Die Tagespost 21, (16.2. 2008) 7, 6.
Zum Geburtstag von Kardinal John Henry Newman
Papst Benedikt XVI. schreibt in seiner Enzyklika Spe salvi: „Menschliches Leben bedeutet Unterwegssein. Zu welchem Ziel? Wie finden wir die Straße des Lebens? Es scheint wie eine Fahrt auf dem oft dunklen und stürmischen Meer der Geschichte, in der wir Ausschau halten nach den Gestirnen, die uns den Weg zeigen. Die wahren Sternbilder unseres Lebens sind die Menschen, die recht zu leben wussten. Sie sind Lichter der Hoffnung. Gewiss, Jesus Christus ist das Licht selber, die Sonne, die über allen Dunkelheiten der Geschichte aufgegangen ist. Aber wir brauchen, um zu ihm zu finden, auch die nahen Lichter – die Menschen, die Licht von seinem Licht schenken und so Orientierung bieten auf unserer Fahrt“ (Nr. 49).
Ein solches nahes Licht der Hoffnung ist John Henry Newman, der am 21. Februar 1801 in London geboren wurde. Newmans Leben (1801–1890) war gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Schwierigkeiten und Leiden. Nach einem langen schmerzvollen Ringen erkannte er, dass seine geliebte anglikanische Gemeinschaft nicht das volle Erbe des Urchristentums bewahrt hatte, und konvertierte zur katholischen Kirche (1845). Als Katholik war sein Weg nicht weniger mit Dornen übersät: Oftmals wurde er nicht verstanden, viele seiner genialen Pläne scheiterten an der fehlenden Unterstützung durch die Bischöfe. Erst als Papst Leo XIII. ihn zum Kardinal ernannte (1879), kam seine Bedeutung für England und weit darüber hinaus zur Geltung. Newman könnte bald seliggesprochen werden, wenn der zurzeit in Rom laufende Wunderprozess positiv ausfällt.
Auch und gerade in seinen Prüfungen war Newman ein Mann der Zuversicht und ein Mahner zur Hoffnung. Lassen wir uns von einigen seiner Worte inspirieren, um in einer Zeit, in der Entmutigung, Depression und Angst immer weitere Kreise ziehen, voll Hoffnung in die Zukunft zu gehen.
„Dies ist die Definition, möchte ich sagen, jedes religiösen Menschen, der von Christus nichts weiß: Er hält Ausschau“ (DP X 85). Die innere Stimme des Gewissens, die nach Newman das Urprinzip der Religion ausmacht, lockt den Menschen, das Rechte zu tun und Gott zu suchen. Doch diese Stimme ist oft leise und undeutlich. Zudem klagt sie Fehler und Sünden an, ohne davon befreien zu können. So treibt sie den Menschen an, Ausschau zu halten nach einem klaren und sicheren Halt und nach dem Frieden des Herzens. Sie weckt in ihm eine stille Sehnsucht, die nach Newman erst durch das Kommen des Sohnes Gottes ganz erfüllt wird. Jesus Christus ist nämlich die Wahrheit und der Friede in Person. „Jahr um Jahr gleitet lautlos dahin; Christi Ankunft nähert sich immer mehr. Dass wir uns doch, je näher er der Erde kommt, umso mehr dem Himmel näherten“ (DP IV 370). Wer den Erlöser in sein Herz und in sein Leben aufgenommen hat, dessen tiefstes Verlangen ist zwar in gewisser Weise schon erfüllt, aber noch keineswegs vollendet.
Säkularisierung menschlicher Hoffnung beklagt
Der Christ ist ein Mensch, der Ausschau hält nach dem, was er im Glauben schon zu erkennen vermag. In diesem Leben besitzt er das Heil noch nicht in seiner Fülle, sondern lebt in der Hoffnung. Dieses sehnsüchtige Ausschauen nach dem Herrn und der Fülle des Lebens entspricht dem urmenschlichen Verlangen nach Glück. Es verleiht dem Dasein des Christen eine eigene Dynamik und Spannkraft.
„Unser wirkliches und wahres Glück besteht nicht im Wissen, Begehren oder Erstreben, sondern im Lieben, Hoffen, Frohsein, Bewundern, Verehren, Anbeten. Unser wirkliches und wahres Glück liegt im Besitz jener Dinge, in denen unser Herz Ruhe und Frieden finden kann“ (DP V 355). Viele Menschen suchen die Erfüllung ihrer Hoffnung in den Dingen dieser Welt. Sie eilen von einem Gut zum anderen und finden doch kein bleibendes Glück und keinen echten Frieden. Alle innerweltlichen Hoffnungen sind letztlich vergänglich, wie die Welt selbst vergänglich ist. Spätestens wenn der Mensch aus dieser Welt scheidet, brechen die irdischen Hoffnungen zusammen. Immer wieder beklagte Newman die Säkularisierung der christlichen Hoffnung. Er warnte unaufhörlich davor, die sichtbare Welt der unsichtbaren vorzuziehen und das Herz in ungeordneter Weise an Vergängliches zu hängen.
„Nach dem Fieber dieses Lebens, nach Ermüdung und Krankheit, Kampf und Mutlosigkeit, Schwäche und Verdruss, nach Ringen und Versagen, Ringen und Gelingen, nach all dem Wechsel und Hoffen dieses mühseligen, unheilbringenden Zustandes kommt endlich der Tod, endlich der weiße Thron Gottes, endlich die selige Anschauung. Nach der Ruhelosigkeit kommt Ruhe, Friede, Freude; unser ewiger Anteil, wenn wir seiner würdig sind; der Anblick der gebenedeiten Drei, des einen Heiligen“ (DP VI 398). Das letzte und eigentliche Ziel der christlichen Hoffnung ist der Gott der Liebe, der dreifaltige Gott. Nach ihm streckt sich der Hoffende aus, denn er allein kann seinem Herzen jenen Frieden schenken, den er im Innersten ersehnt – nicht erst in der kommenden, sondern bereits in dieser Welt.
Wie das folgende Gebet zeigt, hatte Newman selbst dieses Ziel lebendig vor Augen: „O mein Gott, ich übergebe mich ganz in deine Hände. Wohl oder Wehe, Freude oder Schmerz, Freunde oder Verlassenheit, Ehre oder Demütigung, guter oder übler Ruf, Trost oder Trostlosigkeit. Deine Gegenwart oder das Verbergen deines Angesichtes, alles ist gut, wenn es von dir kommt. Du bist Weisheit und Liebe – was kann ich mehr wollen? Du hast mich nach deinem Ratschluss geführt, und mit Herrlichkeit hast du mich aufgenommen. Was habe ich im Himmel, und was suche ich auf Erden außer dir? Mein Fleisch und mein Herz versagen; aber Gott ist der Gott meines Herzens und mein Anteil auf ewig.“
Ist die Hoffnung des Christen nicht eine Utopie? Ist der Mensch angesichts seiner Kleinheit und Sündhaftigkeit überhaupt fähig, nach einem so hohen, ihn gänzlich übersteigenden Gut auszuschauen? In der Predigt „Die Allmacht Gottes – der Grund für Glaube und Hoffnung“ antwortet Newman auf diese Frage mit dem Hinweis, dass Gott „nicht nur allmächtig, sondern auch allbarmherzig ist… Die Gegenwart unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus spornt uns ebenso sehr zur Hoffnung an wie zum Glauben, weil schon sein Name Jesus so viel wie Heiland bedeutet und weil er voll Liebe, Sanftmut und Güte war, als er auf Erden weilte“. Die Hoffnung wurzelt im Glauben an Gottes Treue und Barmherzigkeit. Sie ist nicht eigene Leistung, sondern Geschenk. Der Erlöser weckt im Getauften mit dem Glauben auch die Hoffnung. Freilich muss der Einzelne sich vertrauensvoll dem Herrn überantworten.
Wie Newman ausführt, geht es den Christen heute oft so wie damals den Aposteln, die im Boot sitzen, das vom tobenden Sturm hin- und hergeworfen wird. Sie fürchten, dass Christus „schlafe“ – und bekommen Angst, verlieren den Mut, sehen keinen Ausweg mehr. „Was seid ihr so furchtsam?“, ruft der Herr seinen Jüngern zu. Newman aktualisiert diesen Ruf: „Ihr solltet Hoffnung, ihr solltet Vertrauen haben, euer Herz sollte sich auf mich verlassen … Der Sturm kann euch nicht schaden, wenn ich bei euch bin. Gibt es für euch einen besseren Platz als den unter meinem Schutz? Zweifelt ihr an meiner Macht oder meinem Willen, glaubt ihr, dass ich euch vergesse, weil ich im Schiff schlafe, oder dass ich unfähig bin, euch zu helfen, außer ich bin wach? Weswegen zweifelt ihr? Weswegen fürchtet ihr euch? Bin ich nicht schon so lange bei euch, und noch traut ihr mir nicht und könnt nicht an meiner Seite im Frieden und in Ruhe verharren?“ Die christliche Hoffnung übersteigt alle irdischen Wünsche und Ideale, alles rein menschliche Können und Wollen. Sie hat in Jesus Christus ihren sicheren Anker und ihr verlässliches Fundament. „Ihr schaut auf und seht gleichsam einen großen Berg, den ihr besteigen sollt; da werdet ihr sagen: Wie werde ich da wohl einen Weg finden können über diesen Berg von Hindernissen hinweg?… Sprecht nicht so, meine Brüder, blickt auf in Hoffnung, vertraut auf den, der euch vorwärts führt… Er wird euch Schritt für Schritt vorwärts führen, wie er manchen vor euch geführt hat. Er wird das Krumme gerade und das Raue eben machen. Er wird den Strom wenden und die Flüsse vertrocknen lassen, die euch den Weg verlegen“ (DP XI 242f.).
Der hoffende Ausblick auf das große Ziel hält den Christen in keiner Weise von seinen irdischen Pflichten ab. Im Gegenteil: Die Hoffnung spornt ihn an, seine Verantwortung im Hier und Heute mit Eifer zu erfüllen und sich für die Brüder und Schwestern mit Hingabe einzusetzen. Der Hoffende sucht in allen und in allem die Spuren des Herrn. Er lebt in großer Wachsamkeit.
„Wir sollen nicht einfach nur glauben, sondern wachen; nicht einfach lieben, sondern wachen; nicht einfach gehorchen, sondern wachen; wachen wozu? Auf jenes große Ereignis hin: die Ankunft Christi“ (DP IV 359). Newman meint mit der Ankunft Christi hier nicht bloß das Kommen des Herrn am Ende der Tage, sondern sein Kommen in den Ereignissen des alltäglichen Lebens. „Der ist wach für Christus, der ein empfindsames, sehnsüchtiges und fühlendes Herz besitzt; der mit frischer Kraft, mit scharfsichtigem Eifer darauf bedacht ist, ihn zu suchen und zu ehren; der in allem, was geschieht, nach ihm ausschaut und nicht überrascht, nicht allzu erregt oder überwältigt wäre, wenn er entdeckte, dass er plötzlich käme“ (DP IV 360f.).
Neben der Wachsamkeit gehört für Newman vor allem das Gebet zum Vollzug christlicher Hoffnung. Die Hoffnung wird im Gebet konkret. Das Gebet wiederum stärkt und festigt die Hoffnung inmitten aller Freuden und Sorgen des Lebens. „So durchbricht der wahre Christ den Schleier dieser Welt und blickt in die nächste. Er pflegt Umgang mit ihr; er wendet sich an Gott, wie ein Kind sich an seine Eltern wenden mag, mit dem gleichen klaren Blick und dem gleichen ungetrübten Vertrauen; wohl in tiefer Ehrfurcht und frommer Furcht und Scheu, jedoch mit Gewissheit und Bestimmtheit, wie der heilige Paulus sagt: ,Ich weiß, wem ich glaube‘ (2 Tim 1, 12)“ (DP VII 209).
Die Tugend der Hoffnung lässt den Christen die irdischen Pflichten mit dem Blick auf die bleibenden Güter erfüllen. Der Glaube lässt ihn diese Güter erkennen. Die Hoffnung spornt ihn an, sich mit aller Kraft danach auszustrecken. Die Hoffnung verleiht dem Leben einen „adventlichen“ Charakter, denn es ist letztlich ein großes „Harren auf Christus“. Darum betet Newman: „Ich darf ruhen in deinen Armen und schlafen an deiner Brust. Gib mir nur wahre Treue zu dir, vermehre sie täglich! Sie ist das einigende Band zwischen dir und mir und für mein Herz und Gewissen das Pfand, dass du, höchster Gott, mich, das ärmste deiner Kinder, nie verlassen wirst.“
Der Autor ist Direktor des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde in Rom