Mein Gott, meine Erfahrung lehrt mich deutlich genug, welch schreckliche Knechtschaft die Sünde ist. Wenn Du mich verläßt, habe ich keine Gewalt über mich, so sehr ich es wünsche – ich verfalle der Unbotmäßigkeit meines Eigenwillens und Stolzes, meiner Sinnlichkeit und Selbstsucht. Sie beherrschen mich täglich mehr, bis ich nicht mehr zu widerstehen vermag. Allmählich wird der alte Adam, der in mir lebt, so stark, daß ich zum Sklaven werde. Ich sehe ein, daß dieses oder jenes unrecht ist, und tue es doch. Ich beklage mich bitter über meine Knechtschaft und vermag sie doch nicht abzuwerfen. Welch eine Tyrannei ist die Sünde! Sie ist wie eine schwere Last, die mich lähmt – und was wird das Ende sein? Um Deiner kostbaren Verdienste willen, durch Deine allmächtige Kraft flehe ich inständig zu Dir, o mein Herr und Heiland, gib mir Leben und Heiligkeit und Stärke! Deus sanc-tus, gib mir Heiligkeit! Deus fortis, gib mir Kraft! Deus immortalis, gib mir Beharrlichkeit! Sanctus Deus, Sanctus Fortis, Sanctus Immortalis, miserere nobis!
Selige John Henry Newman, Betrachtungen und Gebete, Kösel Verlag, München 1952, 73