14. Predigt vom 27. März 1831
„Er aber redete heftiger: Auch wenn ich mit Dir sterben müßte, will ich Dich doch auf keine Weise verleugnen“ (Mk 14,32).
Obwohl ich diesen Vorsprung gewählt habe, ist es nicht meine Absicht, heute die Verleugnung des heiligen Petrus zum unmittelbaren Gegenstand unserer Betrachtung zu machen, sondern ich will euch eine gewichtige Wahrheit nahelegen, welche jene Verleugnung zusammen mit anderen gleichzeitigen Ereignissen uns besonders aufdrängt, nämlich, daß heftige Erregtheit nicht dasselbe ist wie eine feste Entschlossenheit, – daß in Menschen religiöse Gefühle wachgerufen sein können, ohne daß sie deshalb mit größerer Wahrscheinlichkeit, eher mit weniger, Gott in der Tat gehorchen. Diese gewichtige Wahrheit wird unserer Seele verschiedentlich in der Zeit vorgestellt, die dem Gedächtnis des Verrates und Todes Christi geweiht ist. Der in den Evangelien dargestellte Gegensatz zwischen Seiner Haltung kurz vor Seiner Kreuzigung einerseits und dem Benehmen Seiner Jünger wie auch des jüdischen Volkes andererseits, bietet eine Fülle von Lehren, wenn wir sie annehmen wollen. Er heftet Seinen Blick unverwandt darauf, jene Leiden, welche die Sühne für unsere Sünden waren, zu erdulden, jedoch ohne die geringste gefühlsmäßige Aufregung oder Erschütterung. Seine Jünger dagegen und die jüdische Volksmenge versicherten Ihn zuerst ihrer Ergebenheit in heftigen Worten, dann aber ließen Ihn die einen im Stich, die anderen schrien sogar nach Seiner Kreuzigung. Im Triumph zog Er in Jerusalem ein. Die Volksmenge schnitt Zweige von den Palmen ab und streute sie auf den Weg wie zur Ehrung eines Königs und Eroberers. Er hatte erst kürzlich Lazarus von den Toten erweckt, und dieses große Wunder hatte Ihm vorübergehend hohe Gunst bei der Menge eingetragen. Ganze Scharen strömten nach Bethanien, um Ihn und Lazarus zu sehen. Als Er sich nach Jerusalem aufmachte, wo Er leiden sollte, gingen sie Ihm mit Palmzweigen entgegen, begrüßten Ihn als ihren Messias und führten Ihn in die heilige Stadt, ohne zu denken, daß sie bald schreien würden: „Kreuzige Ihn“. Das war ein Beispiel für eine Volkserregung. Das zweite Beispiel für ein derartiges Gefühl finden wir in jenem bedauernswerten Selbstvertrauen des heiligen Petrus, das in unserem Vorspruch enthalten ist. Als unser Erlöser die Versuchung und Verleugnung des heiligen Petrus voraussagte, „sprach dieser heftiger: auch wenn ich mit Dir sterben müßte, will ich Dich doch auf keine Weise verleugnen“. Doch nach einer kleinen Weile verließen sowohl das Volk wie auch die Apostel ihren Messias; die Glut ihrer Hingabe war erloschen. Nun kann es vielleicht scheinen, als ob der Umstand, den ich im Auge habe, wie bemerkenswert auch immer, doch von zu geringem Nutzen sei, um dabei zu verweilen, wenn ich mich an eine gemischte Zuhörerschaft wende, aus dem Grunde nämlich, weil die meisten Menschen für Religion zu wenig Empfinden haben. Man kann daher den Einwurf machen, daß das Ziel christlicher Unterweisung eher sein sollte, diese Menschen aus der Stumpfheit aufzurütteln, als sie vor dem Übermaß religiöser Gefühle zu warnen. Ich antworte darauf, daß die Verwechslung von einer rein vorübergehenden Erregung oder von bloßen guten Gedanken mit Gehorsam eine viel häufigere Täuschung ist, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Wie manchen gibt es, der sich mit dem Gedanken tröstet, wenn sein Gewissen ihn wegen Pflichtvergessenheit anklagt, daß er nie mit offenem Spott die Sache der Religion behandelt habe -, daß er von Zeit zu Zeit ernste Gedanken habe -, daß er bei manchen feierlichen Anlässen gerührt und in heilige Scheu versetzt sei, manchmal zu ernstem Gebet zu Gott bewogen werde -, daß er gelegentlich mit einem Freund eine ernste Unterhaltung gehabt habe! Das ist, darf ich sagen, ein häufiger Fall unter solchen, die als Christen gelten. Es gibt noch einen weiteren Grund, auf dieser Frage zu bestehen. Keiner kann (das ist klar) religiös sein, ohne mit ganzem Herzen bei seiner Religion zu sein. Seine Neigungen müssen wirklich an ihr beteiligt sein, und es ist das Ziel jeglicher christlichen Unterweisung, diese Haltung zu fördern. Ist dem aber so, dann besteht zweifellos die große Gefahr, daß man einen verkehrten Gebrauch von diesen Neigungen machen kann. Je schwieriger eine religiöse Pflicht ist, um so mehr ist sie dem Mißbrauch ausgesetzt, Gerade aus dem Grund, daß ich wünsche, ihr möchtet mit der Religion Ernst machen, muß ich euch auch warnen vor einem unechten Ernst, der oft die Menschen von dem ebenen Pfad des Gehorsams wegführt und dem die meisten Menschen nur allzu leicht verfallen, wenn sie zum erstenmal zu einer ernsten Erwägung ihrer Pflicht erwachen. Es genügt nicht, euch zu gebieten, Christus in Glauben, Furcht, Liebe und Dankbarkeit zu dienen. Man muß dafür Sorge tragen, daß es der Glaube, die Furcht, die Liebe und Dankbarkeit eines gesunden Geistes ist. Jener stürmische Übereifer, den der heilige Petrus vor seiner Versuchung fühlte, verließ ihn während derselben. Jenes gaffende Staunen der Volksmenge beim Wunder unseres Heilandes schlug plötzlich in Lästerung um. Dies kommt jetzt wie damals vor; und es geschieht oft in einer Weise, die dem christlichen Lehrer Betrübnis verursacht. Er findet es weit leichter, Menschen für die Sache der Religion zu interessieren (obwohl dies schwer sein mag), als den Geist zu leiten, den er angeregt hat. Seine Zuhörer beginnen, wenn ihre Aufmerksamkeit gewonnen ist, alsbald zu denken, daß er nicht weit genug geht. Dann suchen sie selbst, um ihre bloßen Gefühle zu ermutigen und zu genießen auf Kosten der demütigen praktischen Bemühungen, Gott zu dienen, nach Mitteln, die er nicht an die Hand geben will. Nach einiger Zeit wenden sie sich wie die Menge der Welt zu, schwören Christus völlig ab, oder verleugnen Ihn wie Petrus oder sinken allmählich in einen bloßen Schein des Gehorsams, während sie sich immer noch für wahre Christen halten und sich in der Gunst des Allmächtigen Gottes sicher wähnen. Aus diesen Gründen halte ich es für ebenso bedeutsam, sowohl Menschen vor stürmischen religiösen Gefühlen zu warnen als sie zu drängen, ihr Herz der Religion hinzugeben. Im folgenden will ich ausführlicher erklären, welches der Zusammenhang zwischen starken Gefühlen und einem klaren christlichen Grundsatz ist, und wie weit sie zusammengehen.
Jener vollkommene seelische Zustand nun, den wir erstreben müssen und den der Heilige Geist mitteilt, ist eine überlegte Bevorzugung des Dienstes Gottes vor allem anderen, ein bestimmter Entschluß, alles für Ihn hinzugeben, und eine Liebe zu Ihm, nicht stürmisch und leidenschaftlich, sondern eine solche Liebe, wie sie ein Kind zu seinen Eltern hegt, ruhig, uneingeschränkt, ehrfürchtig, innig und gehorsam. Hier kann man indessen entgegenhalten, daß dies nicht immer möglich ist, daß wir bisweilen eine Erregung fühlen müssen; daß sogar, um das Beispiel von Eltern und Kindern beizubehalten, einer zu bestimmten Zeiten aus dieser ruhigen Zuneigung herausgeworfen wird, die er zu Vater und Mutter hegt, und von verschiedenartigen Gefühlen bewegt wird: ferner, daß z. B. Eifer zwar eine christliche Tugend, dennoch fast untrennbar von Glut und Leidenschaft ist. Darauf lautet meine Antwort, daß ich nicht jene geistige Verfassung, die irgend einer von uns erreicht hat, beschreibe, wenn ich sage, sie sei völlig ruhig und besinnlich, sondern jene, welche der vollkommene Zustand und unser Ziel ist. Ich weiß, es ist oft aus verschiedenen Gründen unmöglich, Erregung und Gemütsbewegung zu vermeiden; aber die vor uns liegende Frage lautet, ob wir von heftiger Erregung sehr viel halten und ihr Auftrieb geben sollen. Zweifellos ist es keine Sünde, manchmal leidenschaftlich zu fühlen in Dingen der Religion. Bei manchen Menschen ist das natürlich und bei anderen ist es unter bestimmten Umständen lobenswert. Das sind aber Zufälligkeiten. Im allgemeinen gilt, je religiöser ein Mensch wird, um so ruhiger wird er; und zu allen Zeiten ist das religiöse Prinzip, in sich selbst gesehen, ruhig, nüchtern und überlegt. Wir wollen einige der Zufälligkeiten prüfen, von denen ich spreche.
1. Die natürlichen Gemütsarten der Menschen sind sehr verschieden. Manche Menschen haben eine glühende Einbildungskraft und starke Gefühle. Sie machen sich selbstverständlich eine heftige Art der Ausdrucksweise zu eigen. Sicher ist es unmöglich, alle Menschen zu gleichem Denken und Fühlen zu bringen. Solche Menschen können natürlich tiefgegründete Prinzipien haben. Meine ganze Behauptung darüber ist, daß ihre Glut nicht aus sich ihren Glauben tiefer und echter macht, daß sie sich aus diesem Grund nicht für besser halten dürfen als andere, daß sie sich hüten müssen, diese Tatsache als einen Beweis ihres wirklichen Ernstes zu betrachten, anstatt in ihrem Lebenswandel genau nach den erforderlichen Früchten des Glaubens zu suchen.
2. Außerdem gibt es besondere Gelegenheiten, in denen erregtes Gefühl natürlich ist und sogar empfehlenswert; aber nicht um seiner selbst willen, sondern auf Grund besonderer Umstände, unter denen es vorkommt. Es ist z. B. natürlich, daß einer besondere Reue über seine Sünden fühlt, wenn er sich erstmals der Religion zuwendet. Er müßte ja bittere Betrübnis und schmerzliche Reue fühlen. Aber jede Erregung dieser Art ist offensichtlich nicht der höchste Zustand einer christlichen Seele; sie ist nur der erste Anstoß der Gnade in ihr. In der Tat, ein Sünder kann nichts Besseres tun; aber in dem Maße, wie er mehr von der Macht der wahren Religion kennenlernt, wird eine solche Erregung abflauen. Was heißt das anderes, als daß Gesinnungsänderung nur das Anfangsstadium eines Christen ist? Wer zweifelt, daß Sünder zur Reue und zur Hinwendung zu Gott verpflichtet sind? Die Engel hingegen haben keine Reue, und wer leugnet, daß die Friedlichkeit ihres Geistes von höherem innerem Wert ist als die unsrige? Als die Frau, die eine Sünderin gewesen war, hinter unseren Herrn hintrat, weinte sie sehr und wusch Seine Füße mit ihren Tränen. Sie hat gut daran getan. Sie tat, was sie tun konnte, und sie wurde beehrt mit dem Lobe unseres Heilandes. Es ist jedoch klar, daß dies kein Dauerzustand der Seele war. Es war nur der erste Schritt im Religiösen und er würde ohne Zweifel vergehen. Es war nur die zufällige Begebenheit eines Augenblickes. Hätte ihr Glaube keine tiefere Wurzel als diesen Gefühlsausdruck, würde es bald mit ihm zu Ende gehen wie mit dem Eifer des heiligen Petrus.
Wenn immer wir in eine Sünde fallen (und wie oft ist dies der Fall), werden wir in gleicher Weise, je echter unser Glaube ist, um so mehr betrübt, vielleicht erregt werden. Kein Zweifel; es wäre jedoch ein seltsames Vorgehen, viel Aufhebens von dieser Unruhe zu machen. Obwohl es ein schlechtes Zeichen ist, wenn wir sie nicht fühlen (entsprechend unserer geistigen Anlage), doch was dann, wenn wir sie fühlen? Sie beweist keine hohe christliche Vortrefflichkeit. Ich wiederhole, es ist nur die Tugend eines sehr unvollkommenen Zustandes. Schlecht ist die beste Opfergabe, die wir Gott nach der Sünde anbieten können. Je gleichförmiger andererseits die Haltung unseres Gehorsams ist, um so weniger werden wir solchen Gefühlen unterworfen sein.
Und weiter, die Mißgeschicke des täglichen Lebens erregen uns gelegentlich: – Niedergeschlagenheit und Schmerz; schlechte Nachrichten; obwohl auch hier der Psalmist die höhere geistige Größe beschreibt, nämlich das ruhige Vertrauen des Gläubigen, der „sich nicht fürchten wird vor bösen Gerüchten, denn sein Herz ist gefaßt und hofft auf den Herrn“ (Ps 112, 7). Zeiten der Verfolgung beunruhigen das Herz. Umstände von besonderem Interesse für das Geschick der Kirche verursachen Besorgnis und Furcht. Wir sehen den Einfluß mancher dieser Ursachen in verschiedenen Teilen der Paulusbriefe. Eine derartige Gemütsstimmung gehört indessen nicht zum Wesen echten Glaubens, obwohl sie ihn gelegentlich begleitet. In Zeiten der Not sprechen religiöse Menschen offener über die Sache der Religion und enthüllen ihre Gefühle, die sie zu anderen Zeiten verbergen. In beiden Fällen sind diese Menschen weder besser noch schlechter.
Alle diese Tatsachen können von der Schrift her beleuchtet werden. Wir finden die nämlichen Gebete und die nämlichen Entschlüsse von guten Menschen bisweilen in ruhiger Art, bisweilen mit mehr innerer Glut vorgebracht und ausgedrückt. Wie ruhig und schlicht bringt Agur sein Gebet Gott dar! „Um zwei Dinge habe ich Dich gebeten; versage sie mir nicht, bevor ich sterbe. Eitelkeit und Lügenreden laß fern von mir sein. Gib mir weder Armut noch Reichtum; gib mir nur, was ich brauche, mich zu nähren“ (Spr 30, 7. 8). Der heilige Paulus hingegen spricht mit größerer Glut, weil er sich in elenderen Verhältnissen befand, aber daher nicht mit weniger Wohlgefälligkeit in Gottes Augen, „ich habe gelernt, mich mit dem, was ich habe, zu begnügen. Ich weiß mich in die Demütigung, ich weiß auch in Überfluß mich zu schicken“ (Phil 4, 11. 12); in dieser Weise fährt er fort. Josue dagegen sagt einfach und entschlossen, „ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen“ (Jos 24,15). Der heilige Paulus sagt ebenso entschlossen, aber mit mehr Bewegtheit, als seine Freunde ihn bestürmen, nicht nach Jerusalem zu gehen: „Was tut ihr, daß ihr weinet und mein Herz betrübet? Ich bin bereit, nicht nur mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus“ (Apg 21, 13). Beachtet, wie ruhig Job ist in seiner Gottergebenheit: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gebenedeit“ (Jb 1, 21). Wie ruhig drückt jener gleiche Apostel, der während des Kampfes gelegentlich erregt war, andererseits seine Heilssicherheit am Ende seines Lebens aus: „Ich bin nun bereit, geopfert zu werden… ich habe den Glauben bewahrt. Hinfort ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt“ (2 Tim 4, 6-8).
Diese Ausführungen dürften genügen, um die Beziehung zu zeigen, welche erregte Gefühle zu wahren religiösen Grundsätzen haben. Sie sind manchmal natürlich, manchmal schicklich, aber sie sind nicht die Religion selbst. Sie kommen und gehen. Man darf sich nicht auf sie verlassen noch sie ermutigen, denn sie können wie beim heiligen Petrus echten Glauben entwurzeln und zur Selbsttäuschung führen. Sie werden Schritt um Schritt ihren Platz in uns verlieren, in dem Maße, wie unser Gehorsam gestärkt wird; – teils weil solche Menschen, deren Sinn fest in Gott steht, in vollkommenem Frieden bewahrt bleiben und vor allen heftigen Gefühlen geschützt sind, – teils, weil diese Gefühle selbst durch die Macht des Glaubens in Gewohnheiten verankert sind, und anstatt zu kommen und zu gehen und die Seele ob ihres unerwarteten Eintreffens aufzupeitschen, nur so weit dauernd beibehalten werden, als irgend Gutes in ihnen ist. Damit geben sie dem christlichen Charakter eine tiefere Färbung und einen machtvolleren Ausdruck.
Nun werdet ihr gefunden haben, daß ich in diesen Ausführungen als gewiß, als keines Beweises bedürftig, vorausgesetzt habe, daß der vollkommenste christliche Geist von jedem heftigen und stürmischen Gefühl frei ist. Wenn wir aber dafür irgend einen Beweis wollen, laßt uns zu unserem großen Vorbild Jesus Christus hintreten und prüfen, was das Merkmal jener vollkommenen Heiligkeit war, welche Er als einziger unter allen Menschen je entfaltete.
Können wir irgendwo solche Ruhe und Einfachheit finden, wie sie Seine Frömmigkeit und Seinen Gehorsam kennzeichneten? Wann spricht Er je mit Erregtheit und Heftigkeit? Oder wenn er das eine oder andere Wort in Seinem geheimnisvollen Todeskampf und Tod gesprochen hat, das durch eine Heftigkeit auffällt, die wir nicht verstehen und welche Sünder schweigend anbeten müssen; wie sichtbar und unleugbar ist hingegen eine Gelassenheit im Gesamtcharakter Seiner Worte und Seines Verhaltens! Beachtet das Gebet, das Er uns schenkte; dies ist um so angebrachter aus dem hauptsächlichen Grund, weil Er es uns als ein Beispiel für unsere Gottesverehrung gegeben hat. Wie einfach und ungeziert ist es! Wie wenige Worte enthält es! Wie ernsthaft und feierlich die Bitten! Wie ganz ohne Lärm und hitzige Erregung! Sicher sagt uns unser Empfinden, daß es nicht anders sein konnte. Es anders anzunehmen, wäre eine Ehrfurchtslosigkeit gegen Ihn. – Wiederum, als es von Ihm heißt, Er hat „im Geist frohlockt“, ist Sein Dankgebet durch dieselbe ungestörte Ruhe gekennzeichnet. „Ich danke Dir, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß Du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast. Ja, Vater, denn also ist es wohlgefällig gewesen vor Dir“ (Lk 10, 21). – Denket ferner an Sein Gebet im Garten. Er war damals in einer seelischen Betrübnis, die unser Begreifen übersteigt. Es war da irgend etwas, wir wissen nicht was, das schwer auf Ihm lastete. Er betete, Er möchte von der äußersten Bitterkeit Seiner Prüfung verschont bleiben. Doch wie ergeben und gedrängt ist Seine Bitte! „Abba, Vater, alles ist Dir möglich: Nimm diesen Kelch von Mir. Doch nicht wie Ich will, sondern wie Du willst“ (Mk 14, 36). Das ist nur ein Beispiel, jedoch eines der bedeutsamsten Beispiele jener tiefen Seelenruhe, die im Verlaufe der erhabenen Geschichte der genugtuenden Versöhnung erkennbar ist. Leset das dreizehnte Kapitel im Johannesevangelium, in dem beschrieben wird, wie Jesus Seinen Jüngern, dem heiligen Petrus im besonderen, die Füße wusch. Beherzigt die eindringlichen Worte, die Er mehrere Male an Judas, Seinen Verräter, richtete, ebenso Sein Verhalten, als Er, von Seinen Feinden ergriffen, vor Pilatus gebracht wurde und schließlich am Kreuze litt. Wann gibt Er uns ein Beispiel leidenschaftlicher Frömmigkeit, stürmischer Wünsche oder unbeherrschter Worte? Das ist die Lehre, die das Verhalten unseres Heilandes uns gibt. Nun will ich euch in Erinnerung bringen, wie unsere Kirche uns genau das gleiche lehrt. Christus schenkte uns ein Gebet, das uns bei unserem Gebet zum Vater leiten sollte, und genau nach diesem Musterbild ist unsere Liturgie aufgebaut. Ihr werdet im Prayer-Book vergebens nach langen und stürmischen Gebeten suchen; denn nur gelegentlich ist geistige Erregung die richtige Haltung, aber immer werden wir zur Ernsthaftigkeit, zu würdevollem Benehmen, zu Einfachheit, zu überlegtem Vertrauen und zu tiefgründiger Demut aufgerufen. Viele Menschen halten ohne Zweifel aus diesem Grund die Gebete der Kirche für kalt und formell. Sie nehmen ihre hohe Vollkommenheit nicht wahr und sind der Meinung, sie könnten mit Leichtigkeit bessere Gebete schreiben. Wenn solche Meinungen geäußert werden, ist es vollständig hinreichend, unsere Gedanken auf die Vorschrift und das Beispiel unseres Heilandes hinzulenken. Unleugbar müßten jene, die so sprechen, unseres Herrn Gebet als mangelhaft ansehen; und manchmal sind sie unehrerbietig genug, so zu denken und es auch auszusprechen. Ich übergehe das aber. Zugegeben um der Beweisführung willen, Seine Vorschriften wären absichtlich mangelhaft, da sie vor der Herabkunft des Heiligen Geistes gegeben wurden, was wollen jene aber zu Seinem Beispiel sagen? Kann je das hellste Licht des Evangeliums, geoffenbart nach Seiner Auferstehung, uns, Seine Jünger, im entferntesten der Heiligkeit unseres gebenedeiten Herrn ähnlich machen? Wie gelassen war Er doch, Er, der vollkommener Mensch war, in Seinem eigenen Gehorsam!
Kommen wir zum Schluß. – Wir wollen uns durch den Fall des heiligen Petrus warnen lassen. Wir wollen keine großen Versprechungen machen, nicht viel von uns selbst reden, nicht hochmütig sein, noch mit ungestümer, kühner religiöser Sprache uns selbst ermutigen. Wir wollen uns auch von jener wankelmütigen Menge warnen lassen, die zuerst Hosanna schrie und dann Kreuzige Ihn. Ein Wunder begeisterte sie zu der plötzlichen Anbetung ihres Erlösers; – doch Seine Wirkung auf sie schwand bald dahin. Gerade so rufen uns die besonderen Erweise von Gottes Barmherzigkeit für eine Zeit wach. Wir fühlen, wie Christus durch unser Gewissen und unser Herz zu uns spricht. Wir bilden uns dann ein, daß Er uns versichere, wir seien Seine wahren Diener, wenn Er uns nur anruft, Ihn aufzunehmen. Wir wollen nicht zufrieden sein mit den Worten „Herr, Herr“ [Mt 7, 21], ohne „zu tun, was Er sagt“. Der Sohn des Landmannes, der sagte, „Ja, Herr“ [Mt 21, 30], jedoch nicht in den Weinberg ging, gewann nichts durch seine schönen Worte. Eine einzige verborgene Tat der Selbstverleugnung, ein einziger Verzicht auf eine Neigung zugunsten der Pflicht, wiegt alle bloßen guten Gedanken, warmen Gefühle und leidenschaftlichen Gebete auf, an denen müßige Leute ihren Genuß finden. Es wird uns mehr Trost auf dem Sterbebett bereiten, an eine einzige Tat selbstverleugnender Barmherzigkeit, Reinheit und Demut zu denken, als uns an Tränenergüsse, häufige Verzücktheit und großen Geistesjubel zu erinnern. Diese letzteren Gefühle kommen und gehen. Sie begleiten nicht notgedrungen den aufrichtigen Gehorsam und sind niemals Beweise dafür. Gute Taten dagegen sind Früchte des Glaubens und versichern uns, daß wir Christi sind. Sie trösten uns als ein Beweis des in uns wirkenden Geistes. Nach ihnen werden wir am Jüngsten Tag gerichtet werden. Obwohl sie in sich selbst keinen Wert haben wegen jener Vergiftung durch die Sünde, welche allen unseren Taten ihr Merkmal aufdrückt, werden sie doch wohlgefällig angenommen werden, um Dessetwillen, der die Todesangst im Garten ertrug und wie ein Sünder am Kreuze litt.
John Henry Newman, Deutsche Predigten (vol 1, 13), Schwabenverlag Stuttgart 1948, pp. 199-212.