„In Jerusalem liegt am Schaftor ein Teich, welcher auf hebräisch Bethesda heißt und fünf Hallen hat. In diesem lag eine große Menge Schwacher, Blinder, Lahmer und Ausgezehrter und wartete auf die Bewegung des Wassers“ (Joh 5,2.3).
Welches Bild des Elendes muß dieser Teich Bethesda geboten haben! Ein Bild der Schmerzen und Leiden, die bis zum Tode triumphierten! Es waren „Blinde, Lahme, Ausgezehrte und Schwache“ da, von der Hoffnung auf Heilung getrieben, ihre Leiden bei hellem Tageslicht in einer einzigen großen Gesellschaft enthüllend. Dieser Teich war zu gewissen Zeiten durch das Herabsteigen eines Engels mit einer wunderbaren Kraft ausgestattet, so daß seine Wasser die Heilung des ersten, der hinabstieg, bewirkten, gleich welches seine Krankheit war. Ich will indessen nicht von diesem wunderbaren Teiche sprechen, noch von dem Wunder unseres Heilandes, das Er da an dem Mann wirkte, der niemanden hatte, ihn vor den übrigen hineinzubringen, wenn das Wasser in Wallung geriet, und der achtunddreißig Jahre von seiner Krankheit heimgesucht gewesen war. Ohne auf diese Frage einzugehen, wollen wir den Vorspruch nehmen, wie er am Anfang des betreffenden Kapitels steht, und aus ihm eine Lehre ableiten. Es lag rund um den Teich „eine große Menge Schwacher, Blinder, Lahmer und Ausgezehrter“. Das ist ein Bild der Schmerzen, bei dem wir nicht gern verweilen, – ein Bild der vornehmlichen Art menschlichen Leidens, der körperlichen Krankheit; einer Art, welche uns alles andere Leiden andeutet und dessen Urbild ist, – die augenscheinlichste Erfüllung jenes Fluches, den Adams Fall über seine Nachkommen gebracht hat. Nun muß es jedem auffallen, der überhaupt darüber nachdenkt, daß die Bibel von solchen Beschreibungen menschlichen Elendes voll ist. Wir wissen, daß sie auch in Überfülle von menschlicher Sünde erzählt; aber ganz davon zu schweigen, ist sie überreich an Berichten von menschlichen Bedrängnissen und Leiden, von unserem elenden Zustand, von der Nichtigkeit, Nutzlosigkeit und den Prüfungen des Lebens. Die Bibel beginnt mit der Geschichte des über die Erde und den Menschen ausgesprochenen Fluches; sie endet mit dem Buch der Offenbarung, einem Abschnitt der Schrift, furchtbar ob seiner Drohungen und seiner Vorhersage des Gerichtes. Mag jetzt dieser ursprüngliche Fluch über Adam von der Erde genommen sein oder nicht, es ist sicher, daß Gottes schreckliche von Johannes vorausgesagte Androhungen uns von allen Seiten umgeben. Trotz der besonderen an die Kirche in Christus, unserem Heiland, ergangenen Verheißungen ist doch gewiß das inspirierte Buch hinsichtlich der Welt immer noch eine trostlose Geschichte, „beschrieben innen und außen mit Klagen, Trauerliedern und Weh“ (Ez 2, 9). Ferner werdet ihr beobachten, daß es auszulassen scheint, was zugunsten dieses Lebens gesagt werden könnte, und über seine unangenehme Seite sich verbreitert. Die Geschichte schildert kurz den Garten Eden, um dann bei den darauffolgenden Leiden zu verweilen, nachdem unsere Stammeltern daraus vertrieben waren. Obwohl zwar Paradiesesspuren unter uns verblieben sind, ist es doch klar, daß die Schrift im Vergleich zu ihren Berichten über menschliches Elend wenig von ihnen sagt. Wenig sagt sie über die unschuldigen Freuden des Lebens, über die zeitlichen Segnungen, welche auf unseren weltlichen Arbeiten ruhen und sie leicht machen; über die Segnungen, welche wir „von der Sonne, dem Mond und den ewigen Hügeln“ (Dt 33,14. 15), vom Wechsel der Jahreszeiten und von den Früchten der Erde gewinnen; – wenig sagt sie auch über unsere Erholungen und unsere täglichen häuslichen Annehmlichkeiten; – wenig über die gewöhnlichen, festlichen und fröhlichen Anlässe, welche sich im Leben ereignen, jedoch überhaupt gar nichts über jene verschiedenen anderen Freuden, deren Aufzählung zu weit ins einzelne führen würde. Der Menschen Erzählungen und Gedichte sind angefüllt mit angenehmen Bildern und Hoffnungen. Sie machen die Dinge besser als sie sind und malen eine Art unwirklicher Vollkommenheit aus. Die Schrift dagegen (ich wiederhole es) scheint sich sogar dessen zu enthalten, was zum Lob des menschlichen Lebens, wie es wirklich ist, gesagt werden könnte. Wir lesen allerdings von Festen anläßlich der Entwöhnung Isaaks, der Hochzeit Jakobs und von den häuslichen und religiösen Festlichkeiten der Familie Jobs; aber das sind Ausnahmen gegenüber dem sonstigen Inhalt der heiligen Geschichte. „Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist Eitelkeit“ (Prd 1, 2); „der Mensch ist zur Mühsal geboren“ (Jb 5, 7): das sind ihre üblichen Lehren. Der Vorspruch ist nichts anderes als ein Beispiel der Beschreibungen menschlicher Schwachheit und Not, die durch die ganze Schrift hindurch immer wiederkehren.
So sehr ist das der Fall, daß gedankenlose Menschen dem Schriftbericht gerade aus diesem Grund abhold sind. Ich denke nicht an schlechte Menschen, die unbillige und anmaßende Worte gegen die Bibel im Munde führen und folglich sich dadurch dem Zorn Gottes aussetzen, sondern ich spreche von gedankenlosen. Viele von diesen betrachten die Bibel als ein düsteres Buch und schauen aus diesem Grund selten hinein, sie sagen, die Bibel mache sie schwermütig. Darum sind andererseits Versuche gemacht worden, diesen strengen Charakter der Schrift zu verdecken und sie zu einer lichten, anziehenden Darstellung des menschlichen Lebens zu machen. Ihre Erzählungen sind früher schon nach Menschenweise weltlich herausgeputzt worden, um sie dem Geschmack der schwachen und feigen Geister anzupassen. All das zeigt, daß nach der allgemeinen Auffassung der Menschheit die Bibel keine angenehme, sonnige Sicht der Welt gibt.
Warum nun habe ich so von diesem allgemeinen Charakter der heiligen Geschichte gesprochen? – vielleicht um jene zu ermutigen, die sich darüber beklagen? – Keine Spur; weit davon entfernt. Gott tut nichts ohne einen weisen und guten Grund, und es ziemt sich für uns, diese Tatsache ergeben hinzunehmen und danach zu handeln. Er hat uns dieses dunkle Bild von der Welt nicht ohne einen bestimmten Grund gegeben. In Wirklichkeit ist dieses Bild das letztlich wahre Bild des menschlichen Lebens. Aber das ist nicht alles; es ist ein Bild, das zu kennen uns sehr nottut. Es tut uns (meine ich) sehr not, darüber aufgeklärt zu werden, daß diese Welt zu guter Letzt, entgegen dem ersten Anschein und teilweisen Ausnahmen, eine dunkle Welt ist; sonst werden wir genötigt, es zu lernen (und früher oder später müssen wir es lernen) durch trübe Erfahrung. Wenn wir dagegen zum voraus gewarnt werden, verlernen wir die falschen Vorstellungen von ihrer Vortrefflichkeit und werden bewahrt vor der Enttäuschung, die auf sie folgt. Daher kommt es, daß die Schrift sogar das unterläßt, was zum Lob der weltlichen Freuden gesagt werden könnte. Sie leugnet damit nicht ihren Wert, soweit er da ist, noch verbietet sie uns, diese in der rechten Haltung zu gebrauchen, aber sie weiß, daß wir sie sicherlich aus uns selbst finden, ohne darüber belehrt worden zu sein, und daß unsere Gefahr nicht auf der Seite liegt, sie zu unterschätzen, sondern sie zu überschätzen. Wenn wir dagegen von der Nichtigkeit der Welt hören, lernen wir zuerst (was wir andernfalls nur zuletzt erreichen würden), zwar nicht düster und unzufrieden zu sein, wohl aber ein nüchternes und ruhiges Herz unter einem lächelnden und heiteren Antlitz zu tragen. Das ist ein Hauptgrund für den feierlichen Charakter der heiligen Geschichte. Wenn wir das im Blickfeld behalten und also weit davon entfernt sind, durch ihre Berichte vom Leid verletzt und abgeschreckt zu sein, weil sie anfangs das Ohr beleidigen, lauschen wir ihnen unverwandt und prägen sie unserem Herzen ein als eine gütige Gabe, als ein Heilmittel gegen alle gefährliche, überschäumende Freude an den gegenwärtigen Gütern. So ersparen wir uns eine weit größere Pein (wenn wir die Lehre gut gebrauchen), nämlich die Pein der wirklichen Enttäuschung, die der Verlust vergeblich gehegter Hoffnungen auf ein dauerndes Gut dieser Erde sicherlich mit sich bringt.
Bedenkt nur, welches die Folge der Unwissenheit und des Mißtrauens gegen Gottes warnende Stimme ist, und ihr werdet klar sehen, wie barmherzig Er ist und wie weise es ist, Ihm zu lauschen. Ich will keinen Fall schwerer Sünde annehmen, noch einen Fall offener Verachtung gegen die Religion, sondern es mag einer eine allgemeine geziemende Ehrfurcht vor dem Gesetz und der Kirche Gottes haben und einen unbedenklichen Glauben an Seinen Heiland Christus, dabei aber von den Gütern dieser Welt so gefesselt werden, daß er (ohne sich dessen bewußt zu sein) sein Herz an sie hingibt; er mag ferner viele gute Gefühle und Neigungen haben, aber auf der anderen Seite seine irdischen Beschäftigungen, Vergnügen und Freunde zu sehr lieben, – ich meine so sehr, daß er die Pflicht vergißt, im Glaubensgeist Abrahams zu leben, welcher Heimat, Verwandtschaft, Besitz und alles, was sein Auge je geliebt hatte, auf Gottes Wort hin aufgab, – im Glaubensgeist des heiligen Paulus, „der alles nur für Verlust hielt wegen der alles übersteigenden Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn, und der den Verlust aller Dinge ertrug“, um Seine Gnade zu gewinnen (Phil 3, 8): wie wird die Welt mit einem solchen Menschen verfahren, der so seine wahren Belange vergißt? Eine Zeitlang wird alles zu seiner Zufriedenheit gehen; – wenn irgend einmal Überdruß sich einstellt, wird er die Art seines Vergnügens ändern können und die Abwechslung wird ihm Erleichterung verschaffen. Seine gute Gesundheit und seine frohe Laune meistern und überwinden leicht alle zufälligen Unannehmlichkeiten des Lebens. Soweit steht es gut; aber wie die Jahre vergehen, wird er immer klarer erkennen, daß er schließlich doch nicht, wie er sich einbildete, im Besitz irgend eines wirklichen und bleibenden Gutes ist. Er wird allmählich die Entdeckung machen und davon überrascht sein, daß die Dinge, die ihn einst erfreuten, ihn immer weniger erfreuen oder überhaupt nicht mehr erfreuen. Er wird jene lebhaften Gefühle, denen er sich einst überließ, nicht zurückrufen können und er wird sich darüber wundern. So werden nacheinander die entzückenden Bilder, die ihn umgaben, verblassen, und an deren Stelle werden schwermütige Gestalten ihn verfolgen, ähnlich denen, welche den Teich Bethesda umlagerten. Dann werden die Worte des Weisen in Erfüllung gehen. Tage werden kommen, „da du sagen wirst, sie gefallen mir nicht; die Sonne, das Licht, der Mond und die Sterne werden verfinstert werden und die Wolken nach dem Regen zurückkehren; die aus den Fenstern schauen, werden verdunkelt werden, die Türen nach den Straßen werden geschlossen werden, die Töchter der Musik werden verstummen, Furcht wird auf dem Wege sein und das Verlangen wird aufhören“ (Prd 12, 1–5). Dann wird der Mensch allmählich ruhelos und unzufrieden, denn er weiß nicht, wie er sich zerstreuen soll. Zuvor war er heiter nur aus dem natürlichen Fluß seiner Stimmung, und wenn eine solche Heiterkeit mit zunehmenden Jahren verloren geht, wird er übel gelaunt. Er hat sich keine Mühe gegeben, sein Herz zu wandeln, – seinen Glauben zu heben, zu stärken und zu läutern, – seine schlimmen Launen und Leidenschaften zu unterwerfen. Jetzt ist ihr Tag gekommen; sie sprießen auf und beginnen die Oberhand zu gewinnen. Solange er gesund war, dachte er an sein Landgut oder sein Geschäft und lebte für sich; er verwandte seine Kraft auf die Welt, und die Welt ist ihm jetzt nichts als eine sozusagen wertlose Ware, denn er sieht, daß sie nichts wert ist für einen, der in ihr sich nicht vergnügen kann. Er dachte in früheren Zeiten nicht immer an Gott, mochte er auch eine allgemeine Ehrfurcht vor Seinem Namen haben. Jetzt fürchtet er Ihn oder (wenn man die Wahrheit sagen soll) er beginnt den Gedanken an Ihn zu hassen. Wohin wird er um Hilfe ausschauen? Vielleicht ist er überdies eine Last für seine Umgebung; sie macht sich nichts aus ihm, – er ist ihr im Weg. Und so wird er Jahr um Jahr am Teich Bethesda bei den Wassern der Gesundheit liegen, ohne jemanden zu haben, der ihm hilft; er selbst ist unfähig, sich zu einem Heilungsversuch aufzuraffen infolge seiner langen, sündigen Gewohnheiten, und andere, die an ihm vorbeigehen, sind vielleicht nicht in der Lage, einem zu helfen, der jede Hilfe hartnäckig zurückweist. So hat er schließlich die volle persönliche, schmerzliche Erfahrung gemacht, daß diese Welt wirklich Eitelkeit ist oder Schlimmeres, und all das, weil er es der Schrift nicht glauben wollte.
Sollte nun die obige Beschreibung übertrieben erscheinen, sollte man sagen, sie setze einen Mann voraus, der mehr Lebensfreuden und ein lebhafteres Gefühlsleben besitzt als die meisten, – sollte man sagen, daß sehr viele Menschen wenig Freuden haben und daß die Mehrzahl derer, die viele haben, ihren gewohnten, ruhigen Weg gehen und Gewinn oder Verlust ohne viel Nachdenken hinnehmen, nicht sehr glücklich sind in ihren gesunden Tagen und nicht sehr bekümmert über den Wechsel, wenn die Welt sie verläßt: sollte dies alles der Fall sein, so muß ich noch zu einer bedeutsameren Erwägung übergehen, die ich nicht näher ausführen, sondern lieber euren eigenen Gedanken überlassen möchte. In den Evangelien steht die Geschichte von einem Mann, der aus diesem Leben genommen wurde, bevor er seine Gedanken himmelwärts gerichtet hatte, und in einer anderen Welt hob er, da er in Qualen lag, sein Auge empor. Seid ganz sicher, daß jeder von uns, sogar der ärmste, abgestumpfteste und unempfindlichste weit mehr dieser Welt verhaftet ist, als er sich wohl vorstellen kann. Wir gewöhnen uns an die Dinge um uns und unvermerkt werden sie uns so zu unserem Behagen notwendig. Jeder würde, aus dieser Welt hinweg genommen, einen großen Teil dessen missen, von dem abhängig zu sein er gewöhnt war, und würde folglich an seinem neuen Ort in großem Unbehagen und Kummer sich befinden, wie ein Fremdling an unbekannter Stätte; d. h. jeder, der nicht hier auf der Erde Gott zu seinem Vater und Beschützer gemacht hatte, – jenen großen Gott, dem man dort allein begegnet. Wir verbessern überhaupt nichts an der Sache, wenn wir annehmen, daß einer hier die Eitelkeit der Welt nicht entdeckt; denn selbst wenn die Welt sein treuer Freund bliebe und ihn mit ihren Gütern bis zu seinem Sterbetag ergötzte, so geht trotz allem diese Welt am Tage seiner Auferstehung in Flammen auf; und selbst wenn er nur ein weniges von ihren Annehmlichkeiten hienieden hätte, dann wird er dieses wenige missen. Wenn die Toten vor Gott stehen, werden alle Menschen, klein und groß, erkennen, daß die Welt Eitelkeit ist, und ihren grenzenlosen Verlust fühlen, falls sie auf sie vertraut haben.
Ich habe nun zur Genüge dargetan, welche Anwendung wir aus der ernsten Auffassung der Schrift über dieses Leben machen sollen. Diese Belehrungen sollten uns vor Pein bewahren, da sie uns hindern, die Welt ohne Vorbehalt zu genießen; sollten uns mahnen, sie zu gebrauchen, nicht zu mißbrauchen.
Glaubt nicht, daß diese Lebensauffassung den Menschen schwermütig und düster machen müßte. Es gibt, das ist wahr, krankhaft veranlagte Seelen, die sie aus der Welt getrieben hat; aber recht verstanden sollte es nicht dazu führen. Die große Lebensregel heißt, die Dinge nehmen, wie sie kommen. Wer seinen Weg verläßt aus Angst vor den Wechselfällen menschlichen Lebens, welche ihm zustoßen, hat einen schwachen Glauben oder ein seltsam verkehrtes Gewissen, – es fehlt ihm die Hochherzigkeit. Der wahre Christ freut sich an jenen irdischen Dingen, die Freude bereiten, doch so, daß er sich nichts daraus macht, wenn sie vergehen. Um keine Gabe macht er sich große Sorgen, außer um jene, die unvergänglich sind, da er weiß, daß er alle diese wieder in der künftigen Welt erhalten wird. Er ist aber zu religiös, um selbst die geringsten und flüchtigsten zu verachten, da er sie als Gottesgabe betrachtet; und die geringsten und flüchtigsten, so aufgenommen, gewähren eine reinere und tiefere, wenn auch weniger stürmische Freude. Und wenn er bisweilen zurückhält, geschieht es darum, daß er nicht Gottes Güte über das Maß beanspruche, oder nicht durch ihren beständigen Gebrauch übersähe, wie er sich ohne sie behelfen könnte.
Unser Heiland gibt uns ein Beispiel, dem zu folgen wir gehalten sind. Er war ein weit größerer als Johannes der Täufer, doch Er kam nicht mit der äußeren Strenge des heiligen Johannes. Er verurteilte die Schaustellung von Strenge oder Düsterheit, damit wir, Seine Anhänger, um so mehr im Verborgenen fasten und um so strenger im Inneren unseres Herzens seien. Es ist wahr, daß Selbstbeherrschung, Zucht und innere Gläubigkeit sich nicht an einem Tage lernen lassen; aber wäre dem so, wozu wäre uns dieses Leben gegeben? Es ist uns gerade als eine Vorbereitungszeit gegeben, um sie zu erlangen. Nur in diesem Licht blicket die Welt an; – ihr schmerzvolles Antlitz soll euch beruhigen und ihr heiteres Antlitz euch prüfen. Es liegt Tapferkeit darin, so geradeaus zu gehen, und diese schreckt nicht vor einer kleinen oder großen Pflicht zurück, sie geht vom Hohen zum Niederen, von Freude zu Schmerz, und sie macht eure Grundsätze fest, ohne daß sie äußerlich werden. Lernet wie der Engel zu sein, der mitten in das Elend von Bethesda hinabsteigen konnte, ohne seine himmlische Reinheit oder seine vollkommene Seligkeit einzubüßen. Holt euch Heilung aus den wallenden Wassern, findet euch ab mit der Voraussicht, ein gewisses Maß von Pein und Drangsal bei eurem Gang durchs Leben tragen zu müssen; mit Gottes Segen wird es euch dafür vorbereiten, – es wird euch nachdenklich und ergeben machen, ohne eure Heiterkeit zu stören. Es wird euch in euren eigenen Gedanken mit den Heiligen der Schrift verbinden, denen das Los zufiel, Beispiele geduldiger Ausdauer zu sein; und diese Verbindung bringt der Seele eine besondere Tröstung. Betrachtet euch selbst und alle Christen als solche, die demütig den Spuren Jakobs folgen, dessen Tage wenige und böse waren; denen Davids, der in seinen besten Lebenstagen wie ein Schatten war, der abnahm und wie Gras verdorrte; denen des Elias, der weiche Kleidung und üppige Speisen verachtete; denen des verlassenen Daniel, der das Leben eines Engels führte. Und seid unbeschwert und zufrieden, weil ihr auf diese Weise berufen seid, Glieder der pilgernden Kirche zu sein. Stellt euch das Paradox vor: ihr erheitert und erfreut euch an der Welt, gerade weil sie nicht euer ist. Und wenn ihr schwer zu beeindrucken seid (wie viele Menschen sind es) und zu gering von den Wechselfällen des Lebens denkt, so daß ihr dumpf, ohne Hoffnung oder Furcht durchs Leben geht und weder eure Not noch die Erhabenheit der Religion empfindet, dann wiederum denkt über die traurigen Berichte in der Schrift nach, damit dadurch euer Herz geöffnet und erweckt wird. Leset insbesondere die Evangelien; ihr findet da Berichte von Kranken und heimgesuchten Personen auf jeder Seite wie Mahnmale. Vor allem lest ihr da von Christi Leiden, über die ich jetzt nicht zu sprechen habe; aber der Gedanke an sie ist weit mehr als genug, die Welt, so hell sie auch sein mag, dunkel und jämmerlich in sich selbst allen wahren Gläubigen erscheinen zu lassen, auch wenn der Bericht über sie der einzige bedrückende Teil der ganzen Bibel wäre.
Ich will jetzt schließen mit der Aufforderung, viel über die heilige Geschichte nachzudenken in dem Licht, in das ich sie gestellt habe, — damit ihr nicht hiernach entdecken möchtet, daß ihr eine große Wohltat versäumt habt, die Er uns in Gnaden verleihen wollte.