Die Zeugen des Evangeliums

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17. Predigt (27. Dezember 1834)

Fest der heiligen Apostel Philippus und Jakobus

„Durch den Mund zweier oder dreier Zeugen wird jedes Wort bestätigt“ (2 Kor 13, 1).

Es hat Gott in Seiner großen Barmherzigkeit gefallen, uns häufig Beweise für die Wahrheit des Evangeliums zu geben; Seine Zeugen immer wieder auszusenden, Prophet auf Prophet, Apostel auf Apostel, Wunder auf Wunder, damit sowohl die Vernunft zur Unterwerfung gebracht wie auch der Glaube durch die Fülle Seiner Offenbarungen belohnt werde. Das Doppelfest, das wir heute feiern, erinnert uns daran. Unser heutiger Gottesdienst ist ausgezeichnet durch das Gedächtnis zweier Apostel, die in unseren Gedanken nichts miteinander gemeinsam haben, außer ihrem Apostelamt, ihrer bei derseitigen Zeugenschaft, und zwar als getrennte Zeugen für das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Wie immer die Doppelfeste von Aposteln, die in der Schrift nicht ausdrücklich zusammen genannt werden, entstanden sein mögen, sie dienen jedenfalls dazu, uns an die Verschiedenheit und die Zahl der Zeugen zu erinnern, durch die uns ein und dieselbe heilige Wahrheit vermittelt worden ist. Aber mehr als das. Selbst die zwölf Apostel bilden trotz ihrer großen Zahl nicht die ganze uns gewährte Schar von Zeugen. Um uns noch vornehmlicher darin zu bestärken, daß das Wort wirklich Fleisch geworden ist und unter uns Menschen gewohnt hat, ist uns ein anderer gesonderter Zeuge in der Person des heiligen Paulus gewährt. Warum war noch eine Ergänzung zu der Predigt der Zwölf nötig? Sie alle waren Begleiter Christi, sie hatten Seine Worte gehört, sie hatten Seinen Geist eingesogen; und da sie alle miteinander im Inhalt ihres Zeugnisses übereinstimmten, lieferten sie einen vollen Beweis jenen, die ihn verlangten, so daß wir dennoch das Evangelium in seinem ganzen Umfang haben, wenn auch ihr Meister es uns nicht mit Seiner eigenen Hand schrieb. Er tat noch mehr als das. Als die Zeit kam, das Evangelium der weiten Welt bekanntzugeben, und während Er allmählich ihre Seelen in die Gnadenfülle des Neuen Bundes einführte, der auf die Heiden so gut wie auf die Juden sich erstrecken sollte, erweckte Er für Sich durch eine direkte Wundertat und durch innere Eingebung einen neuen und unabhängigen Zeugen mitten aus Seinen Verfolgern heraus, so daß von jener Zeit an das Heilswerk (sozusagen) einen zweiten Anfang nahm und auf einer doppelten Grundlage sich entwickelte: der Unterweisung der Apostel aus der Beschneidung einerseits und der des Apostels Paulus anderseits. Zwei Richtungen der christlichen Lehre bestanden hinfort – wenn ich das Wort „Richtung“ benutzen darf, um auf einen Unterschied nicht der Lehre selbst, sondern der Geschichte der Apostel hinzuweisen. Aus der heidnischen Richtung stammten der heilige Lukas, der heilige Klemens und andere, die Schüler des heiligen Paulus. Zu der Richtung der Beschneidung gehörten der heilige Petrus und noch mehr der heilige Johannes; der heilige Jakobus und, wir dürfen hinzufügen, der heilige Philippus. Wir wissen, daß Jakobus zu der letzteren gehörte, aus der Zeit, da er Bischof von Jerusalem war; und obwohl wenig vom heiligen Philippus bekannt ist, so deutet doch das, was man von ihm weiß, an, daß auch er zusammen mit dem heiligen Johannes, dem er folgte (wie die Geschichte uns berichtet), in die Reihe jener gehört, die die jüdische Regel der Osterfeier beobachteten, nicht aber die Überlieferung des heiligen Petrus und Paulus. Ich möchte an diesem Festtag euch einige Gedanken vorlegen, die aus dieser Betrachtung der heiligen Geschichte sich er geben.

Das Christentum war und war doch nicht eine neue Religion, als es erstmals der Welt gepredigt wurde; es schien das jüdische Gesetz auszuschalten, aber es war bloß seine Erfüllung, die rechtmäßige Fortentwicklung und Ausreifung dieses Gesetzes, das in einem Sinne verschwand, in einem anderen auf immer fortbestand. Das braucht hier nicht bewiesen zu werden. Ich will euch nur zur Beleuchtung auf die Ausdrucksweise der Prophetie hinweisen, wie (z. B.) auf das 49. Kapitel des Buches Isaias, in dem die jüdische Kirche in ihren Heimsuchungen durch die Verheißung ihrer Ausbreitung und Siege (d. h. in ihrer christlichen Gestalt) unter den Heiden getröstet wird. „Sion sprach: Verlassen hat mich der Herr, der Herr mein vergessen. Kann denn ein Weib ihres kleinen Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte doch Ich dich nicht vergessen . . . Erhebe deine Augen ringsum und sieh, sie sammeln sich alle und kommen zu dir; so wahr Ich lebe, spricht der Herr, du wirst sie dir alle antun wie einen Schmuck, dich mit ihnen umgürten wie eine Braut… Die Kinder, die dir noch bleiben, nachdem du die anderen verloren hast, werden vor deinen Ohren sagen: Zu enge ist mir der Ort, mach mir Platz zum Wohnen, dann wirst du sprechen in deinem Herzen: Wer hat mir diese gezeugt, da ich meine Kinder verloren habe und verlassen bin, gefangen und hin und her geschleppt? . . . Siehe, Ich erhebe Meine Hand den Heiden zu, den Völkern zu errichte Ich Mein Panier; … und Könige werden deine Ernährer und ihre Königinnen deine Ammen sein“ (Is 49, 14. 15. 18. 20-23). Die jüdische Kirche also wurde nicht ersetzt, obwohl die Nation es wurde. Sie verwandelte sich nur in die christliche Kirche, und so war sie zugleich dieselbe und doch nicht dieselbe, die sie vorher gewesen war.

Da dies die doppelte Sicht des göttlichen Verfahrens mit Seiner Kirche ist, gefiel es Ihm, als die Zeit für Ihn kam, sie in ihrer neuen Gestalt als eine katholische, nicht als eine örtliche Einrichtung herzustellen, eine entsprechende Veränderung in der inneren Vermittlung des Heilswerkes vorzunehmen. Zu diesem Zweck auferlegte Er dem heiligen Paulus die besondere Pflicht, jene alte wesentliche Wahrheit formell der großen Welt zu vermitteln und ihr anzupassen, deren Behütung Er bereits dem heiligen Jakobus und dem heiligen Johannes anvertraut hatte. Infolge dieses unwesentlichen Unterschiedes in der Aufgabe haben oberflächliche Leser der Schrift bisweilen so gesprochen, als ob ein wirklicher Unterschied zwischen den betreffenden Lehren dieser bevorzugten Werkzeuge der Vorsehung bestünde. Ungläubige haben den Einwand erhoben, der heilige Paulus habe eine neue Religion eingeführt, die Jesus niemals gelehrt habe; und anderseits gibt es Christen, die behaupten, daß die Predigt des heiligen Paulus besonders die Lehre des Heiligen Geistes sei und dazu bestimmt, sowohl die berichteten Herrenworte wie auch jene Seiner ersten Jünger zu ersetzen. Ein sehr bemerkenswerter Umstand besteht sicher darin, daß Gott Seinem Evangelium auf diese Weise einen doppelten Anfang gegeben hat; und wenn wir weit genug in der heiligen Erkenntnis vorangeschritten sind, um zu sehen, wie sie miteinander in Einklang stehen und zusammenwirken in jenem wunder baren System, das das Urchristentum darstellt und das auf beide Richtungen gebaut ist, werden wir in dieser Ordnung der Vorsehung überreichen Grund zum Lobpreis finden. Zunächst aber liegt hier zweifellos etwas vor, was der Erklärung bedarf; denn wir sehen tatsächlich, daß verschiedene Gruppen religiöser Schwärmer ihre betreffenden Lehren auf die eine oder andere Grundlage bauen, auf die Evangelien oder auf die Briefe des heiligen Paulus; die fanatischeren auf die letzteren, die klaren, stolzen und häretischen auf die ersteren. Wir können zwar ganz sicher sein, daß kein Teil der Schrift weder Kühle noch Fanatismus begünstigt, und wir insbesondere es nicht tun, die wir sowohl jene Gottlosigkeit wie auch jene kühne Verkehrtheit eifrig zurückweisen müssen, die in den himmlischen Worten der Evangelisten eine Stütze für ein unvollkommenes Glaubensbekenntnis finden wollen. Jedoch ist uns gerade die Tatsache, daß die feindlichen Parteien in der Aufteilung des Neuen Testamentes in zwei ungefähr gleiche Teile mit einander übereinstimmen, auf den ersten Blick Grund genug, um zu zeigen, daß der eine oder andere Unterschied, der einer Auslegung bedarf, wirklich besteht, sei es in der Ausdrucksweise, sei es in der Lehre.

Diese Sachlage, bilde sie nun eine Schwierigkeit oder nicht, kann meines Erachtens auf jeden Fall in einen Beweis zugunsten der Wahrheit des Christentums umgewandelt werden. Ein paar Hinweise möchte ich geben, um meine Ansicht darzulegen. Auch ist es nicht überflüssig, die Aufmerksamkeit auf diese Frage zu lenken, denn, obgleich Beweispunkte selten zur Bekehrung Ungläubiger frommen, sind sie immer erbaulich und lehrreich für Christen, da sie ihren Glauben stärken und sie mit Staunen und Lobpreis über die wunderbaren göttlichen Werke erfüllen, die desto deutlicher den Stempel der Wahrheit an sich tragen, je eingehender wir sie prüfen. Das war die Wirkung, die in den Seelen der Apostel durch ihre eigenen Wunder und in den Heiligen der Geheimen Offenbarung durch den Anblick der göttlichen Gerichte hervorgebracht wurde; diese ließen sie in heiliger Scheu und Dankbarkeit ausrufen: „Herr, Du bist der Gott, der den Himmel und die Erde gemacht hat!“ (Apg 4, 24); „Groß und wunderbar sind Deine Werke, Herr, allmächtiger Gott; gerecht und wahrhaft sind Deine Wege, König der Heiligen“ (Offb 15, 3).

Mein Hinweis ist einfachhin folgender: Angenommen, es kann eine wesentliche Einstimmigkeit der Lehre zwischen den betreffenden Schriften des heiligen Paulus und seiner Mitapostel nachgewiesen werden, mag nun der bestehende Unterschied phraseologischer oder inhaltlicher Art oder geschichtlicher Herkunft, mit einem Wort, ein Unterschied der Richtung sein, so zeigt diese Tatsache, daß die Übereinstimmung nur um so bemerkenswerter ist und schließlich jene Schriften sogar als zwei unabhängige Zeugen der gleichen Wahrheit erst recht verbürgt. Ich möchte nun diesen Beweisgrund beleuchten.

Ich nehme an, daß man als Unterscheidungspunkte zwischen dem heiligen Paulus und den Zwölfen die folgenden ansehen kann; daß der heilige Paulus bei seiner Bekehrung „sich nicht an Fleisch und Blut wandte, noch nach Jerusalem ging zu denen, die vor ihm Apostel waren“ (Gal 1, 16. 17); – daß nach dem Anschein der Schrift eine gewisse Art von Unterschied sich zeigt in der Beurteilung des Heilswerkes zwischen dem heiligen Paulus und den Altaposteln; daß der heilige Paulus bei einer Gelegenheit „dem Petrus ins Angesicht widerstand“ und sagt, daß „jene, die in Ansehen waren“ – es bezieht sich das offensichtlich auf Jakobus und Johannes – „bei der Zusammenkunft ihm in nichts seine Lehren ergänzten“ (Gal 2, 6. 11). Im Gegensatz dazu betont der heilige Petrus, daß in den Briefen des heiligen Paulus „manches schwer verständlich ist“ (2 Petr 3, 16); ja es möchte sogar scheinen, daß der heilige Jakobus die Lehre des heiligen Paulus über den Vorrang des Glaubens einschränkt (Anm 1: Jak 2, 14-26); ferner hatte sich der heilige Jakobus, um den heiligen Johannes nicht zu erwähnen, durch die Übernahme eines örtlichen Bischofsamtes einen festen Sitz erworben, während der heilige Paulus sich der sogenannten Missionstätigkeit unterzog und Gemeinden gründete, ohne die Leitung einer derselben zu übernehmen; – weiter spricht der heilige Paulus mit besonderem Nachdruck über die Abschaffung des jüdischen Gesetzes und die Zulassung der Heiden zur Kirche, Fragen, die die anderen Apostel nicht in den Vordergrund stellten; – der heilige Paulus erklärt entschieden und energisch, daß wir durch Gottes freie Gnade zum Heil auserwählt und durch den Glauben gerechtfertigt werden (Anm. 2: Röm 5, 1), und leitet systematisch alle christliche Heiligkeit und religiöse Gesinnung auf diesen Ursprung zurück; dagegen sagt der heilige Jakobus, daß wir durch Werke gerechtfertigt werden (Anm. 3: Jak 2,24), der heilige Johannes, daß wir „nach unseren Werken gerichtet werden“ (Offb 20, 13) und der heilige Petrus, daß „der Vater ohne Ansehen der Person jeden nach seinen Werken richtet“ (1 Petr 1, 17): Sätze, die nichts anderes als knappe Zusammenfassungen ihrer eigenen Lehre und der unseres Herrn sind; – endlich finden wir einen stärkeren Ausdruck feuriger und tätiger Gottes- und Nächstenliebe in den Schriften des heiligen Paulus als in denen seiner Mitbrüder. Es ist hier nicht der Ort darzutun, was in dieser Liste von Gegensätzen der Erklärung bedarf; noch liegt tatsächlich überhaupt irgendeine Schwierigkeit vor, die eine Seite mit der anderen Seite (wenn ich so sagen darf) zu versöhnen, wo das Herz aufrichtig und das Urteil einigermaßen klar und fest ist. Es ist oft in sehr befriedigender Art geschehen. Aber wir wollen diese Gegensätze nehmen, wie sie liegen, ehe wir eine Erklärung geben. Es mag ein Kritiker allen möglichen Vorteil aus ihnen ziehen. So viel wenigstens steht fest, daß der heilige Paulus und der heilige Jakobus zwei (ob sie übereinstimmen oder nicht) unabhängige Zeugen der Evangelienwahrheiten bilden, was überreich durch alle jene Umstände bestätigt wird, worüber manchmal die Gegner sich verbreiten, wie z. B. die besondere Erziehung, die besonderen Verbindungen und das Leben des heiligen Paulus. Nehmt diese Unterschiede in ihrer schärfsten Form und dann gebt euch anderseits Rechenschaft von der wunderbaren Übereinstimmung trotz allem in der Ansicht und Denkart, im Fühlen und Benehmen, ja im religiösen Wortschatz zwischen den beiden Richtungen (wie ich sie genannt habe). Diese Übereinstimmung ist sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, daß schon die Idee des Christentums in allen ihren Teilen praktisch gesprochen etwas Neues für das damalige Geschlecht war, dem es verkündet wurde. Wenn das uns nicht die Überzeugung einprägt, daß eine unsichtbare Hand, eine göttliche Gegenwart mitten darin wirkte, die die menschlichen Werkzeuge Seines Heilsplanes handhabte und so lenkte, daß sie trotz irgendwelcher Unterschiede der natürlichen Veranlagung und Erziehung im Verkünden Seines Wortes übereinstimmen sollten und mußten, dann können wir sicher ebensogut das Wirken des Schöpfers, Seine Macht, Weisheit und Güte in den Dingen der materiellen Welt leugnen. – Im folgenden geben wir einige Beispiele von der Art der genannten Übereinstimmung.

1. Nehmt das Neue Testament, wie wir es überkommen haben. Es verdient Beachtung, daß wir trotz des Bestrebens der Parteigänger schließlich seinen Inhalt nicht zwischen den in Betracht stehen den Richtungen aufteilen können. Zugegeben, daß in der Entwicklung der christlichen Kirche zwei Grundrichtungen am Werk waren, so sind sie doch unlösbar vereinigt, was die Glaubenssätze angeht. Folglich versuchen die modernen, in Frage kommenden Parteien, mag ihre besondere Ansicht richtig oder falsch sein, wenigstens zu einem Zustand zurückzukehren, der dem Neuen Testament vorausging. Beachtet den Brief an die Hebräer, der in Ermanglung eines anderen ein hinreichender Beweis wäre für die Übereinstimmung der Lehre des heiligen Paulus und Jakobus. Ihr könnt euch streiten wie ihr wollt über seinen Verfasser, er kommt doch zum wenigsten aus der Schule des heiligen Paulus, wenn nicht von jenem Apostel selbst. Die Parallelen zwischen diesem Brief und seinen anerkannten Schriften verbieten jede andere Annahme. Nun seht ihn durch von Anfang bis zum Schluß, beachtet genau seine Ermahnungen zum Gehorsam, seine Warnungen vor Abfall, seine feierliche Ankündigung der Schrecken des Evangeliums und ferner die ehrenvolle Behandlung des jüdischen Gesetzes, das er als erfüllt darstellt (gemäß der Lehre unseres Heilandes) und nicht verächtlich durch das Evangelium ersetzt, und dann saget, ob dieser Brief nicht schon allein ein wunderbares Denkmal der Wesenseinheit des Evangelienglaubens unter allen seinen ursprünglichen Verbreitern ist. Weiter, tut einen Blick in die Briefe an Timotheus und Titus, die anerkanntermaßen den heiligen Paulus zum Verfasser haben, und versucht zu unterscheiden, wenn ihr könnt, zwischen den Sittenlehren, die sie enthalten, und jenen des Jakobusbriefes. Als nächstes beachtet die Stellung der Schriften des heiligen Lukas in dem inspirierten Buch, eines Evangelisten, der der Sprache des heiligen Matthäus folgt, jedoch der Gefährte des heiligen Paulus ist. Prüfet die Reden des heiligen Paulus in der Apostelgeschichte und seht, ob er nicht der Heidenapostel und zugleich der Mitapostel derer ist, die unseren Herrn bei Seiner Wirksamkeit begleitet hatten(Anm. 4: Siehe z. B. Apg 20, 25; 28, 31). Ziehet auch die Geschichte des heiligen Petrus in Erwägung und beachtet, ob die Offenbarungen, die im Hinblick auf die Bekehrung des Kornelius an ihn ergingen, nicht ein Bindeglied zwischen dem „Paulus-Evangelium“ und dem seiner älteren Brüder bilden. Zählt schließlich die besonderen Teile der Paulusschriften auf, in denen angenommen werden kann, daß dieser Apostel eine von den übrigen Aposteln verschiedene Lehre vorträgt, und bestimmt ihren Umfang und ihre Zahl. Finden wir mehr als neun derartige Kapitel in seinem Römerbrief, vier im Galaterbrief, drei im Epheserbrief, einen Abschnitt im Kolosserbrief und einige wenige Verse im Philipperbrief? Finden sich nicht in anderen Kapiteln gerade dieser Briefe klare und ausdrückliche Darlegungen, die diesen mutmaßlichen Besonderheiten zuwiderlaufen, mit dem heiligen Jakobus übereinstimmen und so (gleichsam) gegen jene sich verwahren, die die Apostel, die Gott verbunden hat, trennen möchten? Das soll sogleich nachgewiesen werden; aber gebt für den Augenblick die Gesamtheit der eben erwähnten Briefe zu, – ihr könnt dennoch nicht mehr herausfinden als fünf von den vierzehn, der vollen Zahl seiner Briefe; und diese, wie heilig und maßgebend sie auch sein mögen, sind trotzdem nicht von größerer Bedeutung und Würde als manche von den übrigen neun. Gerade vom Neuen Testament her gesehen möchte es also scheinen, daß der Unterschied zwischen der Lehre des heiligen Paulus und der seiner Brüder (wie immer er war) eine Verschmelzung zuläßt hinsichtlich der christlichen Verkündigung, von dem Augenblick an, als das Lehramt erstmals in der Kirche ausgeübt wurde.

2. Was die Altapostel angeht, so kann die Absicht, die Lehre ihres göttlichen Meisters zu vermitteln und zu erklären, nicht mißverstanden werden. Natürlich mußte nun der heilige Paulus, der vorgab, Christi Evangelium zu predigen, die gleiche Absicht bekunden, aber wir sollten beachten, wie sehr er sich dem alleinigen Gedanken an Ihn hingab, wenn wir erwägen, daß er mit unserem Herrn auf Erden überhaupt nicht zusammen war. Diese Tatsache wäre wirklich auffallend, wäre nicht der heilige Paulus von Gott erwählt und von Ihm berufen, wie wir es von ihm glauben. Simon Magus gab vor, ein Christ zu sein, doch es war sein Ziel, sich selbst zu erhöhen. Es war für den heiligen Paulus durchaus möglich, Christus im allgemeinen als seinen Meister anzuerkennen und doch praktisch Christus nicht zu predigen. Doch wie ist er erfüllt von seinem Heiland! Er könnte es nicht mehr sein, wenn er Ihn bei Seiner ganzen Wirksamkeit begleitet hätte. Der Gedanke an Christus ist der eine Gedanke, in dem er lebt; es ist die glühende Liebe, die ergebene Anhänglichkeit, der Eifer und die Ehrfurcht eines Mannes, der „das Wort des Lebens gehört und gesehen, geschaut und betastet hat“ (1 Joh 1, 1). Welches bedeutsame Zeugnis liegt hier für die Herrschergröße des unsichtbaren Heilandes vor! Was waren Paulus, was Jakobus anderes als „Diener“, durch die die Welt an Ihn glaubte? Darüber hinaus waren sie offensichtlich nichts. Das ist eine auffallende Erfüllung der Erklärung unseres Herrn hinsichtlich der Wirksamkeit des Geistes; „Er wird Mich verherrlichen“ (Joh 16, 14). Der heilige Johannes berichtet dies; der heilige Paulus ist das lebende Beispiel dafür.

Es ist auch bemerkenswert, wie der heilige Paulus mit den anderen Aposteln übereinstimmt in der Art, die Worte und Werke unseres Herrn zu berichten, obwohl in seinen Schriften sich nicht viel Gelegenheit dazu findet; d. h. es ist klar, daß er ebensowenig wie die übrigen nicht einen bloßen Namen oder eine Idee verherrlicht, sondern eine Person, einen wirklich lebenden Meister. Der heilige Johannes sagt z.B.: „Was wir gesehen und gehört haben, verkünden wir euch“ (1 Joh 1, 3); und der heilige Petrus: „Diese Stimme, die vom Himmel erscholl, haben wir gehört, da wir mit Ihm auf dem heiligen Berg waren“ (2 Petr 1, 18); ferner: „Wir sind Zeugen von allem, was Er getan hat“ (Apg 10, 39). In gleicher Weise zählt der heilige Paulus als sein „Evangelium“ nicht bloße religiöse Prinzipien auf, sondern die Tatsachen aus dem Leben Christi, wobei er gerade auf jene Teile der Heilsvermittlung zurückkommt, in denen er seinen Brüdern nachstand. „Ich habe euch zuvörderst mit geteilt, was ich auch empfangen habe: daß Christus für unsere Sünden gestorben ist, wie geschrieben steht, … begraben wurde und am dritten Tag wieder auferstanden ist, und daß Er dem Kephas erschien, danach den Elfen, nachher… ungefähr fünfhundert Brüdern auf einmal… hierauf dem Jakobus, dann allen Aposteln“; er fügt mit einem Ausdruck der Selbsterniedrigung hinzu, „und zuletzt von allen ist Er mir erschienen“ (1 Kor 15, 3-8). Ferner verweist er in seinen Vorschriften für die Spendung des Herrenmahles sorglich auf die Anordnung unseres Herrn, wie sie in den Evangelien berichtet wird; wiederum könnte man im siebten Kapitel des gleichen Briefes eine wiederholte Bezugnahme auf die Worte unseres Herrn im Evangelium sehen: „Denen aber, die durch die Ehe verbunden sind, gebiete nicht ich, sondern der Herr“ (1 Kor 7, 10). Man hat mit Recht angenommen, daß im selben Kapitel der Eingangsvers, „das sage ich zu eurem eigenen Nutzen“, sich beziehe auf die Erzählung des heiligen Lukas, wie Martha sich über Maria beklagt, und auf die Antwort unseres Herrn. In seinem ersten Brief an Timotheus spielt der heilige Paulus auf die Verhandlung unseres Herrn vor Pilatus an. In seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus hat er einen der Aussprüche des Herrn aufbewahrt, den die Evangelien nicht enthalten: „Geben ist seliger als nehmen“ (Apg 20, 35). Und im Brief an die Hebräer wird auf Christi Todesangst im Garten Bezug genommen.

3. Die Lehre der Menschwerdung oder das neutestamentliche Heilswerk, das die beiden großen Wahrheiten der Gottheit Christi und der Versöhnung umfaßt, wurde (soweit wir wissen) nicht klar während der Wirksamkeit unseres Herrn geoffenbart. Doch achtet darauf, wie sehr der heilige Paulus mit dem heiligen Johannes übereinstimmt. „Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort, und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1, 1. 14). Und Paulus sagt: „Christus Jesus, da Er in Gottesgestalt war, hielt es für keinen Raub, Gott gleich zu sein; doch Er entäußerte Sich Selbst und wurde den Menschen gleich“ (Phil 2, 5-7). Der heilige Johannes nennt Christus „den Eingeborenen Sohn im Schoße des Vaters“ (Joh 1, 18), und der heilige Paulus „den Erstgeborenen“ (Hebr 1, 6). Der heilige Johannes sagt, daß Er „den Vater verkündigt hat“ (Joh 1, 18), und mit Seinen eigenen heiligen Worten, daß, „wer Ihn gesehen hat, den Vater gesehen hat“ (Joh 14, 9); der heilige Paulus erklärt, daß Er „das Ebenbild des Unsichtbaren Gottes ist“ (Kol 1, 15), – „der Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Ebenbild Seines Wesens“ (Hebr 1,3). Der heilige Johannes sagt: „Alles ist durch Ihn gemacht worden“ (Joh 1, 3); der heilige Paulus, daß „Gott durch Ihn die Welten geschaffen hat“ (Hebr 1, 2). Weiter sagt der heilige Johannes: „Das Blut Jesu Christi reinigt uns von aller Sünde“ (1 Joh 1, 7); – und der heilige Paulus: „In Ihm haben wir die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Sünden“ (Kol 1, 14); – der heilige Johannes: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1 Joh 2, 1). – Der heilige Paulus: „Er sitzt auch zur Rechten Gottes und bittet für uns“ (Röm 8, 34); – der heilige Johannes: „Er ist nicht nur die Versöhnung für unsere Sünden, sondern auch für die der ganzen Welt“ (1 Joh 2, 2); – der heilige Paulus, daß „Er Juden und Heiden zu einem Leib versöhnt hat durch das Kreuz „ (Eph 2, 16). Wenn man nun das Geheimnisvolle an diesen Lehren erwägt, die Wahrscheinlichkeit, daß eine gewisse Verschiedenheit der Lehre bei zwei verschiedenen Geistern vorhanden sein konnte, und die tatsächlichen Unterschiede, die unter den verschiedenen Geistesrichtungen damals existierten, dann muß ich diese genaue Übereinstimmung zwischen dem heiligen Johannes und dem heiligen Paulus (Männern, allem Anschein nach einander so ungleich von Natur als Menschen es sein können) als eine Tatsache ansehen, die kaum einem zwingenden Beweis für die von ihnen bezeugte Wirklichkeit der göttlichen Lehren nachsteht. „Das Zeugnis zweier Zeugen ist wahr“ (Jo 8, 17); und noch klarer liegt die Sache in diesem Fall, wenn wir annehmen (was Ungläubige und nur sie allein behaupten können), daß eine Nebenbuhlerschaft zwischen den Richtungen dieser heiligen Apostel bestand.

4. Setzen wir unseren Überblick fort. Der heilige Johannes wie der heilige Paulus legen die Lehre von der Wiedergeburt dar, beide verknüpfen sie mit der Taufe, beide verwerfen die Welt als sündig und verloren. Beide lehren die besonderen Vorrechte der Christen als der Adoptivkinder Gottes und machen die Gewährung dieses Vorrechtes und aller anderen vom Glauben abhängig (Anm. 5: Joh 3, 3-5. 16. 19; 1 Joh 3, 1; Röm 3, 19; 5, 1; 8, 14.15; Tit 3, 5 usw.). Die betreffenden Ideen und angewandten Ausdrücke sind eigenartig; und wenn wir schließlich in Anschlag bringen, was durch frühere Heilsmitteilungen und bestehende Religionsrichtungen vorausgenommen worden ist, und selbst wenn man zeigen könnte, daß schon sehr viel von dieser Lehre bereits der Synagoge vertraut war, so gibt das nicht genügend den Grund für die Einmütigkeit in der Lehre an, womit die beiden sie aufnehmen und anwenden. Ich füge diesem Teil der Frage einige Paralleltexte bei. Der heilige Johannes vermittelt die Vorhersage unseres Heilandes: „Wenn Ich hingehe, werde Ich euch den Tröster senden; Er wird euch in alle Wahrheit einführen“ (Joh 16, 7.13); – der heilige Paulus: „Gott hat uns (die Geheimnisse des Evangeliums) geoffenbart durch Seinen Geist“ (1 Kor 2, 20); – und „alle diese (Gaben) bewirkt ein und derselbe Geist, der einem jeden zuteilt, wie Er will“ (1 Kor 12, 11). Der heilige Paulus sagt: „Der, der uns samt euch in Christus gefestigt und gesalbt hat, ist Gott“ (2 Kor 1, 21); – der heilige Johannes: „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen“ (1 Joh 2, 20). Der heilige Johannes erklärt in Übereinstimmung mit der Lehre seines Herrn: „Es gibt eine Sünde zum Tod; ich sage nicht, daß jemand für diese bitten soll“ (1 Joh 5, 16); und der heilige Paulus, daß „es unmöglich ist für jene, die einmal erleuchtet worden sind, wenn sie abfallen werden, sich wieder zur Sinnesänderung zu erneuern“ (Hebr 6, 4-6).

5. Wir alle erinnern uns an den Lobpreis des heiligen Paulus auf die Liebe, die die Erfüllung des Gesetzes und das charakteristische Gebot des Evangeliums ist. Doch, wird ihre hervorragende Bedeutung nicht ebenso klar vom heiligen Johannes dar gelegt, wenn er sagt: „Wir wissen, daß wir vom Tod ins Leben zurückgekehrt sind, weil wir die Brüder lieben“ (1 Joh 3, 14), und ihr Wesen vom heiligen Jakobus beschrieben ist als „die Weisheit, die von oben kommt“ (Jak 3, 17)? Ferner ist bemerkenswert, daß das vom Gesetz übernommene Gebot unseres Herrn, unsere Nächsten wie uns selbst zu lieben, zugleich vom heiligen Paulus und dem
heiligen Jakobus überliefert ist (Anm. 6: Röm 13, 9; Jak 2, 8).

6. Wir wissen, daß unser Herr einen besonderen Nachdruck auf die Pflicht des Almosengebens legt. Der heilige Johannes und der heilige Jakobus folgen Ihm darin (Anm. 7: 1 Joh 3, 17; Jak 2, 15.16); der heilige Paulus ebenso. Für diese Übereinstimmung zwischen ihm und seinen Brüdern zeugen besonders die Worte des Apostels im Galaterbrief. „Als Jakobus, Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen waren, die Gnade erkannten, die mir verliehen war, gaben sie mir und Barnabas die rechte Hand zur Gemeinschaft, daß wir zu den Heiden, sie aber zu den Beschnittenen gehen sollten; nur wollten sie, daß wir der Armen eingedenk seien; was ich auch zu tun beflissen gewesen bin“ (Gal 2,9.10).

7. Auf der Selbstverleugnung, der Abtötung des Lebens und auf unserer Kreuzesnachfolge bestand Christus besonders. Der heilige Paulus vermittelt klar und entschieden die gleiche Lehre, wenn er erklärt, daß er selbst „mit Christus gekreuzigt“ (Gal 2, 19) sei und „täglich sterbe“ (1 Kor 15, 31). Die Pflicht des Fastens kann hier erwähnt werden als eine, auf die Paulus unverzüglich eingeht und wo er die religiöse Gedankenwelt unseres Herrn einschärft.

8. Ich brauche nicht zu bemerken, wie nachdrücklich und beharrlich der heilige Paulus auf seiner Ermahnung zur Fürbitte besteht; doch der heilige Jakobus gleicht ihm in seinem kurzen Brief, der einen längeren und ausdrucksvolleren Abschnitt darüber enthält als jeder andere, der sich beim heiligen Paulus finden läßt (Anm. 8: Eph 6, 18; 1 Thess 5, 17; Jak 5, 14-18;). Ferner bestehen beide Apostel auf der Übung des heiligen Psalmengebetes als auf einer Pflicht. Der heilige Jakobus sagt: „Leidet jemand unter euch, so bete er. Ist jemand guten Mutes, so singe er Psalmen“ (Jak 5, 13). Der heilige Paulus hinwieder: „Redet miteinander in Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ (Eph 5, 19).

9. Der heilige Paulus legt großes Gewicht auf die heilige Eucharistie; ja, ihm verdankt die Kirche den direkten und klaren Beweis, den wir von der sakramentalen Kraft dieses Gnadenmittels besitzen. Weit verschieden davon ist die Haltung der Neuerer. Diese sind über nichts ungehaltener als über Einrichtungen, die sie aufgestellt finden. Er anerkennt auch die Verpflichtung zum Herrentag (Anm. 9: Apg 20, 7; 1 Kor 16, 2.) als der Apostel, der mit anderen jüdischen Riten auch den Sabbat ablehnt.

10. Der heilige Judas gebietet uns, „ernst zu streiten für den Glauben, der ein für allemal den Heiligen übergeben worden ist“ (Jud 3). Gleicherweise gebietet der heilige Paulus dem Timotheus, „fest zuhalten an der Form der gesunden Lehre, die er von ihm gehört hatte“ (2 Tim 1,13); und dem Titus, „festzuhalten an dem glaubwürdigen Worte, wie er gelehrt worden, damit er imstande sei, in der gesunden Lehre zu ermahnen und die Gegner zu widerlegen“ (Tit 1, 9). Der heilige Paulus gebietet uns, „die Wahrheit in Liebe zu künden“ (Eph 4, 15); der heilige Johannes schreibt, er „liebe Gaius in der Wahrheit“ (3 Joh 1).

11. Es ist der Beachtung wert, daß unser Herr von Seinem Evangelium sagt, es werde nicht in erster Linie als ein Mittel zur Bekehrung gepredigt, sondern als ein Zeugnis gegen die Welt. Das ist anerkanntermaßen ein überraschender Standpunkt, wert, daß er vom Stifter einer neuen Religion aufgegriffen werde. „Das Evangelium vom Reich soll in der ganzen Welt allen Völkern zum Zeugnis gepredigt werden“ (Mt 24,14). Demgemäß legte Er Selbst auch vor dem Heiden Pilatus Zeugnis ab: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß Ich der Wahrheit Zeugnis gebe“ (Joh 18, 37). Es ist gewiß noch überraschender, daß der Heidenapostel genau denselben Gedanken aufnahm und sogar auf das Bekenntnis unseres Herrn vor Pilatus hinwies, als er Timotheus seinen Auftrag gab, die Wahrheit zu predigen (Anm. 10: 1 Tim 6, 13.). Er erklärte nämlich, das Evangelium sei „ein Todeshauch zum Tode“ ebenso wie „ein Lebenshauch zum Leben“ (2 Kor 2, 16), und er sagte das Anwachsen „der bösen Menschen und der Verführer“ nach seiner Abreise voraus (2 Tim 3, 13).

12. Beachtet die einmütige Gesinnung in den folgenden Texten: Der heilige Jakobus, belehrt von seinem Herrn und Meister, sagt: „Seid Befolger des Wortes und nicht bloß Hörer, indem ihr euch selbst betrüget“ (Jak 1, 22). Der heilige Paulus sagt beinahe in den gleichen Worten: „Nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die Befolger des Gesetzes werden gerechtfertigt“ (Röm 2,13). Ferner, wenn wir nicht wüßten, woher die folgenden Stellen stammten, würden wir sie wohl nicht dem heiligen Jakobus zuschreiben? „Gott wird jedem vergelten nach seinen Werken; und zwar denen, die mit Beharrlichkeit in guten Werken nach Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit streben, mit dem ewigen Leben; denen aber, die zänkisch sind, und der Wahrheit nicht gehorchen, sondern der Ungerechtigkeit sich hingeben, mit Zorn und Ungnade… denn bei Gott ist kein Ansehen der Person“ (Röm 2, 6-8.11). Dieser so gut wie der eben erwähnte Text steht am Anfang jenes Briefes, in dem der heilige Paulus sich scheinbar am meisten vom heiligen Jakobus unterscheidet; nun seht, wie er ihn schließt. „Warum richtest du deinen Bruder? Und warum verachtest du deinen Bruder? Wir werden ja alle vor dem Richterstuhl Christi stehen… Ein jeder von uns wird Gott über sich Rechenschaft geben“ (Röm 14, 10-12). Ferner in einem anderen Brief: „Wir alle müssen erscheinen vor dem Richterstuhl Christi, damit ein jeder, je nachdem er in seinem Leib Gutes oder Böses getan hat, danach empfange. Da wir nun wissen, daß der Herr zu fürchten sei, reden wir den Menschen zu“ (2 Kor 5, 10. 11).

13. Der heilige Johannes mißt nach dem Beispiel unseres Herrn besonders denen Lob bei, die ein jungfräuliches Leben führen, wobei er, wie es häufig in der Schrift geschieht, den Buchstaben in den Geist hüllt (Anm. 11: Siehe Os 13, 4; Joh 11, 23. 40; 13, 8; 18, 9; und besonders als Parallele Mt 18, 3-6, und ebenso Mt 10, 38 und Offb 7,14.). „Diese sind es, die sich mit Weibern nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich; sie folgen dem Lamm, wohin es geht“ (Offb 14, 4). Der heilige Paulus preist mit unverhüllten Worter den gleichen Stand und gibt denselben Grund für seine Segnung an. „Wer kein Weib hat, sorgt nur für das, was des Herrn ist, wie er Gott gefallen möge . . . Dieses sage ich zu eurem Besten, daß ihr ohne Hindernis dem Herrn anhangen könnt“ (1 Kor 7, 32. 35).

14. Der heilige Paulus sagt: „Seid nicht ängstlich besorgt, sondern in allen Dingen lasset eure Anliegen im Gebete und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden“ (Phil 4, 6). In gleicher Weise St. Petrus: „Alle eure Sorge werfet auf Ihn, denn Er sorgt für euch“ (1 Petr 5, 7). Beide folgen der Mahnung unseres Herrn: „Sorgt nicht ängstlich für den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen“ (Mt 6, 34).

15. Schließlich, wie Christus die Nähe der Heimsuchungen für die Synagoge und die Notwendigkeit, darauf gefaßt zu sein, voraussagt, so bemerkt der heilige Petrus folgendes dazu: „Das Ende aller Dinge hat sich genähert; seid also nüchtern und wachsam im Gebet“ (1 Petr 4, 7). Der heilige Jakobus: „Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn nahet sich“ (Jak 5, 8). Und der heilige Paulus desgleichen: „Eure Sittsamkeit werde allen Menschen kund; der Herr ist nahe“ (Phil 4, 5).

Diese Beispiele mögen genügen, um auf die Beweisführung für die Wahrheit des Christentums hinzudeuten, die, wie ich es auffasse, in dem geschichtlichen Unterschied zwischen den entsprechenden Richtungen des heiligen Paulus und des heiligen Jakobus liegt. Es besteht ein solcher Unterschied, daß ihn jeder zugeben muß. Ich meine damit, daß der heilige Paulus tatsächlich seine Predigt begann, gestützt auf die eigens an ihn persönlich ergangenen Offenbarungen. Und so können wir (wie sicherlich jeder Christ je nach seinem Eifer und Gebetsgeist es nach und nach erreicht) – so können wir mit den scheinbaren Abweichungen des heiligen Paulus in der Lehre von der der übrigen Apostel uns versöhnen und zufriedengeben; nur muß schließlich so viel an Restgut übrigbleiben, daß es noch hinreicht, den soeben angeführten Beweis darauf aufzubauen. Gleichzeitig dürfen wir, um auch die geschichtliche Harmonie der ganzen Heilsvermittlung sicherzustellen, unserem Bericht über diesen verschiedenen Ursprung der beiden apostolischen Richtungen die folgenden Tatsachen gegenüberstellen. Erstens betrachtete sich der heilige Paulus in kirchlicher Hinsicht immer als der Kirche von Jerusalem und dem heiligen Jakobus untergeordnet, wie die Apostelgeschichte uns zeigt; ferner war der heilige Johannes, der Lieblingsjünger, der „vor ihm in Christus war“ (Röm 16, 7), dazu ausersehen, ihn zu überleben und als treuer Diener die reine und wahre Lehre seines Herrn abzuschließen, zu verbürgen und unverfälscht der späteren Kirche auszuhändigen.

Was die Frage nach der Übereinstimmung und dem Unterschied in der Lehre, die ich mich zu ermitteln bemüht habe, angeht, braucht man kaum zu bemerken, daß in wesentlichen Dingen unstreitig Übereinstimmung besteht – in der Natur und Aufgabe des Mittlers, in den Gaben, die Er uns zu geben Sich würdigte, und in der Geisteshaltung und den Pflichten, die von einem Christen gefordert werden; dagegen bezieht sich der Lehrunterschied zwischen ihnen, selbst wenn wir einen Unterschied zugeben, im höchsten Fall nur auf die göttlichen Ratschläge, auf den Sinn, in dem das jüdische Gesetz abgeschafft ist, und auf die Bedingung der Rechtfertigung, ob durch Glauben oder durch gute Werke. Ich möchte nicht (Gott bewahre!) diese oder irgend welche andere Fragen unterschätzen, über die das inspirierte Wort gesprochen hat; es ist unsere Pflicht, sorgfältig nach jedem Jota und Tüpfelchen der uns gnädig geoffenbarten Wahrheit zu forschen und sie festzuhalten. Ich spreche aber hier gleichsam zu einem Ungläubigen, und er muß bekennen, daß ein Unterschied in der Ansicht über die letzteren Fragen jene tatsächliche und wesentliche Übereinstimmung des Gesamtaufbaues nicht beeinträchtigen kann, wenn man den Glauben des Evangeliums von seiner geschichtlichen Seite her sieht. Diese Übereinstimmung ist sichtbar in der Entfaltung der Lehre, wie die beiden Zeugen sie jeweils darbieten.

Dann, wenn ich als Christ spreche, der weder das Vorhandensein einer Zwiespältigkeit in den inspirierten Urkunden des Glaubens zugeben will, noch dies, daß es Stellen von geringer Bedeutung in der Offenbarung gibt, so möchte ich nichtsdestoweniger bemerken, daß die vorausgehende Begründung uns eine gesteigerte Gewißheit hinsichtlich der charakteristischen Lehren wie auch der Wahrheit des Christentums gibt. Eine Übereinstimmung zwischen dem heiligen Paulus und dem heiligen Johannes zu Gunsten einer gewissen Lehre ist nicht nur eine Übereinstimmung von Texten, sondern von verschiedenen Zeugen, ein Beweis für die überragende Bedeutung des uns übermittelten christlichen Lehrgebäudes. Auf diese Weise, wenn nicht anders, lernen wir die Bedeutung einiger besonderer Offenbarungslehren kennen, die die Häretiker geleugnet haben, wie die von der Ewigkeit oder von der Persönlichkeit des göttlichen Wortes.

Ferner können wir auf diese Weise klarer die Hauptumrisse dessen bezeichnen, was zu einem Christen gehört; z. B. daß Liebe sein Wesen ist, – seine Hauptmerkmale: Ergebung und Gelassenheit des Geistes, der weder ängstlich für das Morgen sorgt, noch von dieser Welt etwas erwartet, – und seine Pflichten: Almosengeben, Selbstverleugnung, Gebet und Lobpreis.

Endlich eröffnet gerade der Umstand, daß Gott diese Art, das Evangelium in die Welt einzuführen, gewählt hat, ich meine, diese Anwendung einer doppelten Vermittlung, ein weites Gedankenfeld, wenn wir die Einsicht hätten, die parallelen Vorsehungswege aufzuspüren, die in der Unentwirrbarkeit Seines Verfahrens mit der Menschheit liegen. Wie es jetzt steht, können wir nur mit dem Apostel in Bewunderung und Anbetung das Geheimnis Seiner Ratschlüsse bestaunen. „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind Seine Gerichte und wie unerforschlich sind Seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt? Oder wer ist Sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat Ihm zuerst etwas gegeben, daß es Ihm wieder vergolten werde? Denn von Ihm und durch Ihn und in Ihm ist alles. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen“ (Röm 11, 33-36).

aus: Deutsche Predigten (DP), Bd. II, Schwabenverlag 1950, pp. 206-229.

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