Die Einwohnung des Heiligen Geistes

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(Ende des Jahres 1834)

„Ihr jedoch lebt nicht dem. Fleisch, sondern dem Geist, wenn wirklich der Geist Gottes in euch wohnt“ (Röm 8, 9).

Der Sohn Gottes hat Sich in Gnaden herab­gelassen, den Vater Seinen Geschöpfen durch Sein sichtbares Erscheinen zu offenbaren, Gott der Hei­lige Geist dagegen durch innere Mitteilung. Wer kann diese verschiedenen Werke göttlicher Huld miteinander vergleichen, da sie beide unsere Fas­sungskraft übersteigen? Wir können nur in Schwei­gen die unendliche Liebe anbeten, die uns von allen Seiten umfängt. Der Sohn Gottes wird das Wort genannt, da Er Gottes Herrlichkeit durch die ge­schaffene Natur kundtut und allen ihren Einzel­wesen dieses Zeugnis aufdrückt. Er hat uns die Möglichkeit gegeben, diese in den Werken Seiner Güte, Heiligkeit und Weisheit zu erkennen. Er ist das lebendige und ewige Gesetz der Wahrheit und Vollkommenheit, jenes Abbild der unzugänglichen Eigenschaften Gottes, welches die Menschen stets als einen schwachen Schimmer auf dem Antlitz der Erde gesehen haben. Sie fühlten, daß dieses Gesetz über alles erhaben sei, aber sie wußten nicht, ob man es ein Grundgesetz und selbstmächtiges Schick­sal oder den Ausfluß und Spiegel des göttlichen Willens nennen sollte. Das ist Er gewesen von An­beginn an, in freier Liebe vom Vater ausgegangen, um Dessen Herrlichkeit auf alle Dinge auszustrah­len. Er ist unterschieden von Ihm, doch geheimnis­voll eins mit Ihm. Zur festgesetzten Zeit suchte Er uns mit einer unendlich größeren Erbarmung heim, damals als Er um unserer Erlösung willen Sich Selbst erniedrigte und jene gefallene Natur an­nahm, die Er am Anfang nach Seinem eigenen Bild geschaffen hatte.

Die Herablassung des Heiligen Geistes ist ebenso unfaßbar wie die des Sohnes. Er ist immer die ge­heime Gegenwart Gottes in der Schöpfung gewesen, ein Lebensquell inmitten des Chaos. Er gestaltete und ordnete, was zuerst ungestalt und leer war. Er ist die Stimme der Wahrheit in den Herzen aller vernünftigen Wesen und bringt sie in Einklang mit den Weisungen des göttlichen Gesetzes, die von außen an sie ergangen sind. Daher wird Er beson­ders der „Leben-spendende“ Geist genannt, da Er sozusagen die Seele der gesamten Natur ist, die Kraft von Mensch und Tier, der Lenker des Glau­bens, der Zeuge gegen die Sünde, das innere Licht der Patriarchen und Propheten, die Gnade, die in der Seele des Christen wohnt, der Herr und Leiter der Kirche. Laßt uns daher allzeit den allmäch­tigen Vater preisen, der der Ursprung aller Voll­kommenheit ist, in und mit Seinem wesensgleichen Sohn und dem Geist, durch deren gnadenvolle Wirksamkeit es uns gewährt ist, zu sehen, „mit welch großer Liebe“ (1 Joh 3,1) der Vater uns ge­liebt hat.

An diesem Festtag möchte ich, wie es schicklich ist, an Hand der Heiligen Schrift, so gut ich kann, das barmherzige Walten des göttlichen Geistes über uns Christen dartun. Ich hoffe, es mit dem Ernst und der Ehrfurcht, die der Gegenstand erfordert, tun zu können.

Der Heilige Geist hat von Anfang an um den Men­schen gerungen. Wir lesen im Buch Genesis, daß der Herr, als vor der Sintflut die Schlechtigkeit auf der ganzen Erde überhandzunehmen begann, sagte: „Mein Geist wird Sich nicht auf die Dauer mit dem Menschen abgeben“ (Gn 6, 3). Das heißt, daß Er bisher gegen seinen verderbten Sinn gekämpft hatte. Als dann Gott Sich ein besonderes Volk erwählte, schenkte der Heilige Geist diesem Seine gnaden­volle Gegenwart. Nehemias sagt: „Du verliehest ihnen Deinen guten Geist zu ihrer Unterweisung“ (Neh 9, 20), und Isaias: „Sie waren widerspenstig und betrübten Seinen Heiligen Geist“ (Is 63,10). Ferner offenbarte Er Sich in den Propheten und in anderen Menschen als die Quelle verschiedener, geistiger und außerordentlicher Gaben. So erfüllte in dieser Zeit, als das Zelt gebaut wurde, der Herr den Bezaleel „mit dem Geist Gottes, mit Weisheit und Verstand und Wissenschaft, in allerlei Arbeit alles zu erdenken, was gemacht werden kann“ in Metall, Stein und Holz (Ex 31, 3. 4). Zu einer an­deren Zeit, als Moses mit Arbeit überhäuft war, gewährte Gott ebenfalls in Gnaden „von dem Geist, der auf ihm ruhte, zu nehmen“ und Ihn den siebzig Ältesten aus Israel mitzuteilen, damit sie die Bürde mit ihm teilten. Und es geschah, daß, sobald Sich der Geist auf sie herabgelassen hatte, sie fortan in prophetische Verzückung gerieten. Diese Stellen mögen genügen, euch an viele andere zu erinnern, in denen von den Gaben des Geistes im Alten Bund gesprochen wird. Es waren große Gnaden; doch bei all ihrer Größe sind sie nichts im Vergleich mit der alles übersteigenden Gnade, mit der wir Christen beehrt werden. Darin besteht das große Vorrecht, nicht nur die Gaben des Geistes, sondern sogar Seine Gegenwart, ja Ihn Selbst, durch eine wirkliche, nicht bloß bildlich verstandene Einwohnung in unsere Herzen aufzunehmen. Als unser Herr Sein öffentliches Wirken begann, trat Er auf, wie wenn Er ein bloßer Mensch wäre, der Gnade bedürftig. Um unseretwillen empfing Er die Heiligung des Heiligen Geistes. Er wurde zum Christus oder zum Gesalbten, damit sichtbar wer­den sollte, daß der Geist von Gott komme und von Ihm auf uns übergehe. Daher wird die himmlische Gabe nicht einfach Heiliger Geist genannt oder Geist Gottes, sondern Geist Christi, damit wir klar verstehen könnten, Er komme zu uns von Christus und an Stelle Christi. So sagt der heilige Paulus: „Gott hat den Geist Seines Sohnes in unsere Herzen gesandt“ (Gal 4, 6); und unser Herr hauchte Seine Apostel an und sprach: „Empfanget den Heiligen Geist“ (Joh 20,22); anderswo sagt Er zu ihnen: „Wenn Ich hingehe, werde Ich Ihn zu euch sen­den“ (Joh 16, 7). Dementsprechend wird „dieser ver­heißene Heilige Geist das Angeld unserer Erb­schaft“ genannt, „das Siegel und das Angeld des unsichtbaren Heilandes“ (Eph 1,14; 2 Kor 1, 22; 5, 5). Er ist das gegenwärtige Pfand Dessen, der abwesend ist; – oder besser, mehr als ein Pfand, denn ein Angeld ist nicht ein bloßes Zeichen, das nach seiner Einlösung uns genommen wird, wie es beim Pfand der Fall sein kann, sondern eine Art Vorschuß, um eines Tages in seiner Fülle ausbe­zahlt zu werden.

Hier darf keine Unklarheit herrschen, denn es würde scheinbar daraus folgen, daß in diesem Fall der an Stelle Christi erschienene Tröster Sich ge­würdigt haben müßte, in derselben Weise zu kom­men wie Christus. Er ist, meine ich, nicht nur in Seinen Gaben oder Einwirkungen oder Werken ge­kommen, wie Er zu den Propheten kam, denn dann wäre Christi Weggang ein Verlust, nicht ein Ge­winn, und die Gegenwart des Geistes wäre ein bloßes Pfand, nicht ein Angeld. Er kommt zu uns wie Christus, in einer wirklichen und persönlichen Gegenwart. Ich sage nicht, wir hätten das so genau und klar aus der bloßen Beweiskraft der oben an­geführten Steilen schließen können. Da es aber tatsächlich in anderen Stellen der Schrift uns so geoffenbart ist, sind wir sicherlich berechtigt, diese Folgerung zu ziehen. Wir können sehen, daß der Heiland nach Seiner Ankunft in der Welt, sie nicht im gleichen Zustand zurücklassen wollte, wie sie vor Seiner Ankunft war; denn Er ist noch bei uns, nicht in bloßen Gaben, sondern weil Sein Geist in der Kirche, wie auch in den Seelen der einzelnen Christen an Seine Stelle tritt.

Der heilige Paulus sagt z. B. im Vorspruch: „Ihr jedoch lebt nicht dem Fleisch, sondern dem Geist, wenn wirklich der Geist Gottes in euch wohnt.“ „Er wird sogar eure sterblichen Leiber beleben um Sei­nes Geistes willen, der in euch wohnt“ (Rom 8,11). „Wißt ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt? “ (1 Kor 6,19). „Ihr seid  der Tempel  des lebendigen  Gottes. Wie Gott gesagt hat: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln“ (2 Kor 6,16). Derselbe Apostel un­terscheidet klar zwischen der Einwohnung des Gei­stes und Seinen jeweiligen Wirkungen in uns. Sagt er doch: „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns verlie­hen wurde“ (Röm 5, 5); und wiederum: „Der Geist Selbst bezeugt es durch unseren Geist, daß wir Kin­der Gottes sind“ (Röm 8,16).

Bevor wir weitergehen, wollen wir darauf achten, welch indirekter Beweis für die Gottheit des Hei­ligen Geistes in diesen Texten liegt. Wer kann per­sönlich zu gleicher Zeit in jedem Christen gegen­wärtig sein außer Gott Selbst? Wer außer Ihm herrscht nicht nur inmitten der Kirche auf unsicht­bare Weise, so wie Michael über Israel Wache hal­ten oder ein anderer Engel „der Fürst von Persien“ sein konnte – sondern schlägt wirklich Seine Woh­nung als ein und derselbe in vielen einzelnen Her­zen auf, um so unseres Herren Wort zu erfüllen, daß Sein Weggang gut war? Christi körperliche Gegenwart, die an den Raum gebunden war, wurde vertauscht mit der mannigfaltigen geistigen Ein­wohnung des Trösters in uns. Diese Betrachtung läßt uns die Würde des Heiligmachers wie den un­endlichen Wert Seines Waltens in uns ahnen.

Fahren wir weiter: Der Heilige Geist wohnt, wie ich sagte, im Leib und in der Seele wie in einem Tempel. Böse Geister haben zwar die Macht, vom Sünder Besitz zu ergreifen, aber Seine Einwohnung ist weit vollkommener; denn Er ist allwissend und allgegenwärtig, Er kann alle unsere Gedanken er­gründen und in jede Regung des Herzens eindrin­gen. Daher durchdringt Er uns (wenn man so sagen darf) wie das Licht ein Gebäude oder wie ein süßer Wohlgeruch die Falten eines vornehmen Gewandes, und daher sind wir nach den Worten der Schrift in Ihm und Er in uns. Es ist klar, daß eine solche Einwohnung den Christen in einen ganz neuen und wunderbaren Zustand versetzt, der weit mehr ist als der Besitz von bloßen Gaben. Sie erhebt ihn auf der Stufenleiter der Wesen in unbegreiflicher Weise und verleiht ihm eine Stellung und eine Auf­gabe, die er vorher nicht besaß. Nach der kraft­vollen Sprache des heiligen Petrus wird er „Teil­nehmer an der göttlichen Natur“ (2 Petr 1,4) und hat „Macht“ oder Gewalt, wie der heilige Johannes sagt, „Kind Gottes zu werden“ (Joh 1,12) oder um die Worte des heiligen Paulus zu gebrauchen, „er ist eine neue Schöpfung; das Alte hat auf­gehört, siehe, alles ist neu geworden“ (2 Kor 5,17). Sein Rang ist neu, seine Herkunft und sein Dienst sind neu. Er ist „Gottes“ (1 Joh 4, 4) und „gehört nicht mehr sich selbst“ (1 Kor 6,19), er ist „ein edles Gefäß, heilig, brauchbar für den Herrn, zu jedem guten Werk geeignet“ (2 Tim 2, 21).

Diese wunderbare Wandlung von der Finsternis zum Licht, in der Seele bewirkt durch das Kommen des Geistes, trägt den Namen Wiedergeburt oder Neugeburt. Sie ist eine Gnade, die vor Christi An­kunft nicht einmal die Propheten und die Gerechten besaßen, die aber jetzt allen Menschen frei durch das Sakrament der Taufe mitgeteilt wird. Von Natur aus sind wir Kinder des Zornes; unser Herz ist an die Sünde verkauft, von bösen Geistern in Besitz genommen und erbt den Tod als seinen ewi­gen Anteil. Durch die Ankunft des Heiligen Geistes aber sind Schuld und Befleckung wie vom Feuer gänzlich weggebrannt. Der Teufel ist ausgetrieben, Erbschuld und persönliche Sünde sind vergeben, und der ganze Mensch ist Gott geweiht. Das ist der Grund, weshalb Er „das Angeld“ jenes Heilandes genannt wird, der für uns starb und eines Tages uns die Fülle Seiner eigenen Gegenwart im Him­mel schenken wird. Daher ist Er auch unser „Siegel für den Tag der Erlösung“ (Eph 4,30). Denn wie der Töpfer den Lehm formt, so drückt Er uns, den Gliedern der Gottesfamilie, das Bild Gottes ein. Sein Werk kann wahrhaft Wiedergeburt genannt werden, denn zwar wurde die ursprüngliche Natur der Seele nicht zerstört, jedoch ihre vergangenen Verfehlungen sind ein für allemal verziehen. Die Quelle des Bösen in ihr ist verstopft und nach und nach ausgetrocknet durch die eindringende Kraft und Reinheit, die ihre Wohnung in ihr aufgeschla­gen haben. Statt ihrer eigenen bitteren Wasser ist eine Quelle der Kraft und des Heiles in ihr auf­gebrochen; nicht die reinen Ströme jener Quelle, „klar wie Kristall“ (Offb 4, 6), die vor dem Throne Gottes fließen, sondern wie unser Herr sagt: „Eine Wasserquelle sprudelt in ihm“, in eines Menschen Herz, „die fortströmt ins ewige Leben“ (Joh 4,14). Daher heißt es anderswo vom Herzen, daß es die Ströme der Gnade nicht empfängt, sondern ent­sendet. „Aus seinem Leib werden Ströme leben­digen Wassers fließen.“ Der heilige Johannes fügt hinzu: „Damit meinte Er den Heiligen Geist“ (Joh 7, 38. 39).

Die Einwohnung des Heiligen Geistes in uns ist derart, daß sie dem einzelnen von uns die kostbare Reinigung durch Christi Blut mit all ihren mannig­faltigen Segnungen vermittelt. Das ist die große Lehre, die wir als Glaubensgut festhalten, jedoch nicht durch greifbare Erfahrungen bestätigen kön­nen. Als nächstes muß ich in Kürze besprechen, wie die Gnadengabe sich in der wiedergeborenen Seele offenbart. Ich lasse mich nicht gern auf diese Frage ein, und vielleicht ist kein Christ je imstande, sie ohne Mühe zu behandeln, da er fühlt, wie er da­durch entweder seine Ehrfurcht gegen Gott oder seine Demut gefährdet. Die heutigen Irrtümer aber und der zuversichtliche Ton ihrer Verteidiger nöti­gen uns, dabei zu verweilen, aus Furcht, die Wahr­heit könnte durch unser Schweigen leiden.

1. Die himmlische Gabe des Geistes lenkt unseren inneren Blick auf den göttlichen Urheber unseres Heiles. Von Natur aus sind wir blind und fleisch­lich; aber der Heilige Geist, durch den wir neu geboren werden, offenbart uns den Gott der Barm­herzigkeit und heißt uns Ihn mit aufrichtigem Her­zen als Vater anerkennen und anbeten. Er drückt uns das Bild unseres himmlischen Vaters ein, das wir durch den Fall Adams verloren hatten, und leitet uns an, kraft des innersten Lebenstriebes un­serer neuen Natur Seine Gegenwart zu suchen. Er gibt uns einen Teil jener Freiheit im Wollen und Handeln, jener Gerechtigkeit und Unschuld zurück, in denen Adam erschaffen wurde. Er verbindet uns mit allen heiligen Wesen, so wie wir vorher mit dem Bösen Verwandtschaft hatten. Uns zum Heile knüpft Er jenes zerrissene Band wieder, das von oben seinen Ausgang nimmt, schließt alles in einer begnadeten Familie zusammen, was irgendwo hei­lig und ewig ist, und trennt sie von der aufrühre­rischen Welt, die der Vernichtung anheimfällt. Da wir also Kinder Gottes und eins mit ihm sind, schwingt sich unsere Seele auf und ruft unaufhörlich zu Ihm. Der heilige Paulus spricht dieses besondere Kennzeichen der wiedergeborenen Seele gleich nach dem Vorspruch aus: „Ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen, Abba, Vater“ (Röm 8,15). Außerdem sind wir nicht auf uns selbst angewiesen, diese Rufe zu Ihm in unseren eigenen, unklaren, unbestimmten Worten zu äußern, son­dern Er, der den Geist sendet, damit Er fortwährend in uns wohne, hat uns auch eine Form von Worten gegeben, um diese einzelnen Regungen unseres Herzens zu heiligen. Christus hinterließ Seinem Volk Sein heiliges Gebet als kostbares Ver­mächtnis und als die Stimme des Geistes. Wenn wir es prüfen, werden wir in ihm das Wesentliche jener Lehre finden, welcher der heilige Paulus in dem eben angeführten Text einen Namen gegeben hat. Gleich anfangs gebrauchen wir unser Vorrecht, da wir zu Gott in ausdrücklichen Worten als zu „unserem Vater“ rufen. Wir setzen es entsprechend diesem Beginn in jener harrenden, vertrauens­vollen, anbetenden, ergebenen Haltung fort, von der Kinder beseelt sein sollten. Wir schauen mehr auf Ihn, als daß wir an uns selbst denken. Wir zei­gen mehr Eifer für Seine Ehre als Besorgnis um unsere Rettung. Wir verlassen uns auf Seine gegen­wärtige Hilfe und blicken nicht mit furchtsamen Augen in die Zukunft. Sein Name, Sein Reich, Sein Wille sind die großen Wahrheiten, die der Christ betrachten und zu seinem Anteil machen soll. So steht er fest und in heiterer Gelassenheit da, „voll­endet in Ihm“ (Kol 1, 28), wie es sich geziemt für einen, der die gnadenvolle Gegenwart Seines Gei­stes in sich trägt. Wenn er darüber hinaus an sich selbst denkt, so betet er um die Gnade, gegen andere vom gleichen Geist der Verzeihung und des liebe­vollen Wohlwollens beseelt sein zu können, den Gott auch ihm gegenüber zeigte. So verströmt er sich nach allen Seiten. Zuerst trachtet er danach, die himmlische Gabe zu erlangen, aber wenn er sie erlangt, hält er sie nicht bei sich, sondern er gießt „Ströme lebendigen Wassers“ über das ganze Men­schengeschlecht aus. Er denkt an sich selbst so wenig als möglich und wünscht keinem Ding Böses und Untergang außer jener dunklen Macht der Ver­suchung und des Übels, die Empörung gegen Gott bedeutet. Schließlich endet er, wie er begann, mit der Betrachtung Seines Reiches, Seiner Macht und Seiner ewigen Herrlichkeit. Das ist das wahre „ Abba Vater“, das der Geist der Kindschaft im Herzen des Christen ausruft, die untrügliche Stimme Dessen, der „für die Heiligen bei Gott Fürsprache einlegt“ (Röm 8, 27). Wenn beispielsweise der Christ bis­weilen inmitten von Prüfung oder Betrübnis beson­dere Heimsuchungen und Tröstungen des Geistes, „unaussprechliche Seufzer“, Sehnsucht nach dem zu­künftigen Leben, oder helle und kurze Lichtblicke der ewigen Auserwählung Gottes und tiefe daraus wachsende Regungen von Staunen und Dankbar­keit erfährt, so denkt er zu ehrfurchtsvoll von „dem Geheimnis des Herrn“ (Ps 24, 14), als daß er so­zusagen Dessen vertrauliche Mitteilung preisgäbe und durch prahlendes Zurschaustellen vor der Welt vielleicht mehr aus ihr machte, als sie besagen wollte. Er schweigt vielmehr und wertet dieses Geheimnis als eine kostbare Ermutigung für seine Seele. Es hat seine Bedeutung, aber er kennt nicht seine Tragweite.

2. Die Einwohnung des Heiligen Geistes hebt die Seele nicht nur zu dem Gedanken an Gott, sondern auch an Christus empor. Der heilige Johannes sagt: „Wahrlich, unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit Seinem Sohn Jesus Christus“ (1 Joh 1,3), und unser Herr Selbst sagt: „Wer Mich liebt, wird Mein Wort halten; Mein Vater wird ihn lieben, und Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14, 23). Ich möchte nicht von an­deren und höheren Möglichkeiten sprechen, in denen diese Worte ihre Erfüllung finden. Aber eine Art besteht sicher in jener Übung des Glau­bens und der Liebe im Gedanken an den Vater und den Sohn, wie es das Evangelium und der es offen­barende Geist den Christen verleiht. Der Geist kam besonders, um Christus „zu verherrlichen“ (Joh 16,14), und Er läßt Sich herab, ein strahlendes Licht in der Kirche und im einzelnen Christen zu sein, das den Heiland der Welt in allen Seinen Vollkommenheiten, in allen Seinen Ämtern und in allen Seinen Werken widerspiegelt. Er kam zu dem Zweck, um zu entfalten, was noch verborgen war, solange Christus auf Erden weilte. Er ruft von den Dächern, was in den Gemächern kundgetan wurde, und enthüllt Den in der Herrlichkeit Seiner Ver­klärung, der einst keine Anmut in Seiner äußeren Gestalt besaß, sondern ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut war. Zuerst inspirierte Er die heiligen Evangelisten, das Leben Christi wiederzugeben, und leitete sie dazu an, welche Sei­ner Worte und Werke sie auswählen, welche sie übergehen sollten. Dann gab Er (sozusagen) diesen Seine Auslegung und enthüllte ihre Bedeutung in den Apostelbriefen. Geburt, Leben, Tod und Auf­erstehung Christi sind der Text gewesen, den Er erläutert hat. Er hat Geschichte zur Glaubenslehre erhoben. Er sagt uns offen, sei es durch den heiligen Johannes oder den heiligen Paulus, daß Christi Empfängnis und Geburt die wirkliche Menschwer­dung des ewigen Wortes waren – Sein Leben, „Gott geoffenbart im Fleische“ (1 Tim 3, 16) – Sein Tod und Seine Auferstehung die Sühne für die Sünde und die Rechtfertigung aller Gläubigen. Das war noch nicht alles. Er setzte Sein heiliges Werk der Auslegung im Aufbau der Kirche da­durch fort, daß Er ihre menschlichen Werkzeuge überwachte und in Seine Botmäßigkeit zwang und die Worte und Werke unseres Heilandes und die entsprechenden Erklärungen der Apostel zu Akten des Gehorsams und zu dauernden Einrichtungen durch die Wirksamkeit der Heiligen und Märtyrer werden ließ. Schließlich vollendet Er Sein Werk der Gnade durch Einsenkung des mannigfaltigen und ausgedehnten Wahrheitsgebäudes in das Herz jedes einzelnen Christen, in dem Er wohnt. So wür­digt Er Sich, den ganzen Menschen in Glaube und Heiligkeit aufzubauen; „Er zerstört damit die Trugschlüsse und jeden Bau, der sich gegen die Er­kenntnis Gottes erhebt, und nimmt jeden Gedan­ken gefangen, um ihn Christus gehorsam zu ma­chen“ (2 Kor 10, 5). Durch Seine wunderwirkende Gnade streben alle Dinge zur Vollendung. Jede geistige Fähigkeit, jeder Plan, jedes Streben, jeder Gedanke ist nach Seinem Maße durch die dauernde Schau Christi als des Herrn, Heilandes und Rich­ters geheiligt. Alle Gefühle der Feierlichkeit, Ehr­furcht, Dankbarkeit und Hingabe, alles, was edel ist, alles, was in der wiedergeborenen Seele kost­bar ist, alles, was Selbstverleugnung im Lebens­wandel und Eifer im Handeln sein will, erfaßt der Geist und bringt es als lebendiges Opfer dem Sohne Gottes dar. Obwohl der Christ belehrt wird, nicht sich selbst zu überschätzen, es auch nicht wagen soll, sich zu rühmen, wird er doch darüber belehrt, daß das Bewußtsein der Sünde, das in ihm bleibt, und seine besten Taten befleckt, ihn nicht von Gott tren­nen sollte, sondern ihn zu Dem führen sollte, der retten kann. Er fragt sich mit dem heiligen Petrus: Zu wem soll ich gehen? “ (Joh 6, 69). Und ohne eine Entscheidung zu wagen oder ungeduldig zu werden in der Erwartung, daß man ihm sage, wie weit er alle Vorrechte des Evangeliums in ihrer Fülle als sein Eigentum betrachten kann, blickt er mit tiefem Nachdenken auf sie alle als den Besitz der Kirche, er singt ihre jubelnden Lieder zu Ehren Christi mit und lauscht sehnsüchtig ihrer Stimme in der vom Geiste eingegebenen Schrift, der Stimme der Braut, die den Geliebten anruft und an Ihm sich erfreut.

3. Nach den Worten: „Unsere Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohn“ fügt der heilige Jo­hannes hinzu: „Wir schreiben euch dies, damit eure Freude vollkommen sei.“ Was ist die Freude ande­res als Friede? Die Freude ist nur dann Lärm, wenn sie nicht vollkommen ist; aber Friede ist das Vorrecht derer, die „voll sind der Erkenntnis der Herrlichkeit des Herrn, wie die Wasser den Meeres­grund bedecken“ (Is 11, 9). „Du wirst im vollen Frieden erhalten den, der sein Herz auf Dich ge­setzt, denn er vertraut auf Dich“ (Is 26, 3). Es ist der Friede, der emporquillt aus Vertrauen und Un­schuld und dann überfließt in Liebe gegen seine ganze Umgebung. Was anderes ist der Erfolg einer rein sinnlichen Behaglichkeit und Freude, als daß ein Mensch an allem, was geschieht, sein Gefallen findet? „Ein fröhliches Herz ist ein beständiges Fest“ (Spr 15,15). Das ist vornehmlich das Glück einer Seele, die sich im Glauben und in der Furcht Gottes freut. Wer ängstlich ist, denkt an sich, wit­tert Gefahr, spricht hastig und hat keine Zeit für das Wohlergehen anderer. Wer im Frieden lebt, hat Muße, wo immer sein Los hinfällt. Dergestalt ist das Werk des Heiligen Geistes im Herzen des Juden und Griechen, des Sklaven und Freien. Er Selbst ist an und für sich in Seiner geheimnisvollen Natur die ewige Liebe, durch die der Vater und der Sohn ineinander wohnen, wie ältere Schriftsteller glauben. Was Er im Himmel ist, das ist Er in über­strömendem Maß auf Erden. Er lebt im Herzen des Christen als der nie versiegende Quell der Liebe, die die wahre Süßigkeit der lebendigen Wasser ist. Denn wo Er ist, „da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17) von der Tyrannei der Sünde, von der Furcht, die der natürliche Mensch vor einem beleidigten und un­versöhnten Gott fühlt. Zweifel, Trübsinn, Unge­duld sind verscheucht. Ihren Platz haben ein­genommen die Freude am Evangelium, die Hoff­nung auf den Himmel und die Harmonie eines reinen Herzens, der Triumph der Selbstbeherr­schung, ruhiges Denken und ein zufriedenes Herz. Wie kann die Liebe zu allen Menschen ausbleiben, da sie das reine Wohlwollen der Unschuld und des Friedens ist? So schafft der Geist Gottes in uns die Einfalt und Herzenswärme, die Kinder besitzen, ja noch mehr, die Vollkommenheiten Seiner himm­lischen Heerscharen, so daß hoch und nieder in Seinem geheimnisvollen Werk miteinander ver­bunden sind. Denn was sind unbedingtes Ver­trauen, brennende Liebe und immerwährende Reinheit anderes als der Geist sowohl der kleinen Kinder als der anbetenden Seraphim!

Gedanken wie diese werden in der rechten Weise auf uns wirken, wenn sie uns bei aller Freude mit Furcht erfüllen und wachsam machen. Es kann nicht anders sein; denn die geistige Verfassung eines Christen, die ich zu beschreiben versucht habe, ist nicht so sehr jene, die wir haben, sondern jene, die wir haben sollten. Nachdem wir diese Wahrheiten bedacht haben, wäre es in der Tat ein zu ernster Gegenstand, auf die vielen zu blicken, die in Christi Namen getauft worden sind, aber wir sind nicht dazu genötigt. Wir brauchen nichts weiter zu tun als für sie zu beten und dem Bösen, das unter ihnen ist, zu widersprechen und zu widerstehen. Was den höheren und erhabeneren Gedanken angeht, wie Menschen, die, einzeln oder als Gemeinschaft, die Berufung haben, Tempel der Wahrheit und Heilig­keit zu sein, das wirklich werden, was sie zu sein scheinen, und was sie folglich in Gottes Augen sind, das ist eine Frage, die wir glücklicherweise nicht als unsere Sache anzusehen brauchen. Unsere Sache ist es nur, auf uns selbst zu schauen und zu sehen, daß wir, die wir die Gabe empfangen haben, „nicht den Heiligen Geist Gottes betrüben, mit dem wir für den Tag der Erlösung besiegelt sind“ (Eph 4, 30). Dabei rufen wir uns das Wort ins Gedächtnis: „Wenn einer den Tempel Gottes zugrunde richtet, den wird Gott zugrunde richten“ (1 Kor 3, 17). Diese Gedanken und die Erinnerung an unsere zahlreichen Vernachlässigungen werden uns stets, so Gott will, davor bewahren, über andere zu ur­teilen oder auf unsere Vorrechte stolz zu sein. Wir wollen nur bedenken, wie wir vom Licht und der Gnade unserer Taufe abgefallen sind. Wären wir jetzt das, wozu dieses heilige Sakrament uns gemacht hat, so könnten wir immer „freudig unse­res Weges ziehen“ (Apg 8, 39); aber da wir unser himmlisches Kleid beschmutzt haben in der einen oder anderen Weise, in einem größeren oder klei­neren Maß (wie Gott weiß und bis zu einem be­stimmten Grad unser eigenes Gewissen auch), ach – so ist der Geist der Kindschaft zum Teil von uns gewichen, und Seine Stelle muß Schuldbewußtsein, Zerknirschung, Trauer und Buße einnehmen.Wir müssen unser Bekenntnis erneuern und Tag für Tag von neuem Verzeihung erbitten, bevor wir wagen, Gott als „unseren Vater“ anzurufen oder Psalmen und Fürbitten Ihm darzubringen. Was im­mer an Schmerz und Trübsal uns im Leben begeg­net, müssen wir annehmen als eine barmherzige Buße, die ein Vater irrenden Kindern auferlegt. Wir sollen sie sanftmütig und dankbar tragen; sind sie uns doch in der Absicht auferlegt, uns an die Schwere jener unendlich größeren Strafe zu erinnern, die von Natur aus unser Anteil war und die Christus für uns am Kreuz getragen hat.

Originaltitel: The Indwelling Spirit, DP II, 19 Schwabenverlag, Stuttgart  1950, 242-258.