John Henry Newman – Helfer auf dem Weg des Glaubens

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Der Glaube öffnet uns den Zugang zum Geheimnis Jesu Christi, zum Wort, das Fleisch geworden ist, zum Erlöser, der alle Menschen an sich ziehen will. Die Hinführung zum Glauben und die Begleitung der Menschen auf ihrem Glaubensweg war für John Henry Newman in seiner vielfältigen seelsorglichen Tätigkeit stets ein Herzensanliegen. Die folgenden Ausführungen wollen einige Aussagen aus seinen Werken, besonders aus den Predigten, in Erinnerung rufen.

Was ist der Glaube?

„Das Wesen des Glaubens besteht darin, über uns selbst hinauszuschauen; stellt euch also vor, was das für ein Glaubender ist, der sich in seine eigenen Gedanken einsperrt und sich auf die Tätigkeit seines eigenen Geistes verläßt und an seinen Heiland als an ein Gebilde seiner Vorstellung denkt, anstatt sich selbst auszuschalten und aus dem zu leben, der in den Evangelien spricht“ (DP II 184)[1].

Der Glaube ist jene göttliche Tugend, die uns über das eigene Ich emporhebt und gleichsam in eine neue Welt versetzt. Der Glaube ist „das auserwählte Mittel, das Himmel und Erde verbindet“ (G 137)[2]. Wer glaubt, kann eigene Wünsche, Gefühle und Meinungen hinter sich lassen. Er ist bereit, sich von Gott aus dem begrenzten Horizont der eigenen Welt herausrufen zu lassen, um in die unsichtbare, aber wirkliche Welt Gottes einzutreten. Der Glaube hat verwandelnde Kraft. Aus demjenigen, der zunächst nur auf sich selbst hört, wird einer, der auf Gott hört. Aus dem Menschen, der eigene Wege gehen will, wird einer, der danach verlangt, von Gott geführt zu werden. „Dies ist der wahre Geist des Glaubens: Gott dienen, nach seiner Führung Ausschau halten und ihr folgen, nicht aber versuchen, ihm zuvorzukommen“ (DP III 16).

Der Glaube besteht in einem ganz persönlichen Vertrauensverhältnis des Menschen zu Gott. Dieser Akt des Vertrauens, in dem sich der Mensch Gott schenkt, ist aber nicht inhaltslos. Er ist vielmehr gefüllt mit jenen Wahrheiten, die Gott geoffenbart hat. Der gläubige Mensch bejaht mit der ganzen Kraft seiner Existenz „ein festgelegtes Depositum“, das ihm „bei der Taufe mit einer Formel, die Credo heißt, in die Hände gelegt worden ist“ (DP II 284). Glaube ist engagierte Zustimmung der ganzen Person zu Heilsereignissen, deren konzentrierter Inhalt von der Kirche in lehrhafte Bekenntnissätze gefaßt worden ist und unser Leben prägen will. „Wenn Menschen einer Wahrheit innewerden, wird sie zu einem einflußreichen Prinzip in ihnen und führt sie zu zahlreichen Folgen für ihre Überzeugung wie für ihr Verhalten“ (DP VI 285).

Im Glauben antwortet der Mensch in der Kraft der Gnade und in voller Freiheit auf die übernatürliche Offenbarung. Kraft dieser göttlichen Tugend gehorcht er dem Wort Gottes mit Verstand und Willen, mit Wort und Tat. Glaube ist nach Newman so innig mit Gehorsam verbunden, daß er in einer Predigt sagt: „Es kann kein einziger Glaubensakt namhaft gemacht werden, der nicht in sich das Wesen des Gehorsams besäße… In dem Maße, wie einer glaubt, gehorcht er; beide entstehen miteinander, wachsen miteinander und dauern das ganze Leben hindurch“ (DP III 98). Und bei einer anderen Gelegenheit schärft er seinen Hörern ein: „Die Offenbarung setzt uns einer Erprobung aus…: der Erprobung des Gehorsams um des Gehorsams willen, des Gehorchens auf Glauben hin“ (G 132).

Wie finden wir zum Glauben?

Der Glaube ist vom Menschen nicht machbar. Er ist ein Geschenk der göttlichen Gnade. Er ist ein „übernatürliches Prinzip“ (G 147). Damit Glaube wachsen und reifen kann, bedarf es – neben der Gnade – zweier Voraussetzungen: des von außen kommenden Zeugnisses und der inneren Disposition, die eine bereitwillige Aufnahme des Offenbarungszeugnisses ermöglicht. Gerade die inneren Voraussetzungen für den Glauben sind Newman sehr wichtig.

Sie sind seiner Ansicht nach nicht so sehr intellektueller, sondern vielmehr sittlicher Art. Sie entstehen im Inneren des Menschen, wenn er bereitwillig auf die leise Stimme seines Gewissens hört. Das Gewissen gibt dem Menschen Befehle, denen er zu gehorchen hat. „Aus der Natur der Sache lenkt gerade sein Dasein unseren Geist auf ein Wesen hin, das außerhalb unser ist; woher sonst sollte es denn kommen? Und auf ein Wesen, das über uns ist; woher sonst seine seltsame, lästige Unbedingtheit? Ohne auf die Frage einzugehen, was es sagt, und ob seine einzelnen Befehle immer so klar und folgerichtig sind, wie sie sein sollten, behaupte ich, schon sein Dasein drängt uns aus uns und über uns hinaus, daß wir hingehen und in der Höhe und Tiefe nach dem suchen, dessen Stimme es ist“ (DP X 83f).

Newman weiß, daß der Mensch, der seinem Gewissen zu gehorchen sucht, von einer aufrüttelnden inneren Unruhe erfaßt wird. Er merkt, wie unvollkommen er ist, wie oft er sich verfehlt. Das Gewissen hält ihm seine Schuld vor Augen, kann ihn aber nicht davon befreien. „Aus all diesen Gründen also – weil er seine Unwissenheit empfindet, weil er seine Schuld und Gefahr empfindet – wird ein religiöser Mensch, der die Segnung der Offenbarung nicht hat, Ausschau halten nach der Offenbarung“ (DP X 86).

In diesem Sinn ist der Prediger von Oxford der Überzeugung, daß der Gehorsam gegenüber den Befehlen des Gewissens der Weg zu einem festen Glauben an die Offenbarung ist. Er ruft seinen Hörern zu: „Laßt uns Gottes Stimme in unserem Herzen gehorchen, und ich will die Behauptung wagen, daß wir keine im Ernst zu fürchtenden Zweifel an der Wahrheit der Schrift hegen werden“ (DP I 226). „Folget nur eurem eigenen Sinn für Recht und durch eben diesen Gehorsam gegen euren Schöpfer werdet ihr dem Befehl des natürlichen Gewissens gemäß zur Überzeugung von der Wahrheit und Macht jenes Erlösers hinfinden, der euch eine Botschaft vom Himmel geoffenbart hat“ (DP VIII 123).

Mit Gewissen meint Newman freilich nicht einen bloßen sittlichen Geschmack, nicht die Stimme des eigenen Ich, nicht ein von subjektiven Wünschen beeinflußtes Urteil. Gewissen hat nichts mit bloßer Meinung oder Willkür zu tun, sondern bezeichnet „den pflichtbewußten Gehorsam gegenüber jener inneren Stimme in uns, die beansprucht, Gottes Stimme zu sein“ (vgl. P 167)[3].

Der treue Gehorsam gegenüber dieser Stimme hatte Newman in die Gemeinschaft der katholischen Kirche geführt. Etwa 30 Jahre nach diesem seinem Schritt schrieb er: „Seit 1845, dem Jahr der Konversion, habe ich auch nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß es meine klare Pflicht gewesen sei, wie ich es damals tat, mich jener katholischen Kirche anzuschließen, von der ich in meinem Gewissen fühlte, sie sei göttlich“ (P 230).

Newman ist aus eigener Erfahrung davon überzeugt, daß im Gewissen Gott selber – wenn auch wie hinter einem Schleier – zum Menschen spricht. Je aufrichtiger und bereitwilliger der einzelne auf diese leise Stimme in seinem Inneren hört und ihr gehorcht, desto lauter und deutlicher wird sie. „Es ist eine Stimme in uns, die uns versichert, daß es etwas Höheres gibt als die Erde. Wir können nicht analysieren, bestimmen und unter die Lupe nehmen, was das ist, was uns solches zuflüstert. Es hat keine Gestalt oder körperliche Form… Diese Sehnsucht unserer Natur findet ihr Ziel, ihre Stütze und ihren Ruhepunkt darin, daß sie von dem Dasein eines allmächtigen, allgütigen Schöpfers hört. Sie bewegt uns zu einem edlen Glauben an das, was wir nicht sehen können“ (DP VI 366).

Was ist die Frucht des Glaubens?

Das Geschenk des Glaubens ist dem Menschen nicht nur gegeben, um seinen Verstand zu erleuchten und in die Welt Gottes eintreten zu können, sondern um sein Herz zu öffnen für die Gabe der Erlösung. Die Offenbarung, die um unseres Heiles willen geschehen ist und der wir uns im Glauben zuwenden, will uns ja nicht bloß wissend machen, sondern innerlich umformen. Die Wahrheit des Evangeliums ist uns nämlich gegeben „als Geschöpfen, als Sündern, als Menschen, als unsterblichen Wesen, nicht als bloßen Denkern, Wortfechtern oder philosophischen Forschern. Sie lehrt uns, was wir sind, wohin wir gehen, was wir tun müssen und wie wir es tun müssen“ (DP I 228).

Es wäre falsch zu meinen, der Glaube bestünde bloß in angenehmen Gefühlsbewegungen oder interessanten Gedankengängen. Er will unser Tun prägen und soll in konkreten Taten Gestalt annehmen und Frucht bringen. „Unsere Pflicht erfüllen, wie sie uns begegnet, das ist das Geheimnis echten Glaubens und Friedens“ (DP II 183). Als guter Kenner der menschlichen Seele verweist Newman auf eine Kluft, die jeder Mensch zu schließen hat: „Das Handeln und die Absicht zu handeln sind viel weiter auseinander, als man es sich auf den ersten Blick vorstellt“ (DP I 133).

Der Prüfstein des Glaubens ist also nicht das gute Gefühl oder der schöne Gedanke, sondern die konkrete Tat, durch die der Mensch Antwort gibt auf die Worte und Werke Gottes. Je mehr sich der Glaube in konkreten Taten ausdrückt, umso mehr gewinnt der Geist des Menschen Festigkeit. Der Glaube gewährt Zugang zur Macht und Herrlichkeit Gottes, öffnet das Herz für die göttlichen Gaben, verleiht Kraft, Dinge zu tun, die unsere Kraft übersteigen. „Echter Glaube trachtet nicht nach Bequemlichkeit“ (DP V 10), sondern ist „immer rege und wach, mit offenen Augen und Ohren für die Winke des göttlichen Willens“ (DP III 123) und zugleich „anspruchslos, bescheiden, dankbar und gehorsam“ (DP I 237). Wer aus sich selbst heraustritt und sich im Glauben zu Gott erhebt, findet auch den Weg zum Nächsten. Deshalb ist es „ein Hauptmerkmal des Glaubens, mehr auf andere als auf sich selbst zu achten“ (DP III 15). Echter Glaube ist von Liebe getragen und mündet in Liebe ein.

So wird der Glaube zur Kraft, die den Menschen auf den Weg zur Heiligkeit führt. „Der Glaube ist die Wurzel aller Vollkommenheit; wer mit dem Glauben beginnt, wird enden in fleckenloser und vollkommener Heiligkeit… Wer glaubt, besitzt noch nicht die vollkommene Gerechtigkeit und Makellosigkeit, aber er besitzt ihre ersten Früchte“ (DP V 186).

Heiligkeit bedeutet für Newman nicht etwas Außergewöhnliches, nicht die Fähigkeit, Wunder zu wirken oder prophetisch zu reden, hat nichts mit besonderen Talenten oder Begabungen zu tun. Heiligkeit ist die Berufung und das Ziel aller Gläubigen. Heiligkeit ist vollendeter Glaube, der zu fester Hoffnung und brennender Liebe geworden ist. Heiligkeit ist gelebter Glaube in der Gegenwart Gottes. Um diesen Glauben betet Kardinal Newman einmal mit den Worten:“O mein Gott, du bist überreich an Erbarmen. Aus dem Glauben zu leben ist wegen meines gegenwärtigen Seinszustandes und wegen meiner Sünden für mich notwendig. Aber du hast Segen darüber ausgesprochen. Du hast selbst gesagt, ich sei hier seliger, wenn ich an dich glaube, als wenn ich dich schaue. Gib mir Anteil an dieser Seligkeit, gib sie mir in ihrer Fülle! Schenke mir die Gnade, so zu glauben, als ob ich dich schaute! Gib, daß ich dich immer vor Augen habe, wie wenn du körperlich und wahrnehmbar gegenwärtig wärest! Erhalte mich immer in Gemeinschaft mit dir, meinem verborgenen, aber lebendigen Gott! Du bist in der Tiefe meines Herzens. Du bist das Leben meines Lebens. Jeder Hauch meines Mundes, jeder Gedanke meines Geistes, jede gute Regung meines Herzens ist ein Ausdruck der Gegenwart meines unsichtbaren Gottes in meiner Seele. Durch Natur und Gnade bist du in mir. Ich sehe dich in der Welt der Sinne nur dunkel, aber ich vernehme deine Stimme im eigenen innersten Bewußtsein. Ich wende mich zu dir und rufe: Mein Meister! O bleibe immer bei mir; und wenn ich versucht werde, dich zu verlassen, dann verlasse du mich nicht, o mein Gott!“[4]


[1] Pfarr- und Volkspredigten (= DP I – VIII), Predigten zu verschiedenen Anlässen (= DP X), Schwabenverlag, Stuttgart 1948-1961.

[2] G = Zur Philosophie und Theologie des Glaubens, Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1964.
[3] P = Polemische Schriften, Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1959.
[4] Gott – das Licht des Lebens. Gebete und Meditationen, Herausgegeben von Günter Biemer und James Derek Holmes, Matthias-Grünewald Verlag, Main 1987, 129.