Glaube und Privaturteil

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Blicken wir auf die Schönheit, die Majestät und die Geschlossenheit der katholischen Religion, auf ihre Kraft- und Trostquellen, dann mag es uns wundernehmen, meine Brüder, daß sie die Scha­ren derer, die ihr begegnen, trotzdem nicht zu be­kehren vermag. Ihr habt wohl das Überraschende dieser Tatsache selbst schon empfunden-besonders jene von euch, die erst neulich konvertiert sind und sie nun aus Erfahrung vergleichen können mit je­nen Religionen, denen die Millionen dieses Landes den Vorzug geben. Ihr wißt aus Erfahrung, wie un­fruchtbar, sinnlos und ohne Fundament diese Re­ligionen sind, wie gering ihre Anziehungskraft ist und wie wenig sie zu ihren Gunsten vorzubringen haben. Zwar lebt ein Großteil ohne jede Religion; und es kann nicht überraschen, daß jene, die nicht einmal den Gedanken an Gott ertragen kön­nen, sich auch nicht zu seiner Kirche hingezogen fühlen. Auch sind es deren viele, die sehr wenig über den Katholizismus hören, leider aber sehr viel Schmähung und Spott gegen ihn, und so könnt ihr nicht überrascht sein, daß sie nicht alle auf einmal katholisch werden. Was aber durchaus überra­schend ist für jene, die sich der Fülle der katholischen Segnungen erfreuen, das ist die Tatsache, daß jene, die die Kirche, wenn auch nur aus der Ferne, sehen, die sogar ihre Ausstrahlung oder einen schwachen Schimmer ihrer Majestät sehen, dennoch sich nicht durch das, was sie sehen, angezogen füh­len, noch mehr von ihr sehen zu wollen – daß sie sich in keiner Weise auf den Weg machen, um nä­her zur Wahrheit geführt zu werden, die allerdings für gewöhnlich in ihrer göttlichen Autorität nur stufenweise erkennbar ist. Als Moses den brennen­den Dornbusch sah, ging er eigens hin, „um diese großartige Erscheinung“ zu sehen (Ex 3, 3); – und auch Nathanael, der doch meinte, aus Nazareth könne nichts Gutes kommen, folgte dem Philip-pus zu Christus, als dieser ihm sagte: „Komm und sieh“ (Joh 1 46). – Aber die vielen aus unserer Umgebung sehen und hören in gewissem Maße, sicherlich – viele in hohem Maße -, aber sie lassen sich trotzdem dadurch nicht bestimmen, noch mehr sehen und hören zu wollen, noch lassen sie sich dazu bewegen, ihrer Erkenntnis gemäß zu handeln. Sie sehen und sehen nicht, sie hören und hören nicht; sie geben sich damit zufrieden, zu bleiben wie sie sind: sie fühlen sich nicht gedrängt, die Wahr­heit zu suchen, oder mindestens nicht gedrängt, sie zu umfassen.

Man kann für diese Schwierigkeit viele Erklärun­gen anführen; eine will ich im folgenden darlegen, die zwar wie eine Binsenwahrheit klingt, aber doch ihren Sinn hat. Die Menschen werden nicht katho­lisch, weil sie den Glauben nicht haben. Ihr mögt mich fragen, ob das wirklich mehr ist als sagen: die Menschen glauben nicht an die katholische Kir­che, weil sie nicht an sie glauben – und das besagt überhaupt nichts. Unser Herr sagt zum Beispiel: „Wer zu mir kommt, der wird nicht mehr hungern, und wer an Mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“ (Jo 6, 35) -; Glauben und Kommen sind also dasselbe. Hätten sie Glauben, dann wür­den sie sich natürlich der Kirche anschließen, denn der Sinn des Glaubens, eben die Betätigung des Glaubens besteht im Anschluß an die Kirche. Ich meine aber etwas mehr als dieses. Der Glaube ist eine Geistesverfassung, eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln, die sich zwar immer auf Gott richtet, aber auf sehr verschiedene Weise. Ich behaupte nun: die Masse hierzulande hat diese Verfassung und Prägung des Geistes nicht. Wir könnten uns zum Beispiel denken, daß sie, sollten sie nicht an die Kirche glauben, doch an ihre eigenen Bekenntnisse glaubten; das wäre schon Glauben, wenn auch falsch geleiteter Glaube; aber sie glau­ben ja nicht einmal an ihre eigenen Religionen – sie glauben überhaupt nichts. In ihrem Geist ist ein ganz bestimmter Mangel; wie wir sagenkönnen, jemand habe die Tugend der Sanftmut, der Hoch­herzigkeit, der Klugheit nicht, ganz abgesehen von diesem oder jenem Akt dieser Tugenden, so gibt es etwas wie die Tugend des Glaubens und einen Mangel, wie das Fehlen dieser Tugend. Ich will damit sagen, daß die große Masse in diesem Land diese besondere Tugend, genannt Glauben, nicht hat, diese Tugend überhaupt nicht besitzt. Wie einer ohne Augen oder ohne Hände sein mag, so sind sie ohne Glauben. In ihrer Seele ist ein aus^ gesprochener Mangel oder Fehler; was ich sage ist dieses: weil sie diese Fähigkeit zu glauben nicht haben, ist es kein Wunder, daß sie das nicht annehmen, was man ohne sie nicht wirklich anneh­men kann. Sie glauben im wahren Sinn des Wortes überhaupt an nichts und deshalb glauben sie auch nicht an die Kirche im besonderen. Nun zuerst: Was ist Glaube? Es ist die Zustimmung zu einer Lehre als wahr, die wir nicht sehen, die wir nicht beweisen können-aus dem Grunde, weil Gott, der nicht lügen kann, sagt, daß sie wahr ist. Hinzu kommt aber dieses: Da Gott nicht mit Seiner eigenen Stimme sagt, daß sie wahr ist, sondern mit der Stimme Seiner Boten, so ist der Glaube die Zu­stimmung zu dem, was ein Mensch sagt, nicht ein­fach als Mensch betrachtet, sondern als Träger einer Botschaft, zu der er als Bote, als Prophet, als Ge­sandter Gottes beauftragt ist. Im gewöhnlichen Lauf dieser Welt halten wir die Dinge für wahr, entweder, weil wir sie sehen oder weil wir erkennen können, daß sie sich aus dem Gesehenen ergeben und davon ableiten lassen: das heißt, wir gelangen zur Wahrheit durch Sehen oder durch die Vernunft, nicht aber durch Glauben. Ihr werdet zwar entgeg­nen, daß wir eine Anzahl von Dingen annehmen auf das Zeugnis anderer hin, ohne sie beweisen oder selbst sehen zu können. Gewiß, aber dann nehmen wir ihre Aussagen nur als Worte von Men­schen an, und im allgemeinen haben wir nicht jenes absolute und unbedingte Vertrauen zu ihnen, das durch nichts erschüttert werden kann. Wir wissen, daß der Mensch dem Irrtum unterworfen ist, und wir sind immer froh, wenn wir in wichtigen Din­gen eine Bestätigung seiner Aussagen aus anderen Quellen herleiten können – oder wir nehmen seine Mitteilungen mit Gleichgültigkeit und Interesselo­sigkeit hin als etwas Belangloses, als eine Sache der Auffassung; oder wenn wir danach handeln, dann geschieht es aus Klugheit, weil wir es so für das beste und sicherste halten. Wir schätzen sein Wort ein nach seinem Wert und bedienen uns seiner ent­weder nach unserem Bedürfnis oder nach dem Grad seiner Wahrscheinlichkeit. Wir behalten uns die Entscheidung vor und nehmen für uns das Recht einer Überprüfung in Anspruch, wann immer es uns gefällt. Das ist aber etwas ganz anderes als gött­licher Glaube; wer glaubt, daß Gott wahrhaftig ist und daß es Sein Wort ist, das Er den Menschen anvertraut hat, der kennt überhaupt keinen Zwei­fel. Er ist so gewiß über die Wahrheit der Lehre, wie er gewiß ist über die Wahrhaftigkeit Gottes, und er hat die Gewißheit, weil Gott wahrhaftig ist, weil Gott gesprochen hat, nicht aber, weil er die Wahrheit der Lehre einsieht oder sie beweisen kann. Der Glaube hat also zwei Eigentümlichkei­ten: er ist höchst gewiß, entschieden, unbedingt, un­veränderlich in seiner Zustimmung, und er gibt diese Zustimmung, nicht, weil er sie mit Augen sieht oder mit der Vernunft sieht, sondern weil er die Botschaft von einem empfängt, der von Gott kommt.

Dieser Art war der Glaube, was niemand leugnen kann, zu Zeiten der Apostel; und was er damals war, muß er auch heute noch sein, soll er nicht aufhören, dasselbe Ding zu sein. Ich behaupte also, er war bestimmt so zu den Zeiten der Apostel, denn ihr wißt, sie predigten der Welt, daß Christus der Sohn Gottes ist, daß Er aus einer Jungfrau gebo­ren war, daß Er aufgefahren ist zur Höhe und daß Er wiederkommen wird, um alle zu richten, die Lebendigen und die Toten. Konnte die Welt dieses alles sehen? Konnte sie es beweisen? Wie aber soll­ten es die Menschen denn annehmen? Warum ha­ben es so viele Menschen angenommen? Auf das Wort der Apostel hin, die, wie ihre Wunderkräfte bezeugten, Boten Gottes waren. Die Menschen wur­den belehrt, ihre Vernunft einer lebendigen Autori­tät zu unterwerfen. Noch mehr, die Neubekehrten waren gehalten, zu glauben, was immer ein Apostel gesagt hat; wenn sie in die Kirche eintraten, tra­ten sie ein, um zu lernen. Die Kirche war ihre Lehr­meisterin; sie kamen nicht, um zu argumentieren, um zu prüfen, peinlich auszuwählen, sondern um alles anzunehmen, was man ihnen vorlegte. Keiner zweifelt, keiner kann zweifeln an dieser Haltung der Frühzeit. Ein Christ war verpflichtet, alles ohne Zweifel anzunehmen, was die Apostel als geoffen­barte Wahrheit erklärten; wenn die Apostel spra­chen, hatte der Christ einen inneren Akt der Zu­stimmung seines Geistes zu geben; es hätte nicht genügt, zu schweigen, es hätte nicht genügt, keinen Widerspruch zu erheben, es war nicht gestattet, nur in einem gewissen Grad zu glauben; es war nicht gestattet zu zweifeln. Ja, wenn ein Neubekehrter seine eigenen Gedanken über das Gesagte unterhal­ten hätte und sie ganz für sich selbst behalten, sich insgeheim der Lehre widersetzt hätte, wenn er auf weitere Beweise gewartet hätte, ehe er glaubte, dann wäre das ein Beweis gewesen, daß er die Apostel nicht als Boten Gottes ansah, die Seinen Willen zu offenbaren hatten; es wäre ein Beweis dafür gewesen, daß er in keinem wahren Sinn geglaubt hätte. Unmittelbare und unbedingte[1] Un­terwerfung des Geistes war zu den Zeiten der Apostel das einzige und das notwendige Zeichen des Glaubens; das, was man heutzutage Privat­urteil nennt, hatte damals keinen Platz. Keiner konnte sagen: „Ich will mir meine Religion sel­ber wählen; dieses will ich glauben, jenes nicht; ich will mich für nichts verpflichten, ich will so lange glauben, als es mir beliebt und nicht länger; was ich heute glaube, will ich morgen, sollte es mir so behagen, verwerfen. Ich will nur das glauben, was die Apostel bis heute gesagt haben, will aber nicht an das glauben, was sie in Zukunft sagen werden.“ Nein; entweder waren die Apostel von Gott ge­sandt, oder sie waren es nicht; waren sie es, dann mußten ihre Zuhörer alles glauben, was sie gepre­digt hatten, wenn nicht, dann gab es für die Zuhörer nichts zu glauben. Nur etwas glauben, mehr oder weniger glauben, das war unmöglich, es stand in direktem Widerspruch zum Begriff des Glaubens; war ein Teil zu glauben, dann waren sämtliche Teile zu glauben; es war absurd, das eine zu glauben, das andere nicht; denn das Wort der Apostel, welches das eine wahr machte, machte auch das andere wahr; in sich waren sie nichts, aber sie waren alles, sie waren eine unfehlbare Autorität, weil sie von Gott kamen. Die Welt mußte entwe­der christlich werden oder die Finger davon lassen; es gab keinen Raum für private Geschmacksrich­tungen und Phantasien, keinen Platz für ein Pri­vaturteil.

Das alles ergibt sich klar aus der Natur der Sache – es ist aber ebenso klar aus den Worten der Schrift. „Darum danken wir Gott ohne Unterlaß, daß ihr das gehörte Wort, das das Wort Gottes ist, aufgenommen habt, nicht als ein Menschenwort etwa, vielmehr als das, was es in Wahrheit ist, als Wort Gottes“ (1 Thess 2,13). Hier sagt Paulus, wie ihr seht, ausdrücklich, was ich oben gesagt habe; daß das Wort von Gott kommt, daß es von Menschen zwar gesprochen wird, aber aufgenommen werden muß nicht als Menschenwort, sondern als Gottes Wort. So sagt er auch anderswo: „Wer daher dies mißachtet, mißachtet nicht Menschen, sondern Gott, der euch Seinen Heiligen Geist gegeben hat“ (1 Thess 4,8). Unser Heiland hatte schon eine ähnliche Äußerung getan: „Wer euch hört, der hört Mich, und wer euch verachtet, der verachtet Mich, wer aber Mich verachtet, verachtet Den, der Mich gesandt hat“ (Lk 10,16). Darum sagt auch Petrus am Pfingsttag: „Ihr Männer von Israel, höret diese Worte, Gott hat diesen Jesus auf erweckt; dessen sind wir Zeugen; so wisse denn das ganze Haus Israel unfehlbar gewiß, daß Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus ge­macht hat“ (Apg 2, 22. 32. 36). Ein andermal sagte er: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Men­schen … und wir sind Zeugen dieser Dinge, wie auch der Heilige Geist, den Gott all denen verlie­hen hat, die Ihm gehorchen“ (Apg 5, 29. 32). Und wiederum: „Er hat uns aufgetragen, dem Volke zu verkünden und zu bezeugen, daß Er es sei (Jesus), der von Gott bestellt war zum Richter der Lebendi­gen und der Toten“ (Apg 10, 42). Und ihr wißt, daß die beständige Erklärung der ersten Prediger war: „Glaube, und du wirst gerettet werden“; sie sagen nicht: „Prüfet unsere Lehre mit eurem Ver­stand“; auch nicht: „Wartet zu, bis ihr sehet, ehe ihr glaubet“, sondern: „Glaubet, ohne zu sehen und ohne zu prüfen, denn unser Wort ist nicht unser eigenes, sondern Gottes Wort.“ Zwar dürfen die Menschen ihre Vernunft gebrauchen, um die An­sprüche der Apostel zu prüfen, sie dürfen nachfor­schen, ob sie Wunder wirkten oder nicht; sie dür­fen nachforschen, ob sie im Alten Testament als Gesandte Gottes vorausgesagt worden seien: hatten sie aber dieses alles – gleich auf welche Weise – geziemend sichergestellt, dann mußten sie alles, was die Apostel sagten, ohne Beweise als gewiß an­nehmen; sie mußten den Glauben betätigen, sie sollten gerettet werden durch Hören. Und daher nennt der heilige Paulus, wie ihr wohl bemerkt habt, in dem zuerst erwähnten Text die geoffen­barte Wahrheit bezeichnenderweise das „gehörte Wort“; die Menschen kamen, um zu hören, um an­zunehmen, um zu gehorchen, nicht, um das Ge­sagte zu kritisieren. Im Einklang damit fragt er an anderer Stelle: „Wie werden sie an Den glauben, den sie nicht gehört haben? Wie werden sie hören ohne Prediger? Der Glaube kommt vom Hören, das Hören aber durch das Wort Christi“ (Röm 10,14.17).

Nun aber überlegt, meine lieben Brüder, sind nicht diese beiden Zustände oder Akte des Geistes ganz verschieden voneinander: einfach glauben, was eine lebendige Autorität lehrt – und ein Buch nehmen, wie etwa die Heilige Schrift, und es nach Belieben gebrauchen, dann den Meister spielen, das heißt, euch selbst zum Meister desselben machen, es für euch selbst auslegen und nur das annehmen, was ihr beliebig darin sehen wollt und nichts sonst? Sind das nicht zwei Vorgänge, die sich darin unter­scheiden, daß man sich beim ersten Fall unterwirft, beim letzten selber urteilt? Ich frage im Augenblick nicht danach, welcher Vorgang der bessere ist, ich frage nicht, ob dies oder jenes andere heute noch durchführbar ist. Aber sind dies nicht wirklich zwei Wege – und nicht bloß einer -, eine Lehre an­zunehmen; ist nicht sich unterwerfen das gerade Gegenteil von urteilen? Ist es aber nicht gewiß, daß Glauben in den Zeiten der Apostel darin be­stand, sich zu unterwerfen? Und ist es nicht ge­wiß, daß es nicht im eigenen Urteil bestand? Um­sonst ist auch der Einwand, daß der Mensch, der sein Urteil auf Grund der Schriften der Apostel bildet, sich tatsächlich in erster Linie diesen Schrif­ten unterwirft und deshalb Glauben an sie hat; weshalb sollte er sich denn sonst überhaupt auf sie berufen? Es besteht jedoch, ich wiederhole, ein we­sentlicher Unterschied zwischen dem Akt der Unter­werfung unter ein lebendiges Orakel oder unter dessen Buch; im ersten Fall gibt es keine Berufung von Seiten des Erzählers, im zweiten Fall bleibt die letzte Entscheidung beim Leser. Überlegt einmal, wie sehr eure Sicherheit, mit der ihr die Worte eines anderen berichtet, sich ändert, je nachdem dieser anwesend oder abwesend ist. Ist er abwesend, dann behauptet ihr kühn, dieses oder jenes habe er ge­meint und so oder so habe er gesagt; aber laßt ihn nur einmal mitten in der Unterhaltung den Raum betreten, sofort ändert sich euer Ton. Da heißt es nun: „Ich glaube, ich habe Sie so ungefähr sagen hören, oder ich habe es wenigstens so verstanden“‚, und ihr ändert eure Behauptung oder auch die Tat­sache, wofür ihr ihn ursprünglich so unbedingt haftbar gemacht hattet, indem ihr, um sicher zu gehen, die Hälfte fallen laßt oder doch die auffal­lendsten Stellen zurücknehmt – schließlich wartet ihr mit einer gewissen Ängstlichkeit, um zu sehen, ob er überhaupt etwas davon billigen werde. Der­selbe Vorgang spielt sich ab, wenn es sich um eine geschriebene Urkunde eines bereits Verstorbenen handelt. Ich kann mir vorstellen, wie die Briefe des heiligen Paulus an die Galater oder Epheser von jemandem meisterhaft ausgelegt werden, der über die Abwesenheit des Verfassers froh ist und un­glücklich wäre, wenn er plötzlich wieder unter uns auftauchte; könnte doch der Apostel seine eigene Deutung der Hand des Auslegenden entreißen und die Auslegung selbst geben. Mit einem Wort, ob­wohl er behauptet, an die Schriften des heiligen Paulus zu glauben, hat er offensichtlich keinen Glauben an Paulus selbst; und obschon er über die in der Schrift enthaltene Wahrheit viel zu reden vermag, so hat er doch keinen Wunsch, einer jener Christen gewesen zu sein, die dort genannt werden. Ich glaube annehmen zu können, daß diese Tugend, die von den ersten Christen geübt wurde, den heu­tigen Protestanten überhaupt nicht bekannt ist; oder sollten sich doch einige Beispiele für diesen Glau­ben finden, dann wird er jenen Lehrern und Geist­lichen gegenüber betätigt, die es deutlich ablehnen, der geeignete Gegenstand des Glaubens zu sein, und die ihr Volk ermahnen, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Allgemein gesprochen haben die Pro­testanten keinen Glauben im ursprünglichen Sinn dieses Wortes; das erhellt aus meinen bisherigen Ausführungen und möge bestätigt werden durch das Folgende. Würden die Menschen heutzutage glauben, wie man in den Zeiten der Apostel ge­glaubt hat, dann gäbe es weder Zweifel noch Mei­nungswechsel. Niemand kann bezweifeln, daß ein von Gott gesprochenes Wort Glauben erheischt: na­türlich erheischt es ihn; hingegen kann jeder, der bescheiden und demütig ist, leicht dazu kommen, an seinen eigenen Folgerungen und Schlüssen zu zweifeln. Da die Menschen heutzutage aus der Schrift ihre Schlüsse ziehen, statt einem Lehrer zu glauben, steht zu erwarten, daß sie im Unsicheren herumtappen; sie empfinden die zwingende Kraft ihrer Schlüsse heute stärker, morgen weniger stark; sie ändern ihre jeweiligen Auffassungen, oder leugnen sie ganz; das kann jedoch nicht eintreten bei einem, der Glauben hat, den Glauben nämlich, daß das, was ein Prediger ihm sagt, von Gott kommt. Auf das legt der heilige Paulus besonderen Nach­druck, wenn er uns sagt, daß uns Apostel, Evange­listen, Hirten und Lehrer gegeben sind, auf daß „wir alle zur Einheit des Glaubens gelangten“ und daß wir anderseits nicht „wie Kinder seien, die von jedem Winde der Lehre hin- und her­getrieben werden“ (Eph 4, 13. 14). Aber wechseln nicht tatsächlich die Menschen von heute hem­mungslos ihre religiösen Anschauungen? Ist das dann aber nicht ein Beweis dafür, daß sie nicht jenen Glauben besitzen, den der Apostel von seinen Neubekehrten verlangte? Hätten sie Glauben, dann bedürfte es keines Wechsels. Glaubt man einmal daran, daß Gott gesprochen hat, dann hat man die Gewißheit, daß Er nicht widerrufen kann, was Er gesprochen hat? Er kann nicht betrügen; Er kann Sich nicht ändern; ihr habt das Wort ein für allemal empfangen; ihr werdet daran festhalten für immer.

Das ist die einzig vernünftige, gültige Darstellung des Glaubens; aber die Protestanten, weit entfernt, sich zu ihm zu bekennen, belächeln schon den bloßen Begriff. Sie belächeln schon die Idee, daß Menschen (wie sie sich ausdrücken) blindlings ihren Glauben an einen Papst oder an ein Konzil binden; sie hal­ten ein Bekenntnis einfach für abergläubisch und engstirnig, das bereit ist, alles zu glauben, was die Kirche glaubt, und dem zuzustimmen, was sie in Sachen der Lehre in Zukunft entscheiden wird. Das heißt also, sie belächeln schon den bloßen Gedanken, tun zu wollen, was die Christen unzweifelhaft in der Zeit der Apostel getan haben. Bedenkt, sie fragen nicht einfach, ob die katholische Kirche einen Lehranspruch erhebt, ob sie Autorität besitzt, ob sie die Gaben des Geistes hat; das ist eine ver­nünftige Fragestellung – nein, sie sind der Auf­fassung, daß schon die bloße Geisteshaltung, die ein solcher Anspruch auf seiten derer, die ihn bejahen, in sich schließt, die Bereitschaft nämlich, sich rück­haltlos und fraglos zu fügen, sklavisch sei. Sie nennen es Priesterschläue, eine solche Auslieferung des Verstandes zu verlangen, und nennen es Aberglauben, dies zu tun. Das aber heißt: Sie bekämpfen eben den Geisteszustand, der allen Christen in den Zeiten der Apostel eigen war. Auch darüber gibt es keinen Zweifel (wer wollte es leugnen?): Alle jene, die damit groß tun, sich nicht blindlings führen zu lassen, ihr eigenes Urteil bewahrt zu haben, so viel und so wenig zu glauben, wie ihnen beliebt, Diktate abgelehnt zu haben usw.: Alle diese also hätten eine große Schwierigkeit darin gesehen, an den Lippen der Apostel zu hängen, hätten sie damals gelebt, oder sie hätten sich viel­mehr gegen die Preisgabe der eigenen Denkfreiheit gewehrt, sie hätten den Gewinn des ewigen Lebens um solch einen Preis für zu hoch gehalten und wä­ren in ihrem Unglauben gestorben. Dabei hätten sie sich verteidigt mit dem Einwand, es wäre ein absurdes und kindisches Ansinnen an sie gewesen, ohne Beweis zu glauben, ihnen die Preisgabe ihrer Bildung, ihrer Intelligenz und ihrer Wissenschaft zuzumuten und trotz aller Schwierigkeiten, die Ver­nunft und Sinne in der christlichen Lehre finden, trotz der Geheimnisse, Dunkelheit, Fremdartigkeit, Unannehmbarkeit und Strenge des Christentums, von ihnen zu verlangen, sich der Lehre einiger un­gelehrter Galiläer oder eines gelehrten, jedoch fa­natischen Pharisäers zu beugen. So hätten sie damals gesprochen; ist es dann aber verwunderlich, daß sie heute nicht katholisch werden? Der einfache Grund, warum sie bleiben, was sie sind, ist der: es fehlt ihnen eines – es fehlt ihnen der Glaube, der Glaube, der eine Geistesverfassung, eine Tugend ist, die sie nicht als empfehlenswert anerkennen und deren Besitz sie nicht erstreben. Was sie heute empfinden, meine Brüder, ist genau das, was Juden und Griechen vor ihnen zur Zeit der Apostel empfunden haben, und was der na­türliche Mensch schon immer empfunden hat. Die Großen und Weisen des Tages sahen damals und sehen heute mit Verachtung auf den Glauben her­ab, als sei er ein Hohn auf die Würde der mensch­lichen Natur. „Sehet nur auf eure Berufung, Brü­der; es gibt unter euch nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Mächtige, nicht viele Angese­hene, sondern, was vor der Welt töricht ist, hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen, und das Ge­ringe vor der Welt hat Gott erwählt und das Ver­achtete, und das, was nichts ist, hat Gott erwählt, um das, was etwas ist, zunichte zu machen, damit kein Mensch sich vor Ihm rühme“ (1 Kor 1, 26 ff.). Deshalb spricht derselbe Apostel von „der Torheit der Predigt“ (1 Kor 1, 21). Ganz ähnlich hat unser Herr in Seinem Gebet an den Vater gesprochen: „Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß Du dies vor Weisen und Klugen ver­borgen, den Kleinen aber geoffenbart hast“ (Mt 11,25). Ist es nicht klar, daß die Menschen von heute eben diese Empfindungen und Überlieferungen je­ner fälschlich Weisen und unselig Klugen in den Tagen unseres Herrn geerbt haben? Sie haben in ihrem Herzen dieselbe Abwehr gegen den Eintritt in die katholische Kirche, wie die Pharisäer und die Sophisten sie früher hatten; es widerstrebt ihnen, an ihre Lehre zu glauben, nicht so sehr aus Mangel an Beweisen für ihre göttliche Herkunft als aus dem Grunde, weil sie im bejahenden Fall ihren Geist lebendigen Menschen zu unterwerfen hätten, die weder ihre Kultiviertheit, noch die Tiefe ihrer Bildung besäßen und weil sie – ob sie wollen oder nicht – eine Anzahl von Lehren anzunehmen hätten, die ihrer Vorstellung fremd und für ihren Verstand schwierig seien. Gerade die Eigenart der katholischen Lehre und des katholischen Lehrers ist für sie von vornherein ein Hindernis, katholisch zu werden, ein Einwand von solchem Gewicht, daß er jedes, auch das stärkste Argument in den Schat­ten stellt, das zugunsten der Sendung jener Leh­rer und des Ursprungs ihrer Lehre angeführt wer­den könnte: kurz, sie haben den Glauben nicht. Es fehlt bei ihnen das Prinzip des Glaubens; und ich wiederhole: auch alle Ereiferung nützt ihnen nichts, sie glaubten doch wenigstens fest, die Schrift sei das Wort Gottes. In Wahrheit ist sehr zu befürch­ten, daß ihre Annahme der Schrift nichts anderes ist als eine Vorentscheidung oder ein tief einge­wurzeltes Empfinden aus der Kinderzeit. Ein Be­weis dafür ist dieser: Während sie erklären, über die katholischen Wunder schockiert zu sein, und sie bedenkenlos als „Lügenwunder“ bezeichnen, macht es ihnen nicht die geringste Schwierigkeit, die Be­richte der Schrift anzuerkennen, die doch dem Ver­stand eine ebenso große Schwierigkeit bieten wie nur irgendein Wunder aus dem Leben der Heili­gen. Ich habe im Gegensatz dazu von Katholiken gehört, wie sie anfänglich bei ihrer Lektüre der Schrift bestürzt waren über den Bericht von der Arche Noes, vom Turmbau zu Babel, von Balaam und Balak, vom Auszug Israels aus Ägypten und vom Einzug ins Gelobte Land, von der Verwerfung Esaus und Sauls, von Dingen, die von der Masse der Protestanten mühelos geglaubt werden. Wie also nehmen diese Katholiken diese Dinge an? Im Glauben. Sie sagen sich: „Gott ist wahrhaftig, je­der Mensch aber ein Lügner“ (Rom 3,4). Wie kommt der Protestant dazu, sie so leicht anzuneh­men? Vielleicht im Glauben? Nein. Vermutlich handelt es sich hier in den meisten Fällen über­haupt nicht um eine Unterwerfung des Verstandes; die betreffenden Stellen sind ihnen einfach so ver­traut, daß die Erzählung ihrer Phantasie gar keine Schwierigkeit bietet; sie haben dabei nichts zu über­winden. Kommen sie aber tatsächlich dazu, diese Stellen durchzudenken und sie auf der Waage der Wahrscheinlichkeit zu prüfen und Überlegungen darüber anzustellen – wie es geschieht, wenn sie intellektuell gebildet sind -, dann vermag sie nichts zu ihrem altgewohnten oder mechanischen Glauben zurückzubringen. Sie wissen nichts von Unterwerfung unter eine Autorität, das heißt, sie wissen nichts von Glauben, denn sie haben keine Autorität, der sie sich unterwerfen könnten. Ent­weder verharren sie ohne sonderliche Beunruhi­gung in einem Zustand des Zweifels oder sie ge­raten gegenüber den betreffenden Fragen Schritt für Schritt in einen äußersten Unglauben hinein, auch wenn sie kein Wort darüber verlieren. Weder vor dem Zweifel noch während des Zweifels ver­rät bei ihnen irgendein Anzeichen das Vorhanden­sein einer Macht, die den Verstand dem Worte Gottes unterwirft. Nein, was wie Glaube aussieht, ist lediglich eine vererbte Überzeugung, kein per­sönliches Prinzip; es ist eine Gewohnheit, die sie in der Kinderstube gewonnen haben, die sich niemals zu Höherem aufgeschwungen hat, die sich vor dem Licht der Vernunft – sie ist ja wirklich ein Licht – auflöst und wie Nebel verschwindet. Gibt es aber einmal Protestanten, die in keinem der beiden Zustände, weder in dem der Leichtgläubigkeit noch in dem des Zweifels sich befinden, die viel­mehr trotz aller Schwierigkeiten fest bleiben im Glauben, so muß man ihnen billigerweise zuge­stehen, daß sie unter dem Einfluß des Glaubens stehen. Aber es steht nichts im Wege anzunehmen, daß solche Leute, wo immer sie sich finden, auf dem Wege sind, katholisch zu werden – vielleicht werden sie sogar schon von ihren Freunden als solche bezeichnet -, und sie zeigen am eigenen Bei­spiel den logischen und unbestreitbaren Zusam­menhang, der zwischen dem Besitz des Glaubens und dem Eintritt in die Kirche besteht. Ist also der Glaube heute noch dieselbe Geistes­fähigkeit, dieselbe Art Haltung oder Akt des Gei­stes, wie er es in den Tagen der Apostel war, dann habe ich das Ziel erreicht, das ich mir gesteckt hatte. Aber er muß wirklich dasselbe sein, er kann nicht zwei Dinge zugleich meinen; das Wort kann seinen Sinn nicht geändert haben. Entweder sage man, Glauben sei überhaupt nicht nötig, oder aber man nehme ihn so, wie ihn die Apostel gemeint haben; aber sagt nicht, ihr besäßet ihn, um mir dann etwas ganz anderes zu zeigen, was ihr an seine Stelle ge­setzt habt. In den apostolischen Zeiten lag die Be­sonderheit des Glaubens darin, sich der lebendigen Autorität zu unterwerfen; das hat ihm seine Eigenart gegeben; das hat ihn überhaupt erst zu einem Akt der Unterwerfung gemacht; das hat mit dem Privaturteil in religiösen Dingen aufgeräumt. Schaut ihr nicht aus nach einer lebendigen Autorität und kämpft ihr um ein Privaturteil, dann bekennt doch frei heraus, daß ihr den Glauben der Apostel nicht habt. Und in der Tat, ihr habt ihn auch nicht; die große Masse unserer Nation hat ihn nicht; gebt doch zu, daß ihr ihn nicht habt; und dann gebt zu, daß dies der Grund ist, warum ihr nicht katholisch seid. Ihr seid keine Katholiken, weil ihr den Glauben nicht habt. Warum sieht der Blinde die Sonne nicht? Weil er das Augenlicht nicht hat. Auf ähnliche Weise ist eine Diskussion über die Schönheit, Heiligkeit, Erhabenheit der katholischen Lehre und des katholischen Gottesdienstes dort vergeblich, wo der Glaube fehlt, sie als göttlich anzunehmen. Man kann ihre Schönheit, Erhaben­heit und Heiligkeit anerkennen, auch ohne daran zu glauben, man kann zugeben, daß die katholische Religion edel und majestätisch ist, ob ihrer Weis­heit ergriffen sein, ihre Anpassungsfähigkeit an die Menschennatur bewundern, man kann von ihrer warmen und gewinnenden Art erfaßt sein, von ihrem inneren Zusammenhang tief beeindruckt sein. Sich ihr aber anvertrauen, das ist etwas anderes; sie sich zum Anteil erwählen, mit der begnadeten Moabiterin sagen: „Wohin du gehst, will auch ich gehen, wo du bleibst, will auch ich bleiben, dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott“ (Ruth 1, 16). Das ist die Sprache des Glaubens. Es mag einer sie verehren, lobpreisen, ohne jede Absicht, ihr Gefolgschaft zu leisten, ohne jeden Gedanken daran, sich zu ihr zu bekennen. Und in der Tat geschieht dies oft, daß Menschen die katholische Kirche achten, ihre Verdienste um die Menschheit anerkennen, sie sogar empfehlen und ihre Jünger ermutigen, Bekanntschaft mit ihnen pflegen, ihr Wirken mit Interesse verfolgen, aber sie sind nicht katholisch und werden es niemals sein. Sie sterben, wie sie gelebt haben, außerhalb der Kirche, denn sie waren nicht im Besitz jener Fähigkeit, durch die man sich der Kirche nähern muß.  Katholiken,  die sie und die menschliche Natur nicht studiert haben, wundern sich, warum sie bleiben, wo sie sind, ja, sie selbst – die Armen – klagen manchmal darüber, daß sie nicht katho­lisch werden können. Vielleicht empfinden sie das Glück, katholisch zu sein, so stark, daß sie ausrufen: „Was würde ich darum geben katholisch zu sein! Könnte ich doch glauben, was ich bewundere! Aber ich glaube ja nicht – und glauben, lediglich aus dem Wunsche zu glauben, kann ich ebenso­wenig,  wie ich über einen Berg hinwegsetzen kann. Katholisch zu sein wäre für mich ein viel größeres Glück; aber ich bin es nicht; es hat keinen Zweck, mich zu betrügen; ich bin, was ich bin; ich verehre – annehmen kann ich nicht.“ Welch beklagenswerter Zustand! Beklagenswert deshalb, weil er ganz und absolut die Folge ihrer eigenen Schuld ist; und weil außerdem, wie sie wissen, in der Schrift ein solcher Nachdruck auf dem Glauben und auf seiner Notwendigkeit zu un­serem Heile liegt. Der Glaube wird hier als das Fundament und als Ausgangspunkt jeglichen gott­gefälligen Gehorsams bezeichnet. Er wird beschrie­ben als der „feste Grund“ und als „Erweis der Dinge, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). Durch den Glauben haben die Menschen erkannt, daß es einen Gott gibt, daß Er die Welt erschaffen hat, daß Er der Belohner jener ist, die Ihn suchen, daß die Sintflut kam, daß ihr Heiland sollte geboren werden. „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen“ (Hebr 11, 6). „Im Glauben stehen wir fest“ (1 Kor 16,13); „im Glauben wandeln wir“ (2 Kor 5, 7); „im Glauben überwinden wir die Welt“ (1 Joh 5, 4). Als unser Herr den Aposteln den Auftrag gab, der ganzen Welt das Evangelium zu verkünden, fuhr Er fort mit den Worten: „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird selig werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16, 16). Auch sagte Er zu Nikodemus: „Wer an den Sohn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, weil er an den Namen  des  eingeborenen  Sohnes  Gottes  nicht glaubt“ (Jo 3,18). Zu den Pharisäern sprach Er: „Wenn ihr nicht glaubt, daß Ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben“ (Jo 8, 24). Zu den Ju­den: „Ihr glaubt nicht, denn ihr gehört nicht zu meinen Schafen“ (Jo 10, 26). So erinnert ihr euch auch, daß Er gewöhnlich vor einem Wunder vom Bittsteller Glauben verlangte: „Alles ist möglich, dem“, sagt Er, „der glaubt“ (Mk 9, 22); und ein­mal finden wir, daß Er „keine Wunder tun konnte“ wegen des Unglaubens der Bewohner. Hat der Glaube denn seinen Sinn geändert oder ist er heutzutage weniger vonnöten? Ist er nicht mehr das, was er in den Tagen der Apostel war, das eigentliche Merkmal der Christenheit, das be­sondere Werkzeug der Erneuerung, die erste Be­dingung zur Rechtfertigung, eine der drei theolo­gischen Tugenden? Gott hätte uns durch andere Mittel erneuern können, durch Schauen, durch Vernunftgründe, durch Liebe, aber Er hat es vor­gezogen, „unser Herz durch den Glauben zu reinigen“ (Apg 15, 9); es gefiel Ihm, ein Mittel zu wäh­len, das die Welt zwar verachtet, das aber eine un­geheure Kraft hat. Er hat es in Seiner unendlichen Weisheit jedem anderen vorgezogen; und fehlt es dem Menschen, dann fehlt ihm das eigentliche Element und der Urgrund, aus dem die Heiligen und Diener Gottes geformt und auf den sie gebaut werden. Sie haben es nun aber nicht, sie leben, sie sterben ohne die Hoffnung, ohne die Hilfen des Evangeliums, denn trotz all des Guten in ihnen, trotz ihres Pflichtbewußtseins, ihrer Gewissenhaf­tigkeit in vielem, ihres guten Willens, trotz aller Aufrichtigkeit und Hochherzigkeit stehen sie doch (ich muß es aussprechen) unter der Herrschaft eines stolzen Feindes. Sie haben in sich diesen stol­zen Geist, sie wollen in der Welt des Denkens ihr eigener Herr sein, in einer Welt, von der sie so wenig wissen; sie halten ihre eigene Vernunft für besser als die irgendeines anderen; sie wollen es nicht wahrhaben, daß da einer von Gott kommt und ihrer eigenen Ansicht über die Wahrheit widerspricht. Was, soll es denn niemanden geben, der ihnen an Weisheit gleichkommt? Gibt es kei­nen anderen, dessen Wort in religiösen Dingen Geltung hat? Gibt es keinen, der sie von dem Ei­gendünkel, die letzte Instanz zu sein, befreit? Gibt es denn keinen Anlaß oder keine gute Gelegenheit, womöglich doch zum Glauben zu finden? Gibt es denn für sie dank ihrer überragenden Weisheit und ihres Anspruchs auf Allwissenheit keine Hoffnung, zur Ausübung dieser Tugend zu gelangen? Wenn die Ansprüche der katholischen Kirche ihnen nicht ge­nügen, dann mögen sie sich, wenn sie können, irgendwo anders hinwenden. Wenn sie so mißtrauisch sind, daß sie ihr als dem Orakel Gottes nicht trauen können, dann mögen sie ein anderes suchen, das noch sicherer von Ihm stammt, als das Haus, das Er Selbst errichtet hat, das schon immer Seinen Namen trägt, das schon immer die gleichen Ansprüche gestellt, schon immer ein und dasselbe Lehrgut vorgetragen und über jene triumphiert hat, die ein anderes verkündeten. Da der apostoli­sche Glaube im Vertrauen auf das Wort eines Menschen als dem Worte Gottes bestand, da der Glaube heute ist, was er zu Anfang war, da der Glaube zu unserem Heile notwendig ist, so mögen sie versuchen, ihn jemand anderem gegenüber zu betätigen, wenn sie schon die Braut des Lammes nicht anzunehmen geneigt sind. Mögen sie, wenn sie können, jenen Religionen Glauben schenken, die höchstens zwei oder drei Jahrhunderte in einem Winkel der Erde bestanden haben. Mögen sie ihre Aussicht auf die Ewigkeit auf Könige und Adlige, auf Parlamente und Soldaten gründen; mögen sie eine bloße Rechtsfiktion, irgendeine Mißgeburt, eine Schultheologie, ein Idol der Masse, die Ausgeburt irgendeiner Krise, ein Orakel der Hörsäle zum Propheten Gottes nehmen. Ach, sie sind übel daran, wenn sie eine Tugend besitzen müssen, zu deren Betätigung es für sie keine Mög­lichkeit gibt – wenn sie einen Glaubensakt setzen sollen, ohne zu wissen, an wen, ohne zu wissen, warum. Wie müßten wir, meine Brüder, Gott danken, daß Er uns zu dem gemacht hat, was wir sind! Es ist Gnade! Gewiß gibt es viele zwingende Gründe, die einen zum Anschluß an die katholische Kirche führen, aber sie zwingen den Willen nicht. Wir mögen sie erkennen und uns dennoch nicht bewo­gen fühlen, danach zu handeln. Wir können uns überführen lassen, ohne wirklich überzeugt zu sein. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge: ein­sehen, daß man glauben müßte – und glauben; der Verstand kann aus eigener Kraft zu dem Schluß gelangen, daß es genügend Gründe zum Glauben gibt, aber der Glaube selbst ist Gnaden­gabe. Ihr seid also, was ihr seid, nicht durch irgend­einen Vorzug oder ein Verdienst eurerseits, son­dern durch die Gnade Gottes, der euch zum Glau­ben erwählt hat. Ihr hättet ja auch wie die Wilden Afrikas sein können oder wie die Freidenker in Europa, mit einer Gnade beschenkt, die hinreicht, euch zu verdammen, weil sie euch nicht zum Heile verholfen hat. Ihr hättet starke Impulse der Gnade haben und euch ihnen widersetzen können und dann hätte euch vielleicht die zusätzliche Gnade vorenthalten sein können, die euren Widerstand gebrochen hätte. Gott gibt nicht allen dasselbe Maß an Gnade. Hat Er euch nicht mit einem Übermaß an Gnade heimgesucht? Und war es nicht um eurer Herzenshärte willen vonnöten, daß ihr mehr Gnade empfinget als andere Menschen? Lobet und preist Ihn ohne Unterlaß für Seine Wohltat; vergeßt auch fürderhin nicht, daß sie aus Gnade kommt; rühmt euch ihrer nicht; betet ohne Unterlaß, daß ihr sie nicht verliert und tut euer Bestes, auch andere daran teilnehmen zu lassen. Und auch ihr, meine Brüder, sollten einige von euch anwesend sein, die noch nicht katholisch sind, die aber durch ihr Kommen offenbar ihr Interesse an unserer Lehre bezeugen und den Wunsch ha­ben, noch mehr von ihr zu erfahren: denket auch ihr daran, daß Gott euch, obwohl ihr den Glauben der Kirche noch nicht habt, bereits auf den Weg ge­stellt hat, ihn zu erlangen. Ihr steht unter dem Einfluß Seiner Gnade; Er hat euch einen Schritt weiter geführt auf eurer Pilgerfahrt; Er möchte euch noch weiter führen, Er möchte die Fülle Sei­nes Segens über euch ausgießen und euch zu Ka­tholiken machen. Noch seid ihr in euren Sünden; vielleicht lastet auf euch die Schuld vieler Jahre, die gehäufte Schuld manch einer todbringenden Übertretung, die noch durch keine Reue reingewa­schen wurde und an die noch kein Sakrament her­angekommen ist. Ihr tragt im Augenblick noch die Unruhe des Gewissens in euch, die Unruhe einer unbefriedigten Vernunft, eines unreinen Herzens und eines geteilten Willens: ihr bedürft der Be­kehrung. Jetzt aber arbeiten an eurer Seele bereits die ersten Anregungen der Gnade; sie werden euch als Frucht die Vergebung für die Vergangen­heit und die Heiligkeit für die Zukunft bringen. Gott bewegt euch zu Akten des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, zum Haß gegen die Sünde, zur Umkehr; enttäuschet Ihn nicht; tretet Ihm nicht in den Weg, geht auf Ihn ein, gehorcht Ihm. Ihr schaut auf und seht sozusagen einen gro­ßen Berg, den ihr besteigen sollt – da werdet ihr sagen: „Wie werde ich da wohl einen Weg finden können über diesen Berg von Hindernissen hin­weg, denen ich auf meinem Weg zum Katholizis­mus begegne? Ich begreife diese Lehre nicht, jene macht mir Pein; eine dritte scheint mir unmöglich zu sein. Ich kann mich an diese Übung nicht ge­wöhnen, und ich fürchte mich vor einer anderen; alles ist wirr und trostlos; ich sehe mich einem Zustand der Verzweiflung preisgegeben.“ Sprecht nicht so, meine Brüder, blickt auf in Hoffnung, ver­traut auf den, der euch vorwärts führt. „Wer bist du, o großer Berg, vor Zorobabel? Doch nur eine Ebene“ (Zach 4, 7)! Er wird euch Schritt für Schritt vorwärts führen, wie Er manchen vor euch geführt hat. Er wird das Krumme gerade und das Rauhe eben machen. Er wird den Strom wenden und die Flüsse vertrocknen lassen, die euch den Weg ver­legen. „Er wird euch Füße wie die Füße des Hir­sches geben und euch auf Höhen stellen; Er wird Raum geben euren Schritten unter euch und eure Fußtritte werden nicht schwach werden“ (Ps 17, 34. 37J. „Es ist kein anderer Gott als der Gott des Gerechten; der zum Himmel hinauffährt, ist dein Helfer; in Seiner Hoheit ziehen die Wolken. Seine Wohnung ist oben und unten Seine ewigen Arme; Er treibt weg von dir den Feind und spricht: ,Sei vertilgt'“ (Dt 33, 26. 27). „Die Jungen nehmen ab und ermüden, und die Jünglinge fallen dahin vor Schwäche; die aber auf den Herrn hoffen, er­neuern ihre Kraft und befiedern sich wie Adler, laufen und werden nicht müde, gehen und werden nicht matt“ (Is 40, 30. 31).

10. Vortrag: Predigten vor Katholiken und Anderslgäubigen. (Discourses to Mixed Congregations), Schwabenverlag Stuttgart 1964, pp. 219-243


[1] Der englische Ausdruck „implicit“, den Newman oft ge­braucht, läßt sich passend mit „rückhaltlos“, „absolut“ oder „unbedingt“ wiedergeben. A. d. Ü.