7. Predigt (Fest der Beschneidung unseres Herrn)
„Laß es nur zu; denn so ziemt es sich, daß wir jegliche Gerechtigkeit erfüllen“ (Mt 3, 15).
Als unser Herr zu Johannes kam, um sich taufen zu lassen, gab Er als Grund an: „So ziemt es sich, daß wir jegliche Gerechtigkeit erfüllen“; das will wohl sagen – „Es ziemt sich für Mich, den erwarteten Christus, Mich in jeder Hinsicht in alle Riten und Zeremonien des Judentums, in alles, was bisher für heilig und verbindlich gehalten wurde, einzufügen.“ So kam Er zur Taufe, um dadurch zu zeigen, daß es nicht Seine Absicht war, irgendwie die überkommene Religion zu mißachten, sondern Er wollte sie sogar in ihren nachmosaischen Teilen (wie z.B. in der Taufe) im Werk erfüllen. Damit gedachte Er im besonderen, die Sendung Johannes des Täufers, Seines Vorläufers, anzuerkennen. Jene Riten aber, die dem Moses selbst zur Anordnung übergeben wurden, hatten noch mehr Anspruch auf Beachtung und Befolgung. Daher unterzog Er Sich der Beschneidung, deren Gedächtnis wir heute begehen. Er wollte damit zeigen, daß Er die Religion Abrahams, dem Gott die Beschneidung gegeben hatte, nicht von Sich weise, noch die des Moses, durch den sie dem jüdischen Gesetz einverleibt worden war.
Wir haben außer der Beschneidung und Taufe noch andere Beispiele dafür im Leben unseres Herrn. Sie zeigen Seine Achtung gegenüber der Religion, die zu erfüllen Er gekommen war. Der heilige Paulus spricht von Ihm, „als vom Weibe geboren, geboren unter dem Gesetz“ (Gal 4, 4); auch beobachtete Er in der üblichen Weise das Gesetz wie jeder andere Jude. So ging Christus zu den Festen nach Jerusalem hinauf; Er schickte die geheilten Aussätzigen zu den Priestern, damit sie das von Moses vorgeschriebene Sühnopfer darbrächten; Er bezahlte die Tempelsteuer; ferner besuchte Er „in der herkömmlichen Weise“ den Synagogengottesdienst, obwohl dieser erst lange nach Moses eingeführt worden war; Er hielt sogar das Volk dazu an, den Schriftgelehrten und Pharisäern als den Männern, die auf der Kathedra des Moses saßen (Mt 23, 2.3), in allem Erlaubten zu gehorchen.
So sehr war unser Herr von der Pflicht durchdrungen, die Religion, in der Er geboren wurde, zu achten. Er beobachtete sie nicht nur, insofern sie unmittelbar göttlicher Herkunft war, sondern darüber hinaus auch dort, wo sie auf die Anordnung nicht gottgesandter, jedoch frommer Männer zurückging und nur auf kirchliche Autorität gegründet war. Die Apostel folgten Seinem Beispiel. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, weil es nach der Herabkunft des Heiligen Geistes auf den ersten Blick den Anschein gehabt hätte, als ob alle jüdischen Vorschriften sofort hätten aufhören sollen. Doch das war durchaus nicht die Lehre der Apostel. Sie lehrten zwar, daß die jüdischen Riten nicht mehr länger Mittel zur Erlangung der Gnade Gottes seien und daß Christi Tod jetzt als die volle und hinreichende Sühne für die Sünde verkündet würde, und zwar gegründet auf jene unbegrenzte Barmherzigkeit, die bisher das Opferblut in einer gewissen Hinsicht zum Mittel der Versöhnung bestimmt hatte. Außerdem – lehrten sie – verfehle sich jeder Jünger schwer gegen die Wahrheit, der von Christus zu Moses zurückkehre oder der seinen Brüdern die jüdischen Riten als unbedingtes Mittel zum Heil auferlege. Sie selbst aber gaben die jüdischen Riten nicht auf, noch verpflichteten sie andere, von ihrer Gewohnheit abzulassen. Die bestehende Sitte war ein völlig hinreichender Grund, sie beizubehalten. Jeder Christ sollte bei der bisherigen Gewohnheit bleiben. War er ein Jude, so wirkte ihre Befolgung nicht unbedingt störend auf das wahre und volle Vertrauen in die von Christus für die Sünde dargebrachte Sühne.
Der heilige Paulus war, wie wir wissen, der schärfste Gegner aller, die die Heiden zum Judentum als einer Vorstufe zum Christentum verpflichten wollten. Aber so entschieden er alle Versuche abweist, die Heiden unter die Riten des Gesetzes zu zwingen, verlangt er dennoch von den Juden niemals den Verzicht darauf, vielmehr wollte er deren Beibehaltung. Er überließ es einer neuen kommenden Generation, sie aufzuheben, so daß ihre Beobachtung allmählich aussterben konnte. Ja, er selbst beschnitt den Timotheus, als er ihn zu seinem Mitarbeiter auserwählte, um die Juden nicht vor den Kopf zu stoßen (Apg 16, 1-3). Wir ersehen aus der gleichen Heiligen Geschichte, daß er für sich persönlich dem Gesetz in seiner ganzen Fülle anhing. So hören wir, wie er sich anläßlich eines Gelübdes (Apg 18, 8) der jüdischen Sitte gemäß das Haupt schor.
Von diesem Gehorsam gegen das jüdische Gesetz nun, den unser gebenedeiter Herr und Seine Apostel zur Pflicht machten und selbst übten, lernen wir, wie bedeutsam es ist, die Gewohnheit der religiösen Formen beizubehalten, auch wenn sie in sich unbedeutend oder nicht göttlichen Ursprungs sind. Da es sich hier um eine Wahrheit handelt, die von der Welt im allgemeinen nicht recht verstanden wird, mag es angebracht sein, darüber einige Ausführungen zu machen.
Wir treffen manchmal mit Menschen zusammen, die die Frage an uns richten, weshalb wir diese oder jene Zeremonien und Übungen beobachten; warum wir beispielsweise so vorsichtig und genau die Gebetsformeln gebrauchen. Oder weshalb wir darauf bestehen, beim Sakrament des Herrenmahles zu knien, beim Aussprechen des Namens Jesu uns zu verneigen und den öffentlichen Gottesdienst nur an geweihten Orten zu halten? Warum wir solches Gewicht auf diese Dinge legen? Diese und viele derartige Fragen können gestellt werden und zwar alle mit dem Hinweis: „Das sind lauter unbedeutende Dinge; wir lesen nichts davon in der Bibel.“
Auf diese Einwände geben wir folgende einfache Antwort. Die Bibel war nie dazu bestimmt, uns diese Dinge aufzuerlegen, sondern das Glaubensgut zu übermitteln. Obwohl sie bisweilen unsere praktischen Pflichten, einige Punkte hinsichtlich der äußeren Form und der Ordnung erwähnt, gibt sie sich doch nicht damit ab, uns zu sagen, was wir zu tun, sondern hauptsächlich, was wir zu glauben haben. Es gibt viele Pflichten und viele Verfehlungen, die in der Schrift nicht genannt werden und die wir, erleuchtet von Gottes Heiligem Geist, durch unser eigenes Nachdenken ausfindig machen müssen. In der Schrift finden wir beispielsweise kein Verbot des Selbstmordes, Duells und Glückspieles, doch wir wissen, daß es schwere Sünden sind. Kein Mensch könnte sich damit entschuldigen, daß er kein Verbot darüber in der Schrift entdecke, da er ja Gottes Willen in diesem Punkt unabhängig von der Schrift finden kann. In gleicher Weise sind wir an verschiedene äußere Formen und Anordnungen gebunden, obwohl die Schrift nichts davon sagt. Wir lernen nämlich die Pflichten auf einem anderen Weg kennen. Es macht nichts aus, wie wir Gottes Willen kennenlernen, ob aus der Schrift, aus der Überlieferung oder, nach einem Ausdruck des heiligen Paulus aus der „Natur“, solange wir sicher sein können, daß es Sein Wille ist. Das Glaubensgut dagegen offenbart Er uns durch unmittelbare Eingebung, da es übernatürlich ist, die sittlichen Pflichten aber durch unser eigenes Gewissen und durch die von Gott geleitete Vernunft, äußere Formen durch Überlieferung und lange Gewohnheit, die uns zu ihrer Beobachtung anhalten, obwohl sie in der Schrift nicht zur Pflicht gemacht werden. Das ist, meine ich, die eigentliche Antwort auf die Frage: „Warum beobachtet ihr Riten und Formen, die durch die Schrift nicht auferlegt werden?“ Jedoch, um die Wahrheit zu sagen, unsere wichtigsten Einrichtungen, wie die Sakramente, die öffentlichen Gottesdienste, die Beobachtung des Herrentages, die Priesterweihe, die Ehe und dergleichen werden tatsächlich in ihr vorgefunden. Ich will aber noch eine andere Antwort geben, die das Ereignis, das wir heute feiern: die Unterwerfung unseres Herrn unter das jüdische Gesetz im Ritus der Beschneidung, nahelegt. Meine Antwort ist folgende.
Die Schrift sagt uns, was wir zu glauben, was wir zu erstreben und festzuhalten haben, aber sie sagt uns nicht, wie wir das tun sollen. Da wir es keineswegs tun können, es sei denn, wir tun es in dieser oder jener Weise, müssen wir tatsächlich etwas zu dem hinzufügen, was die Schrift uns sagt. Die Schrift sagt uns z. B., daß wir zum Gebet zusammenkommen sollen, und sie hat die Zuwendung der Gnaden Christi von Seiten Gottes geknüpft an die Beobachtung des gemeinsamen Gebetes unsererseits. Da sie uns aber nicht die Zeiten und den Ort des Gebetes angibt, muß die Kirche das ergänzen, was die Schrift nur im allgemeinen festgelegt hat. Unser Herr hat zwei [Newman teilt diese Ansicht noch mit der anglikanischen Kirche (1831). A. d. Ü.] Sakramente eingesetzt, die Taufe und das Herrenmahl. Nur ganz allgemein hat Er uns aber gesagt, unter welchen äußeren Formen wir sie spenden sollen. Wir können sie jedoch nicht ohne irgendwelche Gebete spenden, mögen wir nun stets bei einer Formel bleiben oder abwechseln oder unvorbereitete Gebete benützen. So verhält es sich mit vielen anderen feierlichen Handlungen, wie den heiligen Weihen, der Eheschließung oder dem Begräbnis. Ein solches Vorgehen verrät offensichtlich eine gottesfürchtige Haltung, und es ziemt sich für Christen, sie in gebührender Weise und im Glauben zu vollziehen. Wie kann das jedoch geschehen, wenn die Kirche nicht die betreffenden Formen vorschreibt?
Man kann also sagen, daß die Bibel uns den Geist der Religion gibt, die Kirche aber den Leib schaffen muß, in dem dieser Geist wohnen soll. Die Religion muß in einzelnen Handlungen ihre Verwirklichung finden, damit sie lebendig erhalten werden kann. Religiöse Schwärmer z. B., welche die Riten der Kirche aufgeben, sehen sich genötigt, auf den strengen jüdischen Sabbat wieder zurückzugehen. Es gibt keine abstrakte Religion. Wenn Menschen den Versuch machen, in dieser (wie sie es nennen) mehr geistigen Art Gott zu verehren, enden sie in Wirklichkeit damit, daß sie Ihn überhaupt nicht verehren. Dies geschieht häufig. Jeder kann das aus eigener Erfahrung wissen. Jugendliche z. B. (und vielleicht auch solche, die es besser wissen sollten als diese) sagen sich manchmal: „Wozu ein regelmäßiges Morgen- und Abendgebet? Warum eine bestimmte Form von Worten gebrauchen? Warum knien? Warum kann ich nicht im Bett beten oder beim Gehen und Ankleiden?“ Solche endigen damit, daß sie überhaupt nicht mehr beten. Was wird ferner aus der Frömmigkeit des Landvolkes, wenn wir die Religion ihrer äußeren Sinnbilder berauben und ihnen sagen, sie sollten nach dem Unsichtbaren trachten und schauen? Die Schrift gibt unserer Gottesverehrung den Geist, die Kirche den Leib. So wenig wie wir erwarten können, daß der Geist des Menschen von uns ohne das Mittel des Leibes gesehen wird, so wenig können wir annehmen, daß der Inhalt des Glaubens in einer Welt der sinnlichen Wahrnehmungen und Reize ohne die Hilfe einer äußeren Form zu verwirklichen ist, welche die Aufmerksamkeit fesselt und festhält, die Gleichgültigen anstachelt und die Verzagten ermutigt. Beachtet das Folgende: – Wer möchte sagen, unser Leib sei nicht Teil unseres Selbst? Wir können dieses Bild anwenden; denn in gleicher Weise sind die Frömmigkeitsformen Teile der Frömmigkeit. Wer kann in Wirklichkeit den Körper betrachten, ohne auf den Geist zu sehen? Wie würde sich einer z. B. als unsern Freund erzeigen, der uns schlecht behandelte, der uns hungern ließe, der uns einkerkerte und schließlich sagte, daß er nur unseren Leib, nicht unsere Seele mißhandeln wolle? Ebenso kann keiner die Religion wirklich achten und zugleich seinen Spott über ihre äußeren Formen ausgießen. Wir geben zu, daß diese nicht unmittelbar von Gott kommen, doch hat sie ein langer Gebrauch für uns göttlich gemacht. Der Geist der Religion nämlich hat sie so durchdrungen und belebt, daß ihre Zerstörung für die Menge der Menschen eine Unterhöhlung und Auflösung der Religion selbst bedeutete. In der Vorstellung der meisten Menschen decken sich Religion und religiöser Brauch so vollkommen, daß das eine nicht ohne das andere ausgerottet werden kann. Ihr Glaube wird kein Verpflanzen ertragen. Solange wir nicht auf die Eigenheiten der menschlichen Natur, sei es durch einen Blick in unser eigenes Herz, sei es durch die Lebenserfahrung, aufmerksam geworden sind, können wir uns kaum ein genaues Urteil darüber bilden, wie innig große und kleine Dinge in allen Fällen miteinander verkettet sind und wie sehr die Umstände und äußeren Begleiterscheinungen unserer Gewohnheiten (wie es scheinen möchte) fast die Voraussetzungen dieser Gewohnheiten selbst sind. Wie oft kommt es vor, daß Menschen Zeiten religiösen Ernstes haben! Wie treu ist dann ihre Frömmigkeit, aber wie schnell hören sie auf, wie vollständig verschwinden alle ihre Spuren! Doch wie verhältnismäßig unbedeutend ist der Grund des Rückfalles, vielleicht ein Wechsel des Ortes oder der Beschäftigung oder die Unterbrechung in ihrer regelmäßigen religiösen Betätigung an einem einzigen Tag! Beachtet, wie plötzlich Menschen in ihrem Leben ihre Überzeugung und ihr Bekenntnis in religiösen und weltlichen Angelegenheiten wechseln. Beachtet auch den sprichwörtlichen Wankelmut der Menge, den Einfluß von Schlagworten und Abzeichen auf das Geschick politischer Parteien, den überraschenden Sturz, der manchmal wohlmeinende und wirklich ehrbare Männer ereilt, die Unbeständigkeit auch der heiligsten und vollkommensten Menschen, dann werdet ihr einen Einblick in die Gefahr bekommen, die ein leichtfertiges Umgehen mit den äußeren Formen im Glaubens- und Frömmigkeitsleben in sich schließt. Kostbare Lehren sind wie Perlen an dünner Schnur aufgereiht.
Unser Heiland und Seine Apostel bestätigen diese Ausführungen durch ihr Verhalten gegenüber jenen jüdischen Zeremonien, die mir dazu Anlaß gaben. Der heilige Paulus nennt sie kraft- und nutzlose, schwache und armselige Anfangsgründe (Hebr 7, 18; Gal 4, 9). Das waren sie in sich selbst, aber für jene, die daran gewöhnt waren, sind sie ein erbaulicher und lebenskräftiger Dienst der Gottesverehrung geworden. Warum denn sonst beobachteten sie die Apostel? Weshalb empfahlen sie diese den bekehrten Juden? Machten sie nur ein Zugeständnis dem Vorurteil eines verworfenen Volkes? Die jüdischen Riten sollten wieder verschwinden. Es wurde jedoch niemand unter Zwang dazu aufgefordert, sich von seinem lange geübten Brauch zu trennen, aus Furcht, er möchte damit zugleich seinen Sinn für das Religiöse verlieren. Noch mehr gilt das bei solchen Formen wie den unsrigen, die keineswegs von den Aposteln abgeschafft, vielmehr von ihnen oder ihren unmittelbaren Nachfolgern eingeführt wurden. Diese sind, abgesehen von dem Einfluß, den sie auf uns durch langen Gebrauch ausüben, zu einem großen Teil Zeugnisse und Träger wertvoller Evangelienwahrheiten geworden. Ja, noch mehr, sie tragen etwas Sakramentales an sich und sind geeignet und mit gutem Grund dazu bestimmt, Gaben zu vermitteln auch dort, wo es sich nicht um eigentliche von Christus eingesetzte Sakramente handelt. Wer könnte z. B. so hartherzig und verblendet sein, über die Behauptung zu spötteln, daß der Segen eines Vaters seinen Kindern von Nutzen sein kann, selbst wenn Christus und Seine Apostel es nicht so und so oft verkündet haben?
Mehr noch könnte man über diesen überaus bedeutenden Gegenstand sagen. Besonders heutzutage sollten wir auf der Hut sein vor jenen, die die Erwartung hegen, sie könnten durch ihren Kampf uns zur Ablegung der äußeren Formenwelt bewegen und uns so zuletzt zum Aufgeben all unseres christlichen Hoffens bringen. Aus diesem Grund wird die Kirche selbst angegriffen, da sie die lebendige Form, der sichtbare Leib der Religion ist. Schlaue Menschen sind sich dessen bewußt, daß mit deren Verschwinden auch die Religion verschwindet. Daher ziehen sie über so viele Gebräuche als abergläubisch los; oder sie schlagen Abwandlungen und Veränderungen vor, ein Unterfangen, das besonders geeignet ist, den Glauben der Menge zu erschüttern. Bedenket daher, daß in sich unbedeutende Dinge für uns bedeutsam werden, wenn wir an sie gewöhnt sind. Die religiösen Handlungen und Einrichtungen der Kirche stellen die nach außen sichtbare Form dar, in der die Religion Jahrhunderte hindurch der Welt sich zeigte und immer in unserem Bewußtsein lebte. Orte, die Gott geweiht sind, eine zu Seinem Dienst sorgfältig ausgeschiedene Geistlichkeit, die fromme Beobachtung des Herrentages, die öffentlichen Gebetsformeln, die geziemende Ordnung beim Gottesdienst: alles das ist als Ganzes gesehen in unseren Augen heilig, auch wenn sie nicht von Gott gutgeheißen wären, wie sie es tatsächlich sind. Riten, die die Kirche mit gutem Grund angeordnet hat – denn die Kirche hat ihre Vollmacht von Christus – und die seit langer Zeit in Gebrauch sind, können nicht ohne Schaden für unsere Seelen abgeschafft werden. Gegen die Firmung z. B. kann man Einwände machen und sie unterschätzen; aber sicher widersetzt sich kein gewöhnlicher Mensch dieser Anordnung, ohne dadurch sichtbar ein schlechterer Christ zu werden, als er es sonst gewesen wäre. Er wird entdecken (oder eher andere werden es statt seiner entdecken, denn er wird es selbst kaum merken), daß er vom Glauben, von der Demut, der frommen Gesinnung, der Ehrfurcht und der Besonnenheit abgewichen ist. Das gilt auch für alle anderen Formen, sogar für die in sich selbst am wenigsten verpflichtenden, und es kommt immerzu vor, daß eine Verbesserung in der Theorie eine Torheit in der Praxis ist und die Weisen sich in ihrer eigenen Schlauheit fangen.
Wenn daher weltlich gesinnte Menschen unsere Formen verspotten, wollen wir bei uns selbst folgende Überlegung anstellen, – und es ist eine Überlegung, die alle, Gelehrte und Ungelehrte, verstehen können: „Diese Formen, auch wenn sie nur menschlichen Ursprungs wären (was nach den Gelehrten nicht der Fall ist, aber auch wenn es so wäre), tragen zum wenigsten einen geistlichen und erbaulichen Charakter an sich wie die jüdischen Riten. Doch Christus und Seine Apostel duldeten es nicht einmal, letztere ehrfurchtslos zu behandeln oder ohne weiteres abzuschaffen. Viel weniger dürfen wir das unseren eigenen gegenüber dulden. Wir liefen sonst Gefahr, die Abzeichen unseres Standes von uns abzustreifen und dadurch zu vergessen, daß wir einen Glauben haben, an dem wir festhalten, und eine Welt von Sündern, die wir fliehen müssen.“
1. Januar 1831