2. Predigt am 9. Mai 1830
„Seid still und erkennet: Ich bin Gott: Ich will erhöht werden unter den Völkern und will erhöht werden auf Erden“ (Ps 45, 11).
Die Lehre, die Gott beständig den Israeliten vor Augen hielt, war, sie sollten es nie wagen, nach eigenem Gutdünken zu handeln, sondern warten, bis Gott für sie handelte, voll Ehrfurcht zusehen und dann Seiner Führung folgen. Gott war ihr Allweiser König; es war ihre Pflicht, keinen eigenen Willen zu haben, der sich von Seinem Willen unterschied, auf eigene Faust keinen Plan zu fassen und kein Werk in Angriff zu nehmen. „Seid still und erkennet: Ich bin Gott.“ Ziehet nicht weiter, sprechet nicht— schaut auf die Wolkensäule und seht, wie sie sich bewegt — dann folget. So lautete der Befehl.
Als z. B. die Ägypter den Israeliten zur Küste des Roten Meeres nachsetzten, sprach Mose zum Volk: „Fürchtet euch nicht und wartet nur ab, und ihr werdet sehen, dass der Herr euch Hilfe bringen wird; der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet euch ruhig verhalten“ (Ex 13,13.14). Als sie die Grenzen Kanaans erreichten und ob der Stärke ihrer Bewohner erschraken, wurden sie ermahnt: „Zaget nicht und fürchtet sie nicht. Der Herr, euer Gott, wird für euch streiten“ (Dt 1,29.30). Denselben Sinn hatte der Auftrag des sterbenden Josue: „Nur seid stark und wachsam, daß ihr alles haltet, was geschrieben ist im Buche des Gesetzes Moses; und weichet nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken“ (Jos 23,6). Und als später die Moabiter und Ammoniter gegen Josaphat Krieg führten, wurde der Prophet Jahaziel vom Geist angetrieben, das Volk mit folgenden Worten zu ermutigen: „Fürchtet euch nicht und zaget nicht ob der großen Menge; denn nicht euer ist der Streit, sondern Gottes… Ihr werdet in dieser Schlacht nicht kämpfen müssen; stellet euch auf und bleibet stehen und sehet euch die Rettung an, die der Herr, o Juda und Jerusalem, euch zuteil werden läßt“ (2 Chron 20,15.17). Und wiederum — als Israel und Syrien gegen Juda zogen, wurde der Prophet Isaias beauftragt, zu Achaz zu gehen und ihm zu sagen: „Hab acht und sei ruhig; fürchte dich nicht und dein Herz verzage nicht“ (Is 7,4). Vermessenheit — d. h. der Entschluß eigenmächtig zu handeln oder Eigenwille — wurde unter die verwerflichsten Sünden gezählt. „Wer aber vermessen ist und dem Gebot des Priesters, der dort dem Herrn, deinem Gott, dient, oder dem Richter nicht gehorchen will, der soll sterben, und du sollst das Böse aus Israel tilgen“ (Dt 17,12).
Während indes diese gänzliche Hingabe ihrer selbst an ihren Allmächtigen Schöpfer eine besondere, dem auserwählten Volk auferlegte Pflicht war, ist eine bewußte und halsstarrige Übertretung dieser Pflicht eines der besonderen Merkmale ihrer Geschichte. Sie versagten am offenkundigsten gerade in dem Punkt, in dem ihnen der Gehorsam strengstens aufgetragen war. Nie wollten sie aus eigenem Antrieb handeln und dennoch (gleichsam aus bloßer Bosheit) handelten sie immer aus eigenem Entschluß. Sehen wir die Reihe ihrer Strafen durch, so finden wir, daß sie nicht auferlegt wurden wegen Ungehorsams aus Lässigkeit oder wegen Gebrechlichkeit unter dem Druck der Versuchung, sondern wegen überlegter, schamloser Anmaßung, wenn sie gerade in der Richtung vorwärts drängten, in der die Vorsehung Gottes sie nicht führte und die sie ihnen sogar verboten hatte.
Zuerst machten sie ein gegossenes Bild zur Anbetung, und dies gerade, nachdem sie den Befehl erhalten hatten, sich keine Bilder der Göttlichen Majestät zu machen, und während Moses noch auf dem Berg weilte. Hierauf wollten sie sich einen Anführer nehmen und nach Ägypten zurückkehren, anstatt in das Land der Verheißung weiterzuziehen. War es ihnen verboten weiterzuziehen, dann versuchten sie es auf der Stelle. Als sie schließlich das Land betreten hatten, da gingen sie, anstatt Gottes Anweisung Folge zu leisten und die verkommenen Bewohner zu vernichten, ihrem eigenen Plan nach und machten ihre unterjochten Feinde tributpflichtig. Gleich darauf verfolgten sie ihr eigenwilliges Ziel: sie wollten einen König haben wie die Völker ringsum.
Weiter kann man beobachten, daß ihr Ungehorsam in jenen Zeiten besonders bösartig war, da göttliches Erbarmen ihnen in einer bemerkenswerten Weise geholfen hatte. So z. B. zu Lebzeiten des Moses. Als ferner Samuel aufgestellt wurde, um das Zeitalter des Moses zurückzubringen und das begonnene Werk zu vollenden, da handelten sie gegen Gottes Plan in höchst auffallender Weise. Gerade zu der Zeit, meine ich, als Gott sie in ihrem Elend heimsuchte und Sein Erbarmen erneuerte, da war es ihre erste Tat, sobald sie ein wenig Kraft gewonnen und sich von ihrer hoffnungslosen Lage erholt hatten, Gottes Herrschaft abzuschütteln und einen König zu fordern wie die anderen Völker.
Auf diesen Abschnitt ihrer Geschichte möchte ich besonders eure Aufmerksamkeit lenken, nämlich auf die Zeiten Samuels. Die wichtigsten Umstände, die berücksichtigt werden müssen, sind folgende — die Erneuerung der Erbarmungen Gottes nach ihrem Rückfall; die einzige Gegenleistung, die Er forderte, sich Seiner Führung zu unterwerfen; und zuletzt die offene Verweigerung derselben, oder vielmehr ihr ungestümes und bewußtes Drängen nach einer anderen Richtung.
Als Moses dem Tod nahe war, weissagte er, daß eines Tages ein Prophet gleich ihm an seiner Statt erstehen würde, eine Verheißung, die in der Ankunft Christi im eigentlichen Sinn erfüllt wurde, die aber in der Reihe der Propheten von Samuel herunter bis zur (Babylonischen) Gefangenschaft eine erste Erfüllung fand. Jedoch verfloß eine Periode von vierhundert Jahren zwischen der Zeit des Moses und dieser ersten Erfüllung der Weissagung. Das Volk wurde zuerst von Richtern regiert. Inmitten der Not, die ihre Sünden über sie brachten, als die Philister das Land überschwemmten, suchte Gott sie endlich der Verheißung gemäß heim. Er erweckte Samuel als Seinen ersten Propheten, und zwar sollte er nicht der einzige Bote Seiner Pläne sein, sondern nur der erste unter vielen Hunderten, die noch folgten.
Wir wollen nun die Umstände betrachten, unter denen Samuel, der erste der Propheten, erweckt wurde. Wir finden, daß seine Erhebung nur Gottes Wille und Macht zu verdanken war. Dem Moses gleich war er kein Krieger, aber er rettete durch sein Gebet das Volk vor seinen Feinden und unterstellte es einer geordneten Regierung. „Seid still und erkennet: Ich bin Gott.“ Der Inhalt dieses Befehls war durch die Gesetzgebung erklärt worden und jetzt wurde er eingeschärft zu Beginn der Heilsordnung unter den Propheten, wie auch in späteren Zeiten nach der Gefangenschaft und bei der Ankunft Christi, gemäß den Worten des Zacharias: „Nicht durch Heeresmacht, nicht durch Kraft, sondern durch Meinen Geist, spricht der Herr der Heerscharen“ (Zach 4, 6).
Beachtet, Samuel wurde auf das inbrünstige Bitten der Mutter hin geboren. Anna „war betrübt im Herzen, betete zu dem Herrn und weinte bitterlich und machte ein Gelübde“ (1 Sam 1,10.11), nämlich — würde Gott ihr einen Sohn schenken, so sollte er Ihm geweiht sein. Das sollte man bedenken, denn Samuel war so von Geburt an ganz und gar als ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung gekennzeichnet. Eine ähnliche Vorsehung können wir bei anderen begnadeten Werkzeugen und Dienern der göttlichen Barmherzigkeit beobachten, zum Beweis, daß dieses Erbarmen gänzlich unverdient sei. Isaak war das Kind der göttlichen Allmacht wie auch Johannes der Täufer; und auch Moses wurde in seiner Kindheit fast wunderbar aus der Mörderhand der Ägypter errettet.
Samuel wurde nach dem Gelübde seiner Mutter von frühester Jugend an in den Tempeldienst aufgenommen; und schon als Kind wurde er zum Werkzeug des göttlichen Strafgerichtes über den Hohenpriester Heli. In der heiligen Zeit zwischen Nacht und Morgen rief ihn Gott: „Samuel, Samuel“, und verkündete durch ihn ein Urteil über Heli, weil dieser sündhafte Nachsicht gegen seine Söhne übte. Hierin lag eine erneute Lehre für die Israeliten, daß nämlich der prophetische Geist, mit dem das Volk hinfort begnadet werden sollte, gänzlich von Gott stamme. Wäre Samuel zum Mannesalter herangewachsen, ehe er vom Geiste Gottes erfüllt wurde, so wäre nicht deutlich in Erscheinung getreten, wie weit das Werk unmittelbar göttlichen Ursprungs war. Wenn aber ein unwissendes Kind beauftragt wurde, gegen Heli, den hochbetagten Priester, zu prophezeien, so wurde das Volk daran erinnert, wie es auch bei Moses der Fall war, der eine schwere Zunge hatte, daß der Herr es war, der „den Mund des Menschen schuf, der den Menschen stumm oder taub, sehend oder blind macht“ (Ex 4,11), daß Alter und Jugend vor Ihm gleich viel gelten, wenn Seine Pläne ein Werkzeug fordern.
So wuchs Samuel zum Mannesalter heran und trug von Anfang an die Zeichen künftiger Größe an sich. Es heißt: „Samuel wuchs heran, und der Herr war mit ihm und ließ keines seiner Worte zur Erde fallen. Ganz Israel, von Dan bis Bersabee“, (d. h. von einem Ende des Landes bis zum andern) „erkannte, daß Samuel als Prophet des Herrn eingesetzt war. Und der Herr erschien auch weiterhin in Silo; denn der Herr offenbarte Sich dem Samuel in Silo durch das Wort des Herrn“ (1 Sm 3,19—21).
Hernach kam es, als er an die dreißig Jahre alt war, zur Schlacht mit den Philistern, in der dreißigtausend Israeliten fielen. Die Lade Gottes wurde entführt, und Heli fiel, als er die Nachricht vernahm, rücklings vom Stuhl und war tot. So wurde Samuel in der größten Bedrängnis seines Landes zur höchsten Macht erhoben. Doch durfte er selbst in dieser hohen Stellung keinerlei größere Tat von sich aus unternehmen. Die Bundeslade war entführt, doch er sollte sie nicht zurückerobern. Gott ordnete es so an, damit Sein Name „erhöht werde unter den Völkern, und erhöht werde auf Erden“.
Die Philister brachten die Bundeslade nach Azot und stellten sie in den Tempel ihres Götzen Dagon. Am nächsten Morgen sah man den Dagon, mit dem Gesicht zur Erde, vor ihr liegen. Sie stellten ihn wieder an seinen Platz. Am folgenden Morgen fand man ihn in Stücke zerbrochen (1 Sm 5,3.4) und bald darauf wurden die Bewohner Azots und der Nachbarschaft von einem göttlichen Strafgericht getroffen. Infolgedessen beschlossen sie, sich von dem zu trennen, was sie mit Recht als die Ursache des Strafgerichtes betrachteten, und schafften die Lade nach Geth. Die Bewohner von Geth wurden von dem Zorn Gottes ebenso geschlagen und schickten ihrerseits die Lade weg nach Akkaron. Die Bewohner von Akkaron ließen sie in ihrer Bestürzung ungern herankommen. Die geheimnisvolle Seuche begleitete aber die Lade immer noch. Und die Akkaroniter wurden, wie sie mit Recht befürchtet hatten, von einer „tödlichen Vernichtung in der ganzen Stadt“ getroffen. Die Philister beschlossen jetzt, ihre Beute, als die sie die Lade zuerst betrachtet hatten, nach Israel zurückzuschicken; aber sie taten, wie es scheint, um die Macht des Gottes Israels weiter zu erproben, folgendes: Sie nahmen zwei Milchkühe, die noch nie unter dem Joch gewesen waren, schlossen deren Kälber in den Stall ein, spannten sie an den Wagen, auf den sie die Lade gestellt hatten. Sollten die Kühe, entgegen ihrem natürlichen Trieb zu den Kälbern, der Grenze Israels zugehen, dann konnten sie sicher sein, so folgerten sie, daß der Gott Israels es war, der sie zur Strafe für den Raub Seiner heiligen Wohnung geschlagen hatte. Es heißt: „Die Kühe gingen geradewegs“ dem Land Israel zu, „sie zogen hin und brüllten, und wichen weder zur Rechten noch zur Linken“ (1 Sm 6,12).
All dies war eine Lehre für die Philister; aber die Israeliten hatten noch die ihrige zu lernen. Nicht aus Ehrfurcht, sondern wie wenn die Bundeslade eine Art Zaubermittel mit einer ihm innewohnenden Kraft wäre und ohne jeden Befehl Gottes hatten sie dieselbe vermessentlich zum Kampfe mitgeführt. Zuerst wurden sie mit ihrem Verlust bestraft. Als sie die Lade heimkehren sahen, freuten sie sich. Die Leviten hoben sie vom Wagen herunter und brachten ein Opfer dar. Soweit war es gut, aber sogleich heißt es: „Die Bewohner von Bethsames… schauten in die Lade hinein“; das offenbarte einen Mangel an Ehrfurcht vor der heiligen Wohnstatt Gottes. Und Gott „schlug fünfzigtausend[1] und siebzig Mann aus dem Volk, und das Volk trauerte“ und sagte: „Wer vermag vor dem Herrn, diesem heiligen Gott, zu stehen?“ (1 Sm 6,19. 20).
Als so Gott vierhundert Jahre nach der Zeit des Moses Sein Volk wieder heimsuchte, zeigte Er Sich in verschiedener Weise als den einzigen Geber der Segnungen, die sie empfingen. Das Kind Samuel, die hölzerne Lade, die unvernünftigen Rinder — das waren die Werkzeuge, wodurch Gott kundtat, daß Er ein lebendiger Gott sei; und nachdem Er so Seinen mächtigen Arm enthüllt und allem Volke befohlen hatte, „still zu sein und zu erkennen, daß Er Gott sei“, da endlich sandte Er Seinen ersten Propheten, um das Volk zu lehren und zu bekehren. „Da sprach Samuel zu dem ganzen Haus Israel und sagte: So ihr von ganzem Herzen zum Herrn zurückkehret, dann tuet weg die fremden Götter und die Astartebilder aus eurer Mitte, bereitet eure Herzen dem Herrn und dienet Ihm allein; so wird Er euch erretten aus der Hand der Philister. Also taten die Söhne Israels die Baale und Astarten weg und dienten dem Herrn allein“ (1 Sm 7,3.4). Der Zeitraum, währenddessen diese Erneuerung durchgeführt wurde, scheint an die zwanzig Jahre gedauert zu haben und war mehr oder weniger eine Zeit der Gefangenschaft. Gegen sein Ende versammelte Samuel die Israeliten in Masphath, um ein Fasten für ihre vergangenen Sünden zu halten; und dann „trat er das Amt eines Richters über Israel in Masphath an“. Dies scheint eine offenkundigere Machtübernahme in sich geschlossen zu haben als irgendetwas, was ihm bisher aufgetragen worden war. Infolgedessen wurden die Philister beunruhigt und dachten, das unterjochte Volk sei vielleicht daran, seine Unabhängigkeit wiederzugewinnen. Sie sammelten ihre Streitkräfte und zogen wider sie. „Und die Söhne Israels sagten zu Samuel: Laß nicht ab, für uns zu rufen zu dem Herrn, daß Er uns aus der Hand der Philister rette. Da nahm Samuel ein säugendes Lamm und opferte es ganz zum Brandopfer dem Herrn; und Samuel rief für Israel zu dem Herrn und der Herr erhörte ihn“ (1 Sm 7,8. 9). Während des Opfers zogen die Philister zur Schlacht heran; „aber der Herr donnerte mit großem Getöse an jenem Tage über die Philister und erschreckte sie, daß sie geschlagen wurden vor Israel… Samuel nahm dann einen Stein und stellte ihn zwischen Masphath und Sen auf und nannte ihn Stein der Hilfe und sprach: Bis hierher hat der Herr geholfen“ (1 Sm 7,10—12). Dieser ganze Vorgang bildet eine neue Veranschaulichung des Vorspruches. Es heißt noch: „So wurden die Philister niedergeworfen und sie kamen nicht wieder in die Grenzen Israels und also war die Hand des Herrn gegen die Philister alle Tage Samuels. Die Städte, die sie weggenommen hatten, kamen wieder an Israel zurück.“ „Samuel waltete während seines ganzen Lebens als Richter in Israel“, und zog zu diesem Zweck Jahr für Jahr durch das Land.
Nun haben wir jenen Punkt in der Geschichte erreicht, der mehr als jeder andere den störrischen Undank der Israeliten offenbart. Eben hatte Gott sie aus der Hand ihrer Feinde befreit, ihnen Frieden geschenkt und in einem neuen Akt der Güte die Propheten als Diener Seines Wortes und Willens im Lande eingesetzt, gerade war diese vom Himmel geschenkte Ordnung in Kraft getreten, da wählten sie ausgerechnet diesen Augenblick, um sich gegen Gott zu empören und gegen Seine Pläne anzurennen. Sie verlangten für sich einen König wie die Heidenvölker. Den unmittelbaren Anlaß zu dieser Forderung bot das schlechte Betragen der Söhne Samuels, die zwar ihrem Vater in seinem hohen Alter beistanden, „aber nicht auf seinen Wegen wandelten, sondern ihren Vorteil suchten, Geschenke annahmen und das Recht verkehrten“ (1 Sm 8,3). Obgleich dies ohne Zweifel ein Grund zur Beschwerde war, so bildete es gewiß keine Entschuldigung für sie. Solange der Herr ihr König war, konnte kein dauernder Schaden sie treffen. Eben jetzt „kamen die Ältesten Israels zu Samuel und sprachen zu ihm: Siehe, du bist alt geworden und deine Söhne wandeln nicht auf deinen Wegen; so setze einen König über uns, daß er uns richte, wie es bei allen anderen Völkern Sitte ist“. Sie fügten einen Grund bei, der noch deutlicher ihren hartnäckigen Unglauben zeigte, — „daß er unser Richter sei, vor uns herziehe und unsere Kriege führe“. Durch welch seltsame Verblendung kam es, daß sie nach einem König suchten, der „ihre Kriege führen sollte“, da es doch während der ganzen Regierungszeit Samuels so offenkundig war, daß Gottes Macht allein ihre Feinde unterworfen hatte? Noch ein weiterer Umstand lag vor, der ihre Sünde erschwerte. Es war ihnen tatsächlich von Moses selbst ein König verheißen worden für eine unbestimmte künftige Zeit (Dt 17,14-20); und wahrscheinlich rechtfertigten sie daraus ihre Forderung nach einem König. In Wahrheit gab aber gerade dieser Umstand ihrem Eigenwillen sein besonderes Merkmal, das schon hervorgehoben wurde, nämlich das Verlangen, nach ihrem eigenen Willen zu handeln, anstatt die Zeit Gottes abzuwarten. Die Tatsache, daß Gott verheißen hatte, wonach sie schrien und wozu Er Sich nur die Wahl der Zeit vorbehielt, hätte sie gewiß zufriedenstellen sollen. Aber sie waren halsstarrig; und Gott antwortete ihnen ihrem Eigensinn entsprechend. Er „gab ihnen einen König in Seinem Grimm“ (Os 13,11). Freilich war David erfolgreich, aber die Verderbnis und der Zerfall seines Volkes kam schnell nach seinem Tod. Das Königreich zerfiel in zwei Teile, der Götzendienst wurde eingeführt und zuletzt kam die Gefangenschaft über sie, der Verlust ihres Landes und die Zerstreuung oder vielmehr die Vernichtung der meisten Stämme.
Zum Schluß will ich einen Hinweis anfügen, indem ich ihre Geschichte auf unsere Zeit anwende. Sicher haben wir gegenwärtig noch nicht die Pflicht erlernt, zu warten und still zu sein. Gerade jetzt umdräuen große Gefahren unseren Zweig der Kirche. Hier drängt sich uns die Frage auf, sowohl der Gemeinschaft wie dem einzelnen, was wir tun sollen. Zweifellos gilt es, ihnen mit aller Weisheit und Klugheit zu begegnen, die in unserer Macht stehen; es gilt, alle erlaubten Mittel zu benützen, um sie abzuwenden. Ist aber schließlich nicht folgendes unsere Hauptflicht: ruhig und standhaft auf unseren alten Wegen weiterzugehen, als ob alles in Ordnung wäre? „Als Daniel erfuhr, daß das Schriftstück unterzeichnet sei“, das ihn zur Löwengrube verurteilte, falls er seine einfache Pflicht erfüllte, da schaute er nicht mehr umher, um zu prüfen, ob er sie nicht eine Zeitlang erlaubterweise unterlassen könne oder ob es nicht andere Wege gäbe, Gott zu dienen, die nicht von der weltlichen Macht verboten wären, sondern „er beugte dreimal des Tages sein Knie, betete, sagte Dank vor seinem Gott, wie er auch vordem getan hatte“ (Dn 6,11). Es ist etwas sehr Peinliches, aber es ist nicht richtig, vor dieser Tatsache unsere Augen zu schließen, daß Freunde der Kirche weit eher geneigt sind, nach weltlichen und unstatthaften Hilfen zu ihrer Verteidigung auszuschauen, als ruhig ihren gewöhnlichen Aufgaben weiter nachzugehen und auf Gottes rettende Hand zu vertrauen. Was nützen all die fieberhaften Anstrengungen rings um uns, die Feinde zu besänftigen, die Verdächtigen oder Wankenden zu versöhnen und Männer von Ansehen und Macht auf unsere Seite zu ziehen? Vielmehr wollen wir entschlossen sein, falls wir doch untergehen sollen, auf dem pflichtmäßigen Posten unterzugehen. Man soll uns finden in dem Bereich unseres heiligen Dienstes bei Gebet und Lobpreis, bei Fasten und Almosengeben, „in Ruhe und Vertrauen“ (Is 30,15). Jedwede große Rettung der Kirche ist so erreicht worden. Israel stand still und sah, wie die Ägypter im Meer überwältigt wurden. Ezechias ging in das Haus des Herrn, betete zu Dem, der inmitten der Cherubim wohnte, und Sennacheribs Heer wurde vernichtet. „Ohne Unterlaß betete die Kirche zu Gott für“ den heiligen Petrus, und der Apostel wurde von einem Engel aus dem Gefängnis befreit (Apg 12,5). Die Weise der Vorsehung ist heute nicht wesentlich anders. Gottes Arm ist nicht verkürzt, ja, er ist ebensowenig gehemmt, ohne Wunder, wie durch sie, zu retten. Er kann geräuschlos und plötzlich retten, während die Dinge ihren gewöhnlichen Gang zu nehmen scheinen. Aller Herzen sind in Seiner Hand, ebenso die Ausgänge des Lebens und des Todes. Aufstieg und Fall der Mächtigen und die Verteilung der Gaben. Warum also sollten wir uns fürchten oder nach Verteidigungsmitteln ausschauen, da wir den Herrn zu unserem Gott haben? Er kann uns zwar, wenn es so sein soll, zu Seinen Werkzeugen machen, Er kann Waffen in unsere Hände legen; aber selbst wenn Er uns keine Anzeichen Seiner Pläne gibt, was dann? Schließlich wird unsere Befreiung kommen, wenn wir sie nicht erwarten; dagegen werden wir unsere eigene Hoffnung verlieren und die Kirche in große Unordnung stürzen, wenn wir uns anmaßen, eigene Pläne zu schmieden, um sie zu schützen. Jeroboam hielt sich für „weise“, als er die goldenen Kälber in Dan und Bethel aufstellte. Unsere Weisheit gleicht der seinen, wenn wir es wagen, ein Jota oder Tüpfelchen vom vollkommenen Gesetze Christi, einen Artikel des Credo, eine heilige Einrichtung, einen alten Brauch zu lockern, in der Hoffnung, wir könnten uns in eine vorteilhaftere oder weniger beschwerliche Lage bringen. „Unsere Stärke liegt im Stillesein“ (Is 30,15); solange wir dies nicht weit besser lernen, als wir es gegenwärtig zu verstehen scheinen, muß sicher die Hoffnung auf das wahre Israel unter uns gering sein, und mit den Gebeten für die Wohlfahrt der Kirche müssen die wahren Israeliten ihr Bekenntnis verbinden und ihre Fürbitten für jene, die sie für ihre klugen Freunde und wirksamen Verteidiger halten und es doch nicht sind.
[1] Der hebräische Text scheint hier verderbt zu sein; die hohe Zahl ist unmöglich, da es in Bethsames keine fünfzigtausend Menschen gab. – A. d. Ü.