„ Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen (Joh 1,5). Nach dem Urteil der Menge war er wie jeder andere Mensch. Obgleich empfangen vom Heiligen Geist, wurde er von einer armen Frau geboren, die ob der Überzahl der Fremden abgewiesen wurde und ihn in einem Stall zur Welt brachte. O wunderbares Geheimnis, frühzeitig offenbart, dass er selbst bei der Geburt den Willkommensgruß der Welt zurückwies! Er wuchs auf als der Sohn eines Zimmermanns, ohne Bildung, so dass seine Nachbarn, als er zu lehren begann, sich wunderten, wie einer ein Prophet werden sollte, der die Schule nicht besucht hatte und nur in einem niedrigen Handwerk ausgebildet war. Er war bekannt als der Verwandte und Freund armer Leute; so dass die Welt auf sie zeigte, als er selbst an die Öffentlichkeit trat, wie wenn die Niedrigkeit ihres Standes die Widerlegung seiner Ansprüche wäre. Er wuchs auf in einer Stadt von schlechtem Ruf, so dass sogar die Besseren zweifelten, ob etwas Gutes aus ihr kommen könne. Nein, er wollte dieser Welt weder Behaglichkeit noch Hilfe nach Ansehen verdanken: denn „die Welt ist durch ihn gemacht worden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt“ (Joh 1,10). Er kam zu ihr als Wohltäter, nicht als Gast; nicht um von ihr zu borgen, sondern um sie zu beschenken.
Als er dann heranwuchs und vom Himmelreich zu predigen begann, da nahm der heilige Jesus nicht mehr von der Welt an als zuvor. Er wählte das Los jener Heiligen, die ihm vorangingen und seine Vorbilder waren, wie Abraham, Moses, David, Elias, und sein Vorläufer Johannes der Täufer. Er lebte im Freien, ohne die Bindung an eine Heimat oder an eine friedliche Wohnstätte; Er lebte als Pilger im Land der Verheißung; Er lebte in der Einsamkeit. In Zelten hatte Abraham in dem Land gelebt, das seine Nachkommen besitzen sollten. David hatte es, während Saul ihn verfolgte, sieben Jahre lang kreuz und quer durchwandert. Moses war ein Gefangener in der menschenleeren Wüste gewesen, auf dem ganzen Weg vom Berge Sinai bis zu den Grenzen Kanaans. Elias hinwiederum wanderte vom Karmel zum Sinai zurück. Und der Täufer war von Jugend an in der Einsamkeit geblieben. Dies war auch das äußere Leben unseres Herrn während seiner öffentlichen Tätigkeit; Er war bald in Galiäa, bald in Judäa; man findet ihn auf den Bergen, in der Wüste, in der Stadt, aber er gönnte sich keine Heimat, nicht einmal den Tempel seines Vaters in Jerusalem.
Alles dies nun ist ganz unabhängig von den besonderen, erbarmungsvollen Absichten, die ihn auf die Erde führten. Wenn er sich doch zuletzt durch eine unbegreifliche Herablassung dem Tod am Kreuz unterwarf, warum dann verschmähte er zu Anfang diese Welt, als er noch nicht für ihre Sünden sühnte? Er hätte wenigstens die Freude an jenen Brüdern haben können, die an ihn glaubten; Er hätte in seiner Heimat glücklich und geachtet sein können; Er hätte in seinem Heimatland Ehre besitzen können; er hätte genügt, nur am Ende sich dem zu unterwerfen, was er tatsächlich von Anfang an erwählte; Er hätte seine freiwilligen Leiden bis zu jener Stunde verschieben können, die ihn der Wille des Vaters und sein eigener zum Opfer für die Sünde machte.
Aber er handelte anders; uns so wird er zur Lehre für uns, die wir seine Jünger sind. Er, der so weltabgewandt war, so gegenwärtig beim Vater selbst in den Tagen seines Fleisches, verlangt von uns, seinen Brüdern, da wir in ihm sind und er im Vater ist, zu zeigen, dass wir wirklich das sind, wozu wir gemacht wurden, indem wir, zwar in der Welt, der Welt entsagen und gleichsam in der Gegenwart Gottes leben.
Das sollen jene bedenken, die meinen, die Vollkommenheit unserer Natur bestehe noch wie vor der Verleihung des Geistes in der Betätigung aller ihrer einzelnen körperlichen und geistigen Funktionen, nicht aber in der entsagenden Unterwerfung unseres niedrigeren Ich unter das höhere. Christus, der der Anfang und das Urbild der neuen Schöpfung ist, lebte gewissermaßen außerhalb des Körpers, während er in ihm war. Sein Tod freilich wurde als Sühne gefordert; aber warum sollte sein Leben so abgetötet sein, wenn nicht deshalb, weil eine solche Strenge der Ruhm des Menschen ist?
Nahen wir uns in dieser Zeit mit Ehrfurcht und Liebe dem, in dem alle Vollkommenheit wohnt und von dem wir sie empfangen dürfen. Gehen wir zu dem, der heiligt, damit wir geheiligt werden. Gehen wir zu ihm, um unsere Pflicht kennenzulernen und die Gnade zu erlangen, sie zu erfüllen. In anderen Zeiten des Jahres werden wir daran gemahnt, zu wachen, zu arbeiten, zu kämpfen und zu leiden; aber in dieser Zeit werden wir einfach an die Gaben Gottes für uns Sünder erinnert. „Nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, die wir getan, sondern nach seiner Barmherzigkeit hat er uns gerettet“ (Tit 3, 5). Wir werden daran erinnert, daß wir nichts tun können, und daß Gott alles tut. Dies ist im besonderen die Zeit der Gnade. Wir kommen, Gottes Erbarmungen zu sehen und zu erfahren. Wir nahen uns ihm wie die hilflosen Wesen, die während seiner öffentlichen Tätigkeit auf Betten und Tragbahren zur Heilung gebracht wurden. Wir kommen, um geheilt zu werden. Wir kommen wie kleine Kinder, um ernährt und belehrt zu werden, „als neugeborene Kinder, zu verlangen nach der unverfälschten Milch des Wortes, damit wir dadurch wachsen mögen“ (1 Petr 2,2). Dies ist eine Zeit der Unschuld, der Reinheit, der Sanftmut, der Milde, der Genügsamkeit und des Friedens. Es ist eine Zeit, in der die ganze Kirche in Weiß gekleidet zu sein scheint, in ihr Taufkleid, in das strahlende und glänzende Gewand, das sie auf dem heiligen Berg trägt. Zu anderen Zeiten kommt Christus in blutbefleckten Kleidern; aber jetzt kommt er zu uns ganz hold und friedlich, und er ermahnt uns, froh zu sein in ihm und einander zu lieben. Dies ist keine Zeit für Düsterkeit, Eifersucht, Besorgnis, Genußsucht, Ausschreitung oder Ausschweifung: nicht für „Schmausereien und Trinkgelage“, nicht für „Wollust und Unzucht“, nicht für „Zank und Neid“ (Röm 13, 13), wie der Apostel sagt, sondern um anzuziehen den Herrn Jesus Christus, „der die Sünde nicht kannte und in dessen Mund kein Trug gefunden wurde“ (1 Petr 2, 22).
Möge jedes neue Weihnachten uns ihm, der zu dieser Zeit um unseretwillen ein kleines Kind wurde, mehr und mehr ähnlich finden, schlichter also und demütiger, heiliger, liebevoller, ergebener, glücklicher, gotterfüllter.
aus DP V, 7 pp. 115-119