von P. Paul Bernhard Wodrazka C.O.
ROM, 22. Dezember 2009 (ZENIT.org).Der große englische Oratorianer John Henry Kardinal Newman, der im kommenden Herbst seliggesprochen wird, hat der Nachwelt eine große Sammlung an Predigten hinterlassen. Allein aus seiner anglikanischen Zeit liegen über 600 Predigten vor, die zum überwiegenden Teil bis heute nicht leicht zugänglich sind, da sie nach wie vor wohlgeordnet an verschiedenen Stellen in Newmans Arbeitszimmer im Oratorium von Birmingham, das bekanntlich noch ganz in seinem ursprünglichen Zustand belassen ist, aufbewahrt sind.
Ein so wacher Geist wie Newman gab die Predigttätigkeit zu keiner Zeit seines Lebens auf. Sonntag für Sonntag bis in sein hohes Alter, noch in seinem 83. Lebensjahr, stand er auf der Kanzel. Nur ein kleiner Teil aller Predigten wurde veröffentlicht und von 1948 bis 1965 in insgesamt zwölf Bänden von den Benediktinern von Weingarten in deutscher Sprache vorgelegt. Zum bevorstehenden Fest der Geburt unseres Herrn Jesus Christus sollen kurze Auszüge aus den Predigten Newmans zu den drei Heiligen Messen an Weihnachten bedacht werden, um mit ihm in das große Geheimnis der Menschwerdung Gottes tiefer eintauchen zu können. Kommt, gehen wir mit Kardinal Newman nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das der Herr den Hirten verkünden ließ (cf. Lk 2,15b).
Nach alter römischer Tradition, die sich bis ins 6. Jahrhundert nachweisen lässt, kann bis heute jeder Priester an Weihnachten drei Messen (in der Nacht, am Morgen und am Tag) feiern. In den Ländern deutscher Zunge sprechen wir von der Christmette oder dem Engelamt (Missa in nocte), dem Hirtenamt (Missa in aurora) und dem Hochamt (Missa in die). Im gallisch-fränkischen Raum des 8. Jahrhunderts verbreitete sich rasch der Brauch der drei Messen; dabei handelte es sich um drei Feiern in derselben Kirche zu verschiedenen Zeitpunkten. Abt Petrus Venerabilis von Cluny bezeugt erstmals 1156, dass jeder Priester an Weihnachten drei Messen zelebriert (Statuta, 72f.). Die großen Mystiker des Mittelalters sehen darin einen besonderen Hinweis auf die „dreifache Geburt“ unseres Herrn: „Die erste und oberste Geburt ist die, dass der himmlische Vater seinen eingeborenen Sohn in göttlicher Wesenheit, doch in Unterscheidung der Person gebiert. Die zweite Geburt, deren man heute gedenkt, ist die mütterliche Fruchtbarkeit, die jungfräulicher Keuschheit in wahrhafter Lauterkeit zuteil wird. Die dritte Geburt besteht darin, dass Gott alle Tage und zu jeglicher Stunde in wahrer und geistiger Weise durch Gnade und aus Liebe in einer guten Seele geboren wird. Diese drei Geburten begeht man heute mit den drei heiligen Messen.“ (Johannes Tauler, Predigten [hrsg. v. G. Hofmann], Freiburg 1961, 13). Die Praxis der Zelebration der drei Messen wurde auch von den Römischen Messbüchern 1570 und 1970 übernommen. Im Folgenden soll nach einer kurzen Einleitung zur geschichtlichen Entwicklung jeder der drei Messen, Newman selbst uns das große Festgeheimnis von Weihnachten erschließen. Es handelt sich dabei um Auszüge aus drei Predigten die der anglikanische John Henry Newman am 25. Dezember in den Jahren 1825 (Predigt: Religiöse Freude), 1834 (Predigt: Die Menschwerdung) und 1837 (Predigt: Christus vor der Welt verborgen) gehalten hat.
I. In der Heiligen Nacht: die Christmette – das Engelamt (Missa in nocte)
Im 5. Jahrhundert kam in Rom (zur Missa in die) die Mitternachtsmesse in der Basilika Santa Maria Maggiore hinzu. Diese Kirche ist nach der Entscheidung des Konzils von Ephesus (431), das die Gottesmutterschaft Mariens feierlich verkündete, unter Papst Sixtus III. (432-440) an Stelle der alten Liborius-Basilika auf dem Esquilin als Marienkirche neu errichtet worden. In ihr erbaute man wenig später eine unterirdische Kapelle als Nachbildung der Geburtsgrotte von Betlehem. Der Papst zelebrierte in dieser Kapelle nach der Nokturn die Missa in nocte, nahm noch an den anschließenden Laudes teil und begab sich dann zur Ruhe. Vermutlich wurde diese nächtliche Messfeier angeregt und begünstigt durch einen Brauch der Jerusalemer Gemeinde, in der von Konstantin über der Geburtsgrotte in Betlehem erbauten Kirche eine Messe zu feiern und dann in Prozession nach Jerusalem zurückzukehren, wo man am Morgen eine weitere Messe las. Die Christmette (auch Engelamt genannt) ist charakterisiert durch die Evangelienperikope von der Geburt Christi in Betlehem (Lk 2,1-14). Diese schließt mit dem Gesang der Engel, der das Gloria der Messe einleitet und diesem den Namen gegeben hat.
Der Prediger Newman versucht dem Geschehen von Weihnachten ein wenig auf die Spur zu kommen: „Welches waren nun die tatsächlichen Umstände Seines Kommens? Seine Mutter ist eine arme Frau; sie kommt nach Betlehem, um sich aufschreiben zu lassen, befindet sich auf der Reise, wo sie doch am liebsten zu Hause geblieben wäre. Sie findet keinen Platz in der Herberge; sie ist genötigt, ihre Zuflucht zu einem Stall zu nehmen; sie gebiert ihren Erstgeborenen und legt Ihn in eine Krippe. Dieses kleine Kind, so geboren, so dort liegend, ist niemand anders als der Schöpfer des Himmels und der Erde, der ewige Sohn Gottes.“ (Newman, DP IV, 270f.)
„‘Fürchtet euch nicht‘, sagte der Engel, ‘denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.‘ Und dann, nach der Beendigung seiner Botschaft‚ ‚war sogleich bei dem Engel eine Menge himmlischer Heerscharen, welche Gott lobten und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Frieden den Menschen Seiner Huld‘ [Lk 2,13.14]. Das waren die Worte, die die seligen Geister, die Diener Christi und Seiner Heiligen, in jener gnadenvollen Nacht zu den Hirten sprachen, um sie aus einer Stimmung, die Kälte und Hunger in ihnen erzeugt hatte, in große Freude zu versetzen, um sie zu belehren, dass auch sie neben den Großen der Erde Gegenstand der göttlichen Liebe seien; ja in noch höherem Maße, denn ihnen hat Er zuerst die Botschaft von dem Geschehnis in jener Nacht zukommen lassen. Gottes Sohn kam damals auf die Welt. Solche Ereignisse tun wir Freunden und Vertrauten kund, jenen, die wir lieben, jenen, die mit uns fühlen, jedoch nicht Fremden. Wie hätte Gott noch gnädiger sein und noch eindrucksvoller den Niedrigen und Einsamen Seine Huld zeigen können als dadurch, dass Er Sich beeilte (um mich dieses Ausdrucks zu bedienen), das große, das freudvolle Geheimnis den Hirten anzuvertrauen, die des Nachts bei ihren Schafen Wache hielten?“ (Newman, DP VIII, 252f.)
II. Am Morgen: das Hirtenamt (Missa in aurora)
Die jüngste der drei Hl. Messen an Weihnachten ist die Missa in aurora. Sie kam um die Mitte des 6. Jahrhunderts in der Kirche der hl. Anastasia in der Nähe des Palatin hinzu. Die Verehrung der hl. Märtyrin Anastasia von Sirmia ist in Rom seit dem 5. Jahrhundert bekannt und wurde schon damals in Beziehung zur Geburt Christi gebracht (cf. Arnobius d. J., Ad Gregorium, 5). Weil das Gedächtnis dieser Heiligen im Osten am 25. Dezember festlich begangen wurde, zelebrierte der Papst persönlich – wohl aus Reverenz gegenüber dem byzantinischen Stadthalter – diese Messe, ohne dass aber die Heilige in den Propriumstexten besonders erwähnt worden wäre. Das Hirtenamt hat seinen Namen vom Evangelium (Lk 2,15-20), in dem die Begegnung der Hirten mit dem göttlichen Kind in der Krippe ebenso schlicht wie eindrucksvoll verkündet wird.
Begleiten wir mit John Henry Newman die einfachen Hirten, die nach Betlehem eilen, um das große Wunde zu schauen: „Die Hirten sprachen zueinander: ‚Lasset uns nach Betlehem gehen und die Dinge schauen, die dort geschehen sind, wie der Herr uns kundgetan hat‘ [Lk 2,15]. Lasset auch uns mit ihnen gehen und jenes zweite und größere Wunder schauen, zu dem der Engel ihnen den Weg wies, die Geburt Christi. Der heilige Lukas sagt von der allerseligsten Jungfrau: ‚Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte Ihn in Windeln und legte Ihn in eine Krippe‘ [Lk 2,7]. Welch wunderbares Zeichen ist dies für die ganze Welt – daher wiederholte der Engel vor den Hirten: ‚Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.‘ Der Gott des Himmels und der Erde, das göttliche Wort, der seit Anbeginn in der Herrlichkeit mit dem ewigen Vater gewesen ist. Er kam jetzt als ein kleines Kind auf diese Welt der Sünde. Er lag jetzt in den Armen seiner Mutter, allem Aussehen nach hilflos und kraftlos, wurde von Maria in Windeln gewickelt und zum Schlafen in eine Krippe gelegt. Der Sohn des allerhöchsten Gottes, der die Welten schuf, wurde Fleisch, obwohl Er blieb, was Er zuvor war. Er wurde so wahrhaftig Fleisch, als hätte Er aufgehört zu sein, was Er war, und als wäre Er wirklich in Fleisch verwandelt worden. Er ließ Sich herbei, der Spross Marias zu sein, von einem sterblichen Wesen in die Hände genommen zu werden, einer Mutter Augen auf Sich gerichtet zu sehen und an der Brust einer Mutter genährt zu werden. Eine Evastochter wurde die Mutter Gottes – für sie ein unaussprechliches Geschenk der Gnade; doch welche Herablassung erst für Ihn! Welche Entäußerung Seiner Herrlichkeit, ein Mensch zu werden! Und nicht nur ein hilfloses Kind, obwohl das schon Verdemütigung genug wäre, sondern ein Erbe aller Schwachheiten und Unvollkommenheiten unserer Natur, die für eine sündelose Seele möglich waren. Welches waren wohl Seine Gedanken, wenn wir es wagen dürfen, solche Worte zu gebrauchen, oder eine solche Überlegung über den Unendlichen uns zu gestatten, als zum ersten Mal menschliche Gefühle, menschliche Schmerzen und menschliche Nöte die Seinigen waren? Welch ein Geheimnis liegt da vom Anfang bis zum Ende in dem menschgewordenen Gottessohn beschlossen. Der Größe des Geheimnisses aber entspricht die Größe Seiner Gnade und Barmherzigkeit; und wie die Gnade, so ist die Größe ihrer Frucht.“ (Newman, DP VIII, 253f.)
III. Am Tag: das Hochamt (Missa in die)
Diese Messe ist die älteste und ursprünglich einzige Messe des Papstes. Die Statio in St. Peter ist schon durch Ambrosius (cf. De virginibus 3,1) bezeugt. Das Hochamt verkündet im Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1-18) das Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott … Und das Wort ist Fleisch geworden …“
Lassen wir uns von Newman erschließen, warum auch das Weihnachtsfest als ein Fest unserer Erlösung begangen wird. Dabei stehen nicht Christi Passion und Auferstehung im Vordergrund, sondern die Menschwerdung Gottes und der „wunderbare Tausch“: „Das Wort war im Anfang: der eingeborene Sohn Gottes. Ehe alle Welten geschaffen waren, als es noch keine Zeit gab, war Er da im Schoß des Ewigen Vaters, Gott von Gott, Licht vom Licht, im höchsten Maße glückselig, da Er ihn erkannte und von ihm erkannt wurde und alle göttlichen Vollkommenheiten von Ihm empfing, und doch immer eins mit Seinem Vater war. So heißt es zu Beginn des Evangeliums: ‘Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott‘. Wenn wir eine Mutmaßung wagen dürfen, so wird Er Wort Gottes genannt, da Er Vermittler ist zwischen dem Vater und allen Geschöpfen, sie ins Dasein ruft, ihnen Gestalt verleiht, der Welt ihre Gesetze gibt, den Geschöpfen einer höheren Ordnung Vernunft und Gewissen zuteilt und ihnen zur rechten Zeit die Erkenntnis des göttlichen Willens offenbart. Für uns Christen ist Er besonders das Wort in diesem großen heute gefeierten Geheimnis, in dem Er Fleisch wurde und uns aus dem Sündenzustand erlöste.
Er hätte zwar nach dem Fall des Menschen in der Herrlichkeit bleiben können, die Er beim Vater besaß, bevor die Welt war. Jene unerforschliche Liebe aber, die sich bei unserer ursprünglichen Erschaffung offenbarte, gab sich nicht zufrieden mit einem vereitelten Werk, sondern führte ihn wieder aus dem Schoße des Vaters hinab, um Dessen Willen zu tun und das durch die Sünde verursachte Übel wieder gutzumachen. Und in wunderbarer Herablassung stieg Er hernieder, nicht wie zuvor in Macht, sondern in Schwachheit, in Knechtsgestalt, jener gefallenen Schöpfung ähnlich, die Er wiederherzustellen gedachte. So erniedrigte Er sich Selbst. Er erduldete alle Schwächen unserer Natur in Gestalt des sündigen Fleisches. Er war alles, nur kein Sünder – rein von jeder Sünde, unterworfen jedoch jeglicher Versuchung. Und am Ende wurde Er gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuze.“ (Newman, DP II, 40f.)
Als Newman später nach seiner Konversion predigte, hielt er immer eine kleine heilige Schrift in den Händen und las die Texte, die er zitierte, stets, nachdem er sie gefunden hatte, statt sie frei zu zitieren. Er wollte sie nämlich nach der katholischen Lesart zitieren, die ihm nie so geläufig war wie die protestantische (cf. Sermon Notes of John Henry Cardinal Newman, 1849-1878, London 1913, VII und Anm. 1). Es verwundert nicht, dass die Quellen seiner Predigt vor allem die heiligen Bücher des Alten und Neuen Testaments sind. Seine Predigten sind getränkt mit dem Wort Gottes, das sein erstes und entscheidendes Beweismittel darstellt. Obwohl bei ihm die thematische Predigt gegenüber der Homilie den Vorrang genießt, sind auch seine dogmatischen Predigten biblisch geprägt. Fast immer ist ein Schriftwort der Ausgangspunkt seiner Darlegungen. Immer aber spürt man, wie seinen Predigten eine lange Betrachtung über das Wort Gottes vorausging. Es geht Newman vor allem darum, dass der Zuhörer die Wahrheit erfasst, dass er sie nicht nur erkennt und einsieht, nicht nur von ihr weiß, sondern, dass ihm die Wahrheit so aufgeht, dass sie sein eigenes Leben ändert. Die Zeitgenossen Newmans, die unter seiner Kanzel saßen, bezeugen, dass sie sich von Newmans Predigten deshalb so getroffen fühlten, weil sie sich selbst in dem, was er sagte, entdeckten. Sie fanden von ihm ausgesprochen, was sie selber dachten und fühlten.
Am Christtag des Jahres 1847 durfte John Henry Newman in London seine erste Heilige Messe auf englischem Boden lesen. Er tat dies in London; und noch heute hallen seine Worte, die er als anglikanischer Geistlicher einmal an einem Christtag von der Kanzel den Menschen zurief, nach: „Nehmt diese Gedanken, meine Brüder, am heutigen Festtag mit nach Hause. Sie sollen euch begleiten in eure Familie und in eure Gesellschaft. Es ist ein Tag der Freude; es ist gut, sich zu freuen – es ist falsch, es anders zu halten. Einen Tag lang dürfen wir die Last unseres befleckten Gewissens abwerfen und uns an den Vollkommenheiten unseres Heilandes Christus erfreuen, ohne an uns zu denken, ohne an unsere eigene beklagenswerte Unreinheit zu denken; nein lasst uns an Seine Herrlichkeit denken, an Seine Gerechtigkeit, Seine Reinheit, Seine Majestät und Seine überströmende Liebe.“ (Newman, DP VIII, 256).
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