Saul

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St Mary the Virgin
„Unglaube und Trotz sind die erbärmlichen Merk­male in Sauls Geschichte — ein Ohr, das taub ist für die klarsten Befehle, ein Herz, das verhärtet ist gegen den gnadenreichsten Einfluß.“ Sel. J. H. Newman

 3. Predigt, am 16. Mai 1830

 

„Ich, gab dir einen König in Meinem Grimm und nahm ihn weg in Meinem Zorn“ (Os 13, 11).

 

Die Israeliten scheinen aus einer undank­baren Laune und aus Wankelmut einen König gefor­dert zu haben. Das schlechte Verhalten der Söhne Sa­muels war freilich der Anlaß zu dieser Sünde, aber, um Worte der Schrift zu gebrauchen, „ein böses und ungläubiges Herz“ (Hebr 3,12) war die eigentliche Ursache davon. Schon immer waren sie aufrühre­risch und unzufrieden gewesen und sie verlangten Fleisch, wenn sie Manna hatten, sie klagten des Wassers wegen, waren voll Ungeduld über den Aufenthalt in der Wüste, waren entschlossen zur Rückkehr nach Ägypten, fürchteten ihre Feinde und murrten gegen Moses. Sie hatten Wunder bis zum Überdruß; und dann wünschten sie zur Abwechs­lung einen König wie die übrigen Völker. Das war der   Hauptgrund   ihres   sündhaften   Verlangens. Außerdem waren sie geblendet von dem Prunk und Glanz der heidnischen Herrscher ringsum und sehnten sich nach jemand, der ihre Kriege führen sollte, nach einer sichtbaren, zuverlässigen Hilfe an Stelle der unsichtbaren Vorsehung, auf die sie war­ten mußten, die nach eigener Weise und zu ihre Zeit eingriff, Schritt für Schritt, die sich geräuschlos oder langsam, oder (nach ihrer Ansicht) ungelegen mitteilte. Ihre fleischlichen Herzen liebten die Nachbarschaft des Himmels nicht; und wie später die Einwohner von Gerasa, baten sie Gott, Er möge ihre Küste verlassen.

Dies war etwa die Stimmung, unter deren Eindruck sie einen König verlangten wie die übrigen Völker; und Gott erfüllte schließlich ihr Begehren. Zu ihrer Strafe gab Er ihnen einen König nach ihrem eige­nen Herzen, Saul, den Sohn des Kis, einen Benjamiten, von dem der Vorspruch folgendes sagt: „Ich gab ihnen einen König in Meinem Grimm und nahm ihn weg in Meinem Zorn.“

Für die Augen des bloß natürlichen Menschen ist die wahre Religion einförmig, es fehlt ihr an Schim­mer und Glanz; sie ist einfach, streng und stimmt (nach seiner Ansicht) traurig. Sie ist schal wie das himmlische Manna, worüber sich die Israeliten be­klagten, und auf die Dauer widert sie an „wie Honigkuchen“ (Ex 16,31). Sie klagten, daß „ihre Seele ausgetrocknet sei“; „hier gibt es überhaupt nichts“, sagten sie, „als dieses Manna vor unseren Augen… Wir gedenken der Fische, die wir um­sonst aßen in Ägypten; wir entsinnen uns der Gur­ken, Melonen, des Lauchs, der Zwiebeln und des Knoblauchs“ (Nm 11,5). Das waren die leckeren Speisen, daran ihre Seele sich erfreute, und aus dem gleichen Grund wollten sie einen König. Samuel besaß zuviel von jener ursprünglichen Einfachheit, als daß sie Gefallen an ihm gehabt hätten, sie fühl­ten sich rückständig in der Welt und verlangten laut, auf eine Ebene mit den Heiden gestellt zu werden.

Saul, den Gott ihnen zum König gab, besaß vieles, was ihn den nach dem Staub der Erde so gierigen Herzen empfahl. Er war tapfer, wagemutig, ent­schlossen; dazu war er ausgestattet mit Körper- wie mit Geisteskraft — ein Umstand, der ihre Be­wunderung erregt zu haben scheint. Seine Erschei­nung wird beschrieben, als wäre er einer der Söhne Anaks, vor deren Riesengestalten die Kundschafter der Israeliten in der Wüste wie Heuschrecken wa­ren — „ein auserlesener und stattlicher junger Mann; unter den Söhnen Israels gab es keinen, der stattlicher war als er. Von der Schulter an aufwärts ragte er hinaus über alles Volk“ (1 Sm 9,2). Seine Tugenden wie seine Fehler waren so, wie sie einem östlichen Herrscher geziemten, sie waren geeignet, ihm die Ehrfurcht und die Unterwerfung seiner Untertanen zu sichern. Stolz, Hochmut, Eigensinn, Kühle, Eifersucht, Launenhaftigkeit — alle diese Eigenschaften waren in ihrer Art nicht unpassend an einem König, für den ihre Einbildung schwärmte. Anderseits zeigten die besseren Seiten seines Cha­rakters eine hinreichende Vortrefflichkeit, um die Zuneigung Samuels für sich zu gewinnen.

Was Samuel angeht, so ist sein Verhalten weit über menschliches Lob. Obwohl ungerecht behandelt von seinen Landsleuten, die ihn verstießen, nachdem er ihnen treu gedient hatte, bis er „alt und grau­köpfig“ war (1 Sm 12, 2), und die sich trotz seiner ernsten Bitten entschlossen, über sich einen König zu setzen, so finden wir doch keine Spur von Kälte oder Eifersucht in seinem Verhalten gegen Saul. Bei sei­ner ersten Begegnung mit ihm begrüßte er ihn mit Worten der Ergebenheit — „Wem aber kommt es zu, was Israel wünscht? Nicht dir und dem ganzen Hause deines Vaters?“ Später, als er ihn dann zum König salbte, „küßte er ihn und sagte: Siehe, der Herr hat dich gesalbt zum Fürsten über Sein Erbe“ (1 Sm 9,20;10,1). Wie er ihn dem Volk als seinen König bekannt gab, sagte er: „Da sehet ihr, den der Herr erwählt hat, denn seinesgleichen ist nicht im ganzen Volk.“ Und einige Zeit später, als Saul unwiderruflich Gottes Huld verloren hatte, heißt es: „Samuel sah Saul nicht mehr bis zum Tage sei­nes Todes; dennoch trauerte Samuel um Saul.“ Im folgenden Abschnitt wird er sogar wegen seiner maßlosen Trauer getadelt. „Wie lange willst du trauern um Saul, da Ich ihn verworfen habe, daß er nicht mehr herrsche über Israel?“ (1 Sm 16,1). Ein solcher Kummer spricht günstig für Saul wie für Samuel; es ist nicht nur der Schmerz eines treuen Untertanen und eifernden Propheten, sondern noch mehr, der Schmerz eines treu ergebenen Freundes; und tatsächlich werden in den ersten Jahren seiner Herrschaft Beispiele von Geduld, Edelmut und Selbstlosigkeit erwähnt, die zur Genüge die Ge­fühle erklären, die Samuel ihm entgegenbrachte. David scheint unter ganz verschiedenen Umständen eine ähnliche Zuneigung für ihn empfunden zu haben.

Die hervorragenderen Eigenschaften seines Cha­rakters werden in Beispielen wie den folgenden dargetan: — Die erste Ankündigung seiner Erhe­bung kam unerwartet über ihn, aber wie es scheint, ohne ihn aus der Fassung zu bringen. Er hielt sie geheim und überließ die Veröffentlichung derselben dem Samuel, der sie ihm mitgeteilt hatte. „Saul sagte zu seinem Oheim, er (nämlich Samuel) sagte uns, daß die Eselinnen gefunden seien. Was ihm aber von Samuel über die Königswürde gesagt wurde, verriet er ihm nicht“ (1 Sm 10,16). Ja, es könnte sogar den Eindruck erwecken, daß er der ihm zugedachten Würde abgeneigt gewesen sei. Als nämlich das göttliche Los auf ihn fiel, verbarg er sich, und das Volk mußte ihn aufspüren, nicht ohne dabei seine Zuflucht zur göttlichen Hilfe zu nehmen. Seine Berufung war anfangs dem Volk nicht ge­nehm. „Die Kinder Belials sagten: Wie soll uns der da helfen können? Sie verachteten ihn und brachten ihm keine Geschenke, er aber schwieg“ (1 Sm 10,27). Bald darauf fielen die Ammoniter in das Gebiet jenseits des Jordan ein mit der offenen Absicht, es zu unterjochen. Das Volk, das der Verzweiflung nahe war, sandte zu Saul um Hilfe; der Schrecken verbreitete sich nicht bloß unter denen, deren Ge­biet unmittelbar bedroht war, sondern auch im In­nern des Landes. Die Geschichte berichtet weiter: — „Siehe, Saul kam gerade hinter den Rindern vom Felde keim; und Saul fragte: Was fehlt den Leuten, daß sie weinen? Und sie erzählten ihm die Nach­richt der Männer von Jabes. Da kam der Geist Got­tes über Saul und sein Zorn ergrimmte sehr“ (1 Sm 11,56). Seinem Befehl zu einer sofortigen Aus­hebung in ganz Israel wurde Folge geleistet mit jener Bereitwilligkeit, mit der die Menge einer machtvollen Persönlichkeit in Zeiten der Gefahr dient. Es folgte ein entscheidender Sieg über den Feind; dann erhob sich unter dem Volk das Ge­schrei: „Wer ist es, der gesagt hat: Soll Saul über uns König sein? Gebt heraus die Männer, daß wir sie töten. Saul aber entgegnete: An diesem Tag soll niemand getötet werden, denn heute hat der Herr in Israel Rettung gebracht“ (1 Sm 11,12.13).

So war Saul nicht nur persönlich befähigt, sondern er war überdies als König auch erfolgreich. Er war eingesetzt worden, um die Feinde Israels zu unterwerfen, und seine Waffen hatten Erfolg. Am Ende des vierzehnten Kapitels lesen wir: „So befestigte Saul sein Königtum über Israel und führte Krieg ringsum gegen alle seine Feinde, gegen Moab und gegen die Söhne Ammons und Edoms, gegen die Könige von Soba und gegen die Philister; und wo­hin er sich wandte, siegte er. Und er sammelte ein Heer und schlug die Amalekiter und befreite Israel aus der Hand seiner Verwüster“ (1 Sm 14,47.48).

Dies war Sauls Charakter und Erfolg: sein Charak­ter nicht frei von Fehlern, doch vielversprechend; sein Waffenerfolg so groß, wie seine irdisch gesinn­ten Untertanen nur wünschen konnten. Doch trotz Samuels persönlichem Gefallen an ihm und trotz des guten Erfolges, der ihn tatsächlich begleitete, finden wir daß von Anbeginn des Propheten Stimme in Warnung und Tadel sich erhebt gegen das Volk wie auch gegen den König. Es sind Vor­zeichen seiner drohenden Vernichtung, gemäß dem Schrifttext: „Ich gab ihnen einen König in Meinem Grimm und nahm ihn weg in Meinem Zorn.“ Gerade zur Zeit, da Saul öffentlich als König an­erkannt wird, gibt Samuel eine scharfe Erklärung ab: „An diesem Tag habt ihr euren Gott verworfen, der Selbst euch aus all euren Bedrängnissen und Trübsalen errettet hat“ (1 Sm 10,19). In einer spä­teren Volksversammlung, in der er seiner aufrich­tigen Gesinnung Ausdruck gab, sagt er: „Ist jetzt nicht Weizenernte? Ich will zum Herrn rufen, und Er wird euch Donner und Regen senden; dann wer­det ihr erkennen und sehen, daß eure Gottlosigkeit groß ist, deshalb weil ihr einen König verlangt habt“ (1 Sm 12,17). Und weiter: „Wenn ihr ver­harret in der Bosheit, so werdet ihr allzumal um­kommen, ihr und euer König“ (1 Sm 12,25). Danach wird beim ersten Fall von Ungehorsam, der zunächst keine besonders häßliche Sünde zu sein scheint, das Verwerfungsurteil über ihn gesprochen: „Dein Königtum wird keinen Bestand haben; der Herr hat Sich einen Mann nach Seinem eigenen Herzen ausgesucht“ (1 Sm 13,14).

Hier könnte man fragen: warum war Saul schon von Anfang an zur Strafe bestimmt? Weshalb diese Unglückszeichen, die vom ersten Tag an über ihm hingen, die sich zusammenzogen, die sich dann in tosenden Sturm verwandelten, um ihn schließlich zu überwältigen? Ist sein Charakter so durch und durch fehlerhaft, daß er mehr als alle gesalbten Könige nach ihm in dieser Weise für die Verwerfung ge­brandmarkt werden mußte? Warum sollte Saul als nichtswürdig verworfen werden, während David ein Mann nach Gottes Herzen genannt wird?

Diese Frage führt uns zu einer tieferen Untersu­chung seines Charakters. Wir wissen, die erste Pflicht eines jeden Menschen ist die Furcht Gottes — eine Ehrfurcht vor Seinem Wort, eine Liebe zu Ihm und ein Verlangen, Ihm zu gehorchen; und außerdem war es die besondere Pflicht des Königs von Israel als des Stellvertreters Gottes, kraft sei­nes Amtes die Verherrlichung Dessen zu fördern, den seine Untertanen verschmäht hatten.

Nun „fehlte Saul dieses eine“ (Mk 10,21). Sein Charakter ist zwar schwer durchschaubar, und wir müssen bei dieser Betrachtung vorsichtig sein; da jedoch die Schrift zu unserer Unterweisung gegeben ist, ist es sicher richtig, wenn wir alles herauslesen, was wir können, und unser Urteil nach solchen Lichtpunkten bilden, die uns zu Gebote stehen. Es scheint nun, daß Saul niemals auf längere Zeit unter dem Einfluß der Religion oder, in der Sprache der Schrift, „der Furcht Gottes“ stand, wenn er auch zeitweilig von ihr bewegt und ge­mäßigt wurde. Manche Menschen sind unbeständig in ihrem Verhalten wie Samson oder wie Heli, nur in verschiedener Weise; aber wenn auch ihr Glaube schwach war, so können sie doch im Glauben gelebt haben. Andere fallen plötzlich wie David. Andere werden durch Wohlstand verderbt wie Salomon. Bei Saul aber gibt es keinen Beweis dafür, daß er überhaupt einen tiefgründigen religiösen Grund­satz hatte; seine Geschichte ist, wie vielmehr zu be­fürchten steht, eine Lehre für uns, diese nämlich, daß das „ungläubige Herz“ sogar im Anblick Got­tes leben kann, daß es einen Menschen beherrschen kann trotz mancher natürlicher Charaktervorzüge, inmitten von vielem, was tugendhaft, liebenswürdig und löblich ist.

Saul war anscheinend von Natur aus tapfer, reg­sam, großmütig und geduldig; und was die Natur aus ihm machte, das blieb er, ohne sich zu ver­vollkommnen: im Besitze also von Tugenden, die keinen Wert hatten, weil sie keine Anstrengung forderten und von keinen Grundsätzen beeinflußt waren. Suchen wir anderseits Beweise für seinen Glauben, d. h. für sein praktisches Verständnis des Unsichtbaren, so finden wir statt dessen eine Unempfänglichkeit für alle Erwägungen, die nicht mit der gegenwärtigen Welt zusammenhängen. Es ist seine Art, Prophet und Priester, milde gesprochen, mit einer Kälte zu behandeln, die anscheinend einen großen inneren Defekt verrät. Dem Bericht der Schrift würde es selbst nicht widersprechen, wenn er (bei einer allgemeinen Vorstellung von Gottes Exi­stenz und Vorsehung) tatsächlich an der Göttlichkeit der Heilsordnung gezweifelt hätte, deren Werkzeug er doch war. Der Umstand, der ihn zuerst in die inspirierte Geschichte einführt, spricht nicht zu seinen Gunsten. Auf der Suche nach den verlorenen Eselinnen seines Vaters kam er zu der Stadt, in der Samuel weilte; und obwohl Samuel jetzt ein Greis war, von Kindheit an bekannt als der besondere Diener und Prophet des Gottes Israels, scheint Saul ihn als bloßen Wahrsager betrachtet zu haben, wie man ihn bei den Heiden finden konnte, der „um den vierten Teil“ eines Silbersekels ihm den Weg zeigen würde.

Die Erzählung erwähnt ferner, daß nach seinem Weggang von Samuel „Gott ihm ein anderes Herz gab“, und beim Zusammentreffen mit der Pro­phetenschar „der Geist Gottes über ihn kam und er unter ihnen prophezeite“ (Sm 10,9.10). Hernach sagten „alle, die ihn von früher her kannten: Was ist dem Sohn des Kis begegnet; ist auch Saul unter den Propheten? … Darum ist es zum Sprichwort geworden“. Aus dieser Erzählung entnehmen wir, daß seine Sorglosigkeit und Kälte gegenüber dem Religiösen so offenkundig war, daß seine Ver­bindung mit einer Prophetenschule in den Augen seiner Bekannten eine befremdende Ungereimtheit war, die sofort auffiel.

Auch haben wir von der folgenden Lebensgeschichte her keinen Anlaß zu glauben, daß die göttliche Gabe, die ihm damals zuerst verliehen wurde, irgendeine religiöse Wirkung in seinem Geist zu­rückließ. Zu einer späteren Zeit seines Lebens tref­fen wir ihn an, wie er plötzlich beim Betreten der Schule, in der Samuel lehrte, unter den gleichen heiligen Einfluß geriet; anstatt ihn aber zu besänf­tigen, bezeugte dessen Wirkung auf sein äußeres Benehmen nur die Fruchtlosigkeit der göttlichen Gnade, wenn sie auf einen Willen einwirkt, der hartnäckig auf das Böse ausgerichtet ist.

Den unmittelbaren Anlaß zu seiner Verwerfung bildet sein Versagen in einer besonderen Gehor­samsprobe, die ihm eben um die Zeit seiner Salbung auferlegt wurde. Unter Schwierigkeiten hatte er ein Heer gegen die Philister gesammelt. Während er auf Samuel wartete, der das Opfer darbingen sollte, wurde sein Volk entmutigt, begann ihn zu verlassen und heimzukehren. Ohne Zweifel war er hier der Versuchung ausgesetzt, unerlaubte Maß­nahmen zu treffen, um ihren Abfall aufzuhalten. Wenn wir aber erwägen, daß die Handlung, zu der er sich angetrieben fühlte, keine geringere war, als ein Opfer darzubringen — denn er war weder Prie­ster noch Prophet, noch hatte er irgendeinen Auf­trag, auf diese Weise das mosaische Ritual zu durch­kreuzen — so ist es klar, daß sein innerer Antrieb so zu handeln (wie er beschönigend seine Sünde be­schrieb) eine direkte Entweihung war— eine Ent­weihung, die darin bestand, daß er sich nicht küm­merte um bestimmte Formen, die in dieser Welt für übernatürliche Dinge immer wesentlich sein werden, und daß er wenig darauf gab, ob er nach Gottes Willen handelte oder nach seinem eigenen.

Anscheinend hat er sich nachher von Samuel ge­trennt, den er nicht gewillt fand, sein Werkzeug zu werden, und statt dessen zur Priesterschaft Zuflucht genommen. Der Hohepriester Achia oder Achimelek (wie er später genannt wird) befand sich in seinem Lager; ebenso die Lade Gottes, trotz der Warnung, die durch das Unheil gegeben wurde, das dem vermessentlichen Umgang mit ihr zur Zeit Helis gefolgt war. „Und Saul sprach zu Achia: Bring die Lade Gottes hierher“ (1 Sm 14,18); während sie herbeigetragen wurde, mehrte sich der Lärm, den man aus dem Lager der Philister vernahm. Bei dieser Störung stellte Saul die Lade unehrerbietig beiseite und zog zur Schlacht aus.

Man sollte bedenken, daß in Sauls Verhalten keine offenkundige oder absichtliche Geringschätzung lag; er war noch im ganzen der gleiche, der er immer gewesen war. Äußerlich beachtete er das mosaische Ritual, denn um diese Zeit erbaute er dem Herrn seinen ersten Altar (1 Sm 14,35), und er schien Gottes Autorität in einem gewissen Sinn anzuerkennen. Wir haben aber kein Zeichen dafür, daß nach seiner Ansicht irgendein großer Unterschied zwischen Israel und den anderen Völkern ringsum bestand. Er war gleichgültig und kümmerte sich um keines dieser Dinge. Das auserwählte Volk hatte ja einen König wie die Völker verlangt und einen solchen hatte es erhalten.

Hernach wurde er beauftragt, „hinzugehen und die Sünder, nämlich die Amalekiter, zu schlagen und sie und ihr Vieh gänzlich zu vernichten“ (1 Sm 15,18). Dies war ein Urteil über sie, das Gott schon lange beschlossen, jedoch aufgeschoben hatte, und jetzt machte Er Saul zum Diener Seiner Rache. Aber Saul vollzog sie nur so weit, als sie mit seiner eige­nen Neigung und Absicht zusammenfiel. Er schlug zwar die Amalekiter und „vernichtete das ganze Volk mit der Schärfe des Schwertes“ (1 Sm 15,8) — diese Heldentat hatte ihren Ruhm; das beste der Schafe und Viehherden aber verschonte er, und wes­halb? Um damit dem Herrn ein Opfer darzubrin­gen. Da aber Gott ihm ausdrücklich geboten hatte, sie zu vernichten, was sollte dies anderes bedeuten, als daß göttliche Weisungen nichts zu tun haben mit so etwas? Was anderes hieß dieses nun, als in der bestehenden Religion nur eine nützliche Ein­richtung zu sehen oder ein glänzendes Schaustück, das zur Würde des Königtums paßte, aber auf keiner unsichtbaren, übernatürlichen Verordnung ruhte? Sicher handelte er keinesfalls aus Gottes­furcht, aus dem Verlangen, Ihm zu gefallen, und in der Überzeugung, daß er vor Seinen Augen stehe. Die Tatsache, daß er nach seinem Willen handelte, weil es sein eigener war, könnte man als bloßen Stolz und Eigensinn ansehen (was es zweifellos zu einem großen Teil war), wenn es nicht den An­schein hätte, daß er in seinem Benehmen eher ein Auge für die Gefühle und Meinungen der Men­schen gehabt habe als für das Urteil Gottes. Er „fürchtete das Volk und gehorchte seiner Stimme“ (1 Sm 15,24). In geicher Weise verschonte er Agag, den König der Amalekiter. Zweifellos be­trachtete er Agag als „seinen Bruder“, wie Achab später Ben Hadad nannte. Agag war ein König, und Saul erwies ihm gegenüber jene Höflichkeit und Milde, die irdische Monarchen gegeneinander üben, und zwar mit Recht, wenn kein göttlicher Befehl in den Weg tritt. Aber der Gott Israels for­derte einen König nach Seinem eigenen Herzen, der von Eifer gegen den Götzendienst glühte. Das Volk aber hatte einen König begehrt wie die Völker ringsum.

Überdies ist es auffallend, daß er, während er Agag schonte, die Gibeoniten mit dem Schwert ausrotten wollte, obgleich diese in Israel geduldet waren kraft eines Eides, den Josue und die „Fürsten der Ge­meinde“ (Jos 9,15) zu deren Gunsten geleistet hatten. Das tat er „in seinem Eifer für die Söhne Israels und Judas“ (2 Sm 21,15).

Nie mehr seit der Zeit seines Ungehorsams im Fall Amaleks besuchte Samuel den Saul, dessen Probe­zeit vorüber war. Der böse Geist übte einen immer sichtbareren Einfluß auf ihn aus, und Gott sandte Samuel hin, damit er im geheimen David zum künftigen König Israels salbe. Ich brauche nicht wei­ter den Verlauf des sittlichen Niedergangs zu ver­folgen, der in Sauls späterer Lebensgeschichte ver­anschaulicht ist. Rein natürliche Tugend schwindet dahin, wenn die Menschen es vernachlässigen, sie in religiösen Grundsätzen zu verankern. Saul scheint als junger Mann bescheiden und nachsichtig ge­wesen zu sein. Im vorgerückten Alter ist er nicht nur stolz und finster (was er immer ein wenig war), sondern auch grausam, rachsüchtig und hartherzig, was er in seiner Jugend nicht war. Seine ungerechte Behandlung Davids ist eine zu lange Geschichte; aber sein Verhalten dem Hohenpriester Achimelek gegenüber kann hier erwähnt werden. Achimelek war David auf seiner Flucht behilflich. Saul be­schloß den Tod Achimeleks und des ganzen Hauses seines Vaters (1 Sm 22,16). Als seine Begleiter sich weigerten, seinen Befehl auszuführen, vollzog Doeg, ein Mann aus Edom, einer jener Nationen, die Saul zu be­kämpfen berufen war, die grausame Tat. An jenem Tag wurden fünfundachtzig Priester getötet. Dann wurde die Priesterstadt Nobe mit der Schärfe des Schwertes geschlagen und alles umgebracht, „Män­ner und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder, Esel und Schafe“ (1 Sm 22,19). Das will sagen, Saul übte eine vollständigere Rache an den Nachkom­men Levis, dem geheiligten Stamm, als an den Sündern, den Amalekitern, die Israel aus dem Hinterhalt überfielen, als es aus Ägypten herauf zog. Schließlich endet er sein verbrecherisches Le­ben durch einen offenkundigen Abfall von dem Gotte Israels. Seine letzte Handlung gleicht seiner ersten, nur ist sie bezeichnender. Er begann, wie wir sahen, indem er Samuel wie einen Wahrsager befragte; dies zeigte die Richtung seines Geistes an. Er verharrte unverändert auf seinem bösen Wege — und am Ende befragte er eine wirkliehe Hexe, die zu Endor. Die Philister hatten ihr Heer versam­melt. Sauls Herz zitterte heftig — er hatte weder Ratgeber noch Tröster; Samuel war tot — die Prie­ster hatte er selbst mit dem Schwert erschlagen. Nun hoffte er durch magische Riten, die er früher gebrandmarkt hatte, den Ausgang der bevor­stehenden Schlacht vorauszusehen. Gott begegnet ihm sogar in der Höhle satanischer Täuschungen — aber als Gegner! Aus dem Mund des toten Samuel, der ihn einst gesalbt hatte, erfährt der verworfene König die Botschaft, daß er „weggenommen werden soll in Gottes Zorn“ — daß der Herr Israel samt ihm in die Hand der Philister liefern würde und daß er und seine Söhne am morgigen Tag unter die Toten gezählt werden (1 Sm 28,19).

Am folgenden Tag „wandte sich die ganze Last des Kampfes auf Saul und die Bogenschützen trafen ihn und er wurde sehr schwer verwundet von den Bogenschützen“ (1 Sm 31,3). „Angst überkam ihn“ (2 Sm 1,9), und er fürchtete in die Hand der Unbeschnittenen zu fallen. Er bat seinen Waffenträger, sein Schwert zu ziehen und ihn mit demselben zu durchbohren. Als dieser sich weigerte, stürzte er sich ins eigene Schwert und endete so sein Leben.

Unglaube und Trotz sind die erbärmlichen Merk­male in Sauls Geschichte — ein Ohr, das taub ist für die klarsten Befehle, ein Herz, das verhärtet ist gegen den gnadenreichsten Einfluß. Nehmt nicht an, meine Brüder,  ich  betrachte  Sauls  Geistes­zustand als etwas sehr Außergewöhnliches, weil ich mit solchem Ernst spreche. Möge Gott verhüten, daß so etwas unter uns sich irgendwo in seinem ganzen Elend finde! Aber sicher ist hier keine Seele zugegen, die nicht in sich die Elemente von Sünden wie denen Sauls entdecken kann. Wir wollen nur nachdenken über unsere Herzenshärte, wenn wir religiösen Feiern beiwohnen, und wir werden etwas verstehen von Sauls Lage, als er prophezeite. Wir können uns selbst der Wahrheit der heiligen Dinge so gänzlich bewußt sein, als sähen wir sie; wir kön­nen ohne Zweifel sein über Gottes Gegenwart in der Kirche oder über die Gnade der Sakramente, und dennoch fühlen wir uns oft in einer so alltäg­lichen und gleichgültigen Stimmung, wie wenn wir ganz und gar Ungläubige wären. Wir wollen ferner nachdenken über unsere Gefühllosigkeit nach emp­fangenen Gnaden oder nach Leiden. Und oft steht es sogar noch schlimmer mit uns; denn es mag uns nicht immer gegeben sein, die unsichtbare Welt in unserer Vorstellung zu vergegenwärtigen und zu fühlen, als sähen wir sie. Aber was ist zu sagen von jenen bewußten Übertretungen der Gebote Gottes, die wir alle, wie ich fürchte, in unserer eigenen Erinnerung haben? Wir entdecken sie sogar in un­serer Kindheit, als unser Herz am zartesten war, als wir am wenigsten an der Religion zweifelten, als wir am wenigsten im unklaren waren über un­sere Pflicht und wir die ganze Zeit über voll bewußt taten, was wir taten. Was soll man denen sagen, deren Zahl vielleicht nicht gering ist, die mit dem Vorsatz sündigen, es nachher zu bereuen?

Was unsere Gefühllosigkeit noch erschreckender macht ist der Umstand, daß sie der Gewährung der größten Gnaden folgt. Saul wurde verhärtet, nach­dem der Geist Gottes über ihn gekommen war; bei uns ist es eine Sünde nach der Taufe. Es liegt etwas Entsetzliches in dieser Tatsache, wenn wir sie be­greifen. Es scheint, als ob die besondere Herzens­härte, die wir an uns erfahren, trotz aller noch so glänzender Eigenschaften des Charakters, die wir sonst wie Saul besitzen mögen — trotz der Güte oder des Edelmutes oder der Aufrichtigkeit oder der Nachsicht, die die Tugenden unserer Zeit sind — das charakteristische Merkmal einer sündigen Seele sei, nachdem sie „die Kräfte der kommenden Welt verkostet hat“ (Hebr 6,5), und auch ein Unterpfand des zweiten Todes. Möge dieser Ge­danke durch Gottes Gnade uns zu einem tieferen Ernst erwecken, als wir ihn gegenwärtig besitzen, solange Christus immer noch fortfährt, für uns zu bitten, und uns Zeit gewährt zur Buße!