts als Usurpation, Invasion, Eroberung und Tyrannei. Sie erhebt sich wider ihren Nachbarn und wächst durch äußere Zusammenstöße und durch sichtbare Vergrößerung. Dagegen war die Ausbreitung des Evangeliums die innere Entwicklung ein und desselben Prinzips in verschiedenen Ländern zugleich und kann daher passend unsichtbar genannt werden und nicht von dieser Welt. Die jüdische Nation „stieß nicht nach Westen, Norden und Süden“ (Dn 8, 4). Aber ein Geist ging aus von ihrer Synagoge in alle Länder, und wo immer er hinkam, da entstand sogleich eine neue Ordnung der Dinge in den Herzen der Außen­stehenden; sie entstand gleichzeitig, unabhängig an jedem Ort, und sie erkannte wieder ihre Nachbil­dungen, die überall ringsum entstanden, ohne sie aber in irgendeiner Weise selbst zu verursachen. Wir Christen wissen zwar, daß die Apostel die Werkzeuge, die geheimen Sendlinge (wie man sie nennen könnte) dieses Werkes waren; aber ich spreche hier von der Erscheinung der Dinge, wie ein Heide sie ansehen könnte. Wer von den Wei­sen oder Forschern dieser Welt wird von einer Handvoll hilfloser Männer Notiz nehmen, die von Ort zu Ort wandern und eine neue Lehre predigen? Niemals kann man das glauben, es ist unmöglich, daß sie die wirklichen Träger der nun folgenden Umwälzung sein könnten. Dies behaupten wir, und die Denkart der Welt müßte genug Folgerichtigkeit haben, um mit uns übereinzustimmen. Sie schaute damals auf die Apostel herab; sie sagte sich, daß diese nichts zuwegebringen könnten; dasselbe mag sie mit üblicher Billigkeit auch heute sagen. Sicher­lich muß es der Denkart dieser Welt ebenso lächer­lich erscheinen, große Veränderungen so schwachen Gefäßen zuzuschreiben, wie jenen unvorstellbaren, unsichtbaren Trägern, den himmlischen Scharen nämlich, deren Dasein sie leugnet. Wie sie die An­nahme einer Vermittlung durch die Engel als will­kürlich einschätzen möchte, so mußte sie damals und muß sie immer noch die Hypothese der aposto­lischen Bemühungen unzulänglich nennen. Ihr eige­nes Zeugnis zu Beginn wird jetzt zu unserem Be­weis.

Lassen wir daher den Gedanken an die schwachen und verachteten Prediger, die landauf landab gin­gen, beiseite und sehen wir zu, was wirklich ge­schah. Inmitten eines großen Reiches, wie es die Welt nie gesehen hatte, mächtiger und überlegener als alle früheren Reiche, zudem ausgedehnter und bes­ser organisiert, entstand plötzlich ein neues Reich. Plötzlich sprang es wie aus dem Boden in jedem Teil dieses festgefügten Reiches, im Osten und We­sten, im Norden und Süden, wie auf eine gemein­same Verabredung hin, jedoch ohne jegliches hin­reichende System der Fühlungnahme oder ohne einen beeinflussenden Mittelpunkt: Tausende wohl­geordneter Gemeinschaften, die ein und dieselbe Lehre bekannten und an dieselbe Verfassung ge­bunden waren. Es schien, als ob Quellen aus großer Tiefe aufgebrochen und gewisse neue Formen der Schöpfung von unten hervorgestoßen wären, die vielfältigen Kämme eines „großen Berges“. Dieses Reich durchkreuzte, sprengte und verwirrte die vor­handene Ordnung der Dinge, senkte die Hügel und füllte die Täler – es war unwiderstehlich, weil plötzlich, unvorhergesehen und unvorbereitet -, bis es „die ganze Erde erfüllte“. Das war allerdings etwas „Neues“ (Is 43,19); und unabhängig von aller Beziehung zur Weissagung ist es vor wie nach beispiellos in der Weltgeschichte und geeignet, das höchste Interesse und Staunen in jedem wirklich denkenden Geist zu erregen. Überall in den König­reichen und Provinzen Roms breitete sich plötzlich diese ungewöhnliche Erscheinung wie ein Netz über die ganze Erde aus, während scheinbar alles beim alten blieb, die Sonne auf- und unterging, die Jah­reszeiten aufeinander folgten, die Leidenschaften die Menschen beherrschten wie von Anfang an, ihre Gedanken auf weltliche Geschäfte erpicht waren, auf ihren Gewinn oder ihr Vergnügen und auf ihre ehrgeizigen Pläne und Zwiste, der Krieger seine Kraft mit dem Krieger maß, die Politiker Pläne schmiedeten und die Könige Gelage hielten. Plötz­lich sahen sich die Menschen von Gegnern umringt wie ein Heerlager, das bei Nacht überrumpelt wurde. Und das Wesen dieser gegnerischen Schar war (womöglich) noch auffallender als die Art, wie sie kam. Es war kein Ausländer, der sie überfiel, kein Barbar vom Norden, noch eine Sklavenhorde, die sich erhob, noch eine Kriegsflotte von Seeräu­bern, sondern der Feind erstand aus ihren eigenen Reihen. Der Erstgeborene eines jeden Hauses, „vom Erstgeborenen des Pharao auf dem Thron bis zum Erstgeborenen des Gefangenen im Kerker“ (Ex 11, 5), fand sich unerklärbar eingetragen in die Stammrolle dieser neuen Macht und entfremdete sich seinen natürlichen Freunden. Ihr Bruder, ihrer Mutter Sohn, ihr Eheweib, der Freund, der ihnen wie ihre eigene Seele war, diese waren die geschwo­renen Soldaten „des machtvollen Heeres“, das „das Antlitz der ganzen Erde bedeckte“ (Jdt 2,11).

Als sie dann begannen, diese Gegner römischer Größe zu verhören, da fanden sie bei ihnen keine Verschwommenheit im Bekenntnis, keinen Wider­spruch in ihrer Selbstaussage, keinen unregelmäßigen gen und ungewissen Plan im Handeln und Beneh­men. Sie waren alle Glieder streng und ähnlich geordneter Gemeinschaften. Jeder einzelne war in seinem Bezirk der Untertan eines neuen Staates, an dessen Spitze ein sichtbares Haupt mit seinen Unterbeamten stand. Diese kleinen Reiche ver­mehrten sich unbegrenzt, jedes von ihnen ein Ver­bündeter des anderen. Wo immer der römische Kai­ser reiste, fand er diese scheinbaren Nebenbuhler seiner Macht, die Bischöfe der Kirche. Ferner wei­gerten sich alle ohne Ausnahme, soweit die Reli­gion in Frage kam, seinen Befehlen und den vor­geschriebenen Gesetzen Roms zu gehorchen. Die Autorität der heidnischen Religion, die in der Vor­stellung der Römer mit der Geschichte ihrer Größe unzertrennlich zusammenhing, wurde einfach von diesen emporschnellenden Reichen in den Wind ge­schlagen. Gleichzeitig bekannten und zeigten sie eine einzigartige Langmut und Unterwerfung gegenüber den staatlichen Behörden. Sie rührten weder Hand noch Fuß zur Selbstverteidigung; sie fügten sich dem Tod, ja sie hielten den Tod sogar für die größte Gnade, die man ihnen erweisen konnte. Weiter bekannten alle ohne Ausnahme klar und mutig die gleiche Lehre; sie erklärten, daß sie diese aus ein und derselben Quelle erhielten. Sie führten sie zurück durch die ununterbrochene Reihe ihrer Bischöfe auf gewisse zwölf oder vier­zehn Juden, die versicherten, sie vom Himmel emp­fangen zu haben. Außerdem waren sie miteinander verbunden durch die engsten Bande der Brüderlich­keit; die Gemeinschaft eines jeden Ortes mit ihrem Vorsteher und ihre Vorsteher untereinander durch ein enges Bündnis über die ganze Erde hin. Und endlich, trotz Verfolgung von außen und gelegentlichen Zwistigkeiten im Innern kamen sie zu einer solchen Blüte, daß sie drei Jahrhunderte nach ihrem ersten Auftreten im Kaiserreich dessen Herrscher nötigten, Glieder ihrer Vereinigung zu werden. Ja, noch mehr, sie waren damit nicht zu Ende, sondern als die staatliche Macht an Kraft nachließ, wurden sie ihre Beschützer anstatt ihre Opfer. Sie vermit­telten zwischen dem Kaiserreich und den Barbaren­horden, und nachdem seine Stunde gekommen war, begruben sie es friedlich und nahmen seine Stelle ein, obsiegten über die Eindringlinge, unter­warfen ihre Könige und erlangten zuletzt die Ober­herrschaft; sie herrschten, geeint unter einem Haupt, gerade auf dem Schauplatz ihrer früheren Leiden, in dem Bereich des Imperiums, mit Rom selbst als ihrem Mittelpunkt, dem Sitz der kaiser­lichen Regierung. Ich gehe nicht auf die Frage nach der Lehre ein, noch weniger auf die nach der Weis­sagung. Ich forsche nicht danach, wie weit dieses sieghafte Reich zu jener Zeit von seinem ursprüng­lichen Charakter sich abkehrte, sondern ich lenke nur die Aufmerksamkeit auf dieses geschichtliche Phänomen. Wie seltsam also ist der Lauf der Heils­ordnung! Fünf Jahrhunderte schließen den Auf­stieg und den Fall anderer Königreiche ein; aber zehn genügten nicht zur vollen Ausweitung dieses einen. Seine Herrschaft begann erst, als andere Mächte ihren Weg durchlaufen und sich erschöpft hatten. Und bis auf den heutigen Tag dauert jene ursprüngliche Dynastie an, die mit den Aposteln begann. Trotz aller Veränderungen des staatlichen Lebens, der Rasse, der Sprache und der Überzeu­gung hat die Aufeinanderfolge der Herrscher von damals weiterbestanden, und immer noch vertre­ten sie in jedem Land die ursprünglichen Gründer. „Anstatt deiner Väter werden dir Söhne geboren; Du wirst sie zu Fürsten setzen auf der ganzen Erde“ (Ps 44,17). Wahrlich, das ist das Gesicht von „einem Stein, der sich loslöste ohne Menschen­hände“, „der zerschlug“ die Götzenbilder der Welt, „und sie zermalmte“, der sie zerstreute „wie Spreu“, und an ihrer Stelle „die ganze Erde er­füllte“. Wenn es einen obersten Gesetzgeber der Welt gibt, liegt dann nicht etwas Überirdisches in all diesem, etwas, das wir wegen seiner wunder­baren Erscheinung auf Ihn beziehen müssen, etwas, das ob seiner Vortrefflichkeit und Größe Seine Hand verrät?

2. Mit diesem wundervollen Phänomen vor Augen wollen wir nun die Aussagen Christi und Seiner Apostel erwägen. Schon in der Jugendzeit ihres Reiches, während sie durch die Städte Israels wan­dern oder unter den Heiden wie Auswurf hin und her geworfen werden, sprechen sie zuversichtlich, feierlich und ruhig von seinem vorherbestimmten Wachstum und Triumph. Beachtet die Worte unse­res Herrn: „Jesus kam nach Galiläa, predigte das Evangelium vom Reiche Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes hat sich genaht; tuet Buße und glaubt dem Evangelium“ (Mk 1,14.15). Ferner: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will Ich Meine Kirche bauen; und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). „Ich bereite euch das Reich, wie es Mir Mein Vater bereitet hat, daß ihr esset und trinket an Meinem Tisch in Meinem Reich und auf Thro­nen sitzet, die zwölf Stämme Israels zu richten“ (Lk 22, 29. 30). „Das Himmelreich ist gleich einem Senfkörnlein, das man nahm und auf einen Acker säte. Dieses ist zwar das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es das größte unter allen Kräutern, und es wird zu einem Baum, so daß die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen wohnen“ (Mt 13,31.32). Ist wohl ein Zweifel möglich, daß Christus bei diesen Wor­ten die alles überschattende Oberherrschaft Seines Reiches im Auge hatte? Ich darf bemerken, daß das benützte Bild das gleiche ist, das Daniel auf das assyrische Reich anwandte. „Der Baum, den du geschaut“, sagt er zu Nabuchodonosor, „hoch und stark . .., auf dessen Zweigen die Vögel des Him­mels weilten, der bist du, o König“ (Dn 4,17. 18.19). Wie wundervoll wurde das Gegenstück zu dieser Weissagung erfüllt, als die Mächtigen der Erde Zuflucht suchten in der heiligen Kirche! Wei­ter heißt es: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen Geschöpfen. Wer glaubt und sich taufen läßt, der wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mk 16,15.16). Mit welcher „Autorität“ spricht Er! Welch majestätische Einfachheit, welch unbedenk­liche Entschlossenheit, welch zwingende Hoheit liegt in seinen Worten! Sinnet über sie nach im Zu­sammenhang mit den Geschehnissen!

Bedenket anderseits, in welchen Ausdrücken Er über jene Auflösung der Gesellschaftsordnung redet, die die Aufrichtung Seines Reiches begleiten sollte. „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu senden, und was will Ich anderes als daß es brenne? Aber Ich muß mit einer Taufe getauft wer­den, und wie drängt es Mich, bis es vollbracht ist!“ (Lk 12, 49. 50). „Glaubet nicht, daß Ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn Ich bin gekommen, den Sohn zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter, und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter: und des Menschen Feinde wer­den seine eigenen Hausgenossen sein“ (Mt 10, 3436). „Es wird der Bruder den Bruder dem Tod überliefern und der Vater den Sohn; und die Kin­der werden sich erheben wider ihre Eltern und ihren Tod veranlassen, und ihr werdet von jeder­mann gehaßt sein um Meines Namens willen … In denselben Tagen nach dieser Trübsal wird die Sonne verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben. Die Sterne des Himmels wer­den herabfallen und die Kräfte des Himmels er­schüttert werden“ (Mk 13,12.13. 24. 25). In den letzten Worten, mag die Schwierigkeit der chrono­logischen Bestimmung noch so groß sein, ist unter den bekannten prophetischen Sinnbildern eine klare Ankündigung der früheren oder späteren Zerstörung der bestehenden politischen Einrichtun­gen enthalten. Beachtet ebenso, wie der heilige Paulus die Bedrängnisse, die über die Erde kom­men sollen, und das gleichzeitige Entstehen der christlichen Kirche als gewiß voraussetzt und dar­über spricht, wie wenn es bereits verwirklicht wäre. „Jetzt aber lauten die Worte der Verheißung: Noch einmal und Ich will nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel erschüttern. Mit den Worten ,Noch einmal‘ weist Er auf die Umwandlung des Wandelbaren als etwas Geschaffenem hin, damit das Unwandelbare bleibe. Da wir nun ein unwan­delbares Reich empfangen, so laßt uns dankbar sein; dadurch können wir Gott wohlgefällig mit Ehrfurcht und frommer Scheu dienen“ (Hebr 12, 26-28).

Die Ausdrucksweise, von der die obige nur ein Beispiel darstellt, ist um so mehr der Beachtung wert, da weder Christus noch Seine Apostel mit Jubel die­sen wunderbaren Umwandlungen entgegensahen, sondern mit einem tiefen Gefühl von Freude und Trauer zugleich. Sie sagten ja die trüben An­zeichen jener beklagenswerten Verderbnis in der Kirche voraus, deren seitheriges Umsichgreifen alle Christen zugeben, obschon sie in der Darstellung derselben auseinandergehen mögen. „Weil die Ungerechtigkeit überhand nimmt, wird die Liebe vieler erkalten … Es werden falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen und sie werden große Zeichen und Wunder tun, so daß auch die Auserwählten, wenn es möglich wäre, in Irrtum ge­führt würden. Siehe, Ich habe es euch vorausgesagt“ (Mt 24,12. 24. 25). „In den letzten Tagen werden gefährliche Zeiten kommen. Denn es werden Men­schen sein voll Eigenliebe, habsüchtig, prahle­risch … Verräter, mutwillig, aufgeblasen, … die zwar einen Schein der Frömmigkeit haben, aber die Kraft derselben verleugnen … Die bösen Men­schen aber und die Verführer werden immer ärger werden; denn sie irren und führen in Irrtum“ (2 Tim 3,1-5.13).

Wenn ich nun nichts weiteres vorzubringen hätte als die beiden hier nachdrücklich betonten Gedan­ken, nämlich die einzigartige Geschichte des Chri­stentums und den klaren und zuversichtlichen Blick in seine Zukunft auf Seiten seiner ersten Verkün­diger, dann hätten wir, wie wir annehmen möch­ten, genug Beweismaterial, um den Hartnäckigsten zum Glauben an seine Göttlichkeit zu bewegen. Aber morgen werden wir, so Gott will, sehen, ob nicht etwas zu der obigen Betrachtungsweise hinzu­gefügt werden kann.

aus: Deutsche Predigten (DP), Bd II, Schwabenverlag 1950, pp. 259-270.